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Krankheit mit 1.000 Gesichtern
Für die einzelnen Verlaufsformen der Multiplen Sklerose steht heute eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung. Laufend kommen neue hinzu – ein Update
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) und wird durch eine Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst. Durch die initiierten entzündlichen Prozesse kommt es zu einer Schädigung von Nervenfasern. Daraus resultieren – je nach Lokalisation – unterschiedliche neurologische Ausfälle. Die Erkrankung verläuft in den meisten Fällen in Schüben („schubförmige MS“). In seltenen Fällen kann sie schon ab ihrem Beginn schleichend verlaufen („primär progrediente MS“) bzw. von einem über viele Jahre schubförmigen Verlauf in einen sich schleichend verschlechternden Prozess übergehen („sekundär progrediente MS“). Diese Unterscheidung ist für den Einsatz der unterschiedlichen verlaufsmodifizierenden Medikamente wichtig.
Drei Therapieansätze
Die Behandlung der Multiplen Sklerose beruht auf drei wichtigen Säulen, wobei ein multimodales Therapiekonzept wesentlich ist: • Bei akuten MS-Schüben erfolgt eine Infusionstherapie mit hochdosierter Kortisongabe. • Medikamentöse verlaufsmodifizierende Langzeittherapien greifen in den
Entzündungsprozess ein und sollen das
Fortschreiten der Erkrankung sowie das
Neuauftreten von Krankheitsschüben bremsen. Nach neuesten Studiendaten sollten diese Langzeittherapien schon
frühzeitig im Erkrankungsprozess begonnen werden, um bleibende Schäden zu verhindern. • Die gezielte Symptomtherapie kann einerseits medikamentös erfolgen, andererseits durch Rehabilitationsmaßnahmen, z. B. aus den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Hierbei sollen bei MS häufig auftretende Symptome wie Spastik (Muskelverkrampfungen),
Schmerzen oder Harnentleerungsstörungen gezielt behandelt werden.
Medikamente im Lauf der Zeit
Schwierigkeiten der Therapie
Multiple Sklerose ist nicht heilbar, jedoch steht heutzutage schon eine Vielzahl von Medikamenten (aktuell sind es 17) zur Verfügung. Für die Therapie der schubförmigen Multiplen Sklerose gibt es mittlerweile etliche wirksame Medikamente, während die Therapie der progredienten, schleichend verlaufenden Multiplen Sklerose aufgrund des anderen Entzündungsmechanismus nach wie vor eine große Herausforderung darstellt. Bei der schubförmigen Multiplen Sklerose spielt sich der Entzündungsprozess sowohl im peripheren Immunsystem als auch durch die Interaktion über die Blut-Hirn-Schranke im zentralen Nervensystem ab. Dieser ist bei progredienten Verlaufsformen hingegen im zentralen Nervensystem einge-
schlossen und vom peripheren Immunsystem weitgehend getrennt. Deswegen ist letztere Form der Erkrankung vielen Medikamenten schwer zugänglich. Bei den derzeit verfügbaren Medikamenten handelt es sich einerseits um immunmodulierende, die in den Entzündungsprozess regulierend eingreifen. Andererseits gibt es sogenannte immunsuppressive Therapien, die bei hochaktiven Verläufen eingesetzt werden. Immunsuppressive Medikamente können jedoch das Immunsystem schwächen und Betroffene anfälliger für Infekte machen. Die ersten Medikamente für die Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose waren als Injektabilia die Interferone (Interferon-beta 1a, 1b: Rebif®, Avonex®, Betaferon® , Plegridy®) in den 1990er Jahren, GASTAUTORIN: gefolgt von Glatirameracetat OÄ Dr.in Bettina Heschl (Copaxone®, Perscleran®) im LKH Graz – Universitätsklinik für Jahr 2001. Beide Medikamente Neurologie werden nach wie vor regelmäßig zur Behandlung der milden/ moderaten Verlaufsform der MS sowie des klinisch isolierten Syndroms (KIS, einmaliges Ereignis ohne Erfüllung der MSKriterien) eingesetzt. Seit 2006 steht Natalizumab (Tysabri®) als monoklonaler Antikörper für die Behandlung hochaktiver Verlaufsformen zur Verfügung. Die ersten oralen Medikamente waren 2011 der S1P-Modulator Fingolimod (Gilenya®), 2013 Teriflunomid (Aubagio®) und 2014 Dimethylfumarat (Tecfidera®). Ein weiteres orales Medikament – Cladribin (Mavenclad®) – kam 2017 auf den Markt. Mit den CD20-B-Zelldepletierenden monoklonalen Antikörpern wurde 2018 ein Durchbruch erzielt, da Ocrelizumab (Ocrevus®) das erste (und derzeit einzige) zugelassene Medikament für die primär progredient verlaufende Multiple Sklerose darstellt. 2021 wurde Ofatumumab
© Fotostudio Hartlauer
IM ÜBERBLICK
McDonald MS: Relapsierende MS (RMS) Progrediente MS (PMS)
KIS RRMS SPMS PPMS
Verlaufsmodifizierende Therapie
Interferon-b-1a i.m. Interferon-b-1a s.c. Interferon-b-1b s.c. Dimethylfumarat Glatirameracetat Interferone Teriflunomid (Azathioprin)
(Hoch-)aktiv Erst- sowie Zweitlinientherapie
Mild / moderat Gepulste Therapien
Alemtuzumab Cladribin Ocrelizumab
Kontinuierliche Therapien
Natalizumab Ofatumumab S1P-Modulatoren (Fingolimod, Ozanimod,
Ponesimod)
mit Schüben
Cladribin Interferon-b-1b s.c. Ocrelizumab Ofatumumab Ponesimod Siponimod (Mitoxantron)
ohne Schübe, aber mit MRT-Aktivität
Siponimod
mit klinischer / MRT-Aktivität
Ocrelizumab
Quelle und weiterführende Infos: Multiple Sklerose Therapie Konsensusgruppe (MSTKG), Positionspapier 2021.
