Hausärzt:in 06/2022

Praxis-Magazin für Primärversorgung mit Sonderteil Pharmazie

DOSSIER UMWELTMEDIZIN

06/2022

Wissen versus Handeln

Österreichische Post AG, MZ16Z040661M, 32. Jahrgang, RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien

Wie klimafreundliche und gesundheitsbewusste Verhaltensweisen gefördert – und sabotiert – werden

Allergien und Urlaubsplanung

Risiken, Therapieoptionen und Tipps für die Reiseapotheke XXX

Praxiswissen: Kreuzschmerz

Richtig einordnen und behandeln

© RegionalMedien Gesundheit

Hausärzt:in

Editorial So „hot“ kann Umweltmedizin sein Unser „Mutterunternehmen“, die RegionalMedien Austria, setzt regelmäßig auf Leser:innen-Umfragen. Überraschend war dabei im Vorjahr, dass sich „Natur und Umwelt“ ganz klar als Lieblingsthema der Teilnehmenden herauskristallisierte. Auch „Gesundheit“ fand sich – das war weniger überraschend – wieder unter den Top 5. Die Redaktionen in den Bundesländern nahmen die Ergebnisse zum Anlass, 2022 verstärkt Nachhaltigkeitsthemen aufzugreifen und eine eigene „Natur&Umwelt“-Ausgabe im Juni herauszugeben.

Die Politik ist ganz klar aufgerufen, mehr für unsere „Mutter Erde“ zu tun als bisher. Ärzte und Journalisten können zur Bewusstseinsbildung beitragen. Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Wenn an vielen kleinen Orten viele kleine Menschen viele kleine Dinge tun, wird sich das Angesicht unserer Erde verändern.“ Umweltthemen sind oft „heiße“ Themen, müssen aber keinesfalls „uncool“ sein. Eine spannende Lektüre – und genießen Sie den Sommer!

Ihre

Komplexe Zusammenhänge Wir, die Fachredaktion der RegionalMedien Gesundheit, schließen uns der Schwerpunktsetzung gerne an. Umweltthemen sind in aller Munde, und es ist sinnvoll, das momentan große Interesse der Leserschaft zu nutzen, um komplexe Informationen „gut rüberzubringen“. Das zählt zu unseren Stärken! Weil Ärztinnen und Ärzte immer öfter von ihren Patienten auf umweltmedizinische Zusammenhänge angesprochen werden, benötigen auch sie das entsprechende Hintergrundwissen.

Für die Coverstory der aktuellen Ausgabe der Hausärzt:in haben wir deshalb ein Dossier spannender umweltmedizinischer und -psychologischer Beiträge zusammengestellt: Warum handeln wir nicht klimafreundlich und gesundheitsbewusst, wenn wir doch genau wüssten, wie es ginge? Inwiefern steht das viele Plastik in unserer Umwelt mit der Korpulenz vieler Menschen in Zusammenhang? Worauf muss angesichts erwarteter Hitzewellen bei Medikamenten geachtet werden? Und: Wie stark spielen veränderte Umweltverhältnisse bei der Entstehung neuer Krankheiten hinein? Renommierte Expertinnen und Experten gehen mit uns diesen komplexen Fragestellungen auf den Grund.

Gastartikel willkommen!

Die Umweltmedizin ist ein sehr umfassendes Metier, das so gut wie alle ärztlichen Fachbereiche tangiert. Deshalb haben wir uns für die zweite Hälfte des Jahres 2022 vorgenommen, Ihnen, werte Leserinnen und Leser, zumindest eine umweltmedizinische Story pro Ausgabe zu bieten, wie „Atomkraft und Gesundheit“ oder „Co-Benefits von Gesundheit und Umwelt“. Sie arbeiten selbst in Ihrem Fachbereich oder in der hausärztlichen Praxis an einem umweltmedizinischen Projekt mit? Schreiben Sie uns, wir freuen uns immer über interessante Gastartikel.

Mag.a Karin Martin Redaktionsleiterin RegionalMedien Gesundheit karin.martin@regionalmedien.at

Hausärzt:in Inhaltsverzeichnis

politisch

medizinisch

06 „Toxisches“ Darmmikrobiom Wie unsere heutige Ernährungsweise, Entzündungsprozesse und chronische Erkrankungen zusammenhängen

09 Medizinisch und kulinarisch gut beraten Patient:innen-Tipps für die Prävention und Therapie gastroenterologischer Beschwerden auf Reisen

12 „Einen so tiefen Zielwert braucht es nicht?!“ Cholesterin – Fake News vs. Fakten: Über die Notwendigkeit einer wirksamen und anhaltenden LDLCholesterinsenkung

14 Wichtige kardiale Biomarker

16 „Mehr Wissen führt nicht zum Handeln“

Vorsorgeprogramme haben sich bei Profis bewährt und sind ebenso im Breitensport notwendig

Wie klimafreundliche und gesundheitsbewusste Verhaltensweisen gefördert – und sabotiert – werden

32 „Zahlreiche Medikamente wirken verstärkt unter hyperbaren Bedingungen“

19 Plastik als Fettleibigkeitstrigger An hartnäckigen Kilos sind auch die (Umwelt-) Hormone schuld

Tauchunfälle durch die richtige Vorbereitung vermeiden

22 „Wir müssen handeln, um nicht von einer Pandemie in die andere zu schlittern“

34 Trotzdem aufrecht bleiben Aufgrund seiner unspezifischen Symptomatik bleibt Morbus Bechterew lange unerkannt

Über die Zusammenhänge zwischen der Umweltkrise und neuen Erkrankungen

36 Krankheit mit 1.000 Gesichtern

24 „Wenn eine Hitzewelle bevorsteht …“

Für die einzelnen Verlaufsformen der Multiplen Sklerose steht heute eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung

Anstieg, Abfall und Konzentration geben Aufschluss über Herzerkrankungen

26 DFP Praxiswissen: Kreuzschmerz richtig einordnen

DOSSIER UMWELTMEDIZIN

30 Prävention rechnet sich!

Bei Transport, Lagerung und Einnahme von Medikamenten können Temperaturveränderungen ein Problem darstellen

38 „Bei Frauen besteht zumeist eine wesentlich größere Belastung“

Rückenprobleme betreffen alle Altersklassen – aufgrund der hohen Inzidenz ist der Einfluss auf das Gesundheitssystem groß

Wie Patientinnen mit rheumatischen Erkrankungen von neuen Therapien profitieren und was bei ihnen anders ist als bei Männern

32

42 Allergien und Urlaubsplanung Risikofaktoren, therapeutische Möglichkeiten und Tipps für die Reiseapotheke

45 Ständig rinnende Nase ...

Rhinorrhoe: Unterschiedliche Formen und Behandlungsoptionen

extra

51 Als „Mentee“ Erfahrungen sammeln Innovatives Mentor-Programm „NeuAMstart” in Oberösterreich für Hausärzt:innen

52 Therapieerfolg durch rechtzeitige Intervention In der Logopädie werden über 40 verschiedene Diagnosen behandelt – mehr als die Hälfte davon im Kindes- und Jugendalter

55 Die Anwender:innen sind Mitentwickler:innen Living Labs als Motor der Innovation und Beteiligung im Gesundheitswesen

36

57 Kommentar „Pflegepersonen beim Thema assistierter Suizid in die Entscheidungsprozesse einbeziehen“

© unsplash.com/Subtle Cinematics

© shutterstock.com/CC7

MS: Laufend kommen neue Therapien hinzu.

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pharmazeutisch

Juni 2022

Sicher unter Wasser.

56 Impressum

Hausärzt:in informativ

Sinnvoll beim Reizdarmsyndrom auf Reisen

Das Reizdarmsyndrom hat viele mögliche Ursachen. Die richtige Diagnose ist für eine erfolgreiche Therapie wichtig.

Lebensumstellungen und sogar Reisen machen den Reizdarmpatient:innen zu schaffen.

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Herr Prof. Dr. Dr. Muss, wie häufig begegnet Ihnen das Reizdarmsyndrom?

In unsere ernährungsmedizinische und immunologische Schwerpunktpraxis kommen häufig Patient:innen, nachdem sie sich bereits vielen klinischen Untersuchungen zur Abklärung ihrer Verdauungsbeschwerden unterzogen haben. Diese Patient:innen leiden unter unregelmäßigen Stuhlveränderungen, haben einen trägen Darm, Bauchschmerzen oder vermehrte Flatulenz, jedoch anscheinend ohne organische Ursachen.

Was sind die häufigsten Risikofaktoren?

Häufig steht der Reizdarm mit Stress in Verbindung. Kleine Ereignisse, wie z. B. Urlaube mit Klimawechsel und Nahrungsumstellungen können den Reizdarmpatient:innen bereits Probleme bescheren. Die ursächliche Abklärung geht über das Immunsystem und die mikrobiologische Stuhlprobenuntersuchung zum Ausschluss eines Ungleichgewichts der Darmbakterien (Mikrobiom).

In der ausführlichen Anamnese sind dabei Fehlernährung, Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Nahrungsmittelintoleranzen)

5

-fach

Welche medikamentösen Therapien bewähren sich in Ihrer Praxis?

Die Therapiekonzepte auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen richten sich nach den Ursachen der Beschwerden. In den meisten Fällen muss zunächst die Mikroflora des Darms optimiert werden. Primär muss die Darmschleimhaut als wichtige Voraussetzung dafür behandelt werden. Entzündungslindernde und entgiftende Maßnahmen sind daher eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Darmsanierung. Hierfür kommen bestimmte natürliche Wirkstoffe zum Einsatz.

Anschließend erfolgt eine Auswahl von Darmbakterien (Probiotika) nach individuellen Gesichtspunkten, denn leider hilft nicht jedes Probiotikum beim Reizdarm.

Unter anderem wurden in placebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudien bestimmte PMA-Zeolithe (z. B PANACEO MED DARM-REPAIR) auf ihre Wirkung bei Darmentzündungen und dem „Leaky-Gut Syndrom“ untersucht. Auch konnte in einer Anwendungsbeobachtung hierdurch eine deutliche Reduktion von Diarrhoe, Flatulenz und Bauchschmerzen ermittelt werden.

Was empfehlen Sie Ihren Patient:innen als Urlaubsvorbereitung?

Eine gute und stressfreie Vorbereitung die Tage davor, auch ohne Fastfood. Ebenfalls sollten während des Urlaubs keine Experimente mit Speisen gemacht werden. Ein weiterer wichtiger Sicherheitsfaktor ist die Reiseapotheke mit Präparaten, welche die Reizdarmsymptome lindern und den Darm stärken.

Lindert - Reizdarm - Diarrhoe - Flatulenz - Bauchschmerzen - Darmentzündungen

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Prof. DDr. med. Dr. habil. Claus Muss, Ph.D. ist als Ernährungsmediziner, Präventologe und Immunologe in mehreren Standorten klinisch tätig. Er ist Co-Autor mehrerer Fachbücher sowie zahlreicher wissenschaftlicher Journale.

Wirkt

Was kann helfen?

Der Erfolg der Therapie hängt davon ab, inwieweit die individuellen Ursachen erkannt werden und sich in der Folge korrigieren lassen. Manchmal sind dabei einschneidende Verhaltensänderungen sowie Korrekturen in Bezug auf die Ernährungsgewohnheiten notwendig. Hierzu kommen auch häufig weitere medizinische Konzepte zum Einsatz. Nur sehr selten müssen wir allerdings dabei auf Arzneimittel verweisen.

Medizinprodukt: Bitte die Gebrauchsanweisung beachten

© Claus Muss, privat

oder aber auch die Einnahme bestimmter Medikamente häufig zu eruieren.

Juni 2022 5 Wir sanieren richtig!

Hausärzt:in medizinisch

„Toxisches“ Darmmikrobiom

S GA eri ST e RO

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Wie unsere heutige Ernährungsweise, Entzündungsprozesse und chronische Erkrankungen zusammenhängen

© Sarah Schwitalla, privat

+++ Der Verzehr eines Hotdogs kostet 36 Minuten gesunden Lebens, durch den ersatzweisen Verzehr einer Portion Nüsse werden hingegen 26 Minuten gesundes Leben gewonnen +++

Die „Global Burden of Disease Study“ belegt es immer wieder: Unsere heutige Ernährungsweise tötet mehr Menschen als alle anderen Risikofaktoren zusammen.

Jedes Jahr gehen weltweit über elf Millionen Todesfälle und über 240 Millionen in chronischer Krankheit verbrachte Lebensjahre auf das Konto falscher Ernährung, während Rauchen für sechs Millionen Todesfälle, Bewe-

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GASTAUTORIN: Dr.in Sarah Schwitalla Wissenschaftlerin, Autorin und Gründerin des Zentrums für Prävention, Mikrobiom- und Darmgesundheit: drschwitalla.com

gungsmangel für fünf Millionen und erhöhter Alkoholkonsum für drei Millionen Tote jährlich verantwortlich ist.

Industriell verarbeitete sowie tierische Produkte und Softdrinks haben seit der Industrialisierung, und dann v. a. ab den 1960er Jahren, begonnen, nährstoffdichtere und unverarbeitete pflanzlich basierte Lebensmittel sukzessive auf unseren Tellern zu verdrängen.

Die größten Risikofaktoren in

der modernen Ernährung sind „zu viel Salz, zu wenig Vollkorn, zu wenig Obst, zu wenige Nüsse, zu wenige Hülsenfrüchte“ und „zu wenig Gemüse“, gefolgt von „zu viel Fleisch“ und „zu viele Softdrinks“. Trotz regionaler Unterschiede isst die Welt beispielsweise täglich nur 29 Gramm der empfohlenen 125 Gramm Vollkorn, stattdessen konsumiert der Durchschnittsweltbürger fast das Doppelte der empfohlenen Menge an verarbeitetem Fleisch (vier Gramm anstatt maximal zwei Gramm täglich). >

Hausärzt:in medizinisch

Vermeidbare Volkskrankheiten Diese Verschiebung auf den globalen Tellern steht im direkten Zusammenhang mit einer Reihe ernährungsbedingter Volkskrankheiten, die heute 73 % aller Tode weltweit ausmachen, angeführt von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes.

Diese Erkrankungen wären größtenteils vermeidbar. Mit einem gesünderen Lebensstil könnten zum Beispiel fast 70 % der Darmkrebs-Diagnosen verhindert werden; ein ausreichender Ballaststoffgehalt in der Ernährung

Einer der Hauptfaktoren für die Vermittlung des entzündungshemmenden und krankheitspräventiven Effektes von Ballaststoffen aus pflanzenbasierten Lebensmitteln ist die Darmmikrobiota, die im Kolon die Faserstrukturen zu kurzkettigen Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat fermentiert.

Ein erhöhter Ballaststoffgehalt in der Ernährung bewirkt eine vermehrte Synthese dieser Mikrobiota-Stoffwechselprodukte und eine deutlich verminderte systemische Entzündung – z. B. bei Menschen mit Metabolischem Syndrom und Adipositas.

Folgenschwere Dysbiose

„Unsere heutige Ernährungsweise tötet mehr Menschen als Rauchen, Alkohol und Bewegungsmangel zusammen.“ zeigt hierbei die größte Präventionswirkung. Dies gilt nicht nur für Darmkrebs. Bis zu 50 % der Malignomneuerkrankungen ließen sich theoretisch abwenden. In Deutschland sind 37,4 % der epidemiologisch wichtigsten Tumoren modifizierbaren Risiken zuzuschreiben – etwa Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Fehlernährung.

Von fünf Krebserkrankungen könnten statistisch also ca. zwei Fälle verhindert werden.

Ballaststoffe und Mikrobiota Chronische Erkrankungen und über 25 % aller Tumoren sind mit chronisch entzündlichen Prozessen, sowohl lokalen im Gewebe als auch systemischen, assoziiert. Eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung, die mindestens 35 Gramm Ballaststoffe enthält, verringert nicht nur Entzündungsmarker im Blut, sondern geht auch mit einer 30%igen Verringerung der Gesamtmortalität und einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Mortalität sowie der Inzidenz von und Mortalität bei Schlaganfällen, Typ-2-Diabetes, Brustkrebs und Darmkrebs einher.

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Aus einem zu geringen Ballaststoffgehalt der Ernährung resultiert hingegen eine für den Menschen ungünstige Veränderung des Mikrobiom-Stoffwechsels, eine Dysbiose. Denn der Mikrobiota fehlen die Ballaststoffe als wichtigste Energiequelle für ihr Wachstum. Die Reduktion des Kohlenhydratgehalts der Ernährung – z. B. bei einem „Low carb“-Ansatz – von den üblichen 52 % auf 4 % und die gleichzeitige Erhöhung des tierischen Proteingehalts von 13 % auf 30 % bewirkten bei Patienten mit Übergewicht eine 50%ige Verringerung der Synthese von gesundheitsförderlichen Mikrobiom-Stoffwechselprodukten. Eine langfristige Ernährung dieser Art führt infolge der Dysbiose zu einem Abbau der Darmschleimhaut und einer Darmbarrierestörung, die mit einer systemischen Entzündung und diversen Krankheitsbildern, u. a. mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, dem Metabolischen Syndrom, Autoimmunerkrankungen oder Darmkrebs, in Verbindung steht.

Ein Beispiel für entzündungsfördernde Substanzen, die aus der Dysbiose resultieren, ist TMAO (Trimethylaminoxid). Es wird in der Leber aus TMA (Trimethylamin) synthetisiert, welches die Darmmikrobiota aus Cholin, L-Carnitin oder Lecithin (Bestandteil tierischer Produkte) metabolisiert.

Die Höhe des TMAO-Levels im Blut von Probanden ist u. a. mit einem bis zu dreifach erhöhten Myokardinfarkt-, Atherosklerose-, Schlaganfall- oder auch Darmkrebsrisiko assoziiert. Der Mikrobiom-Stoffwechsel und die Sta-

bilität der Darmbarriere können zudem durch Lebensmittelzusätze stark beeinträchtigt werden, beispielsweise durch künstliche Süßstoffe wie Aspartam oder Emulgatoren, deren Konsum mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden ist.

Evidenzbasierte Interventionen Um die Bevölkerung und auch Patienten optimal dabei zu unterstützen, eine krankheitspräventive Ernährung mit stärkerem Fokus auf unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln zu etablieren, muss zusätzlich zur generellen Aufklärung über Ernährung die Ernährungsumgebung gesundheitsförderlich gestaltet werden. Evidenzbasierte Interventionen, die sich in puncto Förderung der öffentlichen Gesundheit als wirksam erwiesen haben – in vielen Ländern jedoch nach wie vor schleppend implementiert werden –, wären u. a.

Marketing-Restriktionen für industriell verarbeitete Waren und Softdrinks in Bezug auf Kinder, gesetzmäßig vorgeschriebene Produktreformulierungen, 20 % Steuer auf zuckerhaltige Getränke, die Gestaltung und Platzierung von Lebensmitteln in Supermärkten, transparentere Produktlabels für Verbraucher sowie die Unterstützung gesunder Mahlzeiten in Schulen und Kantinen. < Literatur bei der Autorin.

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HAUSÄRZT:IN-Buchtipp

Das Mikrobiom-Komplott Wie Lebensmittelindustrien unsere Gesundheit zerstören und wie wir uns schützen Von Sarah Schwitalla Verlag edition a 2022

Hausärzt:in medizinisch

Medizinisch und kulinarisch gut beraten

Patient:innen-Tipps für die Prävention und Therapie gastroenterologischer Beschwerden auf Reisen

Blauer Himmel, türkisblaues Wasser, einsame Strände oder doch lieber ferne Städte, geheimnisvolle Gerüche und

exotische Natur? Ganz egal, wohin die Reise dieses Jahr geht, eines will ganz sicher niemand: die Urlaubstage mit

Übelkeit oder Durchfall auf dem Zimmer verbringen.

Daher gilt es, reisefreudige Patientinnen und Patienten auf diese Situationen vorzubereiten.

Sollte es doch so weit EXPERTIN: kommen, ist es von Mag.a Andrea Karner Balance Apotheke Vorteil, eine gut sortierte Reiseapotheke mitzuhaben und zu wissen, was man im Akutfall tun kann.

Reisebedingter Stress, eine mögliche Zeitumstellung, ungewohntes Essen, aber auch mangelnde Sauberkeit am Urlaubsort – all das sind Gründe, warum gastroenterologische Beschwerden im Urlaub gar nicht so selten sind. >

© Balance Apotheke OG

© shutterstock.com/Natalia Van Doninck

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Blähungen Langes Sitzen im Auto, Zug oder Flugzeug, kaum Bewegung, hinzu kommen noch fremde Toiletten oder ein anderer Tagesablauf – eine Reise bringt das Darmnervensystem ganz schön durcheinander. Durch die Verbindung des enterischen Nervensystems mit dem Gehirn reagiert der Darm auf ungewohnte Belastungen schnell mit Flatulenzen und Obstipation. Hier hilft eine gute Vorbereitung, indem unter anderem genug Zeit zwischen dem letzten Arbeitstag und dem Abreisetag gelassen wird. So lässt sich der Stress zumindest etwas minimieren. Der Darm braucht zudem Bewegung, um gut arbeiten zu können. Langes Sitzen engt ihn ein und er reagiert mit Blähungen. Bei einer Reise in die Berge oder mit dem Flugzeug kommt es durch den geringeren Luftdruck zusätzlich zu einer Aufblähung des Verdauungstraktes, wodurch weitere Krämpfe und Darmwinde die Folgen sind. Hier kann es hilfreich sein, am Reisetag auf blähende Speisen wie Hülsenfrüchte, Kohlgerichte, Zwiebel, auf kohlensäurehaltige Ge-

tränke sowie Zuckeraustauschstoffe zu verzichten und stattdessen zu leichtem, hellem Brot sowie leicht verdaulichem Obst und Gemüse zu greifen. Auch ausreichend Wasser trinken trägt dazu bei, den Darm in Schwung zu halten. Treten bereits Blähungen auf, wirken zahlreiche Kräuter und Gewürze, etwa in Form von Tees wie Fenchel-, Kümmel- oder Anistee, unterstützend.

Ein einfach umzusetzender Tipp ist es auch, zu Beginn des Urlaubs eher kleinere Mahlzeiten zu sich zu nehmen. So gewöhnt sich das Verdauungssystem am besten an neue Speisen und an einen anderen Mahlzeitenrhythmus.

Obstipation Gesellt sich zu diesen Beschwerden noch eine Verstopfung hinzu, ist es besonders wichtig, genügend zu trinken.

Helferlein bei einer Obstipation sind Flohsamen, Leinsamen oder Milchzucker. Bei Flohsamen oder Leinsamen ist ausreichend Wasser entscheidend für den Erfolg, da diese Ballaststoffe sehr stark aufquellen. So darf nicht mehr als

ein Teelöffel Flohsamen auf ein Glas Wasser aufgenommen werden, hinterher müssen zusätzlich noch zwei Gläser getrunken werden. Empfehlenswert sind auch getrocknete Pflaumen, die ebenfalls leicht in jeden Koffer passen.

Übelkeit und Erbrechen Die Reisekrankheit (Kinetose) wird durch Bewegungsreize ausgelöst, die auf den Gleichgewichtssinn wirken. Sie tritt nicht nur am Schiff auf, sondern kann auch im Auto oder im Flugzeug sehr unangenehm werden. Besonders Kinder sind häufig davon betroffen. In puncto Ernährung ist es wichtig, vor und während der Reise nur leichte Speisen zu sich zu nehmen.

