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Toxisches“ Darmmikrobiom

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Kommentar

Kommentar

Wie unsere heutige Ernährungsweise, Entzündungsprozesse und chronische Erkrankungen zusammenhängen

SerieGASTRO

+++ Der Verzehr eines Hotdogs kostet 36 Minuten gesunden Lebens, durch den ersatzweisen Verzehr einer Portion Nüsse werden hingegen 26 Minuten gesundes Leben gewonnen +++

Die „Global Burden of Disease Study“ belegt es immer wieder: Unsere heutige Ernährungsweise tötet mehr Menschen als alle anderen Risikofaktoren zusammen. Jedes Jahr gehen weltweit über elf Millionen Todesfälle und über 240 Millionen in chronischer Krankheit verbrachte Lebensjahre auf das Konto falscher Ernährung, während Rauchen für sechs Millionen Todesfälle, Bewegungsmangel für fünf Millionen und erhöhter Alkoholkonsum für drei Millionen Tote jährlich verantwortlich ist. Industriell verarbeitete sowie tierische Produkte und Softdrinks haben seit der Industrialisierung, und dann v. a. ab den 1960er Jahren, begonnen, nährstoffdichtere und unverarbeitete pflanzlich basierte Lebensmittel sukzessive auf unseren Tellern zu verdrängen. Die größten Risikofaktoren in der modernen Ernährung sind „zu viel Salz, zu wenig Vollkorn, zu wenig Obst, zu wenige Nüsse, zu wenige Hülsenfrüchte“ und „zu wenig Gemüse“ , gefolgt von „zu viel Fleisch“ und „zu viele Softdrinks“ . Trotz regionaler Unterschiede isst die Welt beispielsweise täglich nur 29 Gramm der empfohlenen 125 Gramm Vollkorn, stattdessen konsumiert der Durchschnittsweltbürger fast das Doppelte der empfohlenen Menge an verarbeitetem Fleisch (vier Gramm anstatt maximal zwei Gramm täglich).

GASTAUTORIN: Dr.in Sarah Schwitalla

Wissenschaftlerin, Autorin und Gründerin des Zentrums für Prävention, Mikrobiom- und Darmgesundheit: drschwitalla.com >

Vermeidbare Volkskrankheiten

Diese Verschiebung auf den globalen Tellern steht im direkten Zusammenhang mit einer Reihe ernährungsbedingter Volkskrankheiten, die heute 73 % aller Tode weltweit ausmachen, angeführt von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes. Diese Erkrankungen wären größtenteils vermeidbar. Mit einem gesünderen Lebensstil könnten zum Beispiel fast 70 % der Darmkrebs-Diagnosen verhindert werden; ein ausreichender Ballaststoffgehalt in der Ernährung

zeigt hierbei die größte Präventionswirkung. Dies gilt nicht nur für Darmkrebs. Bis zu 50 % der Malignomneuerkrankungen ließen sich theoretisch abwenden. In Deutschland sind 37,4 % der epidemiologisch wichtigsten Tumoren modifizierbaren Risiken zuzuschreiben – etwa Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Fehlernährung. Von fünf Krebserkrankungen könnten statistisch also ca. zwei Fälle verhindert werden.

„Unsere heutige Ernährungsweise tötet mehr Menschen als Rauchen, Alkohol und Bewegungsmangel zusammen.“