(Kesimpta®), ebenfalls ein CD20-B-Zelldepletierender Antikörper, für die schubförmige MS zugelassen. Weiters kamen Ozanimod (Zeposia®) sowie Ponesimod (Ponvory®) aus der Gruppe der S1P-Modulatoren dazu. Zur Behandlung sekundär progredienter, aktiver Verlaufsformen kann seit 2020 Siponimod (Mayzent®) bzw. Interferonbeta 1b in subkutaner Form eingesetzt werden. Mitoxantron kommt derzeit wegen Nebenwirkungen nur mehr in Ausnahmefällen zur Anwendung. Alemtuzumab (Lemtrada®) wird nur mehr in Ausnahmefällen bei hochaktiven Formen eingesetzt.
Blick in die Zukunft
Dank der intensiven Forschung konnte in den letzten Jahren ein enormer Zuwachs von neuen Medikamenten für die Behandlung der MS verzeichnet werden. Als möglicher neuer therapeutischer Ansatz werden derzeit die sogenannten BTKi (Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren) bereits in Phase-III-Studien erprobt. Diese Medikamente hemmen spezielle Immunprozesse und beeinflussen Mikroglia und B-Zellen. Die endgültigen Ergebnisse der laufenden Studien werden zeigen, ob eine weitere Therapie die bestehende Therapieliste ergänzen wird.
Fazit für die Praxis
Entscheidung nach ausführlicher Patientenaufklärung, um eine gute Krankheitskontrolle bei möglichst geringen Nebenwirkungen zu erreichen. <
Multiple Sklerose ist zwar nicht heilbar, jedoch kann der frühe Einsatz von verlaufsmodifizierenden Langzeittherapien das Fortschreiten der Erkrankung sowie bleibende Behinderungen abwenden. Derzeit sind für die einzelnen Verlaufsformen der MS eine Reihe von Medikamente vorhanden. Die Therapieliste wird laufend um neue Medikamente ergänzt. Welches Medikament jedoch für den jeweiligen Patienten oder die jeweilige Patientin geeignet ist, muss individuell je nach Krankheitsverlauf, Aktivität und Klinik entschieden werden. Wichtig ist auch eine gemeinsame
Demenz –

HausärztInnen laut Umfrage erste Anlaufstelle und Informationsquelle
Das Marktforschungsinstitut Spectra befragte österreichweit im Auftrag der MAS Alzheimerhilfe im Februar 1.027 Personen. Alarmierende 44 % der ÖsterreicherInnen würden bei Gedächtnisproblemen zuwarten, bevor sie ärztliche Hilfe suchen. Die Angst an Demenz zu erkranken, rangiert mit 12 % auf Platz drei der Gesundheitsängste (hinter Schlaganfall mit 17 und Krebs mit 41 %). Unangefochten erste Anlaufstelle (mit 70 % weit vor den Neurologen mit 29 %) und Informationsquelle (mit 60 %, gefolgt von den Neurologen mit 40 %) in Fragen zu Demenz sind die HausärztInnen. In Österreich leiden etwa 145.000 Menschen an Demenz. Gleichzeitig liegt die Diagnoserate nur bei 20 bis 30 %. Folglich erhält der Großteil der betroffenen Menschen nicht die für sie benötigte Unterstützung. Weil PatientInnen ihren Hausarzt regelmäßig aufsuchen, bemerkt dieser schon leichte Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit und des Verhaltens. Ziel muss sein, frühzeitigere Interventionen zu erreichen. So kann es gelingen, mit guter medizinischer Begleitung sowie psychosozialen Methoden (stadiengerechte Trainings), positiv in den Verlauf der Erkrankung einzugreifen und den betroffenen Familien Juni 2022 noch einige gute Jahre mit Lebensqualität zu schenken. 37 Service: alzheimerhilfe.at