Mag.a Andrea Karner, Apothekerin in der Balance Apotheke in Wien Liesing, empfiehlt Reisekaugummis oder Substanzen, die schnell am Schwindelzentrum wirken. Auch Tropfen aus verschiedenen pflanzlichen Inhaltsstoffen wie Iberogast® oder Gastromed Madaus® seien leicht eingepackt und helfen bei Übelkeit.

Diarrhö DAS GEHÖRT IN DIE REISEAPOTHEKE Erkrankung

Pflanzliches/Lebensmittel

Blähungen

Kräutertees

Verstopfung

Flohsamen

Beispiele für Medikamente*

Leinsamen getrocknete Pflaumen Übelkeit/Erbrechen

Pfefferminze

Kaugummi gegen Reiseübelkeit

Kamille

Iberogast® oder Gastromed Madaus® Tropfen bei Übelkeit Antimetil® Tabletten (mit Ingwertrockenextrakt)

Durchfall

getrocknete Heidelbeeren Schwarztee

Tannalbin® Tabletten (mit Gerbstoffen) ORS-Lösung für Elektrolyt- und Flüssigkeitsersatz probiotische Keime Tasectan® Duo Tabletten oder Pulver zum Mikrobiomaufbau Imodium® Kapseln (stoppen Durchfall sofort; z. B. für Bus- oder Flugreise)

*Empfehlungen von Mag. a Andrea Karner, Balance Apotheke

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Durchfall ist eine der unangenehmsten Reiseerkrankungen, lässt sich aber relativ leicht verhindern. Speziell in tropischen und subtropischen Ländern begünstigen hohe Temperaturen, verbunden mit hoher Luftfeuchtigkeit, das Wachstum von Mikroorganismen – und das Risiko, an Diarrhö zu erkranken, steigt.

Folgende Regeln sollten Reisende daher beachten: • Gegessen werden sollten nur frisch gekochte und heiße Speisen. Aufgewärmte Gerichte, rohes Essen wie auch Meeresfrüchte oder Fisch unbedingt meiden.

• Leitungswasser hat nicht überall den gleichen Standard wie in Mitteleuropa. Daher Wasser unbedingt abkochen oder nur aus verschlossenen Flaschen trinken. Leitungswasser auch nicht zum Zähneputzen oder Obstwaschen verwenden.

• Obst nur dann essen, wenn man es selbst schälen kann.

• Auch Eiswürfel können durch Keime belastet sein. Daher Getränke sicherheitshalber ohne Eiswürfel konsumieren.

Als generelle Regel für Aufenthalte in Ländern mit unsicherer Lebensmittelhygiene gilt die WHO-Empfehlung: „Cook it, peal it or leave it.” (Koch es, schäl es oder lass es sein.)

Es gilt: Je weiter man sich in der Fremde befindet, desto ungewohnter ist auch das Essen. Somit ist das Risiko höher, doch einmal an Durchfall zu erkranken. Der Körper verliert dadurch nicht nur viel Flüssigkeit, sondern auch Elektrolyte, die unbedingt wieder zugeführt werden müssen. Besonders Säuglinge, Kinder und ältere Personen sollten darauf achten.

Ist keine ORS-Lösung (orale Rehydratationslösung) zur Hand, kann folgendes Rezept helfen: • 1 Liter abgekochtes Wasser, • 4 TL Zucker, • ¾ TL Salz, • 1 Glas abgepackter Orangensaft.

Soletti und Cola gehören bei Durchfallerkrankungen schon lange der Vergangenheit an und sollten gemieden werden.

Geeignet sind Lebensmittel wie schwarzer Tee nach langer Ziehzeit, getrocknete Heidelbeeren oder auch Bananen.

KRÄUTER ZUR LINDERUNG GASTROENTEROLOGISCHER BESCHWERDEN Kräuter

Hilft bei

Anis

Blähungen

Fenchel

Krämpfen, Blähungen

Kümmel

Krämpfen, Blähungen

Pfefferminze

Übelkeit, Krämpfen, Blähungen

Kamillenblüten

Übelkeit

Ebenso empfehlenswert sind während einer Diarrhoe leicht verdauliche Speisen mit wenig Fett. Auf grobkörniges Vollkornbrot sollte in dieser Phase verzichtet werden.

Zum Aufbau der Darmflora eignen sich im Anschluss Pro- und Präbiotika, die das Mikrobiom wieder vielfältig machen. Zu den probiotischen Kulturen zählen lebende Mikroorganismen und Hefen aus milchsauer vergorenen Produkten. Sauerkraut, Joghurt, Kefir sind hier optimal. Präbiotika und Futter für die vorhandenen Bakterien sind sämtli-

che Ballaststoffe aus Obst und Gemüse, Vollkornprodukten oder Hülsenfrüchten. Unterstützend wirken außerdem Präparate zum Aufbau der Darmflora, die als Kapseln mit probiotischen Keimen oder als Säckchen zum Auflösen angeboten werden. Medikamente wie Imodium®, die den Durchfall sofort stoppen, sollten nur in Ausnahmefällen genommen werden – wenn zum Beispiel eine längere Busreise anstehe oder während eines Fluges, wie Mag.a Karner betont.

Dr.in Astrid Laimighofer

Reisedurchfall? OptiFibre® FLORA – die natürliche Lösung für die ganze Familie OptiFibre® FLORA ist eine Kombination aus Pro- und Präbiotikum (Lactobacillus rhamnosus GG + 100 % pflanzlicher Ballaststoff PHGG [OptiFibre®]) und hilft dabei, Durchfallsymptome und -dauer zu reduzieren und die Darmflora wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Wirkung bei Durchfall ist klinisch belegt.

OptiFibre® FLORA kann folgendermaßen unterstützen: • Reduktion der Durchfalldauer1–4 • Verringerung der Stuhlhäufigkeit1–4 • Verbesserung der Stuhlkonsistenz1–4 • Erhöhung der Anzahl der nützlichen Darmbakterien bringt die Darmflora wieder ins Gleichgewicht5–8

Lactobacillus rhamnosus GG + orale Rehydrationslösung (ORS) erhielten.9 Die Anzahl der Stühle hat sich bei Behandlung von akuter Diarrhoe bei Kindern mit Lactobacillus rhamnosus GG nach 2 Tagen signifikant reduziert.10

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Mehr Informationen unter optifibre.at Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)

die veränderte Nahrungsaufnahme am Urlaubsort vorzubereiten.

Quellen: 1 Canani RB et al., BMJ. 2007 Aug 18;335(7615):340. | 2 Pant AR et al., J Trop Pediatr. 1996 Jun;42(3):162–5. | 3 Vanderhoof JA et al., J Pediatr. 1999 Nov;135(5):564–8. | 4 Fox MJ et al., BMJ Open. 2015 Jan 14;5(1):e006474. | 5 Ohashi Y et al., Benef Microbes. 2015;6(4):451–5. | 6 Takahashi et al., Nutr Sci Vitaminol (Tokyo). 1994 Jun;40(3):251–9. | 7 Okubo et al., Biosci. Biotech. Biochem. 1994;58 (8), 1364–1369. | 8 Carlson et al., Anaerobe. 2016 Dec;42:60–66. | 9 Guarino A et al., J Pediatr. 1997 Nov;25(5):516–9. | 10 Pant AR et al., J Trop Pediatr. 1996 Jun;42(3):162–5.

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Die Wirkung von Lactobacillus Rhamnosus GG bei Durchfall: Die Durchfalldauer reduzierte sich um 50 % bei Kindern mit akuter Gastroenteritis, die

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„Einen so tiefen Zielwert braucht es nicht?!“

© LK Melk

Teil 1 unserer neuen Serie: Über die Notwendigkeit einer wirksamen und anhaltenden LDL-Cholesterinsenkung Chol ester schen Abläufen und zur Rolle des LDLtrationen der Grad in Fake New Cholesterins. In Studien zeigt sich, dass der Lipideinlagerung s einerseits Menschen mit sehr niedrigen in den atherosklerovs.

LDL-C-Konzentrationen deutlich wenitischen Läsionen soFakt en ger kardiovaskuläre Ereignisse entwickeln, gar abnimmt. Es gibt

Prim. Doz. Dr. Harald Stingl leitet die Abteilung Innere Medizin am Landesklinikum Melk.

„The lower, the better“, so lautet die prinzipielle Empfehlung der neuen Leitlinien zum „Management der Dyslipidämien“*.

Sie wurde 2020 unter der Federführung mehrerer europäischer Fachgesellschaften publiziert. Aufgrund der Datenlage sind die LDL-C-Zielwerte weiter gesenkt worden (siehe Kasten). In der Praxis unterschätzen niedergelassene Ärzte und ihre Patienten die Notwendigkeit, diese niedrigen Zielwerte konsequent umzusetzen, allerdings oftmals noch. „Eh nicht so schlechte“ Cholesterinwerte reichen aus, um „beruhigt“ zu sein … „Diese niedrigen Zielwerte sind aber ja nicht willkürlich festgesetzt, sondern aus dem Verständnis der Pathophysiologie und dem Ergebnis von Interventionsstudien heraus entstanden“, betont Prim.

Dr. Harald Stingl, Vorstand der Abteilung Innere Medizin am Landesklinikum Melk, im Gespräch mit der Hausärzt:in.

HAUSÄRZT:IN: Warum ist der niedrigere Zielwert der neuen europäischen Leitlinie gerechtfertigt?

Prim. Dr. STINGL: In den letzten Jahren hat sich das Wissen über die Entstehung der Atherosklerose deutlich erhöht. Wir kennen nun viele Details zu pathogeneti-

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andererseits Hochrisikopatienten von der Senkung des LDL-Cholesterins auf Werte < 55 mg/dl ganz besonders profitieren.

daher für das LDLCholesterin keine Untergrenze – „The lower, the better!“

In der Praxis wird das oft unterschätzt …

Dies wird leider viel zu oft unterschätzt, ja. In Wirklichkeit hat ein (Hoch-)Risikopatient mit einem LDL-Cholesterin von z. B. 70 oder 80 mg/dl ein deutlich höheres Risiko eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder kardiovaskulären Todes als ein vergleichbarer Patient, dessen LDL-C auf z. B. 50 oder 40 mg/dl gesenkt wurde. Wenn wir konsequent die Zielwerte anstreben und erreichen, erhöhen wir damit schlussendlich auch die Lebensqualität unserer Patienten. Inzwischen steht uns eine Reihe sehr potenter Medikamente zur Verfügung, die auch gut kombinierbar sind, sodass wir Nebenwirkungen komplett vermeiden und in den meisten Fällen die Zielwerte problemlos erreichen können.

Wie kann man Awareness dafür schaffen?

Sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten ist es immer wieder notwendig, die Wichtigkeit der konsequenten Therapie zu erklären. Allzu oft erleben wir Patienten, die der Meinung sind, dass nach einer Monatspackung eines Statins das Cholesterin doch ausreichend gesenkt sei und die Therapie beendet werden könne. Auch das offene Ansprechen möglicher Nebenwirkungen sowie die Aufklärung über falsche Behauptungen sind wichtig.

Dies kostet Zeit, führt aber dazu, dass viele Patienten schlussendlich vor einem Herzinfarkt und vor Spitalsaufnahmen bewahrt werden können. Natürlich müssen bei einer Atherosklerose immer auch zusätzliche Risikofaktoren beachtet werden. Nur eine multifaktorielle Behandlung, die auch den Blutdruck, den Zuckerstoffwechsel und Lebensstilmaßnahmen berücksichtigt, verbessert optimal die Prognose.

Mit welchen Studienergebnissen kann man dem Mythos „Es braucht diesen niedrigen Zielwert oft ja gar nicht“ argumentativ entgegentreten?

Sämtliche große und kleine Studien, bei denen eine cholesterinsenkende Substanz gegeben und mit Placebo verglichen wurde, zeigen konsistente Ergebnisse. Bei den Statinen sind dies z. B. die ASCOT- oder die JUPITERStudie (Atorvastatin, Rosuvastatin), bei Ezetimibe die IMPROVE-IT- und bei den PCSK9-Hemmern die ODYSSEYOUTCOMES-(Alirocumab) und die FOURIER-Studie (Evolocumab). In allen wiesen die Patienten mit den niedrigsten LDL-C-Konzentrationen die besten Ergebnisse auf. Besonders beeindruckend ist: Bereits für mehrere medikamentöse Therapien konnten mit bildgebenden Verfahren gezeigt werden, dass bei sehr niedrigen LDL-C-Konzen-

Das Interview führte Mag.a Karin Martin.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE � Zielwert von Hochrisikopatienten: < 55 mg/dl. Bei zweitem vaskulärem Ereignis innerhalb von 2 Jahren trotz max. lipidsenkender Therapie: < 40 mg/dl. � Zielwert bei hohem kardiovaskulärem Risiko: < 70 mg/dl. � Bei Patienten mit hohem und sehr hohem Risiko sollte zusätzlich eine Reduktion von mindestens 50 % des Ausgangswertes erreicht werden. � Zielwert bei moderatem Risiko: < 100 mg/dl. � Zielwert bei niedrigem Risiko: < 116 mg/dl. *escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/ Dyslipidaemias-Management-of

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Wichtige kardiale Biomarker

© unsplash.com/Connect world

Anstieg, Abfall und Konzentration geben Aufschluss über Herzerkrankungen

Sowohl bei akuten Erkrankungen wie dem Myokardinfarkt als auch bei chronischen Leiden wie der Herzinsuffizienz haben im Blut gemessene Parameter einen hohen Stellenwert. Die unterschiedlichen Halbwertszeiten der Biomarker erlauben unter anderem das Erkennen von Reinfarkten und eine Kontrolle der Therapie.

Kardiale Troponine (cTn) Die kardialen Troponine – cTnT und cTnI – gelten als wichtigste Biomarker des akuten Myokardinfarkts (AMI). Es handelt sich dabei um herzspezifische Proteine, die eine hohe Nachweisempfindlichkeit in Bezug auf eine myokardiale Schädigung haben. Jedoch gibt es Hinweise darauf, dass cTnT auch von regenerierenden Skelettmuskelzellen und Nierentubuluszellen exprimiert wird. Bei cTnI besteht hingegen das Problem, dass es in verschiedenen Formen im Blutplasma vorliegt, sowohl frei als auch im Komplex. Nicht jeder Test erfasst diese unterschiedlichen Formen des cTnI gleich gut. In der Literatur wird trotzdem keinem der beiden Parameter der Vorzug gegeben. Die Messung nur eines Parameters reicht in der Regel aus.

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• Anstieg: ca. 3 h • Maximum: cTnT: ca. 12 h, dann Plateau für etwa 120 h; cTnI: ca. 11 h, rascherer Abfall als cTnT • Normalisierung: 6-14 Tage Wiederholte Messungen von cTnI oder cTnT, die jeweils unauffällige Werte ergeben, können einen AMI mit fast absoluter Sicherheit ausschließen. Als verdächtig in Bezug auf einen AMI gilt ein Anstieg der cTn über die 99. Perzentile des oberen Referenzbereichs herzgesunder Menschen. Allerdings sagt der Anstieg der cTn noch nichts über die Ätiologie des Untergangs der Myozyten aus.

CK-MB-Masse Das Creatinkinase-Isoenzym MB findet sich zwar primär im Herzmuskel, aber auch die Skelettmuskulatur enthält geringe Mengen von CK-MB. Liegt bereits eine pathologische Veränderung der Herzmuskulatur vor, so erhöht sich der Anteil der CK-MB-Masse von ca. 5 auf 20-30 %. Ohne eine solche Vorerkrankung fällt der Anstieg des Parameters bei einem AMI mitunter sehr gering aus. Allerdings kann auch der Anteil der CK-MB-Masse in der Skelettmuskulatur auf 20-30 % steigen, wenn Patienten an

Duchenne-Muskeldystrophie oder Polymyositis erkrankt sind.

Aufgrund ihrer geringeren Spezifität wird die CK-MB-Masse seit Einführung der cTn hauptsächlich für den Infarktverlauf herangezogen. So ist die Bestimmung der Masse des Isoenzyms etwa nach einer Herz-OP oder einem Infarkt geeignet – die cTn sind wegen ihrer langen Halbwertszeit noch erhöht, wodurch sich der Infarkt nach einer OP bzw. ein kurzfristiger Zweitinfarkt nicht durch die cTn detektieren lässt. Die CK-MB-Masse hat hingegen eine kurze Halbwertszeit. Zudem korreliert der Parameter mit der Größe des Infarkts.

• Anstieg: ca. 3-12 h • Maximum: 12-24 h • Normalisierung: 2-3 Tage • Referenzbereich: je nach Hersteller < 5-8 µg/l

Myoglobin Myoglobin kommt ebenfalls sowohl in der Herz- als auch in der Skelettmuskulatur vor. Zusätzlich zu den cTn unterstützt es bei der Frühdiagnose oder dem Ausschluss einer Myokardnekrose, bei der Erkennung eines erneuten Infarktes und bei der Kontrolle der Therapie

KONZENTRATION UND INTERPRETATION von BNP bzw. NT-proBNP Mögliche Ergebnisse bei Patient:innen mit akuter Dyspnoe und GFR > 60 ml/Min./1,73 m2: BNP < 100 ng/l oder NT-proBNP < 300 ng/l

BNP 100-400 ng/l oder NT-proBNP < 450 ng/l (< 50 Jahre) < 900 ng/l (50-75 Jahre) < 1.800 ng/l (> 75 Jahre)

BNP > 400 ng/l oder NT-proBNP > 450 ng/l (< 50 Jahre) > 900 ng/l (50-75 Jahre) > 1.800 ng/l (> 75 Jahre)

Weitere Untersuchungen Herzinsuffizienz ausgeschlossen

Herzinsuffizienz wahrscheinlich

Quelle: Morrow DA et al., Clin Chem 2007; 53:552-74.

bei einem AMI. Denn bei erfolgreicher Intervention im Herzkatheterlabor oder einer Lysetherapie erreicht Myoglobin seinen Maximalwert rascher.

• Anstieg: ca. 2-4 h • Maximum: 6-12 h • Normalisierung: 24 h • Referenzbereich: im Serum oder Plasma < 70-110 µg/l Ist der Wert bei der Aufnahme sowie zwei, vier und sechs Stunden nach Beginn der Schmerzsymptomatik normal, schließt das einen AMI aus.

Bei einer Schädigung der Skelettmuskulatur oder bei einer Niereninsuffizienz im Endstadium kommt es zu Erhöhungen des Myoglobins.

Natriuretische Peptide Zur Diagnose einer Herzinsuffizienz eignen sich das B-Typ natriuretische Peptid (BNP) und das aminoterminale proBNP (NT-proBNP). Die kardialen Biomarker korrelieren sowohl mit dem Schweregrad der Herzinsuffizienz als auch mit dem Therapieerfolg und der Prognose. Aus den Vorstufen Prä-proBNP und proBNP entstehen durch weitere Spaltung der hormonell aktive Biomarker BNP und das hormonell inaktive NT-proBNP. BNP entfaltet eine vasodilatorische und natriuretisch-diuretische Wirkung – es hemmt das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System.

Die Konzentration der beiden Parameter im Blut steigt mit der Überladung des linken Ventrikels und dem daraus resultierenden Druck auf die Kammerwand an.

BNP wird sehr spezifisch bei Herzinsuf-

fizienz von den kardialen Myozyten freigesetzt, nicht jedoch bei anderen Erkrankungen, die mit Dyspnoe einhergehen.

NT-proBNP weist gegenüber BNP eine längere Halbwertszeit und eine deutlich längere Stabilität auf (24 Stunden in einer unzentrifugierten Probe).

Im nicht akuten Setting gelten laut European Society of Cardiology folgende Werte als Obergrenze des Referenzbereichs:* • BNP: 35 pg/ml • NT-proBNP: 125 pg/ml Die Abbildung zeigt, bei welchen Konstellationen eine Herzinsuffizienz wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher Auslöser der patientenseitig vorgebrachten Symptome ist.

Rasche Bestimmung im Akutfall Zur schnellen Einschätzung der kardialen Situation der Patientinnen und Patienten eignen sich Point-of-CareAnalysesysteme. In acht bis zwölf Minuten können aus dem Vollblut Parameter wie cTnT, NT-proBNP, Myoglobin und CK-MB bestimmt werden. Eine zusätzliche D-Dimer-Messung erlaubt den Ausschluss einer Lungenembolie oder einer tiefen Beinvenenthrombose. Weiters gibt es Point-of-Care-Analysesysteme, welche eine hochsensitive Bestimmung des cTnI aus kapillarem Blut erlauben.

Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc Quellen: * McDonagh, TA et al., 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure; European Heart Journal 2021; 42: 3599-3726.

Hallbach J, Klinische Chemie und Hämatologie: Biomedizinische Analytik für MTLA und Studium. 4. Auflage; 2019.

Georg Thieme Verlag: Stuttgart/New York.

AMBOSS, Myokardinfarkt; Stand: 16.12.2021.

Thomas, L (Hrsg.), Labor & Diagnose 2020; Frankfurt.

Hausärzt:in politisch

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„Mehr Wissen führt nicht zum Handeln“ Wie klimafreundliche und gesundheitsbewusste Verhaltensweisen gefördert – und sabotiert – werden

Wenn das Wissen vorhanden ist, aber die entsprechende Handlung ausbleibt, dann folgt die Frage nach dem Warum. Umweltpsychologin Dr.in Isabella Uhl-Hädicke, Universität Salzburg (PLUS), griff unter diesem Gesichtspunkt das brisante Thema Klimakrise in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Warum machen wir es nicht einfach?“ auf. Welche Überschneidungen es zwischen klima- und gesundheitsbewussten Verhaltensweisen gibt, erläuterte die Autorin nun im Gespräch mit der Hausärzt:in.

HAUSÄRZT:IN: Oft wissen Menschen, welche Verhaltensweisen gut wären, handeln aber anders. Das betrifft genau genommen nicht nur die Klimakrise, oder?

Dr.in UHL-HÄDICKE: Wie Sie richtig sagen: Diese Diskrepanz, dass wir eigentlich etwas wissen, aber nicht dementsprechend handeln, zieht sich beim Menschen durchs Leben. Oft nehmen wir an, dass wir rationale Wesen sind – dem ist aber nicht so. Wir sind vielfach durch unbewusste Faktoren gesteuert. Die Psychologie beschäftigt sich schließlich damit, warum die Menschen wie und wann handeln. Mein Fokus liegt dabei auf dem klimafreundlichen Verhalten.

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Kann man klima- und gesundheitsfreundliches Verhalten so gesehen „über einen Kamm scheren“?

Ja und nein. Es gibt Faktoren, die verschiedenste Verhaltensweisen beeinflussen. Natürlich ist es so, dass je nach Gebiet spezifische Variablen relevant sind.

Faktoren, die generell eine Rolle spielen, sind die Gewohnheiten, ein Großteil unseres Alltagsverhaltens: sei es, was ich esse, wie ich mich bewege, ob ich rauche, aber auch, ob ich klimafreundlich handle. Das ergibt aus psychologischer Sicht Sinn, weil wir sonst eine kognitive Überlastung hätten. Es erleichtert einem, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Wenn es nun darum geht, dass diese Gewohnheiten gesundheitsschädigend oder klimaschädigend sind, dann stehen sie uns jedoch eher im Wege.