Ballaststoffe und Mikrobiota

Chronische Erkrankungen und über 25 % aller Tumoren sind mit chronisch entzündlichen Prozessen, sowohl lokalen im Gewebe als auch systemischen, assoziiert. Eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung, die mindestens 35 Gramm Ballaststoffe enthält, verringert nicht nur Entzündungsmarker im Blut, sondern geht auch mit einer 30%igen Verringerung der Gesamtmortalität und einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Mortalität sowie der Inzidenz von und Mortalität bei Schlaganfällen, Typ-2-Diabetes, Brustkrebs und Darmkrebs einher. Einer der Hauptfaktoren für die Vermittlung des entzündungshemmenden und krankheitspräventiven Effektes von Ballaststoffen aus pflanzenbasierten Lebensmitteln ist die Darmmikrobiota, die im Kolon die Faserstrukturen zu kurzkettigen Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat fermentiert. Ein erhöhter Ballaststoffgehalt in der Ernährung bewirkt eine vermehrte Synthese dieser Mikrobiota-Stoffwechselprodukte und eine deutlich verminderte systemische Entzündung – z. B. bei Menschen mit Metabolischem Syndrom und Adipositas.

Folgenschwere Dysbiose

Aus einem zu geringen Ballaststoffgehalt der Ernährung resultiert hingegen eine für den Menschen ungünstige Veränderung des Mikrobiom-Stoffwechsels, eine Dysbiose. Denn der Mikrobiota fehlen die Ballaststoffe als wichtigste Energiequelle für ihr Wachstum. Die Reduktion des Kohlenhydratgehalts der Ernährung – z. B. bei einem „Low carb“ -Ansatz – von den üblichen 52 % auf 4 % und die gleichzeitige Erhöhung des tierischen Proteingehalts von 13 % auf 30 % bewirkten bei Patienten mit Übergewicht eine 50%ige Verringerung der Synthese von gesundheitsförderlichen Mikrobiom-Stoffwechselprodukten. Eine langfristige Ernährung dieser Art führt infolge der Dysbiose zu einem Abbau der Darmschleimhaut und einer Darmbarrierestörung, die mit einer systemischen Entzündung und diversen Krankheitsbildern, u. a. mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, dem Metabolischen Syndrom, Autoimmunerkrankungen oder Darmkrebs, in Verbindung steht. Ein Beispiel für entzündungsfördernde Substanzen, die aus der Dysbiose resultieren, ist TMAO (Trimethylaminoxid). Es wird in der Leber aus TMA (Trimethylamin) synthetisiert, welches die Darmmikrobiota aus Cholin, L-Carnitin oder Lecithin (Bestandteil tierischer Produkte) metabolisiert. Die Höhe des TMAO-Levels im Blut von Probanden ist u. a. mit einem bis zu dreifach erhöhten Myokardinfarkt-, Atherosklerose-, Schlaganfall- oder auch Darmkrebsrisiko assoziiert. Der Mikrobiom-Stoffwechsel und die Stabilität der Darmbarriere können zudem durch Lebensmittelzusätze stark beeinträchtigt werden, beispielsweise durch künstliche Süßstoffe wie Aspartam oder Emulgatoren, deren Konsum mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden ist.

Evidenzbasierte Interventionen

Um die Bevölkerung und auch Patienten optimal dabei zu unterstützen, eine krankheitspräventive Ernährung mit stärkerem Fokus auf unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln zu etablieren, muss zusätzlich zur generellen Aufklärung über Ernährung die Ernährungsumgebung gesundheitsförderlich gestaltet werden. Evidenzbasierte Interventionen, die sich in puncto Förderung der öffentlichen Gesundheit als wirksam erwiesen haben – in vielen Ländern jedoch nach wie vor schleppend implementiert werden –, wären u. a. Marketing-Restriktionen für industriell verarbeitete Waren und Softdrinks in Bezug auf Kinder, gesetzmäßig vorgeschriebene Produktreformulierungen, 20 % Steuer auf zuckerhaltige Getränke, die Gestaltung und Platzierung von Lebensmitteln in Supermärkten, transparentere Produktlabels für Verbraucher sowie die Unterstützung gesunder Mahlzeiten in Schulen und Kantinen. <

Literatur bei der Autorin.

X HAUSÄRZT:IN-Buchtipp

Das Mikrobiom-Komplott

Wie Lebensmittelindustrien unsere Gesundheit zerstören und wie wir uns schützen

Von Sarah Schwitalla Verlag edition a 2022

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