Wie kann es uns gelingen, solche Gewohnheiten zu ändern?

Es ist herausfordernd, Gewohnheiten zu ändern – aber es ist möglich. Die Forschung zeigt, dass Intentionen der Gewohnheitsänderung in bestimmten Zeitfenstern besonders fruchten: zum Beispiel, wenn sich natürliche Lebensumstände ändern, weil man umzieht, einen neuen

Job annimmt oder in Pension geht. Wenn es wirklich darum geht, Gewohnheiten bewusst zu ändern, dann ist es wichtig, dass die betroffene Person eine entsprechende Bereitschaft zeigt. Gewohnheiten finden regelmäßig statt, im selben Kontext, und werden durch einen Hinweisreiz ausgelöst: Das kann zum Beispiel ein Autoschlüssel sein, den ich sehe und mir nehme, anstatt auf den Bus zu warten. Es hilft daher, die Situation durchzuspielen und zu überlegen: Was ist so ein Auslöser?

Und was sind die Alternativen? Was kann ich stattdessen in der Situation tun? Idealerweise kann man unterstützende Hinweisreize setzen, damit man aus diesem Automatismus herausgerissen wird. Zum Beispiel: Ich lege meinen Fahrradhelm über den Autoschlüssel. Das sind Mechanismen, bei denen sich gezeigt hat, dass sie wirken können. Dabei ist es wichtig, konkrete, realistische, aber auch messbare Ziele zu wählen. Sonst werden schnell Ausreden gesucht.

Wie können umweltfreundliche und gesundheitsfreundliche Verhaltensweisen gefördert werden?

Wir müssen weg von dem Gedanken, andere überzeugen zu wollen. Das kann so-

Hausärzt:in politisch Umweltpsychologin und Buchautorin Dr.in Isabella Uhl-Hädicke forscht zum Thema Klimawandelkommunikation.

© Alex Gotter

„Wir müssen weg von dem Gedanken, andere überzeugen zu wollen. Das kann sogar einen gegenteiligen Effekt haben.“

gar einen gegenteiligen Effekt haben. Es zeigt sich klar: Mehr Wissen führt nicht zum Handeln. Wenn sich Personen angegriffen fühlen, neigen sie zu Widerstand.

Macht man beispielsweise einen Raucher beim Zigarettengenuss darauf aufmerksam, wie schädlich das ist, dann wird er sich eher verteidigen. Das ist nicht der richtige Kontext. Das Gleiche gilt natürlich für das klimafreundliche Verhalten.

Ein Faktor, den man jedoch nutzen kann, sind soziale Normen – ungeschriebene Gesetze in unserer Gesellschaft. Wie sich mein Umfeld verhält, das hat einen extremen Einfluss darauf, wie ich mich selbst verhalte. Gehe ich zum Beispiel in die Kantine und der Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen greift zum gesunden Gericht, werde ich das auch eher tun. Dazu gibt es viele Studien aus unter-

schiedlichen Verhaltensbereichen. Eine davon betrifft den Energieverbrauch im Haushalt. Hier wollte man wissen, was Personen tatsächlich dazu motiviert, ihren Energieverbrauch zu verringern. Die Faktoren Geld sparen oder etwas Positives für die Umwelt tun zeigten dabei keine Wirkung. Langfristig reduziert haben aber diejenigen, die erfahren haben, dass sie mehr Strom verbrauchen als ihre Nachbarn. Dieser soziale Vergleich ist ein wichtiger Faktor. Er kann aber auch hinderlich sein, beispielsweise wenn andere nicht klimafreundlich oder gesundheitsbewusst handeln. Verhaltensweisen können also gefördert werden, indem man selbst als Vorbild vorangeht und einen entsprechenden Lebensstil führt.

Wie gehen Personen mit bedrohlichen Fakten wie dem Klimawandel um?

Auch hier bestehen große Überlappungen mit dem Gesundheitsbereich. In der

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Hausärzt:in politisch Psychologie gibt es eine lange Forschungstradition, die sich damit beschäftigt, wie Personen auf existenzielle Bedrohungen reagieren. Beispiele dafür sind die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit oder Endlichkeit, aber auch Themen wie der Klimawandel. Es hat sich gezeigt, dass solche Bedrohungen eine Art von Schockstarre und ein ungutes Gefühl auslösen. Diese Leute müssen eine Strategie finden, um wieder aus diesem Gefühl herauszukommen. Als Reaktion auf so eine Bedrohung legen sie zwei unterschiedliche Handlungen an den Tag: Es gibt eine direkte Reaktion, diese steht im Zusammenhang mit der Bedrohungsquelle. Wenn ich zum Beispiel über den Klimawandel lese, dann kann eine mögliche direkte Reaktion sein, dass ich versuche,

„Ein Faktor, den man nutzen kann, sind soziale Normen – ungeschriebene Gesetze in unserer Gesellschaft.“ meinen Lebensstil umzustellen und klimafreundliche Verhaltensweisen in meinem Alltag zu implementieren. Wenn man Leute mit Fakten konfrontiert, reagieren sie aber nicht immer direkt – trotzdem brauchen sie eine Möglichkeit, dieses Bedrohungsgefühl für sich selbst zu lösen.

Sie tendieren dann zu sogenannten symbolischen Reaktionen – ohne Konnex zur Bedrohungsquelle. Bisherige Forschungen zeigten: Wenn man Personen die eigene Sterblichkeit bewusst macht, zum Beispiel durch Warnungen auf Zigarettenschachteln, oder wenn man Personen mit dem Klimawandel konfrontiert, dann setzen sie scheinbar irrationale Handlungen.

Zum Beispiel verteidigen sie ihre eigene Gruppe hartnäckiger, sie werten Fremdgruppen zunehmend ab, fordern plötzlich die Einhaltung der sozialen Normen stärker ein oder wollen Straftäter härter bestrafen. Sie verteidigen die eigene Weltanschauung plötzlich viel, viel stärker als Personen in der Kontrollgruppe, die diese Bedrohung nicht erlebt haben.

Weshalb reagieren Menschen so?

Existenzielle Bedrohungen wie die Sterblichkeit und der Klimawandel lösen in

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uns einen extremen Kontrollverlust aus.

Unsere Gruppenzugehörigkeit, Werteinstellungen, sozialen Normen und unsere Weltanschauung – das sind Dinge, die uns Halt geben. Indem wir uns auf diese fokussieren, haben wir zumindest subjektiv den Eindruck von Kontrolle. Wir können so für uns selbst das Bedrohungsgefühl lösen. Das ändert aber überhaupt nichts an der Bedrohungsquelle. Das ist die Herausforderung.

Was kann man Personen mit Klimaangst raten?

Zunächst einmal ist es wichtig, die Gefühle anzuerkennen. Wenn man in diesem Bereich aktiv ist, dann ist es auch okay, Hilflosigkeit zu empfinden. Oft fragt man sich: „Was soll ich als Einzelperson machen?“ Das ist völlig legitim und es geht wirklich jeder und jedem so. Man kann sich außerdem Strategien überlegen, damit umzugehen. Ich würde zwei Ansätze vorschlagen: Eine Möglichkeit besteht darin, sich das Positive vor Augen zu führen. Welche positiven Veränderungen hat es schon gegeben? Zweitens ist es gut, sich mit anderen zusammenzuschließen.

Wenn man sieht, dass es viele gibt, die ein ähnliches Anliegen haben und sich dafür einsetzen, dann ist das motivierend. Das zeigt auch die Forschung und nennt sich kollektive Wirksamkeit. Gleichzeitig sollte man achtsam mit sich selbst umgehen, sich Fehler eingestehen können. Allein schon durch unser System, das Ressourcen verbraucht, werden wir nicht alle einen perfekten Lebensstil führen können.

Ebenso wie der Klimawandel stellt die Coronapandemie ein komplexes Problem dar, welches das Mittragen verschiedener Maßnahmen von Einzelnen erfordert. Gibt es Fehler bei der Umsetzung der Pandemiebekämpfung, aus denen wir lernen können?

Bei der Coronapandemie war eine Handvoll Handlungen auszuführen. Das ist schon ein großer Unterschied zum Klimawandel, bei dem klar ist: Selbst wenn ich jetzt alles umstelle, heißt das nicht automatisch, dass ich die Konsequenzen abfedern kann. Deshalb kann man hier schwer Parallelen ziehen. Es braucht einen Systemwandel. Das macht es schon viel schwieriger. Was man von der Pandemie mitnehmen kann, ist zum einen das

Wissen, wie wichtig politische Rahmenbedingungen sind. Als die Maskenpflicht gekommen ist, wurde sie dann doch vom Großteil mitgetragen. Sobald die Maßnahmen fallen, fühlt es sich komisch an – sobald es verpflichtend ist, wird es doch stärker umgesetzt. Dabei spielen wieder die sozialen Normen eine große Rolle.

Was natürlich wichtig ist, ist offen zu kommunizieren, transparent zu kommunizieren, klar zu kommunizieren – und auch möglichst übersichtlich.

Welche Ratschläge wollen Sie zusammenfassend mitgeben?

Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass wir Menschen sehr gut darin sind, Ausreden zu finden, die unser schlechtes Gewissen beruhigen. Das Thema der kognitiven Dissonanz ist in meinem Buch genauer beschrieben. Beispiele sind: Es ist eh nicht so schlimm, wenn ich zum Schnitzel greife, denn mein Kollege macht das ja täglich.

Das kann man auch auf den Gesundheitsbereich ummünzen: Ich rauche zwar jetzt, aber dafür mache ich Sport. Diese Denkweisen führen dazu, dass wir unser Verhalten nicht ändern müssen. Gleichzeitig sollten wir achtsam mit uns selbst umgehen. Man kann nicht alles von heute auf morgen ändern, sondern sollte sich eher Schritt für Schritt Bereiche herausgreifen – mit einer gewissen Fehlertoleranz sich selbst und anderen gegenüber.

Das Interview führte Mag.a Ines Riegler, BA.

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Warum machen wir es nicht einfach?

Die Psychologie der Klimakrise Von Isabella Uhl-Hädicke Molden Verlag 2022

Hausärzt:in politisch

Plastik als Fettleibigkeitstrigger

© unsplash.com/Brian Yurasits

An hartnäckigen Kilos sind auch die (Umwelt-)Hormone schuld

WIE UMWELTOBESOGENE BZW. ADIPOGENE WIRKEN � Sie vermehren und vergrößern die Fettzellen. � Sie stören unser Hormonsystem bei seiner Aufgabe, die Entwicklung unseres Fettgewebes zu regulieren. � Sie verändern Hormone, die den Appetit, das Sättigungsgefühl und die Nahrungsvorlieben regulieren. � Sie verändern die Grundumsatzrate unseres Stoffwechsels zugunsten der Speicherung von Kalorien. � Sie verändern insbesondere unsere Insulinempfindlichkeit, was Rückwirkungen auf unser Hungergefühl hat.

wirken wie das weibliche Geschlechtsnährungs- und Bewegungsverhalten zu hormon. Umweltöstrogene verweiblichtun haben kann, sondern dass dabei auch en, wenn sie in unsere Nahrungskette Chemikalien eine Rolle spielen müssen. gelangen, unseren Körper. Sie Das führt zu einem Ungleichverschieben das Gleichgewicht gewicht bei der Regulierung zwischen Testosteron und Ösdes Körpergewichts zugunsten trogen zugunsten des Östroder Fettspeicherung und begens, das den Aufbau von Fettgünstigt so die Entwicklung von zellen unterstützt. Übergewicht und Fettleibigkeit.

Dass sich die Nachricht vom Sie verwiesen in diesem Zudick machenden Plastik noch sammenhang auf sogenannte nicht durchgesetzt hat, ist umso Adipogene, also FettleibigkeitsGASTAUTOR: verwunderlicher, als einzelne trigger, insbesondere in PestiziUniv.-Prof. Dr. Peter Frigo Wissenschaftler diesem Zusamden, Reinigungsmitteln sowie in Leiter der HormonNahrungsmittel- und Getränkemenhang schon seit zwanzig ambulanz an der Universitätsklinik verpackungen.

Jahren nachgehen und ihn imfür Frauenheilkunde Sogenannte Biomonitoringmer wieder bestätigt haben. am AKH Wien Studien, die sich der BelasSo stellte Dr.in Paula Baillietung des Menschen durch Schadstoffe Hamilton, eine Forscherin der University widmen, kamen in den Jahren 2011 und of Stirling in Schottland, bereits 20021 ei20153 zu dem Schluss, dass wir über unnen Zusammenhang zwischen bestimmten chemischen Stoffen, denen Menschen sere gesamte Lebensspanne einer großen ausgesetzt sind, und Fettleibigkeit her.

Anzahl von Umweltchemikalien ausge2006 publizierten die beiden Endokrisetzt sind. Sie betonten, dass sie Auswirnologen Dr. Felix Grün und Dr. Bruce kungen auf unsere Hormone, auf unser Blumberg eine wissenschaftliche Arbeit2 Fettgewebe, auf unsere Stoffwechselaktivität und so letztlich auch auf unser über sogenannte Umweltobesogene – Gewicht haben. Zudem seien solche Chechemische Fremdverbindungen, von demikalien beziehungsweise Schadstoffe nen wir annehmen können, dass sie die in der Lage, Kinder schon im Mutterleib normale Entwicklung und das Gleichgeso zu prägen, dass sie in ihrem späteren wicht des Stoffwechsels bei Fett und fettLeben einen Hang zur Fettleibigkeit haähnlichen Substanzen stören. Auch diese ben, hieß es. Plastik macht dick. Dieser beiden Forscher kamen zu der Schlussfolkurze Satz bringt die Ergebnisse von gerung, dass der durchschnittliche Anstieg mittlerweile Dutzenden Studien auf den des Body-Mass-Index nicht oder nicht Punkt, auch wenn er deren Inhalt stark > ausschließlich mit einem veränderten Er-

© Lukas Beck

Pro Jahr nehmen wir rund 73.000 Mikroplastikteilchen in unseren Körper auf. Wenn wir regelmäßig PET-Flaschen verwenden, kommen noch einmal rund 19.000 dazu. Das hat das österreichische Umweltbundesamt in einer Studie herausgefunden und das ist nicht nur ein allgemeines Problem für unsere Gesundheit, es ist auch ein ganz konkretes für unsere Figur. Plastik macht dick? Ja, genau. Und als Endokrinologe dränge ich seit Langem darauf, dass dieser Umstand in der Diskussion über das steigende Übergewicht endlich Berücksichtigung findet. Immerhin hat sich längst herumgesprochen, dass Plastik Umweltöstrogene enthält, also industriell hergestellte Chemikalien, die praktisch genauso

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Hausärzt:in politisch verkürzt, denn die dick machenden Chemikalien befinden sich natürlich nicht nur in Plastik, sondern auch in vielen anderen Substanzen, die Elemente unseres Alltags sind.

Weichmacher und „das bessere Plastik“ Polyethylen Viele der in Plastik enthaltenen Substanzen wirken also ganz ähnlich wie die körpereigenen Geschlechtshormone, vor allem wie Östrogen. Ein besonderes Augenmerk sei noch auf die Weichmacher gelegt. Problematisch sind diese sogenannten Phthalate und Parabene vor allem in Kinderspielzeug. Sie sind fast überall zu finden, leider sogar in Nahrungsmitteln: etwa in verpackter Butter, eingeschweißtem Käse und eingeschweißter Wurst, in Schlagsahne im Kunststoffbecher, in Pestos und Nudelsoßen im Glas oder im Olivenöl in der Flasche. Wie schädlich einige dieser Weichmacher sein können, dürfte zwar mittlerweile hinlänglich bekannt sein, dass sie auch dick machen, ist hingegen noch ganz neu. Während Phthalate be-

sonders in PVC als Weichmacher dienen, ist Bisphenol A (BPA) die Basis bei der Herstellung des Kunststoffs Polycarbonat.

Das große Problem ist auch hier: BPA ist in vielen Alltagsgegenständen enthalten, ohne dass wir es wissen. Auch in Kontoauszügen, Fahrkarten und Parkscheinen – also in jeder Art von Thermopapier – beDER GRUSELIGE SCHNECKENLARVEN-TEST Um zu verstehen, wie unmittelbar und wie effektiv die hormonelle Wirkung von PETFlaschen ist, genügt ein einfaches Experiment.

Für den Test legt man gleich viele Schneckenlarven einmal in eine PET-Flasche und einmal in eine Glasflasche und wartet dann, wie sich die Schnecken entwickeln. Bald kann man beobachten, dass sich die Schnecken in der PET-Flasche viel stärker entwickeln. Der Grund dafür sind die endokrinen Disruptoren, die sich im Plastik befinden, also die künstlichen Hormone mit Östrogenwirkung. Das ist erschreckend und wer es einmal gesehen hat, wird künftig lieber lange durstig bleiben, als je wieder aus einer Plastikflasche zu trinken oder diese zum Nachfüllen zu verwenden.

findet es sich. Eine ganz gemeine Falle für hormonell wirksame Umweltchemikalien sind übrigens die Beschichtungen der Deckel von Konservengläsern.

Essbesteck und dergleichen bestehen hingegen aus Polyethylen. Es gilt als das

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HAUSÄRZT:IN-Buchtipp

Mühelos schlank mit der Kraft der Hormone Von Peter Frigo Verlag edition a 2022

bessere Plastik, weil es keine Weichmacher enthält, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Außerdem beansprucht Polyethylen bei der Herstellung weniger Ressourcen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auch Polyethylen ist nicht zur Gänze recycelbar. Dadurch gelangt viel davon in die Umwelt.

Wenn die Sonne es zersetzt, verschmutzen die kleinen Partikel die Umwelt und landen über Pflanzen und Tiere wieder in unserem Nahrungskreislauf und machen uns dick.

Eine einfache Möglichkeit, Kosmetika und Alltagsgegenstände aus Plastik auf schädliche Inhaltsstoffe zu untersuchen, bietet übrigens die moderne Technik: Mit der App ToxFox kann man den Barcode der Produkte scannen und sich über Schadstoffe informieren.

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EIN GUT GEMEINTER RAT FÜR PATIENT:INNEN „Achten Sie bitte ab sofort bei allem, was Sie kaufen, auf Inhaltsstoffe, die mit …phthalat oder …paraben enden.

Meiden Sie solche Produkte genauso, wie Sie bei der Arbeit an Ihrer Wunschfigur fette Torten, üppige Soßen oder nahrhafte Beilagen meiden. Es ist wichtiger für Ihre Figur, als Sie denken.“

Fazit Es gibt zahlreiche Obesogene, die in den Stoffwechsel und in die Steuerung der Fettzellfunktion eingreifen können. Sie begünstigen die Fettspeicherung. Ganz besonders droht uns diese Gefahr durch Plastik, einfach weil es alle unsere Lebensbereiche in unvorstellbarem Ausmaß durchdrungen hat.

Schon eine Stellungnahme im „Environmental Health Perspectives“ vom April 2010 legte nahe, dass der Grundstoff der PET-Flaschen, das Polyethylenterephthalat, in seinen üblichen Verwendungsformen die genannten endokrinen Disruptoren freisetzen könnte. Der Beitrag empfahl eine weitergehende Erforschung des Werkstoffs, die aus Sicht der Endokrinologie bei Weitem nicht in ausreichendem Maß stattfindet. Zudem vernachlässigen die Gesundheitspolitik und die Gesundheitssysteme im Rahmen ihrer Informationsund Aufklärungspflichten den Zusammenhang zwischen PET- und anderen Plastikprodukten und unserem Hormonhaushalt sowie unserem Körpergewicht sträflich. Es handelt sich hierbei eindeutig um ein Public-Health-Thema, mit dem die Staaten ihre Bürger nicht alleinlassen dürfen. Laut Berechnungen der WHO liegen die Gesundheitsausgaben für Adipositas allein in Deutschland bei rund 25 Milliarden Euro im Jahr. In Österreich wären es dann in etwa 2,5 Milliarden.

Und das sind – wie gesagt – nur die Ausgaben für Adipositas, also für echte Fettleibigkeit. Inklusive der Ausgaben für die gesundheitlichen Folgen ganz normalen Übergewichts, etwa im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs, liegen wir wahrscheinlich bei einem Mehrfachen dieses Betrags. < Quellen: 1 Baillie-Hamilton PF, J Altern Complement Med. 2002; 8(2):185–192.

2 Grun F, Blumberg B, Endocrinology. 2006; 147:50–55. doi: 10.1210/en.2005-1129.

3 CDC 2015; Woodruff et al. 2011.

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Hausärzt:in politisch

„Wir müssen handeln, um nicht von einer Pandemie in die andere zu schlittern“

Prof. Dr. Hans-Peter Hutter über die Zusammenhänge zwischen der Umweltkrise und neuen Erkrankungen

© Heribert Corn

Probleme, da es auf diese neuartigen Erreger nicht vorbereitet ist. So eine Situation kann völlig harmlos sein oder auch fatal enden. Die menschliche Geschichte ist bekanntlich begleitet von Seuchengeschehen – bis heute. In all diesen Fällen waren zwei Bedingungen anzutreffen: eine hohe Bevölkerungsdichte und eine enge Nachbarschaft von Mensch und Tier in Zusammenhang mit Domestizierung oder mit Zerstörung der tierischen Habitate.

OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Hans-Peter Hutter ist stv. Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien.

Haben wir uns die COVID-19-Pandemie selbst zu verdanken? Dem Hintergrund dieser Fragestellung auf der Spur war die Hausärzt:in im Gespräch mit Prof.

Dr. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner am Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Der Experte erklärt, wie Globalisierung, Umwelt- und Klimakrise die Entstehung neuer Erkrankungen begünstigen und was getan werden kann, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

„Bis zu 800.000 in der Tierwelt zirkulierende Virenspezies könnten das Potenzial haben, Menschen zu infizieren.“ HAUSÄRZT:IN: Expert:innen gehen davon aus, dass SARS-CoV-2 vom Tierreich auf den Menschen übertragen wurde. Können Sie uns weitere Beispiele für Zoonosen/„Emerging Diseases“ geben?

Prof. HUTTER: Zoonosen sind durch Viren, Bakterien, Parasiten oder Prionen

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verursachte Infektionskrankheiten, die vom Tier – direkt oder über einen Vektor – auf den Menschen übertragen werden und vice versa. Derzeit sind global mehr als 200 Zoonosen bekannt. Diese reichen von altbekannten Erkrankungen wie Pest, Tuberkulose, Tollwut bis hin zu AIDS und Ebola und – nicht zu vergessen – der jährlich wiederkehrenden Influenza. Als typische „Emerging Diseases“ können SARS, MERS und natürlich COVID-19 bezeichnet werden, aber auch die in den letzten Wochen aufgetretenen Affenpocken. Viele neu auftretende humanpathogene Erreger stammen ursprünglich von tierischen Reservoirs.

Was hat zur Entstehung dieser Erkrankungen geführt?

Neue Krankheitserreger und damit neue Krankheiten entstehen immer wieder.

Die Kräfte der Evolution sind dafür verantwortlich, dass Viren und Bakterien pausenlos neue genetische Varianten entwickeln. Manchmal überspringen sie die biologischen Artgrenzen und infizieren plötzlich Menschen anstelle von ihren bisherigen tierischen Wirten. Das bereitet dem menschlichen Immunsystem

Welchen Einfluss haben die Umwelt- und Klimakrise sowie die Globalisierung?

Man kann verkürzt sagen: Dieselben Faktoren, welche Klimakrise und Biodiversitätsverlust vorantreiben, begünstigen auch die Entstehung von Zoonosen.

Also ungebremster Raubbau an unseren natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere auch die Abholzung tropischer Regenwälder, Jagd und Wildtierhandel sowie ein generell immer tieferes Vordringen von Mensch und Landwirtschaft in natürliche Lebensräume – wo eine Vielzahl noch unbekannter potenzieller Krankheitserreger schlummert – fördern ein Überspringen auf Mensch und Nutztiere. Furchtbare Bedingungen, unter denen Tiere gehalten und gehandelt werden, aber auch unter denen Menschen arbeiten müssen, kommen dazu.

Mit der Globalisierung, die Handel und Reisen zu Wasser, Land und Luft überallhin binnen kürzester Zeit ermöglicht, wird schließlich der globalen Ausbreitung eines Krankheitserregers Tür und Tor geöffnet, wie die Coronapandemie eindrücklich gezeigt hat.

Wie hoch ist das Risiko einzuschätzen, dass es erneut zu Pandemien zoonotischer Infektionskrankheiten kommt?

Man muss sich nur eines vorstellen: Das „Global Virome Project“ (eine internationale Initiative zur Erforschung von Viren) geht derzeit von einem Pool von

Hausärzt:in politisch rund 1,6 Millionen Viren aus, die in der Tierwelt zirkulieren. Davon könnten bis zu 800.000 Spezies das Potenzial haben, Menschen zu infizieren. Ein glasklarer Aufruf zu handeln, möchten wir nicht von einer Pandemie in die andere schlittern. Für die Verbreitung zoonotischer Infektionskrankheiten sind wir ja selbst mit unserem Verhalten verantwortlich, es begünstigt im großen Ausmaß die Entstehung neuer Varianten von Pathogenen und erhöht damit auch das Risiko neuer Epidemien.

Abweichend von der WHO-Definition von 1958, werden heute auch Krankheiten zu den Zoonosen gezählt, die von belebten Vektoren wie Stechmücken, Zecken etc. übertragen werden ...

Ein erheblicher Teil von Infektionskrankheiten ist vektorvermittelt, ja. Dabei spielen Arthropoden eine besondere Rolle. Bekanntlich wird die Pest, die wohl die bisher folgenreichsten Seuchen der Menschheitsgeschichte hervorgerufen hat, primär vom Floh übertragen. Aber auch viele andere – ebenso endemische – Krankheitserreger wie die FSME werden von Arthropoden übertragen. Die globale Vernetzung beschleunigt die Einschleppung und Verbreitung von gebietsfremden Arten, u. a. eben auch von Vektoren wie Stechmücken und damit von möglichen Krankheitserregern.

Welche Bedeutung haben vektorvermittelte Erkrankungen im Kontext der Klimakrise und der Globalisierung?

Durch den Klimawandel, insbesondere höhere Temperaturen und mildere Winter, steigt das Risiko, dass Krankheiten und ihre potenziellen Überträger, beispielsweise aus tropischen bzw. wärmeren Regionen, in neue Gebiete vordringen, die vormals für die Ausbreitung von Vektoren oder das primäre Wirtsreservoir ungünstig waren. Ein bekanntes Beispiel, auch in Österreich, ist die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), die sich zunehmend in Europa ausbreitet und etabliert. Aber auch heimische Vektoren verändern ihre Verbreitungsgebiete. So wird etwa seit Jahren beobachtet, dass der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) – die bei uns häufigste Zeckenart und bekanntlich der Überträger von FSME, Lyme-Borreliose etc. – im Zuge des Temperaturanstiegs vermehrt in höheren Lagen auftritt.

Welche anderen Umwelt- und Klimafaktoren können dazu führen, dass neue Erkrankungsbilder entstehen?

Aus meiner Sicht sind es nicht in erster Linie neue Erkrankungsbilder, auf die wir uns vorbereiten müssen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass bestimmte Erkrankungen aufgrund klimatischer Veränderungen in Gebieten auftreten, wo sie früher nicht vorgekommen sind, oder dass bekannte Krankheiten gravierendere Folgen haben. Weiters ist auch mit einer Verstärkung von bestehenden Beeinträchtigungen zu rechnen, basierend auf Mechanismen, die erst vor einigen Jahren entdeckt wurden. So kann das Aufeinandertreffen von Klimafaktoren, z. B. einer erhöhten UV-Strahlung und einer verstärkten Bildung sekundärer Luftschadstoffe, das Allergiepotenzial von bestimmten Pflanzen steigern. Ozon verstärkt die Allergenexpression und erhöht damit die Allergenwirkung. Wir müssen daher auf überraschende Effekte gefasst sein.

Was sollte getan werden, um der erläuterten Problematik entgegenzuwirken?

Das Zusammenspiel von menschlichem Verhalten, Lebensräumen von Tieren, Krankheitsüberträgern und der Umwelt muss nicht nur verstanden, sondern vor allem respektiert werden. Es sind nicht nur internationale Abkommen, etwa zu nachhaltigen und transparenten Lieferketten, gefragt, sondern auch das Engagement von uns allen. Aber davon sind wir meiner Meinung nach noch weit entfernt.

Wirksame Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität sorgen für den Erhalt elementarer Ökosystemleistungen, auf die wir angewiesen sind: Klimaregulierung, Filterung von Luft und Wasser, Ernährungssicherheit, Vorbeugung von Pandemien und vieles mehr ... Dazu braucht es speziell auch eine konsequente (gesetzliche) Weichenstellung in der Landwirtschaft hin zu mehr Natur- und Tierverträglichkeit. Der Ausweg aus diesen menschengemachten Krisen erfordert eine grundlegend neue Herangehensweise in der Art, wie wir produzieren und konsumieren sowie hinsichtlich der Werte, die wir in unserer Gesellschaft priorisieren. Was es braucht, sind politisches Rückgrat bei der Umsetzung und breites gesellschaft-

liches „commitment“ für das gemeinsame Ziel, diese Krisen zu bewältigen.

„Der Kampf gegen den globalen Temperaturanstieg ist auch eine ärztliche Aufgabe, wie die WHO bereits 1986 in der ‚Ottawa Charta‘ festgestellt hat.“ Was möchten Sie den Leser:innen abschließend noch mit auf den Weg geben?

Der Klimawandel trägt – in Zusammenspiel mit anderen Treibern wie Übernutzung, Intensivierung der Landwirtschaft etc. – maßgeblich zum Biodiversitäts­ verlust bei. Nicht nur zur Verhinderung neuer Infektionserkrankungen, sondern auch zur Erhaltung der globalen Wirtschaft und des Friedens ist und bleibt der Schutz von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen der Schlüssel. Der Kampf gegen den Temperaturanstieg – und gegen das damit in Zusammenhang stehende Artensterben sowie den Verlust intakter Ökosysteme – ist auch eine ärztliche Aufgabe, wie die WHO bereits 1986 in der „Ottawa Charta“ festgestellt hat.

Das Interview führte Anna Schuster, BSc.

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HAUSÄRZT:IN-Buchtipp

Sind wir noch zu retten?

Von Hans-Peter Hutter und Judith Langasch Orac Verlag 2021

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Hausärzt:in politisch

„Wenn eine Hitzewelle bevorsteht …“

Herausforderung Klimawandel: Bei Transport, Lagerung und Einnahme von Medikamenten können Temperaturveränderungen ein Problem darstellen

zVg

lin. Langanhaltende Hitzeperioden führen dazu, dass dieses schneller verstoffwechselt wird – Patienten sind daher eher gefährdet, einen hypoglykämischen Schock zu erleiden. Zudem hat man festgestellt, dass Personen mit Typ-2-Diabetes meist eine größere Körperoberfläche haben, wodurch die Thermoregulation erschwert wird. Allerdings gibt es wenige wissenschaftliche Daten darüber, wie hoch das Risiko bei welcher Temperatur ist.

Pharmazeutin Mag.a Iris Summer gibt u. a. Tipps für die ärztliche Hausapotheke.

Der Klimawandel gefährdet nicht nur die Gesundheit der Menschen an sich, sondern kann auch ein Problem für die Arzneimittelsicherheit darstellen. Einblick in dieses aktuelle Thema gab Pharmazeutin Mag.a Iris Summer, Krankenhaus Barmherzige Brüder Graz, im Gespräch mit der Hausärzt:in.

HAUSÄRZT:IN: Die Klimaerwärmung und die Zunahme von Hitzewellen können sich auf die Wirkungsweise von Medikamenten auswirken. Welche Patient:innen sind besonders gefährdet?

Mag.a SUMMER: Grundsätzlich gibt es zwei Risikogruppen, welche die Hitzeperioden schwerer verkraften: zum einen Herz-Kreislauf-Patienten, zum anderen Menschen mit Diabetes. Bei Ersteren steht nicht das eingenommene Medikament im Vordergrund, sondern die Belastung an sich. Herz-Kreislauf-Patienten vertragen die Hitze weniger gut und müssen beim Trinken aufpassen. Je mehr Volumen sie sozusagen zuführen, desto höher ist das Risiko eines Kollapses.

Bei Menschen mit Diabetes spielt das Arzneimittel an sich eine Rolle: das Insu-

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Welche Faktoren kommen bei der Thermoregulation noch zum Tragen?

Es gibt Arzneimittel, die an sich schon in die Thermoregulation eingreifen. Dazu zählen alle Medikamente, die den Hormonhaushalt beeinflussen – beispielsweise Schilddrüsenhormone. Sie beeinträchtigen die Thermoregulation insofern, als sie die Körpertemperatur nach oben treiben. Gerade bei Hormonen ist es so, dass man diese sehr gut überwachen und anhand des Blutspiegels die Patienten gut einstellen kann.

Wenn es nun zu einer Klimaveränderung kommt, so könnte aufgrund einer engmaschigen Kontrolle auch die Dosis angepasst werden. Gleiches gilt für das Insulin.

Was bedeutet das für diese Patient:innen, wenn z. B. eine vorübergehende Hitzewelle im Anrollen ist?

In der Regel braucht es drei bis fünf Halbwertszeiten, bis sich der Medikamentenspiegel wieder einstellt. Es wird also eine Vorlaufzeit in der Dosierung benötigt. Man müsste als Patient dahingehend andere – konservative – Maßnahmen setzen, zum Beispiel in Hinblick auf die Flüssigkeitszufuhr. Wichtig ist es auch, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass dieses Risiko besteht.

Welche Arzneimittel können bei Hitze in Kombination mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen Nebenwirkungen verursachen?

Das sind im Speziellen solche, die den Elektrolythaushalt beeinflussen: Medikamente, bei denen die Natrium- und Kaliumblutspiegel durcheinandergeraten. Dadurch kann es zu einer Belastung des ganzen

Blutdrucksystems kommen. Der Einsatz solcher Diuretika ist individuell zu betrachten. Manche Patienten nehmen zum Einschlafen außerdem Beruhigungsmittel und Antidepressiva. Nebenwirkungen sind Hitzegefühle, Flush genannt. Hinzu kommt, dass diese Arzneimittel zu einem verringerten Durstgefühl führen. Betroffene sind in erster Linie ältere Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen und bei denen die körpereigene Funktion der Thermoregulation beeinträchtigt ist. Oft spielt auch die Niere nicht mehr mit – ein weiterer wichtiger Parameter.

Neben der Medikamenteneinnahme ist die Lagerung wesentlich. Auf was ist dabei zu achten?

Auch hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: die Sonneneinstrahlung, das UVLicht, die Hitze und die Feuchtigkeit. Es gibt galenisch problematische Arzneispezialitäten wie Wirkstoffpflaster, Zäpfchen, halbfeste Arzneiformen wie Cremes, Salben, Gele, Gelatinekapseln und auch Dosieraerosole. Bei den Inhalatoren kann es passieren, dass die Dosis nicht adäquat abgegeben wird. Die bereits erwähnten wirkstoffhaltigen Pflaster können sich physikalisch verändern, wodurch der Wirkstoff nicht mehr abgegeben werden kann. Fiebersenkende oder kortisonhaltige Zäpfchen für Kinder können aufgrund von Temperaturveränderungen Schaden nehmen. Wenn sie in der Sonne schmelzen, kann sich der Wirkstoff absenken. Auch bei Medizinprodukten sind bestimmte Lagertemperaturen einzuhalten, das ist im neuen Medizinproduktegesetz geregelt.

Was ich noch mitgeben möchte, ist: Sobald sich bei den Arzneimitteln etwas verfärbt oder andere sichtbare Veränderungen auftreten, dann sollte man diese nicht mehr verwenden. Es kann sein, dass nicht nur der Wirkverlust eine Rolle spielt, sondern auch, dass die Stabilisatoren und Konservierungsmittel nicht mehr ihren Effekt haben. Es können Kontaminationen auftreten. Dann schadet das Mittel mehr, als es hilft.

Was kann bei falscher Lagerung passieren?

Es gibt nicht nur physikalische Instabilitäten, sondern auch chemische und mikrobielle. Es kann zu Abbaureaktionen von Wirkstoffen kommen. Daten zeigen, dass bei Medikamenten, die unter Raumtemperaturen zu lagern sind (bis zu 25 Grad Celsius), eine Temperaturerhöhung um 10 °C zu 1,8 Prozent Wirkverlust führt. Durch bakterielle Veränderungen können sich außerdem Toxine bilden. Auch Interaktionen mit Hilfsstoffen sind möglich. Das ist der Grund, warum bei jeder Arzneispezialität die Fachinformation zu berücksichtigen ist: Wenn man beispielsweise zwei Grippeimpfstoffe mit derselben Wirkung – also gegen dieselben Stämme des Influenzavirus – vergleicht, dann werden womöglich unterschiedliche Hilfsstoffe verwendet. Ein Vakzin benötigt zum Beispiel eine kühle Lagerung, darf aber vom Patienten zum Arzt ungekühlt mitgenommen werden. Beim anderen Impfstoff gibt es hingegen den Hinweis, dass man die Kühlkette nicht unterbrechen darf. Schließlich gibt es betreffend den Stabilitätsdaten noch spezielle Richtlinien für die Zulassung. Jedes Medikament wird im jeweiligen Land zugelassen und dabei werden auch die dort vorherrschenden Temperaturverhältnisse berücksichtigt.

Welche Ratschläge bezüglich der Lagerung in der ärztlichen Hausapotheke können Sie geben?

In der Praxis habe ich gesehen, dass auch Maßnahmen wichtig sind, die nicht notwendigerweise bauliche Veränderungen mit sich bringen. Die Arzneimittel sollte man unbedingt in der Originalverpackung aufbewahren. Das heißt für Hausärztinnen und Hausärzte ist es ganz wesentlich darauf zu achten, die Infusionslösungen in den Originalgebinden zu lassen.

Arzneistoffe sollte man in Schränken verschließen, um sie vor Sonneneinstrahlung zu schützen. Auch die Transportsysteme sind zu berücksichtigen: Bestellungen sollten nicht vor dem Wochenende aufgegeben werden – vor allem, wenn eine Hitzewelle bevorsteht. Es empfiehlt sich, Medikamente unter der Woche einzulagern. Bei Unsicherheiten wie sichtbaren Veränderungen der Arzneimittel kann man immer bei der Herstellerfirma nachfragen. Diese hat meist hilfreiche Stabilisationsdaten. Wir sind mit umliegenden Hausärzten, die Apotheken führen, in engem Kontakt. Wenn es entsprechende Fragen gibt, auch was Lieferfähigkeiten betrifft, stehen wir gerne zur Seite. Und für Patienten selbst gilt: Im privaten Bereich ist das Medikamentenlager vor allem im Sommer klein zu halten.

Wo besteht Ihrer Meinung nach noch Handlungsbedarf?

Es gibt einen Graubereich: die Versandapotheken. Firmen, Distributoren, Apotheken und Krankenhäuser sind streng überwacht. Das fällt unter die „Good Distribution Practice“ (GDP) – es muss alles dokumentiert werden. Es wird immer ein Temperaturlogger mitgeführt und der Transport muss evaluiert sein. Die Versandthematik wird hingegen nicht überwacht, das ist ein Graubereich. Das muss sich ändern, denn die Qualität des Arzneimittels ist zu gewährleisten. Der Patient muss intakte Medikamente bekommen.

Das Gespräch führte Mag.a Ines Riegler, BA. Literatur bei der Expertin.

Hausärzt:in DFP

Praxiswissen: Kreuzschmerz richtig einordnen

Rückenprobleme betreffen alle Altersklassen – aufgrund der hohen Inzidenz ist der Einfluss auf das Gesundheitssystem groß DFP-Punktesammler

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L I T E R AT U R

Kreuzschmerzen sind eines der am weiSpezifischer versus testen verbreiteten Leiden in zivilisierunspezifischen Kreuzschmerz ten Ländern. Bei Erwachsenen beträgt die Punktprävalenz 12–30 % Unterschieden wird zwiund die Lebenszeitprävalenz schen unspezifischem und 60–85 %. Die Rezidivrate bespezifischem Kreuzschmerz. läuft sich auf 20–73 % innerhalb Während man beim unspezieines Jahres und erreicht bis zu fischen Kreuzschmerz keine 85 %, bezogen auf die Lebensfassbare anatomische oder spanne. pathophysiologische Ursache festmachen kann, sind Mit dem Terminus Kreuzschmerz Schmerzgeneratoren beim meint man den unteren Rückenspezifischen Kreuzschmerz schmerz, der dem angloameriGASTAUTORIN: Univ.-Prof.in Dr.in identifiziert und bieten dakanischen „low back pain“ entPetra Krepler durch auch einen Ansatz zur spricht. Dieser wird unterhalb Leitung Wirbelsäulenzentrum, Abt. für Therapie, welche gezielt die des Rippenbogens und oberhalb Wirbelsäulenchirurgie/ auslösende Ursache adresder Gesäßfalte mit oder ohne Konservative Orthopädie, Orthopädisches siert. Zur Abgrenzung des Ausstrahlung lokalisiert, unabSpital Speising unspezifischen vom spezifihängig von der Ursache. schen Kreuzschmerz dienen die sogenannten Red Flags. Sie sollen Klassifikation bei der Diagnosestellung im weiteren Krankheitsverlauf wiederkehrend abDie Klassifikation der Kreuzschmerzen gefragt werden, um die Diagnose zu kann nach Ursache, Dauer, Schweregrad bestätigen. und Chronifizierungsstadium erfolgen.

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Das biopsychosoziale Krankheitsmodell Diesem Modell zufolge wirken neben den somatischen Faktoren auch psychische und soziale Faktoren zusammen und tragen relevant zur Entstehung und Persistenz des Schmerzes bei. Der Anteil der unterschiedlichen Parameter kann stark variieren. Es liegt beim Behandler, die Gewichtung der Faktoren zu detektieren und bei der AbkläBIOPSYCHOSOZIALES MODELL

Biologie / Körperliches Schmerz Psychologie / Verhalten

Soziales

Hausärzt:in DFP rung und der Erstellung der Therapie zu berücksichtigen (siehe Abbildung).

Einteilung nach dem zeitlichen Verlauf Nach dem zeitlichen Verlauf erfolgt die Einteilung in den: • akuten (Schmerzdauer zwischen einer und vier Wochen), • subakuten (Schmerzdauer zwischen vier und zwölf Wochen) und • chronischen Kreuzschmerz (Schmerzdauer länger als zwölf Wochen oder episodisch innerhalb von sechs Monaten).

Von akuten rezidivierenden Kreuzschmerzen wird gesprochen, wenn eine neue Schmerzepisode nach sechs Monaten Symptomfreiheit vorkommt, von chronisch rezidivierenden, wenn eine neue Episode innerhalb eines Jahres wiederauftritt.

Unspezifischer Kreuzschmerz Es handelt sich hierbei um eine Schmerzsituation, bei der kein auslösendes anatomisches oder pathophysiologisches Korrelat zu finden ist. Der unspezifische Kreuzschmerz stellt ein großes sozioökonomisches Problemfeld dar, die Lebenszeitprävalenz beträgt hier zwischen 60 und 85 % in den Industriestaaten.

Red Flags: Wirbelsäulenbezogene Ursachen: • Infektion, • Tumor, • Fraktur (im Bereich der Wirbelsäule), • Degeneration, Instabilität, • neurogene Ursachen (Radikulopathie, Neuropathie, Myelopathie), • chronisch entzündliche Erkrankungen.

Extravertebrogene Ursachen: viszerale, vaskuläre, urologische, gynäkologische, psychiatrische und psychosomatische.

Der akute unspezifische Kreuzschmerz Von akutem unspezifischem Kreuzschmerz spricht man bei einer Schmerzdauer von bis zu vier Wochen bei einem Schmerz ohne pathomorphologisches Korrelat. Die Diagnose „akuter unspezifischer Kreuzschmerz“ kann erst gestellt werden, wenn extravertebra-

gene Ursachen ausgeschlossen und keine Hinweise auf spezifische Kreuzschmerzen vorhanden sind. Ebenso sollen Hinweise auf Chronifizierungstendenzen durch Ausschluss der Yellow Flags, Blue Flags und Black Flags abgefragt werden. Der akute unspezifische Kreuzschmerz erfordert keine radiologische Abklärung, wenn kein Verdacht auf eine spezifische Ursache des Schmerzes besteht!

Aufgrund der unspezifischen Genese kann die Behandlung nur symptomatisch erfolgen. Hierfür stehen pharmakologische und nichtpharmakologische Therapiemodalitäten zur Verfügung.

Weiters gelten folgende Grundprinzipien: • Die Aktivität soll beibehalten werden, Schonung oder Bettruhe trägt nicht zur Heilung bei.

• Pharmakologische und nichtpharmakologische Maßnahmen unterstützen die Aufrechterhaltung der Aktivität.

• Die Vermittlung des Wertes gesundheitsfördernder Maßnahmen, auch im Sinn von sekundärer und tertiärer Prävention.

Der chronische unspezifische Kreuzschmerz Es existieren mehrere Faktoren für Inzidenz und Chronifizierung von Kreuzschmerzen, die multifaktoriell zusammenspielen können.

Psychosoziale Faktoren (Yellow Flags): • Depressivität • Disstress (negativer Stress, vor allem berufs-/arbeitsplatzbezogen) • Schmerzbezogene Kognitionen: • z. B. Katastrophisieren, Hilf-/Hoffnungsosigkeit, Angst-VermeidungsÜberzeugungen (Fear-AvoidanceBeliefs), Gedankenunterdrückung (Thought Suppression) • Passives Schmerzverhalten: z. B. ausgeprägtes Schon- bzw. AngstVermeidungs-Verhalten • Überaktives Schmerzverhalten: beharrliche Arbeitsamkeit (Task Persistence), • Suppressives Schmerzverhalten • Neigung zur Somatisierung Viele Studien konnten mit einem hohen Evidenzlevel zeigen, dass diese psychosozialen Faktoren einen Risikofaktor

für die Chronifizierung von Schmerzen darstellen. Es geht darum, sie frühzeitig zu identifizieren, um einer Chronifizierung gegensteuern zu können.

Arbeitsplatzbezogene Faktoren: • Blue Flags: subjektiv empfundene Belastungen – psychosozialer oder physischer Art. • Black Flags: objektivierbare soziale oder physische Faktoren am Arbeitsplatz.

Sonstige Faktoren: • Lebensstil: z. B. Rauchen, Übergewicht, Alkohol, geringe körperliche Aktivität.

• Iatrogene Beeinflussung: z. B. frühzeitige oder übertriebene Diagnostik, eine zu hohe Bewertung der Symptome oder der radiologischen Befunde, mangelhafte Berücksichtigung der multikausalen Genese.

Therapieempfehlungen Akuter unspezifischer Kreuzschmerz Empfohlen: • Beibehaltung von Aktivität • Bewegungstherapie • Wärmetherapie • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) Neutral: • Akupunktur: in Kombination mit Aktivierung, geringe Anzahl • Progressive Muskelrelaxation (PMR): bei Chronifizierungstendenz • Manuelle Medizin • Heilmassage Nicht empfohlen: • Bettruhe • Ergotherapie • Kinesio-Taping • Magnetfeld • Perkutane elektrische Nervenstimulation (PENS) • Kältetherapie • Traktion

Chronischer unspezifischer Kreuzschmerz Auch beim chronischen Kreuzschmerz ist die Beibehaltung der Aktivität von großer Wichtigkeit. Auch hier muss regelmäßig das Fehlen von Hinweisen für eine spezifische Genese der Schmerzen überprüft werden. Für die Therapie sind die Behandlung durch ein multiprofessionelles

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Hausärzt:in DFP Team und die Einleitung eines multimodalen Therapiekonzepts entscheidend.

Empfohlen: • Bewegungstherapie • Progressive Muskelrelaxation (PMR) • Verhaltenstherapie im Rahmen eines multimodalen Konzepts • Kombinierte physikalische Anwendungen im Rahmen eines multimodalen Konzepts • Interferenzstromtherapie • Lasertherapie zur Triggerpunktbehandlung • Heilmassage in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) • Medizinische Trainingstherapie Neutral: • Akupunktur • Ergotherapie im Rahmen eines multimodalen Konzepts • Manuelle Medizin • Kurzwellendiathermie • Rückenschule • Ultraschall – therapeutisch • Komplexe Balneotherapie • Yoga • Tai-Chi Nicht empfohlen: • Bettruhe • Harte Matratzen • Kinesio-Taping • Magnetfeld • Perkutane elektrische Nervenstimulation (PENS) • Traktion

Medikamentöse Therapie Prinzipiell soll bei unspezifischem Kreuzschmerz die Medikation nur unterstützenden Charakter haben. Sie soll in der geringstmöglichen Dosierung zur effektiven Schmerztherapie und unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Patienten in Bezug auf Begleitmorbiditäten und Begleitmedikation und unter laufender Kontrolle erfolgen.

Nicht-Opioid-Analgetika: Die schmerzund funktionsverbessernde Wirkung von nichtsteroidalen Antirheumatika/Antiphlogistika (NSAR) ist sowohl bei akutem als auch bei chronischem unspezifischem Kreuzschmerz belegt.

COX-2-Hemmer können bei einer Kontraindikation bezüglich der Gabe von NSAR unter individueller Abwä-

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gung verschrieben werden. Gleiches gilt für Metamizol.

Opioide: Opioide können bei Nichtansprechen oder bei Kontraindikation betreffend Nicht-Opioid-Analgetika nach strenger Abwägung und unter laufender Kontrolle verabreicht werden.

Muskelrelaxanzien: Zentrale Muskelrelaxanzien haben laut Literatur das Potential, sowohl den akuten als auch den chronischen unspezifischen Kreuzschmerz zu bessern, wenn sie kurzfristig und koanalgetisch (für bis zu zwei Wochen) angewandt werden.

Antidepressiva: Während es für die Behandlung des akuten unspezifischen Kreuzschmerzes keine Evidenz gibt, können beim chronischen Schmerz vor allem bei Vorliegen einer komorbiden Depression Antidepressiva koanalgetisch bessernd wirken.

Antiepileptika: Antiepileptika werden nicht für die Behandlung des unspezifischen Kreuzschmerzes empfohlen.

Prognose unspezifischer Kreuzschmerz Wissenschaftliche Arbeiten betonen die prognostische Bedeutung psychosozialer arbeitsbezogener Faktoren für den beruflichen Wiedereingliederungserfolg.

Relevante Faktoren für die erfolgreiche Reintegration am Arbeitsplatz sind: • soziale Unterstützung (Kollegen, Vorgesetzte), • Entscheidungsspielraum, • psychosoziale Arbeitsanforderungen und subjektive Erwerbsprognose (die durch gezielte Maßnahmen beeinflussbar sind).

Der spezifische Kreuzschmerz Im Gegensatz zum unspezifischen Kreuzschmerz lässt sich beim spezifischen die Schmerzursache mit den uns heute zur Verfügung stehenden Mitteln nachweisen.

Die größte Gruppe beinhaltet die degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule.

Es werden beispielhaft einige Krankheitsbilder angeführt: • Lumbales Facettensyndrom/Spondylarthrose • Osteochondrose/diskogenes Lumbalsyndrom • Morbus Baastrup („Kissing spine disease”)

• • • •

Spinalkanalstenose Wirbelgleiten/Olisthese Infektionen der Wirbelsäule Tumoren der Wirbelsäule – primäre und sekundäre Die Diagnosestellung und Therapie erfolgt bei diesen Krankheitsbildern nach den jeweils gültigen Richtlinien. Die detaillierte Schilderung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Zusammenfassung und Ausblick Verbesserungen in der Ursachen-Erforschung und moderne Therapiemodalitäten eröffnen neue Wege in der Diagnosestellung, Abklärung und bei evidenzbasierten therapeutischen Optionen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Generationen besseres Handwerkzeug zur Beherrschung des Kreuzschmerzes zur Verfügung haben werden. Vielversprechend wäre der Einsatz regenerativer Therapien vor allem im Bereich der Bandscheibe.

Da die Ursachen für den Kreuzschmerz eine große Variabilität aufweisen – ebenso wie die Faktoren, die den Schmerz unterstützen oder triggern können –, bleiben die Diagnostik und Therapie sowie die primäre, sekundäre und tertiäre Prävention eine Herausforderung. Die Betrachtung kann nicht einfach simplifiziert werden und erfordert den Überblick über alle bestehenden Teilbereiche. < Literatur bei der Verfasserin.

DFP-Pflichtinformation Fortbildungsanbieter: Orthopädisches Spital Speising Lecture Board: Univ.-Prof.in Dr.in Catharina Chiari, MSc Stv. Leiterin Klinische Abt. für Orthopädie, Univ.-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, MedUni Wien Dr.in Johanna Holzhaider 2. Vizepräsidentin der OBGAM Gruppenpraxis Sandl, Oberösterreich

Hausärzt:in DFP

Hausärzt:in DFP – Das Wichtigste in Kürze Bei Erwachsenen beträgt die Punktprävalenz des Kreuzschmerzes 12–30 % und die Lebenszeitprävalenz 60–85 %.

Die Klassifikation der Kreuzschmerzen kann nach Ursache, Dauer, Schweregrad und Chronifizierungsstadium erfolgen.

Zur Abgrenzung des unspezifischen vom spezifischen Kreuzschmerz dienen die sogenannten Red Flags. Sie sollen bei der Diagnosestellung im weiteren Krankheitsverlauf wiederkehrend abgefragt werden, um die Diagnose zu bestätigen.

Beim spezifischen Kreuzschmerz lässt sich die Schmerzursache mit den uns heute zur Verfügung stehenden Mitteln nachweisen.

Der akute unspezifische Kreuzschmerz erfordert keine radiologische Abklärung, wenn kein Verdacht auf eine

spezifische Ursache des Schmerzes besteht.

Von akuten rezidivierenden Kreuzschmerzen wird gesprochen, wenn eine neue Schmerzepisode nach sechs Monaten Symptomfreiheit vorkommt, von chronisch rezidivierenden, wenn eine neue Episode innerhalb eines Jahres wiederauftritt.

Da die Ursachen für den Kreuzschmerz eine große Variabilität aufweisen – ebenso wie die Faktoren, die den Schmerz unterstützen oder triggern können –, bleiben die Diagnostik und Therapie sowie die primäre sekundäre und tertiäre Prävention eine Herausforderung.

DFP-Literaturstudium HAUSÄRZT:IN

L I T E R AT U R

So machen Sie mit: Entsprechend den Richtlinien der ÖÄK finden Sie im Anschluss an den Fortbildungsartikel Multiple-Choice-Fragen.

Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn Sie von den vorgegebenen Antworten alle richtigen angekreuzt haben. Für eine positive Bewertung ist erforderlich, dass Sie 2 der 3 Fragen richtig beantworten. In diesem Fall wird 1 DFP-Fachpunkt angerechnet.

Online lesen und beantworten: Dieser Fortbildungsartikel inkl. Test steht online auf meindfp.at noch 2 Jahre zur Verfügung. Wenn Sie dieses elektronische Angebot nutzen, erhalten Sie auch die Teilnahmebestätigung elektronisch.

Per E-Mail oder Post: Schicken Sie den beantworteten Fragebogen bitte per Mail als Scan-Dokument an office@gesund.at oder per Post an Redaktion HAUSÄRZT:IN/RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien. Einsendeschluss: 31. Dezember 2022.

DFP-Fragen zu „Praxiswissen: Kreuzschmerz“

Sie haben ein Fortbildungskonto?

Die Anzahl der richtigen Antworten ist nach jeder Frage in Klammern ange­geben.

1

Wie viel Prozent beträgt die Lebenszeitprävalenz des Kreuzschmerzes? (1 richtige Antwort)

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12–30 %.

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2

NEIN – ich möchte meine Teilnahmebestätigung

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per Post erhalten per E-Mail erhalten

> 1 Woche. > 4 Wochen. > 12 Wochen.

Bitte gut leserlich ausfüllen und E-Mail-Adresse angeben:

> 26 Wochen.

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Welches Symptom gehört NICHT zu den Yellow Flags (psychosoziale Faktoren als Hinweis auf Chronifizierungstendenz)?

(1 richtige Antwort)

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Katastrophisieren.

Passives Schmerzverhalten.

Disstress.

Fraktur (im Bereich der Wirbelsäule).

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Hausärzt:in medizinisch

Prävention rechnet sich!

© Donau-Universität Krems/Reischer

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Vorsorgeprogramme haben sich bei Profis bewährt und sind ebenso im Breitensport notwendig

Stabilisierungskollaps verursacht. „Bei Egal ob an einem Nachmittag im FußFußballspielerinnen und Fußballspieballstadion … oder in einer Sportlern der FIFA11+ hat sich gezeigt, dass halle bei einem Volleyballturnier: das Verletzlichkeitsrisiko dank Sportverletzungen passieren eines Präventionsprogramms schnell. Oft knickt bei einer um zirka 30 Prozent gesenkt unkontrollierten Handlung werden kann, bei Knieverletwie dem Landen nach einem zungen sogar um 48 Prozent“, Sprung das Bein weg. „Meist hebt Prof. Nehrer hervor. ist eine Kaskade der Insta„Prävention funktioniert also. bilität des Beckens und der Das gilt auch für andere Ballunteren Extremitäten dasportarten. Implementationsfür verantwortlich“, erklärt EXPERTE: strategien sind gefragt, auch Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc im Breitensport.“ MSc, Dekan der Fakultät Dekan der Fakultät Wichtig sei, dass schon im für Gesundheit und Medizin für Gesundheit und Medizin an der Donau Kindesalter Bewegungsabläuan der Donau Universität Universität Krems fe spielerisch erlernt werden, Krems.* „Eine verbesseretwa die richtige und falsche Haltung te Koordination könnte viele solcher bei der Sprunglandung, und dass auf Sportunfälle verhindern.“ Stabilitätsübungen und auf die KräftiBeim Fußball kommen Knieverletgung der Gelenke gesetzt wird. Sportzungen am häufigsten vor. Die vordere mediziner fordern seit Jahrzehnten die Kreuzbandruptur (VKB) wird meist „tägliche Turnstunde“. durch den bereits erwähnten medialen

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Langzeitfolgen wie Osteoarthrose „Generell passieren Sportverletzungen bei Mädchen im Fußball und beim Skifahren häufiger“, fügt Prof. Nehrer einen weiteren interessanten Aspekt hinzu. „Während sie bei ganz kleinen Kindern noch selten vorkommen, werden sie bei Adoleszenten fast zur Epidemie.“ Die Ausfälle – z. B. nach einem Kreuzbandriss – dauerten meist lange: ein Jahr und mehr. Wer einmal verletzt gewesen sei, verletze sich schneller wieder. Nicht zu vernachlässigen seien auch die Langzeitfolgen. Studien zeigen: Intensive sportliche Aktivität und entsprechende Verletzungen führen zu signifikant höheren Arthroseraten. Eine hohe Inzidenz von Kniearthrosen gibt es daher im HighImpact-Sport (z. B. im Fußball). Multiple Verletzungen ziehen eine hochgradige Osteoarthrose nach sich. Ein Kniegelenkersatz kann notwendig werden. „Das

Hausärzt:in medizinisch Risiko ist fünf- bis zwölfmal höher als das der Normalbevölkerung“, gibt der Sportmediziner zu bedenken. „Die Arthrose IM ÜBERBLICK Modifizierbare Risikofaktoren sind: Biomechanische Faktoren Dynamischer Valgus Geringe Knie- und Hüftflexion bei Landung Verminderte Hüft- und Rumpfkontrolle Neuromuskuläre Faktoren Relative Schwäche der Knieflexoren und Hüftabduktoren im Vergleich zu den Knieextensoren Verzögerte Aktivierung der Flexoren Defizite der Propriozeption Muskelermüdung Mangelhafte generelle Fitness Nichtmodifizierbare Faktoren sind: Frauen Alter unter 20 Hormonstatus (präovulatorische Phase) Risikosportarten: Fußball, Handball, Basketball, alpines Skifahren Narrow intercondylar notch Generalisierte Ligamentlaxizität Pes pronatus valgus Vorbestehende muskuloskelettale Verletzungen Wetter, Bodenbeschaffenheit (z. B. Kunstrasen) Infektionskrankheiten Quelle: Mehl J et al., ArchOrthopTrauma Surg. 2018;138(1):51-61.

beginnt fünf bis zehn Jahre früher, wie etwa bei angeborenen Fehlstellungen.“ Das gelte auch für die Schulter, z. B. beim Handball. 93 Prozent der Sportlerinnen und Sportler hätten strukturelle Veränderungen. Es gebe aber auch für diesen Bereich komplexe Strategien (Technik, Training …), um Gelenkschäden zu vermeiden. Sie sollten verstärkt implementiert werden.

Platz eins nehmen in Österreich übrigens Skiverletzungen ein. Zirka 60.000 werden pro Jahr gezählt. 88 Prozent passieren im Freizeitsport. Am häufigsten kommt es auch hier zu Kreuzbandverletzungen und zu Meniskusrissen.

Präventionsstrategien sind kosteneffektiv „Sport bleibt trotzdem gesund“, unterstreicht Prof. Nehrer. „Doch 40 bis 50 Prozent der durch körperliche Aktivität erzielten Gesundheitsbenefits gehen aufgrund von Sportverletzungen verloren.“ Der Sportmediziner kennt interessante Zahlen: In der EU erfasst man 300 Millionen Sportverletzungen pro Jahr. Sie verursachen Kosten von 78 Milliarden Euro. Das sind 7,8 Prozent des EU-Gesundheitsbudgets (ohne Langzeitkosten).

Durch zweieinhalb Stunden moderater Bewegungs-Aktivität pro Woche ist eine eine Sterberisikoreduktion (Mortalität) von zehn Prozent möglich, bei fünf Stunden pro Woche eine um 20 Prozent, bei acht Stunden intensiven Sports (Laufen) pro Woche sogar eine von über 40 Prozent. „Das bezieht sich auf regelmäßige Bewegung“, macht der Experte aufmerksam. „Präventionsstrategien sind kosteneffek-

tiv. Sie reduzieren Verletzungshäufigkeiten und sozioökonomische Folgekosten, verhindern Frustration und psychosoziale Folgen.“ Die beste Evidenz gebe es im Fußball, für Sprunggelenk-, Knie- und Muskelverletzungen. „Ärzte und Physiotherapeuten sind heute effektiver als früher, was die Identifizierung von bzw. die Intervention bei Verletzungen und deren Ursachen betrifft, und haben die Muskel- und Kreuzbandverletzungen im Profifußball reduziert“, resümiert Prof.

Nehrer. Eine Verpflichtung zur Sorgsamkeit bestehe auch bei Amateuren und im Freizeitsport, vor allem bei Jugendlichen. „Prävention funktioniert und rechnet sich!“ Mag.a Karin Martin * Der Experte war Vortragender bei den 7. Praevenire Gesundheitstagen 2022 von 18. bis 20. Mai in Seitenstetten. Er ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention.

Studien beim Experten.

TERMIN „KÄRNTNER ÄRZTESYMPOSIUM – Sportmedizin und Prävention“ inkl. Grundkurs Sportarztdiplom LIP III Präsenzkongress von 21. bis 24. Juli 2022 Hotel „Die Post“, Bad Kleinkirchheim Veranstalter: Österreichische Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (ÖGSMP) und Gesellschaft für konservative Sportmedizin.

Approbation für das ÖÄK-Diplom Sportmedizin und DFP „in progress“.

Infos & Kontakt: sportmedzin@aon.at, sportärztetage.at.

Hausärzt:in medizinisch

„Zahlreiche Medikamente wirken verstärkt unter hyperbaren Bedingungen“

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Sicher unter Wasser: Tauchunfälle durch die richtige Vorbereitung vermeiden

HAUSÄRZT:IN: Expertinnen und Experten schätzen die Dunkelziffer von Tauchunfällen besonders hoch ein. Welche Verletzungen und/oder Erkrankungen resultieren typischerweise aus diesen?

Prof. SCHRÖCKENFUCHS: Die häufigste Problematik ist das Barotrauma der Ohren. Ohne Druckausgleich zu den Ohren ist das Tauchen nicht möglich. Fast jede Taucherin, jeder Taucher hat das schon persönlich erlebt. Manche haben immer wieder ein leichtes Barotrauma, ohne dass es ihnen bewusst ist.

Funktioniert der Druckausgleich nicht, entsteht beim Abtauchen durch den Unterdruck im Mittelohr ein blutiger Paukenerguss. Nach dem Tauchgang verspürt der Betroffene Flüssigkeit im Ohr, die nicht abrinnt und das Gehör etwas dämpft. Im Extremfall können

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Trommelfell und Innenohr durch das Barotrauma geschädigt werden.

Wie kann dem vorgebeugt werden?

Gewissenhafte Taucher lassen regelmäßig eine Tauchtauglichkeitsuntersuchung durchführen. Wesentlich sind zudem ein gutes Briefing vor dem Tauchen und der „Buddy-Check“ (Anm.: gegenseitige und systematische Kontrolle der Ausrüstung).

Können Sie Beispiele für häufige „Unglücksursachen“ nennen?

Um sicher zu tauchen, sind drei Punkte zu beachten: erstens eine adäquate und gut gewartete Ausrüstung. Man beatWer darf in Österreich die Tauchtaugmet sich in hyperbarer Umgebung und lichkeitsuntersuchung durchführen? auf die Ausrüstung muss hundertproDie Tauchtauglichkeitsuntersuchung ist zentiger Verlass sein können. Zweitens eine Risikoberatung. Es geht ist eine gute Tauchausbildung nicht darum, eine Krankheit zu notwendig – sollte der letzte finden, sondern der GesundTauchgang länger zurücklieheitszustand und die psychische gen, ist eine Trainingseinheit Eignung für den Tauchsport sehr zu empfehlen. Drittens werden besprochen. Grundmuss eine ärztlich bestätigte sätzlich kann jede Ärztin, jeder aktuelle Tauchtauglichkeit Arzt eine Tauchtauglichkeit bevorliegen. scheinigen. Das sollte aber kein Bei Tauchunfällen kommt es EXPERTE: Gefälligkeitsgutachten sein. meist zu einer unglücklichen Prof. Dr. Michael Schröckenfuchs Was vielen Kollegen auch nicht Verkettung von Fehlern oder HNO-Facharzt in bewusst ist: Als Arzt haftet man Ereignissen. Zum Beispiel: Brunn am Gebirge, Vorstandsmitglied der für sein Gutachten. Die tauchDer Inflator ist nicht angeÖGUHM medizinischen Gesellschaften steckt, man sinkt ab und der ÖGTH und ÖGUHM (siehe Infobox) Druckausgleich gelingt nicht ... Man bieten eine Taucharztausbildung an, bei springt vom Boot, hat die Tauchflader alle für den Tauchsport relevanten Asschen nicht aufgedreht und verliert pekte genau erklärt werden. So kann man seinen Buddy ... Man bekommt keine als Arzt seinen Patienten fundiert eine Luft und hält den Atem beim AuftauTauglichkeit bestätigen oder ihnen vom chen an, was ein Barotrauma der Lunge Tauchsport abraten. verursacht ...

© HNO Brunn

Besonders in den Sommermonaten erfreut sich der Tauchsport großer Beliebtheit. Vor dem „Abtauchen“ müssen jedoch Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Im Gespräch mit der Hausärzt:in erklärt Prof. Dr. Michael Schröckenfuchs, HNO-Facharzt und Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Tauchmedizin der Österreichischen HNO-Gesellschaft, was es zu beachten gilt.

Was ist bei Kindern oder älteren Personen besonders?

Kindertauchen sollte erst ab dem zwölften Lebensjahr erfolgen und es darf nur ein Tauchgang pro Tag durchgeführt werden. CAVE: Kinder, die nur wegen der Eltern tauchen, haben gehäuft Tauchunfälle.

Bei älteren Tauchern sollte beachtet werden, dass viele von ihnen regelmäßig Tabletten einnehmen und oft chronische Erkrankungen haben. Zahlreiche Medikamente wirken verstärkt unter hyperbaren Bedingungen. Speziell zentral wirksame Arzneimittel können beim Tauchen Probleme verursachen.

Was ist beim „normalen“ Schnorcheltauchen zu beachten?

Ob die Trommelfelle in Ordnung sind, muss abgeklärt sein.

Befindet sich nämlich ein Loch im Trommelfell, darf kein Wasser in das betroffene Ohr gelangen. Sind Anfallsleiden, Herzrhythmusstörungen oder Ähnliches bekannt, sollte der Patient nur unter Aufsicht im seichten Wasser schnorcheln oder schwimmen.

Welche Rolle spielen Hausärztinnen und Hausärzte bei der Betreuung von Personen, die Probleme mit bzw. nach dem Tauchen haben?

Grundsätzlich ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle bei leichteren Tauchunfällen. Im Falle eines schweren Tauchunfalls wird der Patient über die Rettungskette in ein geeignetes Spital gebracht. Bei allen neurologischen Symptomen nach dem Tauchen sollte man möglichst sofort Sauerstoff geben und einen tauchmedizinisch versierten Arzt kontaktieren. Der Tauchcomputer muss gesichert werden und auf folgende Frage sollte man nicht vergessen: Wie geht es dem Buddy?

Für Tauchunfälle gibt es kein verpflichtendes Meldesystem. Jedoch bietet die ÖGUHM auf ihrer Homepage ein anonymes Melderegister und eine anonymisierte Beurteilung von Tauchunfällen an.

Das Interview führte Anna Schuster, BSc.

INFO Tauchmedizinische Gesellschaften in Österreich Österreichische Gesellschaft für Tauch- und Hyperbarmedizin (ÖGTH): oegth.at Österreichische Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin (ÖGUHM): oeguhm.at Tauchunfall-Melderegister: oeguhm.at/tauchunfallbericht-einsenden.html Die ÖGUHM sowie die Arbeitsgruppe „Tauchmedizin“ der Österreichischen HNO-Gesellschaft haben im Februar 2022 den ersten OnlineTauchkongress „SAFE DIVING 2022“ veranstaltet. HNOund Tauchspezialist:innen, unter anderem Initiator Prof. Schröckenfuchs, hielten für Mediziner:innen und Tauchsportler:innen praxisrelevante Vorträge – z. B. über die Tauchtauglichkeit, das Höhlentauchen sowie Probleme mit dem Druckausgleich.

Hausärzt:in medizinisch

Trotzdem aufrecht bleiben

Aufgrund seiner unspezifischen Symptomatik bleibt Morbus Bechterew besonders in seiner frühen Form lange unerkannt Röntgen erst nach mehreren Jahren nachweisen. „Wenn das Röntgenbild trotz entzündlichen Kreuzschmerzes unauffällig ist, dann sollte eine MRT Spondyloarthritiden (SpA) sind eine der Iliosakralgelenke gemacht werden“, Gruppe entzündlich-rheumatischer Erbetont Doz. Leeb und spricht in diesem krankungen, die neben der Wirbelsäule Kontext von einer nichtradiografischen auch die Gelenke betreffen. Bei der axiaxialen Spondylarthropathie: „Mit der alen Spondyloarthritis (axSpA), zu der Magnetresonanztomographie können auch der Morbus Bechterew gehört, ist aktive entzündliche Läsionen der Sakrohauptsächlich das Achsenskelett (Wiriliakalgelenke durch Nachweis eines belsäule, Iliosakralgelenke) betroffen.

Knochenmarködems festgestellt wer„Der entzündliche Kreuzschmerz tritt den.“ Eine MRT der Lendenwirbelsäule vor allem in der Nacht respektive in ist dem Rheumatologen zufolge hingeden frühen Morgenstunden auf“, nennt gen wenig aussagekräftig. In der FrühPriv.-Doz. Dr. Burkhard Leeb, Facharzt phase zeigten sich in diesem Bereich für Innere Medizin und Rheumatologe, kaum Auffälligkeiten. das Kardinalsymptom: „Typischerweise Allen Spondyloarthritiden ist ein Zusambessert sich der Schmerz in Bewegung.“ menhang mit dem Humanen LeukozyDie Frage, ob die betroffene Person das tenantigen HLA-B27 gemein – einer VaBedürfnis hat, sich zu bewegen oder aber riante des Proteinkomplexes HLA-B, der sich hinzulegen, ist dem Mediziner zufolzur Gruppe der MHC-I-Moleküle (Major ge diagnostisch wegweisend.

Histocompatibility-Complex I) gehört Nicht immer äußert sich eine axSpA und über die Präsentation von Antigenen primär durch Rückenschmerzen. Auch an den Zelloberflächen wichtiextraartikuläre oder extraskege Funktionen des Immunsyslettale Begleiterkrankungen tems reguliert. HLA-B27 ist bei (z. B. Morbus Crohn/Colitis 90 % der Patientinnen und Paulcerosa, Psoriasis, Enthesitis tienten mit Morbus Bechterew etc.) können auf eine solche vorhanden, allerdings auch bei hinweisen – auch als Erstbis zu 10 % der Allgemeinbemanifestation. Auffallend ist, völkerung – abhängig von der dass Morbus Bechterew vor ethnischen Zugehörigkeit. Die allem in jungen Jahren auftritt EXPERTE: Bestimmung von HLA-B27 sound somit Menschen in ihrer Priv.-Doz. Dr. Burkhard Leeb wie die quantitative Messung produktivsten Lebenszeit beFacharzt für Innere von Akute-Phase-Proteinen einträchtigt. Erste SymptoMedizin und Rheumatologe, Hollabrunn wie dem C-reaktiven Protein me zeigen sich meist um das können demnach hilfreich sein, 25. Lebensjahr, das erstmalige machen aber nicht die Diagnose aus.

Auftreten von Beschwerden nach dem Etwa die Hälfte der Menschen mit axi45. Lebensjahr ist tendenziell selten. aler SpA weist erhöhte Spiegel der Entzündungsparameter auf.

MRT – Bildgebung der Wahl Zu beachten ist, dass Einzelvariablen nur eingeschränkt verwendet werden Die Diagnose des Morbus Bechterew können: Exemplarisch sei ein positiver wird durch die Kombination von kliniHLA-B27-Befund genannt, der die Diaschen Parametern, Laborparametern gnose AS keinesfalls sichert. Erst die und Röntgen sowie MRT gestellt. Bei Kombination von mehreren Variab50–70 % der symptomatischen Patientinlen erhöht die prädiktive Aussagekraft. nen und Patienten lassen sich entzündliUm die klinischen Kriterien zu erfüllen, che Veränderungen im konventionellen

Bei Morbus Bechterew – synonym: Ankylosierende Spondylitis (AS) – vergehen ab dem Beginn der Beschwerden bis zur Diagnose im Durchschnitt fünf bis zehn Jahre. In der hausärztlichen Praxis besteht die Herausforderung darin, aus der großen Anzahl von Menschen mit chronischen Rückenschmerzen diejenigen mit Morbus Bechterew herauszufiltern. Nur bei fünf bis zehn Prozent dieser Schmerzpatientinnen und -patienten liegt tatsächlich eine AS zugrunde. Die durch autoimmunologische Prozesse verursachte Entzündung von Knochen, Knorpeln und Sehnenansätzen führt im Laufe der Zeit zu strukturellen Schäden an der Wirbelsäule.

Ein rascher Therapiebeginn wirkt dem entgegen – es gilt, die Progression der Wirbelsäulenversteifung mit Deformation und konsekutiv vornübergebeugter Haltung aufzuhalten.

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© Burkhard Leeb, privat

© unsplash.com/Otto Norin

Junger Mensch mit entzündlichem Rückenschmerz

Hausärzt:in medizinisch müssen Betroffene HLA-B27 plus mindestens zwei separate SpondyloarthritisMerkmale aufweisen.

Baseline-Therapie: Physiotherapie und NSAR Das optimale Therapiemanagement der AS erfordert eine Kombination von nichtpharmakologischen und pharmakologischen Behandlungen. Bei dahingehenden Überlegungen muss berücksichtigt werden, ob der Morbus Bechterew auf das KLASSIFIKATION DER SPONDYLOARTHRITIDEN Unterschieden wird zwischen: ankylosierender Spondylitis (Morbus Bechterew) Psoriasisarthritis reaktiven Arthritiden Arthritiden bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen undifferenzierter Spondylarthropathie

Achsenskelett beschränkt ist oder auch die peripheren Gelenke betrifft – darüber hinaus, ob die Erkrankung Organbeteiligungen wie Darmentzündungen, urogenitale oder kardiovaskuläre Komplikationen inkludiert. Die Grundlage der Therapiestrategie bilden laut Doz. Leeb gezielte Wirbelsäulengymnastik, Balneotherapie sowie intraartikuläre Depotkortikosteroide, wenn ein oder zwei periphere Gelenke eine hohe entzündliche Aktivität aufweisen und physiotherapeutische Maßnahmen dadurch behindert werden. Der Facharzt unterstreicht den Stellenwert von Bewegung für die „Erhaltung der Wirbelsäulenbeweglichkeit bzw. für die Vermeidung einer Wirbelsäulenversteifung.“ Ein weiterer Eckpfeiler für die Therapie des Morbus Bechterew sind NSAR: „Nichtsteroidale Antirheumatika sollten als Mittel erster Wahl eingesetzt werden“, so der Rheumatologe: „Sie sind bei regelmäßiger Kontrolle auch längerfristig indiziert, wenn die Patientin bzw. der Patient gut darauf anspricht.“ Die tägliche nichtsteroidale AntiphlogistikumDosis ist so niedrig wie möglich zu halten,

in aktiven Krankheitsphasen können jedoch Höchstdosen erforderlich sein. Bei Patientinnen und Patienten, die unter der Standardtherapie mit NSAR keine ausreichende Reduktion der entzündlichen Krankheitsaktivität erreichen, stellen Biologika und auch Jakinibe eine Behandlungsoption dar. Wesentliche Mediatoren der Immun- und Entzündungsreaktionen bei AS sind Zytokine wie Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) und Interleukin-17 (IL-17). Biologika unterdrücken die Entzündung an den Wirbelkörpern sowie im Bereich der Iliosakralgelenke und zeigen eine rasche und anhaltende Wirksamkeit.

Zur Überwachung der Krankheitsaktivität ist ein regelmäßiges Monitoring sinnvoll. Doz. Leeb empfiehlt hier „Kontrollintervalle zwischen drei und sechs Monaten, sofern der Betroffene keine Beschwerden hat, die kürzere Abstände notwendig machen.“ Mag.a Sylvia Neubauer Quelle: Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen, AWMF-Leitlinien Register-Nummer: 060/003, Entwicklungsstufe: S3-Version: 2019.

Hausärzt:in medizinisch

Krankheit mit 1.000 Gesichtern

Für die einzelnen Verlaufsformen der Multiplen Sklerose steht heute eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung. Laufend kommen neue hinzu – ein Update schlossen und vom peripheren Immunsystem weitgehend getrennt. Deswegen ist letztere Form der Erkrankung vielen Medikamenten schwer zugänglich.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) und wird durch eine Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst. Durch die initiierten entzündlichen Prozesse kommt es zu einer Schädigung von Nervenfasern.

Daraus resultieren – je nach Lokalisation – unterschiedliche neurologische Ausfälle.

Die Erkrankung verläuft in den meisten Fällen in Schüben („schubförmige MS“).

In seltenen Fällen kann sie schon ab ihrem Beginn schleichend verlaufen („primär progrediente MS“) bzw. von einem über viele Jahre schubförmigen Verlauf in einen sich schleichend verschlechternden Prozess übergehen („sekundär progrediente MS“).

Diese Unterscheidung ist für den Einsatz der unterschiedlichen verlaufsmodifizierenden Medikamente wichtig.

Drei Therapieansätze Die Behandlung der Multiplen Sklerose beruht auf drei wichtigen Säulen, wobei ein multimodales Therapiekonzept wesentlich ist: • Bei akuten MS-Schüben erfolgt eine Infusionstherapie mit hochdosierter Kortisongabe.

• Medikamentöse verlaufsmodifizierende Langzeittherapien greifen in den Entzündungsprozess ein und sollen das Fortschreiten der Erkrankung sowie das Neuauftreten von Krankheitsschüben bremsen. Nach neuesten Studiendaten sollten diese Langzeittherapien schon

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Bei den derzeit verfügbaren Medikamenten handelt es sich einerseits um immunmodulierende, die in den Entzündungsprozess regulierend eingreifen. Andererseits gibt es sogenannte immunsuppressive Therapien, die bei hochaktiven frühzeitig im Erkrankungsprozess beVerläufen eingesetzt werden. Immunsupgonnen werden, um bleibende Schäden pressive Medikamente können jedoch das zu verhindern.

Immunsystem schwächen und Betroffene • Die gezielte Symptomtheraanfälliger für Infekte machen. pie kann einerseits medikaDie ersten Medikamente für mentös erfolgen, andererseits die Behandlung der schubfördurch Rehabilitationsmaßmigen Multiplen Sklerose wanahmen, z. B. aus den Bereiren als Injektabilia die Interchen Physiotherapie, Ergotheferone (Interferon-beta 1a, 1b: rapie und Logopädie. Hierbei Rebif®, Avonex®, Betaferon®, sollen bei MS häufig auftrePlegridy®) in den 1990er Jahren, tende Symptome wie Spastik gefolgt von Glatirameracetat GASTAUTORIN: OÄ Dr.in Bettina Heschl (Muskelverkrampfungen), (Copaxone®, Perscleran®) im LKH Graz – Schmerzen oder HarnentleeJahr 2001. Beide Medikamente Universitätsklinik für rungsstörungen gezielt behanNeurologie werden nach wie vor regelmädelt werden. ßig zur Behandlung der milden/ moderaten Verlaufsform der MS sowie des klinisch isolierten Syndroms (KIS, einSchwierigkeiten der Therapie maliges Ereignis ohne Erfüllung der MSKriterien) eingesetzt.

Multiple Sklerose ist nicht heilbar, jedoch Seit 2006 steht Natalizumab (Tysabri®) steht heutzutage schon eine Vielzahl von Medikamenten (aktuell sind es 17) zur als monoklonaler Antikörper für die BeVerfügung. Für die Therapie der schubhandlung hochaktiver Verlaufsformen förmigen Multiplen Sklerose gibt es mittzur Verfügung. Die ersten oralen Medilerweile etliche wirksame Medikamente, kamente waren 2011 der S1P-Modulator während die Therapie der progredienten, Fingolimod (Gilenya®), 2013 Teriflunoschleichend verlaufenden Multiplen Sklemid (Aubagio®) und 2014 Dimethylfumarose aufgrund des anderen Entzündungsrat (Tecfidera®). Ein weiteres orales Medimechanismus nach wie vor eine große kament – Cladribin (Mavenclad®) – kam Herausforderung darstellt. Bei der schub2017 auf den Markt. förmigen Multiplen Sklerose spielt sich Mit den CD20-B-Zelldepletierenden der Entzündungsprozess sowohl im perimonoklonalen Antikörpern wurde 2018 pheren Immunsystem als auch durch die ein Durchbruch erzielt, da Ocrelizumab Interaktion über die Blut-Hirn-Schranke (Ocrevus®) das erste (und derzeit einzige) im zentralen Nervensystem ab. Dieser ist zugelassene Medikament für die primär bei progredienten Verlaufsformen hinprogredient verlaufende Multiple Sklegegen im zentralen Nervensystem eingerose darstellt. 2021 wurde Ofatumumab

© Fotostudio Hartlauer

© shutterstock.com/CC7

Medikamente im Lauf der Zeit

Hausärzt:in medizinisch IM ÜBERBLICK McDonald MS: Relapsierende MS (RMS)

(Hoch-)aktiv Erst- sowie Zweitlinientherapie

RRMS

Interferon-b-1a i.m.

Interferon-b-1a s.c.

Interferon-b-1b s.c.

Mild / moderat

Verlaufsmodifizierende Therapie

KIS

Progrediente MS (PMS) SPMS

PPMS

Gepulste Therapien

mit Schüben

Alemtuzumab

Cladribin

ohne Schübe, aber mit MRT-Aktivität

mit klinischer / MRT-Aktivität

Cladribin

Interferon-b-1b s.c.

Siponimod

Ocrelizumab

Ocrelizumab

Ocrelizumab Ofatumumab

Kontinuierliche Therapien

Ponesimod

Natalizumab

Siponimod

Ofatumumab

(Mitoxantron)

S1P-Modulatoren (Fingolimod, Ozanimod, Ponesimod) Dimethylfumarat Glatirameracetat Interferone Teriflunomid (Azathioprin)

Quelle und weiterführende Infos: Multiple Sklerose Therapie Konsensusgruppe (MSTKG), Positionspapier 2021.

(Kesimpta®), ebenfalls ein CD20-B-Zelldepletierender Antikörper, für die schubförmige MS zugelassen. Weiters kamen Ozanimod (Zeposia®) sowie Ponesimod (Ponvory®) aus der Gruppe der S1P-Modulatoren dazu.

Zur Behandlung sekundär progredienter, aktiver Verlaufsformen kann seit 2020 Siponimod (Mayzent®) bzw. Interferonbeta 1b in subkutaner Form eingesetzt werden. Mitoxantron kommt derzeit wegen Nebenwirkungen nur mehr in Ausnahmefällen zur Anwendung.

Alemtuzumab (Lemtrada®) wird nur mehr in Ausnahmefällen bei hochaktiven Formen eingesetzt.

Blick in die Zukunft Dank der intensiven Forschung konnte in den letzten Jahren ein enormer Zuwachs von neuen Medikamenten für die Behandlung der MS verzeichnet werden. Als möglicher neuer therapeutischer Ansatz werden derzeit die sogenannten BTKi (Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren) bereits in Phase-III-Studien erprobt. Diese Medikamente hemmen spezielle Immunprozesse und beeinflussen Mikroglia und B-Zellen. Die endgültigen Ergebnisse der laufenden Studien werden zeigen, ob eine

weitere Therapie die bestehende Therapieliste ergänzen wird.

Fazit für die Praxis Multiple Sklerose ist zwar nicht heilbar, jedoch kann der frühe Einsatz von verlaufsmodifizierenden Langzeittherapien das Fortschreiten der Erkrankung sowie bleibende Behinderungen abwenden. Derzeit sind für die einzelnen Verlaufsformen der MS eine Reihe von Medikamente vorhanden. Die Therapieliste wird laufend um neue Medikamente ergänzt. Welches Medikament jedoch für den jeweiligen Patienten oder die jeweilige Patientin geeignet ist, muss individuell je nach Krankheitsverlauf, Aktivität und Klinik entschieden werden. Wichtig ist auch eine gemeinsame

Entscheidung nach ausführlicher Patientenaufklärung, um eine gute Krankheitskontrolle bei möglichst geringen Nebenwirkungen zu erreichen.

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Demenz –

44 Prozent wollen bei Gedächtnisproblemen zuwarten HausärztInnen laut Umfrage erste Anlaufstelle und Informationsquelle Das Marktforschungsinstitut Spectra befragte österreichweit im Auftrag der MAS Alzheimerhilfe im Februar 1.027 Personen. Alarmierende 44 % der ÖsterreicherInnen würden bei Gedächtnisproblemen zuwarten, bevor sie ärztliche Hilfe suchen. Die Angst an Demenz zu erkranken, rangiert mit 12 % auf Platz drei der Gesundheitsängste (hinter Schlaganfall mit 17 und Krebs mit 41 %). Unangefochten erste Anlaufstelle (mit 70 % weit vor den Neurologen mit 29 %) und Informationsquelle (mit 60 %, gefolgt von den Neurologen mit 40 %) in Fragen zu Demenz sind die HausärztInnen.

In Österreich leiden etwa 145.000 Menschen an Demenz. Gleichzeitig liegt die Diagnoserate nur bei 20 bis 30 %. Folglich erhält der Großteil der betroffenen Menschen nicht die für sie benötigte Unterstützung.

Weil PatientInnen ihren Hausarzt regelmäßig aufsuchen, bemerkt dieser schon leichte Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit und des Verhaltens. Ziel muss sein, frühzeitigere Interventionen zu erreichen. So kann es gelingen, mit guter medizinischer Begleitung sowie psychosozialen Methoden (stadiengerechte Trainings), positiv in den Verlauf der Erkrankung einzugreifen und den betroffenen Familien noch einige gute Jahre mit Lebensqualität zu schenken.

Juni 2022 37 Service: alzheimerhilfe.at

Hausärzt:in medizinisch

„Bei Frauen besteht zumeist eine wesentlich größere Belastung“

© Miriam Hucke, privat

© shutterstock.com/Dmytro Buianskyi

Wie Patientinnen mit rheumatischen Erkrankungen von neuen Therapien profitieren können und was bei ihnen anders ist als bei Männern

Mensch ist nicht gleich Mensch, und Frau ist nicht gleich Mann.

Was das für die Betreuung von Patientinnen mit einer rheumatischen Erkrankung bedeutet, erklärt Dr.in Miriam Hucke vom Klinikum Klagenfurt im Gespräch mit der Hausärzt:in.

So sind zum Beispiel Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen Themen, die berücksichtigt werden müssen.

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EXPERTIN: OÄ Dr.in Miriam Hucke Abteilung für Innere Medizin und Gastroenterologie, Klinikum Klagenfurt

HAUSÄRZT:IN: Wie unterscheiden sich Frauen und Männer in Bezug auf rheumatische Erkrankungen?

Dr.in HUCKE: Mit Ausnahme der Spondylarthritiden betreffen rheumatische Erkrankungen wesentlich häufiger Frauen als Männer. Auch im Umgang mit der Erkrankung unterscheiden sie sich deutlich voneinander. Wäh-

rend Patienten eher zu Dissimulation neigen und ihre Grunderkrankung „auf die leichte Schulter“ nehmen, erleben Patientinnen sie zumeist als viel größere Belastung. Frauen fühlen sich in ihrer Lebensqualität häufiger stark eingeschränkt. Möglicherweise ist dies jedoch auch durch die teilweise wesentlich höheren Belastungen bei Frauen im Allgemeinen zu erklären. Viele unserer Patientinnen sind jung, mitten im Leben, berufstätig und haben Familie. >

Hausärzt:in medizinisch Die Vereinbarung von Berufs- und Familienleben ist schon bei gesunden Frauen häufig mit einigen Herausfor-

„Biologikatherapien haben das Krankheitsmanagement bei Frauen im gebärfähigen Alter deutlich verbessert.“ derungen verbunden. Bei Patientinnen mit einer chronischen Erkrankung erschwert sich die Situation zunehmend, da sie zum Beispiel oftmals nicht so belastbar sind, sich abgeschlagen fühlen oder an Schmerzen leiden.

Worauf ist bei betroffenen Frauen im ärztlichen Gespräch besonders zu achten?

Gerade auf oben genannte Doppelbzw. Mehrfachbelastungen sollte man im Gespräch mit Frauen explizit eingehen. Wie kommt die Patientin im Alltag und auch im Berufsleben zurecht? Wie sehr wird sie durch ihre Erkrankung im täglichen Leben eingeschränkt? Und vor allem: Wo und wie könnte man hier eine Verbesserung erzielen? Zudem gilt es gerade bei jungen Frauen, das Thema Kinderwunsch anzusprechen!

Warum ist es bedeutsam, zu thematisieren, ob ein Kinderwunsch besteht?

Viele Frauen „trauen“ sich nicht, einen möglichen Kinderwunsch zu äußern.

Auch haben sie häufig Angst, keine Kinder bekommen zu können. Umso wichtiger ist es hier, das Gespräch zu suchen und Frauen darüber aufzuklären, dass im Normalfall ein Kinderwunsch durchaus kein Problem darstellt. Es gibt mittlerweile sehr gute Therapieoptionen, welche auch in der Schwangerschaft und Stillzeit geeignet sind – das ist den meisten Patientinnen allerdings nicht bewusst.

Hingegen gibt es auch einige Medikamente, welche in Schwangerschaft und Stillzeit nicht gegeben werden dürfen – weshalb es im Falle einer solchen Therapie auch immer von Bedeutung ist, über das Thema Verhütung zu sprechen.

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Wie therapiert man Frauen „richtig“?

Generell unterscheiden sich die Therapieansätze bei Frauen und Männern nicht. Unsere Patientinnen und Patienten werden je nach Grunderkrankung – entsprechend den internationalen Guidelines – behandelt. Ich denke jedoch, dass es aufgrund oben genannter Thematiken gerade bei der Betreuung von Patientinnen essenziell ist, im Gespräch auf etwaige durch die Krankheit verursachte Probleme einzugehen.

Und welchen Stellenwert haben biologische DMARDs in diesem Kontext?

Die Ära der Biologikatherapien hat nicht nur im Allgemeinen die Behandlung rheumatischer Erkrankungen revolutioniert, sie hat auch zu einer deutlichen Verbesserung des Krankheitsmanagements bei Frauen im gebärfähigen Alter geführt. Während einige der „alten“ csDMARDs bei Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert sind, haben wir nun vor allem mit den TNF-α-Inhibitoren – und hier insbesondere mit Certolizumab Pegol – hervorragende Behandlungsmöglichkeiten. Mit den neuen Therapien

sind wir in der Lage, unsere Patientinnen möglichst beschwerdefrei durch Schwangerschaft und Stillzeit zu begleiten.

Inwiefern spielen auch Lebensstilfaktoren eine Rolle? Und gibt es diesbezüglich ebenfalls einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?

Rheumatische Erkrankungen basieren generell auf einer multifaktoriellen Genese. Wir wissen, dass es Faktoren gibt, die sich auf eine rheumatische Erkrankung eher positiv auswirken – etwa eine mediterrane Kost, Vermeidung von Stress etc. –, aber auch solche, die eine negative Auswirkung haben, zum Beispiel Stress, Noxen und so weiter ... Ich habe häufig den Eindruck, dass gerade Frauen sehr bemüht sind, ihre Erkrankung durch Lebensstilmodifikation in den Griff zu bekommen. Natürlich lassen sich rheumatische Erkrankungen selten durch eine solche Verhaltensänderung allein behandeln. Aber oftmals kann damit durchaus ein positiver Effekt erzielt werden – ergänzend zu einer Basistherapie.

Das Interview führte Anna Schuster, BSc.

IM ÜBERBLICK Krankheitsmodifizierende Medikamente (DMARDs) bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen Synthetische DMARDs

Biologische DMARDs (bDMARDs)

csDMARDs = „conventional synthetic Disease Modifying Anti Rheumatic Drugs“

TNF-α-Inhibitoren

Azathioprin

Certolizumab Pegol

Ciclosporin A

Etanercept

Leflunomid

Golimumab

Methotrexat

Infliximab

Adalimumab

Sulfasalazin CTLA-4-IgG-Fusionsproteine tsDMARDs = „targeted synthetic DMARDs“ Baricitinib

Abatacept

Filgotinib

Anti-CD20-Antikörper

Tofacitinib

Rituximab

Upadacitinib Interleukin-6-Inhibitoren Sarilumab Tocilizumab

Hausärzt:in pharmazeutisch

© shutterstock.com/Brian A Jackson

Allergien und Urlaubsplanung

Risikofaktoren, therapeutische Möglichkeiten und Tipps für die Reiseapotheke

Etwa 30 % der Erwachsenen und 20 % der Kinder sind von Allergien betroffen, Tendenz: steigend.1 Die genauen Ursachen sind noch nicht erforscht, bekannt sind allerdings verschiedene Risikofaktoren, die neben der genetischen Komponente eine Rolle spielen. Dazu gehören beispielsweise Rauchen (auch Passivrauchen), der früher beginnende und stärkere Pollenflug durch die höheren Temperaturen oder übertriebene Hygiene im Kindesalter. Auch psychische Faktoren wie Stress können darauf Einfluss haben.

Meist Reaktionen vom Soforttyp Die häufigste Form stellt die Allergie vom Soforttyp (Typ-I-Allergie) dar, wel-

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che für 90 % der allergischen Reaktionen verantwortlich ist. Hierbei kommt es nach Erstkontakt mit einem – eigentlich harmlosen – Allergen zur Sensibilisierung und Bildung von IgE-Antikörpern. Diese binden an IgE-Rezeptoren auf der Oberfläche der Mastzellen von Haut und Schleimhäuten und auf jene der basophilen Granulozyten. Der Erstkontakt verläuft symptomlos, aber durch eine weitere Exposition werden diese Zellen aktiviert und verschiedene Entzündungsmediatoren, vor allem Histamin, ausgeschüttet; erste klinische Symptome zeigen sich.2 Die Anzeichen einer allergischen Reaktion können vielfältig sein. Oft handelt es sich um eine allergische Rhinitis, eine Konjunktivitis oder eine Kombination

von beidem (Rhinokonjunktivitis) – gekennzeichnet durch Juckreiz, erschwerte Nasenatmung, Schnupfen, Husten bzw. tränende, gerötete Augen. Weiters können Asthma bronchiale, atopische Dermatitis, aber auch Beschwerden des Magen-Darm-Traktes, Kontakturtikaria der Mundschleimhaut, Hitzegefühl und Schwindel bis hin zum anaphylaktischen Schock die Folge sein.3 Die am häufigsten vorkommenden Allergien dieses Typs sind Pollen- und Lebensmittelallergien, gefolgt von solchen gegen Hausstaubmilben und Insektengifte.

Therapieoptionen Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Allergien zu behandeln. An erster Stelle

Hausärzt:in pharmazeutisch sollte die Vermeidung der Allergene stehen, was sich bei Pollen- oder Milbenallergien schwierig gestaltet. Allerdings gibt es Mittel und Wege, die Allergenbelastung in Innenräumen zu reduzieren. Das geschieht, indem man beispielsweise Polstermöbel, Decken und Kissen regelmäßig durch Waschen mit mind. 60 °C oder alternativ durch eine chemische oder Dampfreinigung von Milben befreit. Spezielle Allergiebezüge (Encasings) verhindern den Kontakt der Milbe bzw. des Milbenkots mit der Haut. Personen mit Pollenallergien sollten verwendete Kleidung nicht in den Schlafbereich tragen und Wäsche nicht im Freien trocknen lassen. Regelmäßiges Spülen der Nase mit Kochsalzlösung, z. B. mit Nasenduschen, „wäscht“ die Allergene aus.

Die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig und sollten bei wiederkehrenden Allergien auch genutzt werden, um einen „Etagenwechsel“, also die Ausweitung auf die Bronchien und das Auftreten von Asthma, zu vermeiden.4 Das Mittel der Wahl sind H1-Rezeptor-Antagonisten der zweiten Generation, etwa Cetirizin, Loratadin oder Fexofenadin, welche die Wirkung des Histamins rasch blockieren und bei denen selten mit zentralen Effekten wie Müdigkeit zu rechnen ist. Beschränken sich die allergischen Symptome auf Augen oder Nase, gibt es Antihistaminika wie Azelastin oder Levocabastin, die lokal

angewendet werden können. Im OTCBereich sind Mastzellenstabilisatoren wie Cromoglicinsäure erhältlich, welche die Ausschüttung von Histamin aus den Mastzellen verhindern. Hier empfiehlt sich, schon vorbeugend – kurz vor Beginn der Allergiesaison – mit der Anwendung zu starten, um das Auftreten allergischer Symptome zu verhindern. Zudem gibt es positive Studienergebnisse, welche zeigen, dass pflanzliche Präparate, welche Tragantwurzel (Astragalus membranaceus) enthalten, immunmodulierend wirken und so die Symptomlast deutlich verringern bzw. bei vorbeugender Einnahme sogar verhindern können.5 Diese Phytopharmaka sind auch für Kinder ab drei Jahren geeignet und können in Form von Säften gegeben werden.

Reiseapotheke für Menschen mit Allergien Idealerweise informieren sich stark Betroffene vor Reiseantritt über die lokalen Gegebenheiten, beispielsweise über die Seiten der Pollenwarndienste (z. B. pollenwarndienst.at). Bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie Laktoseoder Histaminintoleranz können fehlende Enzyme, am häufigsten sind es Diaminooxidase (DAO) oder Laktase, in Tablettenform vor der Nahrungsaufnahme zugeführt werden. Diese verhindern körperliche Reaktionen wie Blähungen oder Durchfall.

Allgemeine Empfehlungen für unterwegs Gerade im Ausland kämpfen viele mit Verdauungsstörungen. Generell empfiehlt es sich, auf bereits bekannte und vertragene Inhaltsstoffe zurückzugreifen. Im OTC-Bereich gibt es Probiotika, die eine Vielzahl von Bakterienstämmen enthalten, welche sich im Darm ansiedeln. Sie können und sollten schon vorab und während des Urlaubs eingenommen werden, um die Darmtätigkeit zu unterstützen. Gerbstoffe wie Tanninalbuminat oder Aktivkohle eignen sich gut zur Behandlung von Durchfällen.

Da Kinder leichter dehydrieren, ist eine passende Elektrolytnahrung mitzunehmen. Tropfen, die eine Mischung aus verschiedenen pflanzlichen Wirkstoffen wie Kamille oder Kümmel enthalten, lindern Magenbeschwerden, Völlegefühl und Sodbrennen. In keiner Reiseapotheke sollten ein Analgetikum, z. B. Paracetamol oder Ibuprofen, ein abschwellendes Nasenspray und/oder Ohrenstöpsel für den Druckausgleich beim Flug sowie ein hinreichender Insektenschutz und Sonnenschutz fehlen.

Barbara Feytl

Quellen: 1 RKI 2013, Studie DEGS1.

2 Bufe A et al., Pädiatrische Allergologie 2021;(2):19-38.

3 Matthys H et al., Klinische Pneumologie 2008;(3):115ff.

4 Bousquet J et al., J Allergy Clin Immunol. 2012 Nov;130(5):1049-62.

5 Matkovic Z et al., Phytother Res. 2010 Feb;24(2):175-81.

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Rhinorrhoe: Unterschiedliche Formen und Behandlungsoptionen Eine Rhinorrhoe ist häufig mukopurulent oder serös und auf infektiöse oder allergische Krankheiten zurückzuführen.1 Seltener handelt es sich bei ihr um ein Symptom von Cluster-Kopfschmerz, Hemicrania continua oder einer Kopfverletzung. Der Fließschnupfen entsteht in den meisten Fällen, wenn die Nerven und Blutgefäße der Nasenschleimhaut auf verschiedene Faktoren, beispielsweise auf chemische Reize, Stress oder sonstige psychische Belastungen sowie Infektionen oder den Kontakt mit Allergenen, überempfindlich reagieren. Je nach Auslöser können zur Rhinorrhoe Beschwerden wie Husten, Niesreiz, Juckreiz oder Fieber hinzukommen. Eine laufende Nase kann jedoch auch bei älteren Menschen häufig auftreten. Dabei handelt es sich um einen chronischen wässrigen Schnupfen ohne Erkältung. Die Ursachen für eine senile Rhinorrhoe können vielfältig sein. So können etwa degenerative Prozesse, die zu einer Dysbalance bei den Zellen im Nasenepithel führen, des Weiteren Formänderungen der Nase, zentralnervöse Erkrankungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten dafür verantwortlich sein.2 Zunächst ist bei der ärztlichen Abklärung einer Rhinorrhoe eine anteriore Rhinoskopie ratsam. Zusätzlich können Allergietests und ein Liquornachweis, mittels Bestimmung von β2-Transferrin bzw. β-Trace-Protein, eingesetzt werden.

Bei einem positiven Befund sollten eine Computertomografie sowie ergänzend eine Magnetresonanztomografie angeordnet werden.3

Spray, Nasenspülung oder Antihistaminika Die Behandlung einer laufenden Nase richtet sich in erster Linie nach dem Auslöser. In vielen Fällen verschwindet eine Rhinorrhoe ohne Komplikationen von selbst. Ist jedoch eine Therapie notwendig, können bekanntlich Nasensprays eingesetzt werden. Zusätzlich sind Nasenspülungen hilfreich. Kochsalzlösungen unterstützen die Nasenschleimhaut bei der Regeneration und fördern eine schnelle Abheilung der Rhinorrhoe. In wiederkehrenden Fällen, beispielsweise aufgrund von Allergien, stehen verschiedene Arten von Antihistaminika zur Verfügung.

Carola Bachbauer, BA

Quellen: 1 Kruse W & Schettler G: Allgemeinmedizin. Walter de Gruyter: 2011.

2 lmmel-Sehr A: Beratung aktiv Selbstmedikation. Govi: 2020.

3 Kashani F & Haubner F (2019). Warum läuft die Nase? MMW Fortschritte der Medizin, 161(8), 48–49.

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Magnesium Ein bedeutsamer Mineralstoff mit vielerlei Funktionen Kaum ein zellulärer Prozess findet ohne Beteiligung von Magnesium statt. Bekannt ist das Mineral für seine Wirkung auf Muskelfunktion, Nerven und Energiebereitstellung. Besonders ältere Menschen sollten auf eine ausreichende Zufuhr achten. Daneben kann körperliche Aktivität oder Stress zu einer Entleerung der Magnesiumspeicher führen. Menschen mit bestimmten Erkrankungen wie Diabetes, Migräne, Hypertonie oder Osteoporose können von einer zusätzlichen Magnesiumzufuhr profitieren.

Im Sportbereich eignet sich Magnesiumcitrat in gelöster Form für eine schnelle Aufnahme.

Die Einnahme vor und nach dem Sport unterstützt sowohl Leistungsfähigkeit als auch Regeneration.

Für empfindliche Personen eignet sich Magnesiumoxid. Dieses wird gut vertragen und fördert das langfristige Auffüllen intrazellulärer Magnesiumspeicher.

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Funktionen Magnesium dient als Kofaktor für über 500 Enzyme. Insbesondere alle ATPabhängigen Enzymsysteme werden durch Magnesium aktiviert, damit ist das Mineral an sämtlichen Stoffwechselprozessen beteiligt, wo Phosphorylierungen eine Rolle spielen (z. B. Citratzyklus, Fettsäurensynthese, Proteinsynthese, Aminosäurenaktivierung, aktiver Transport durch die Zellmembran). Zudem spielt Magnesium eine wesentliche Rolle bei Erregungsprozessen im neuromuskulären System.

Als Calciumantagonist und Co-Faktor der Na+/K+-ATPase reguliert Magne-

sium die Nervenreizweiterleitung und Muskelkontraktion.1

Verteilung Magnesium ist das zweithäufigste intrazelluläre Kation. Der Körper eines Erwachsenen enthält im Durchschnitt 24-29 g Magnesium, das zu 99 % intrazellulär vorliegt. Davon wird der Großteil im Knochen eingelagert, der Rest liegt an Weichteilgewebe (v. a. in der Skelettmuskulatur) gebunden vor.2 Nur etwa 1 % des körpereigenen Magnesiums befindet sich im extrazellulären Raum. Der Serummagne-

siumspiegel liegt zwischen 0,75 und 0,95 mmol/L. Dieser wird über ein enges Zusammenspiel zwischen Aufnahme, intestinale Resorption, renale Ausscheidung, Einlagerung im Knochen und Magnesiumbedarf der verschiedenen Gewebe reguliert. Niedrige Serummagnesiumspiegel führen zu einer effektiveren Magnesium-Aufnahme aus der Nahrung. Gleichzeitig werden die Magnesiumspeicher im Knochen entleert, um geringe Mängel im Serum auszugleichen. Dies ist auch der Grund, warum der Serumspiegel keine verlässlichen Aufschlüsse über den Magnesiumstatus gibt. Denn trotz normaler Serummagnesiumspiegel kann

Magnesiumbedarf und Folgen eines Mangels Laut D-A-CH-Referenzwerten werden 350 mg für Männer und 300 mg für Frauen zur Deckung des täglichen Bedarfs benötigt.3 Allerdings zeigt der aktuelle Ernährungsbericht, dass mehr als die Hälfte der ÖstereicherInnen diese Mengen nicht über ihre Ernährung erreichen.4 Gerade bei körperlicher Aktivität oder erhöhter psychischer Belastung wird Magnesium schneller verstoffwechselt, entsprechend steigt auch der Bedarf bei Sport und in Stresszeiten. Zusätzlich dazu kann die Einnahme bestimmter Arzneistoffe die Aufnahme von Magnesium behindern (z. B. Protonenpumpeninhibitoren, Laxantien, Antibiotika, Calcium in hohen Dosierungen) oder die vermehrte Ausscheidung von Magnesium begünstigen (z. B. Diuretika, Betablocker, Kortikosteroide oder orale Kontrazeptiva).5 Ein beginnender Mangel zeigt sich häufig in Form von Müdigkeit, Erschöpfung, Muskelschwäche und -krämpfen.

Ältere Menschen sind besonders häufig von Magnesiummangel betroffen und sollten stets auf eine adäquate Zufuhr achten. Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen Magnesiummangel und bestimmten Erkrankungen (Diabetes Typ II, Hypertonie, Asthma, Migräne, Demenz, Osteoporose). Auch hier zeigt die erhöhte Magnesiumzufuhr für Betroffene einen positiven Nutzen.2

Anorganisches oder organisches MagnesiumSalz?

Bei Magnesium wird immer wieder darauf hingewiesen, dass organische Salze (z. B. Citrat, Aspartat, Gluconat) besser wasserlöslich und damit besser bioverfügbar seien. Dies resultiert aus Untersuchungen, wo nach der Einnahme von Magnesiumcitrat relativ rasch Magnesium im Urin nachgewiesen wurde. Für das klinische Ergebnis scheint dies aber keine Rolle zu spielen. Studiendaten zeigen, dass oral appliziertes Magnesiumoxid im Dünndarm gemäß dem Dissoziationsgesetz zu Magnesiumhydroxid umgewandelt wird. Dies bewirkt eine langsame und nachhaltige Resorption, was besonders bei empfindlichen Personen von Vorteil ist. So wird das Magnesium in kleinen

Mengen aufgenommen und langfristig intrazellulär gespeichert, ohne laxierende Effekte auszulösen. Außerdem wurde auch für Magnesiumoxid in vielen klinischen Studien eine Wirkung nachgewiesen. Dies wurde in einer aktuellen placebokontrollierten Studie bestätigt, wo Magnesiumoxid bei nächtlichen Wadenkrämpfen wirksam war.6 Aus technologischer Sicht haben anorganische Verbindungen (Magnesiumoxid, -carbonat oder -chlorid) einen entscheidenden Vorteil. Durch die geringere Molekülgröße haben sie ein günstiges Verhältnis zwischen Molmasse und dem Anteil an reinem Magnesium. Das heißt, es wird weniger Substanz benötigt, um einen hohen Gehalt an Magnesium zu erreichen. Beispielsweise benötigt man für 300 mg reines Magnesium nur etwa 500 mg Magnesiumoxid, hingegen aber 2650 mg Magnesiumcitrat. Eine solche Menge ist in einer schluckbaren Tablette nicht unterzubringen, weshalb hochdosierte Magnesiumpräparate mit organischen Verbindungen zu Brausetabletten oder -granulaten verarbeitet werden. Diesbezüglich enthalten galenisch hochwertige Produkte Magnesiumoxid und -carbonat, das mit

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ein subklinischer Magnesiummangel bestehen, da die Serummessung nicht in der Lage ist, das intrazellulär gespeicherte Magnesium zu erfassen.2

Welche Rolle spielt die Dosierung?

Die Resorption von Magnesium ist nicht allein von der Wasserlöslichkeit des Salzes abhängig, sondern indirekt proportional zum Magnesiumstatus des Körpers. Bei erhöhtem Bedarf wird Magnesium besser resorbiert.7 Weiters deuten Studiendaten darauf hin, dass die relative resorbierte Menge von Magnesium bei steigender Dosierung abnimmt, da die intestinale Permeabilität für Magnesium begrenzt zu sein scheint. Während bei einer Gabe von 36 mg Magnesium 65 % resorbiert werden, sind es bei einer Dosierung von 973 mg nur mehr 11 %.7 In der Praxis müssen jedoch sowohl Compliance als auch Verträglichkeit berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Verträglichkeit sind 150 mg Magnesium als Citrat mehrmals täglich (speziell für den Sportbereich) oder einmal täglich 300-400 mg Magnesiumoxid (zum Auffüllen des Magnesiumspeichers) sinnvoll.

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Einsatzgebiete für Magnesium Magnesium gegen nächtliche Wadenkrämpfe. Nächtliche Wadenkrämpfe werden mit einer Imbalance im Elektrolythaushalt assoziiert. Die Supplementierung von Magnesium zur Vorbeugung von nächtlichen Wadenkrämpfen stellt einen sinnvollen Ansatz dar. Die Wirkung ist in der Praxis vielfach belegt, und wurde durch eine aktuelle Studie aus 2021 bestätigt. An der randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie nahmen 175 Personen mit regelmäßig auftretenden nächtlichen Wadenkrämpfen teil. Sie erhielten für 60 Tage entweder 226 mg Magnesiumoxid-Monohydrat oder ein Placebo. Die Ergebnisse zeigten ganz klar die Wirkung von Magnesiumoxid

7 Anzahl der nächtlichen Wadenkrämpfe pro Woche

Zitronensäure granuliert wird. Nach dem Aufbrausen im Wasser liegt das Magnesium in Form von gelöstem Magnesiumcitrat vor.

Magnesiumoxid

6

Placebo

5 4 3 2 1 0

Baseline

Nach 30 Tagen

Nach 60 Tagen

Abb. 1: Magnesiumoxid senkt signifikant die Häufigkeit nächtlicher Wadenkrämpfe (P < 0,001).6

auf nächtliche Wadenkrämpfe: Mit Magnesium reduzierte sich die Anzahl der nächtlichen Wadenkrämpfe von 5,4 auf 1,9 pro Woche (- 65 %; P < 0,001).

Die Gesamtdauer der nächtlichen Krämpfe wurde von 244,5 Sekunden auf 67,9 Sekunden pro Woche (- 72 %; P< 0,001) gesenkt.6 Magnesium für SportlerInnen. Bei intensivem Training verlieren SportlerInnen vermehrt Magnesium und andere Mineralstoffe über den Schweiß. Dies ist sowohl bei HobbysportlerInnen als auch bei ProfiathletInnen zu verzeichnen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Wettkampfstress. Dieser kann ebenfalls zu vermehrten Verlusten und eingeschränkter Resorption führen, bedingt durch eine veränderte Durchblutung des Magen-Darm-Traktes.8 Da Magnesium aber unentbehrlich für den Energiestoffwechsel und die Muskelfunktion ist, ist hier eine ausreichende Zufuhr von besonderer Bedeutung.

Mehrere Studien an der Militärakademie Wiener Neustadt zeigten, dass eine Zufuhr von Magnesium plus Kalium vor und nach dem Sport zur Steigerung von Leistungsfähigkeit und Regeneration beitragen. Vor und nach einem 2400-Meter Lauf wurden den Teilnehmern Kapillarblut abgenommen und relevante Stoffwechselparameter bestimmt.

In einer der Studien erhielten die Athleten eine Stunde vor dem Lauf ein Getränk mit 150 mg Magnesium und 180 mg Kalium. Die sportliche Anstrengung führte bei den Teilnehmern

zu einer Senkung von Basenabweichung (BE), pCO2, HCO3 und Magnesiumkonzentration. Blutdruck und Laktat-Wert waren hingegen nach dem Lauf erhöht. Die Ergebnisse zeigten, dass der leistungsbedingte Anstieg von Blutdruck und Laktat nach der Einnahme der Nährstoffe signifikant niedriger war (P < 0,05). Gleichzeitig wurde ein signifikant geringerer Rückgang von BE, pCO2, HCO3 und Magnesiumspiegel festgestellt (P < 0,05). Die Studienautoren schlussfolgerten, dass die Zurverfügungstellung von Magnesium zu einer verbesserten Energiegewinnung und Proteinsynthese führe, die sich in Form von erhöhter Muskelkraft und Leistung der Sportler zeigt.9 Magnesium bei Stress. Der Zusammenhang zwischen Stress und Magnesiummangel gleicht einem Teufelskreis. Gerade bei Stress wird Magnesium im Körper benötigt, da es als natürlicher Agonist des GABAARezeptors fungiert. Zudem nimmt der Mineralstoff direkten Einfluss auf verschiedene Schlüsselparameter der Stressantwort (z. B. auf 5-HTP-Synthese oder Kortisolfreisetzung). In akuten Stresssituationen kommt es durch die vermehrte Freisetzung von Stresshormonen zu einer Erhöhung der extrazellulären Magnesiumkonzentration und damit auch Steigerung der Magnesiumausscheidung. Anhaltende Stressphasen können also zur Entleerung der Magnesiumspeicher im Körper führen, wodurch Stress wiederum schlechter bewältigt wird.10

Magnesium und Diabetes. Die Magnesiumhomöostase wird u. a. durch Insulin reguliert, umgekehrt hat Magnesium einen bedeutenden Einfluss auf den Glucosemetabolismus und die Insulinsensitivität. Die Serummagnesiumkonzentration korreliert negativ mit dem Blutzuckerspiegel. Epidemiologische Daten zeigen, dass DiabetikerInnen häufiger von Magnesiummangel betroffen sind als Personen ohne Diabetes.13,14 Eine Metaanalyse aus 2016 wertete insgesamt 18 Studien aus und kam zum Ergebnis, dass eine MagnesiumSupplementierung bei DiabetikerInnen den Nüchternblutzuckerspiegel senkt.

Bei Personen mit erhöhtem Diabetesrisiko wurde durch Magnesium der Plasmaglucosespiegel nach dem oralen Glucosetoleranztest signifikant verbessert.15 In einer weiteren randomisierten Doppelblindstudie nahmen 63 Typ-2 DiabetikerInnen mit Hypomagnesiämie teil, die mit Glibenclamid therapiert wurden. Die zwei Gruppen erhielten täglich entweder 2,5 g Magnesiumchlorid oder ein Placebo. Nach 16 Wochen wurde ein signifikant höherer Serummagnesiumspiegel in der Verumgruppe (0,74 ± 0,10 vs. 0,65 ± 0,07 mmol/l; P = 0,02) gemessen.

Gleichzeitig erfolgte eine signifikante Senkung des Index für Insuliresistenz

12 10

**

*

8 6

**

4 2 0

Fastenglucose

HOMA-IR-Index Baseline

HbA1C

Nach 16 Wochen

Abb. 2: Magnesiumgabe senkt Nüchternglucosespiegel und verbessert die Langzeitblutzuckerkontrolle (** P = 0,01; * P = 0,04).16

HOMA-IR (3,8 ± 1,1 vs. 5,0 ± 1,3; P = 0,01), des Nüchternglucosespiegels (8,0 ± 2,4 vs. 10,3 ± 2,1 mmol/l; P = 0,01) und des HbA1c-Werts (8,0 ± 2,4 vs. 10,1 ± 3,3 %; P = 0,04).16 Magnesium bei Migräne. MigränepatientInnen zeigen erniedrigte Magnesiumspiegel im Serum, Speichel und in der Cerebrospinalflüssigkeit.

Durch den Magnesiummangel im Gehirn werden eine Reihe an Prozessen getriggert, die über eine vermehrte Plättchenaggregation und Glutamatfreisetzung zur erhöhten Produktion von 5-HTP führen, welches als Vasokonstriktor agiert. Zudem begünstigt der Magnesiummangel das Auftreten von Spasmen in den Cerebralarterien und eine vermehrte Ausschüttung von Schmerzmediatoren.17 Die Einnahme von Magnesium führte in einer Vergleichsstudie mit Valproinsäure zu vergleichbaren Effekten bei der Reduktion der Migräneanfallshäufigkeit.18

Fazit Magnesium ist essenziell für nahezu alle Abläufe des Körpers. Insbesondere ältere Menschen und SportlerInnen sollten auf eine adäquate Zufuhr des wichtigen Mineralstoffs achten. Nicht nur bei Muskel- und nächtlichen Wadenkrämpfen, auch bei chronischem Stress und Diabetes zeigen mehrere Studien einen direkten Nutzen. Gerade vor dem Sport kann die Einnahme von Magnesium die Leistungsfähigkeit unterstützen. Magnesiumcitrat wird hier rasch resorbiert und steht somit den Muskelzellen schnell zur Verfügung.

Magnesiumoxid hingegen eignet sich zum nachhaltigen Aufbau der intrazellulären Depots. Bei empfindlichen Personen wird es gut vertragen und löst in der Regel keine laxierende Wirkung aus.

REFERENCES 1 Hahn A et al. Ernährung: Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 3rd edn. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2016.; 2Barbagallo M et al. Magnesium in Aging, Health and Diseases. Nutrients 2021; 13 (2).; 3Deutsche Gesellschaft für Ernährung et al. D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 2nd edn. Neustadt an der Weinstraße: Neuer Umschau Buchverl., 2015.; 4Rust P et al. Österreichischer Ernährungsbericht 2017.; 5Schwalfenberg GK, Genuis SJ. The Importance of Magnesium in Clinical Healthcare. Scientifica (Cairo) 2017; 2017: 4179326.; 6Barna O et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled, multicenter study assessing the efficacy of magnesium oxide monohydrate in the treatment of nocturnal leg cramps. Nutr J 2021; 20 (1): 90.; 7Schuchardt JP, Hahn A. Intestinal Absorption and Factors Influencing Bioavailability of Magnesium-An Update. Current Nutrition & Food Science 2017; 13 (4): 260–78.; 8Predel H-G et al. Magnesium im ambitionierten Breitensport – ein Update. Dtsch Z Sportmed 2017; 2017 (01): 5–9.; 9Porta S et al. Acute oral application of a magnesium amino acid compound: Significant improvement of individual performance in sports. TE 2019; 36 (01): 8–12.; 10Pickering G et al. Magnesium Status and Stress: The Vicious Circle Concept Revisited. Nutrients 2020; 12 (12).; 11Held K et al. Oral Mg(2+) supplementation reverses age-related neuroendocrine and sleep EEG changes in humans. Pharmacopsychiatry 2002; 35 (4): 135–43.; 12Murck H, Steiger A. Mg2+ reduces ACTH secretion and enhances spindle power without changing delta power during sleep in men -- possible therapeutic implications. Psychopharmacology (Berl) 1998; 137 (3): 247–52.; 13Feng J et al. Role of Magnesium in Type 2 Diabetes Mellitus. Biol Trace Elem Res 2020; 196 (1): 74–85.; 14Gommers LMM et al. Hypomagnesemia in Type 2 Diabetes: A Vicious Circle? Diabetes 2016; 65 (1): 3–13.; 15Veronese N et al.

Effect of magnesium supplementation on glucose metabolism in people with or at risk of diabetes: a systematic review and meta-analysis of double-blind randomized controlled trials. Eur J Clin Nutr 2016.; 16Rodriguez-Moran M, Guerrero-Romero F. Oral Magnesium Supplementation Improves Insulin Sensitivity and Metabolic Control in Type 2 Diabetic Subjects. Diabetes Care 2003; (26): 1147–52.; 17Dolati S et al. The Role of Magnesium in Pathophysiology and Migraine Treatment. Biol Trace Elem Res 2020; 196 (2): 375–83.; 18Karimi N et al. The efficacy of magnesium oxide and sodium valproate in prevention of migraine headache: a randomized, controlled, double-blind, crossover study. Acta Neurol Belg 2021; 121 (1): 167–73.

SECHS MARKENZEICHEN FÜR QUALITÄT:

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Stress äußert sich häufig in Form von Schlafstörungen. Studiendaten zeigen, dass die Zufuhr von Magnesium zu einer Verbesserung der Schlafqualität führen kann. Magnesiumgabe verbesserte verschiedene Schlafparameter im Schlaf-Elektroenzephalogramm und senkte die Ausschüttung der Stresshormone Kortisol und ACTH in der Nacht.11,12

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Wartezimmer TV

Hausärzt:in extra

Als „Mentee“ Erfahrungen sammeln

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Einbeziehung von Allgemeinmediziner:innen als kassenärztliche Hausärzt:innen im Rahmen des innovativen Mentor-Programms „NeuAMstart” in Oberösterreich

welches von der selbstständigen BetreuDer zunehmende Mangel an Allgemeinung von Patienten bis hin zu notwendimedizinern in der hausärztlichen Kassengen betriebswirtschaftlichen Kenntnispraxis stellt ein ständig wachsendes und sen reicht. Das ermöglicht einen sanften ernstzunehmendes Problem dar. Hier und praxisnahen Einstieg in müssen neue Wege beschritten den sonst meist eher als sehr werden, um die Versorgung herausfordernd empfundenen der Patientinnen und Patienbreiten Aufgabenbereich eines ten weiterhin zu sichern. In Allgemeinmediziners in hausKooperation mit der oberösärztlicher Tätigkeit. terreichischen Ärztekammer und der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Das Projekt im Detail Oberösterreich, hat nun der GASTAUTORIN: Dr.in Angelika Reitböck Allgemeinmediziner Dr. Kurt Interessierte Mentees und Haus- und GemeindeRoitner federführend ein völlig Mentoren haben im Detail nun ärztin und Dermatoloneuartiges Projekt auf den Weg gin in Klaus/Steyrling folgende Aspekte und Auflagebracht. Damit sollen primär gen zu beachten: Die VorausAllgemeinmedizinerinnen und -medizisetzung für eine Teilnahme des Mentees ner angesprochen werden, die sich – noch sind ein abgeschlossenes „ius practicanaußerhalb der Kassenmedizin befindlich di“ und die Tatsache, dass in den vergan– beruflich verändern wollen oder ein zugenen fünf Jahren keine regelmäßigen sätzliches zweites Standbein suchen. Im Aktivitäten in einer Kassenpraxis für Rahmen dieses Programms können ÄrzAllgemeinmedizin erfolgt sind. Neben te in einer Kassenpraxis für Allgemeineinem Einführungsseminar werden den medizin in Teilzeit angestellt werden.

Mentees kostenlose UnterrichtseinheiDas ermöglicht ihnen als sogenannte ten in verschiedenen Bereichen wie Pra„Mentees“ Erfahrungen zu sammeln und xisführung, Gesprächs- und Führungsdamit Einblick in das umfassende Wesen kompetenz, Betriebswirtschaft oder einer Kassenpraxis zu bekommen. Und psychosoziale Kompetenzen geboten. sie können vom reichen ErfahrungsUm als Mentorinnen und Mentoren teilschatz des Inhabers der Ordination, der zunehmen, müssen Hausärztinnen und als „Mentor“ fungiert, im hausärztlichen Hausärzte mindestens fünf Jahre ErfahTätigkeitsbereich profitieren. Dabei wird rung mit einer Kassenpraxis haben. Für ein sehr breites Spektrum abgedeckt, sie ist ein kurzes Einführungsseminar (ca.

fünf Stunden) vorgesehen. Danach werden sie in eine Liste der oberösterreichischen Ärztekammer aufgenommen. Das ermöglicht den Mentees, mit den Mentoren Kontakt aufzunehmen.

Die Zahl der in Teilzeit zu absolvierenden Wochenstunden und deren Aufteilung können flexibel gewählt werden. Angeboten werden ein variierender Rahmen von 30 Wochenstunden für eine Dauer von drei Monaten, einer von 15 Wochenstunden für sechs Monate oder einer von zehn Wochenstunden für neun Monate.

Die Gesamtkosten dieses Projekts werden aus dem sogenannten „Innovationstopf“ (= gemeinsamer „Geldtopf“ von ÄK und ÖGK für OÖ) bestritten. Das Gehalt des Mentees wird nach dem Kollektivvertrag für angestellte Ärzte bei Ärzten ausbezahlt und ist mit der Gehaltsstufe 4 gedeckelt. Der Inhaber der Kassenpraxis bekommt für den gesamten Projektverlauf ein Honorar von 4.500 € (2.000 € im ersten, 1.500 € im zweiten und 1.000 € im dritten Monat). Auch die anfallenden Lohnkosten werden zu

„Das Interesse für den sehr vielfältigen Hausarztberuf soll geweckt werden.“ hundert Prozent vom „Innovationstopf“ übernommen. Der Zeitraum, in dem dieses Projekt angeboten wird, ist vorerst bis Ende 2022 befristet.

Ziel dieses innovativen Projekts ist, das Interesse für den sehr vielseitigen und persönlich bereichernden Weg zur Selbstständigkeit als Hausarzt im Kassensystem – durch die intensive tägliche Interaktion der Mentees mit den erfahrenen Hausärztinnen und -ärzten als Mentoren – zu wecken und zu fördern. < Dr.in Angelika Reitböck ist Lektorin an der JohannesKepler-Universität, Linz, Leiterin des Vorsorgereferats der Ärztekammer für Oberösterreich und Präsidentin des Österreichischen Hausärzteverbands.

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Hausärzt:in extra

Therapieerfolg durch rechtzeitige Intervention

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In der Logopädie werden über 40 verschiedene Diagnosen behandelt – mehr als die Hälfte davon kommen im Kindes- und Jugendalter vor

„Zum zweiten Geburtstag sollten die Kinder mindestens 50 Wörter sprechen und diese Wörter zu sogenannten ‚Zweiwortsätzen‘ kombinieren können.“

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GASTAUTORINNEN-TEAM:

Bianca Happenhofer-Bileck Niedergelassene Logopädin in Wien, Vorstandsmitglied im Berufsverband, logopaedieaustria.at

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Tanja Penz, MSc, MEd Leitende Logopädin an der Univ.-Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen Innsbruck

Der logopädische Indikationenkatalog umfasst aktuell 71 ICD-10-Codes (bzw. rund 120 ICD-11-Codes) und weist somit eine enorme Vielfalt auf.

Die kindliche Sprachentwicklung ist ein vielschichtiger und hochkomplexer Prozess. Das Kind erwirbt zahlreiche Kompetenzen – bereits im Säuglingsalter erkennt es z. B., welche Laute zu den Familien- oder Umgebungssprachen gehören und welche nicht. Gegen Ende des ersten Lebensjahres verstehen Kinder schon viele Wörter. In diesem Alter ist die Sprachentwicklung noch sehr variabel, sodass einige Kinder mit einem Jahr bereits mehr als ein Wort sprechen, andere noch keine erkennbaren Wörter.

Zum zweiten Geburtstag sollten die Kinder mindestens 50 Wörter sprechen und diese Wörter zu sogenannten „Zweiwortsätzen” kombinieren können.

Wenn dies nicht der Fall ist, spricht man von einer Sprachentwicklungsverzögerung. Hier kann eine frühe Intervention die weitere sprachliche Entwicklung

positiv beeinflussen. Das Zeitfenster bis zum Schuleintritt ist sehr knapp – vor allem für Kinder, die in diesen Jahren Unterstützung benötigen. Im Vordergrund der logopädischen Betreuung stehen im Alter von zwei bis drei Jahren meist eine fundierte Diagnostik, eine ausführliche Elternberatung sowie engmaschige Kontrollen in Hinblick auf die Sprachentwicklung. Aber auch der Ausschluss schwerwiegender Erkrankungen, die zu einer nicht adäquaten Sprachentwicklung führen, ist essenziell und erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Sekundärprobleme verhindern Die Therapie einer Sprachentwicklungsstörung, die ab dem dritten Geburtstag diagnostiziert werden kann, dauert mitunter bis zum Schuleintritt. Bei einem zu späten Start der logopädischen Therapie besteht die Gefahr, dass der Schuleintritt mittels eines Vorschuljahrs nach hinten verschoben werden muss. Wird eine Sprachentwicklungsstörung nicht

IM ÜBERBLICK Wann kann ein Kind zur Logopädie überwiesen werden?

Immer dann, wenn ... � ... eine Auffälligkeit im Mundbereich oder beim Hören bemerkbar ist. � ... ein zweijähriges Kind keine 50 Wörter in der Familiensprache spricht. � ... ein vierjähriges Kind nicht wie ein „kleiner Erwachsener“ spricht. � ... Stottern/Sprechunflüssigkeiten auftreten. � ... eine ärztliche Kontrolle keine sichere Diagnose ermöglicht.

Logopädinnen und Logopäden haben für die Diagnostik mindestens 60 Minuten Zeit. Eine ärztliche Abklärung muss oft binnen weniger Minuten erfolgen. � ... bei mehrsprachig bzw. multilingual aufwachsenden Kindern Fragen (der Eltern) hinsichtlich der Sprachentwicklung bzw. des Fortschritts aufkommen.

Hier gilt die Regel „Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.“ Sollte sich bei der Diagnostik herausstellen, dass zur Zeit kein Therapiebedarf besteht, kann ein Kontrolltermin zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart werden.

früh genug erkannt und entsprechend therapiert, resultiert daraus mitunter eine Lese-Rechtschreib-Störung.

Der schulische Erfolg und die berufliche Laufbahn hängen signifikant mit den sprachlichen Leistungen zusammen und stark von einer rechtzeitigen Intervention ab.

Zudem werden nicht nur sprachauffällige Kinder in logopädischen Praxen vorstellig. Auch Kinder mit einer offenen Mundhaltung, Zahn- und Kieferfehlstellungen, einer Aussprachestörung (z. B. interdentales S) oder mit einer beeinträchtigten Nasenatmung gehören dringend zeitgerecht abgeklärt. Letztere kann wiederum u. a. Paukenergüsse und/oder Mittelohrentzündungen begünstigen.

Sollte sich bei der Diagnose herausstellen, dass ein Beobachtungszeitraum sinnvoll ist, so werden engmaschige Verlaufskontrollen mit den Eltern vereinbart.

Wenn Kinder im Laufe der Sprachentwicklung Sprechunflüssigkeiten – also Stottern – aufweisen, sollten sie umgehend einer logopädischen Abklärung zugeführt werden.

Häufig können gerade bei jungen Kindern – vor allem durch Beratung der Eltern – die Symptome binnen kurzer Zeit wieder abgebaut und die Entstehung von Sekundärproblemen verhindert werden. <

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Hausärzt:in extra

Die Anwender:innen sind Mitentwickler:innen

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Living Labs als Motor der Innovation und Beteiligung im Gesundheitswesen

Um Innovationen, insbesondere bei digitalen Produkten und Dienstleistungen, im Gesundheits- und Sozialwesen nachhaltig umzusetzen, bedarf es häufig eines Ökosystems sich ergänzender Fachgebiete.

Die frühzeitige Einbeziehung externer Interessengruppen in den Innovationsprozess stellt eine wichtige Ressource dar und fördert die Akzeptanz sowie Anwendbarkeit der entwickelten Produkte und Dienstleistungen bei den Endanwenderinnen und -anwendern.1 Eine der jüngsten und bekanntesten Methoden für solch nutzerbezogene Innovationen sind sogenannte Living Labs. Die Entwicklung dieser Labs wurde insbesondere durch EU-Förderprogramme und internationale Gemeinschaften wie das European Network of Living Labs (ENoLL) – mit über 500 Living Labs weltweit aus unterschiedlichen Bereichen von Gesundheit,

AKTUELL Um die Entwicklung innovativer Lösungen für ältere Menschen voranzutreiben, wird im Rahmen des kürzlich in Graz eröffneten Hauses Esther gemeinsam mit lokalen Partnern auch ein auf Altenpflege und soziale Innovation spezialisiertes Living Lab realisiert.

Bei Interesse, Partner:in dieses Netzwerkes zu werden oder die Leistungen eines Living Labs für die eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu nutzen, lädt das Albert Schweitzer Institut für Geriatrie und Gerontologie Graz zur Kontaktaufnahme ein: Tel.: +43 316 7060 1061 E-Mail: ggz.asigg@stadt.graz.at

Sozialer Inklusion, Energie und Umwelt bis hin zu Artificial Intelligence – in den letzten Jahren massiv vorangetrieben.2

Im realen Umfeld testen Doch was genau versteht man unter einem Living Lab? Der Begriff wurde erstmals in den späten 1990er Jahren von dem MediaLab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) geprägt.

Dabei definierte die Europäische Kommission eine Living-Lab-Umgebung als ein nutzerinnen- und nutzergesteuertes, offenes Innovationsökosystem, das auf einer Partnerschaft zwischen Wissenschaft, Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern und Regierung basiert. Den Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht diese Umgebung, sich aktiv an verschiedenen qualitativen und quantitativen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprozessen zu beteiligen. Häufig werden noch in Entwicklung befindliche Services und Produkte in einem realen Umfeld getestet, wobei der Schwerpunkt auf dem Zugang zu den Ideen und dem Wissen der Anwenderinnen und Anwender liegt.1,2

rem das definierte Ziel des EU-Projekts I-Care-Smart. So wurde gemeinsam mit älteren Menschen, Nutzerinnen und Nutzern von Rollatoren sowie Vertreterinnen und Vertretern der Medizintechnik, des Ingenieurwesens, der Gesundheitswissenschaft und Sozialarbeit in einem mehrjährigen Entwicklungsprozess an der Entstehung dieses sogenannten intelligenten Rollators gefeilt. Die Einbeziehung der Seniorinnen und Senioren geschah im Zuge von partizipativen Workshops, in denen das Produkt von ihnen getestet und angewendet wurde und man in direkten Gesprächen von ihnen erfuhr, was sie mögen und was sie nicht mögen. Eine der Seniorinnen, die am Entwicklungsprozess beteiligt war, erzählte: „Ich bin voller Ideen und kann meine Vorstellungen ideal einbringen. Die Leute hören mir zu und finden interessant, was ich sage. Vielleicht kann jemand meine Ideen nutzen. Die Testungen sind interessant und wir arbeiten nicht nur zusammen, sondern wir lachen auch gemeinsam; das ist schön.“ Gastautor:innen: Kerstin Löffler, BA MA, Dr. Wolfgang Kratky, MBA, Mag.a Dr.in Judith Goldgruber Quellen: 1 Ballon P et al., (2018). Telematics and Informatics. doi.org/10.1016/j.tele.2018.02.003 (28.09.2021).

2 Schuurman D et al., (2019). Technology Innovation Management Review. 63–73. doi.org/10.22215/ timreview/1225 (28.09.2021).

3 Schuurman D & De Marez L (2012). Technology Innovation Management Review. 31–38. Verfügbar unter: timreview.ca/article/606 (28.09.2021).

Auszug aus: Löffler K, Kratky W & Goldgruber J (2021).

ProCare,26(9): 44-47.

Praxisbeispiel: Rollator der Zukunft Wie sieht das nun in der Praxis aus? Man stelle sich vor, man möchte einen Rollator der Zukunft entwickeln. Einen Rollator, der die Wünsche und Bedürfnisse der Endanwenderinnen und -anwender erfüllen soll. Genau das war unter ande-

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Grundlegende Richtung: Unabhängige österreichische Fachzeitschrift für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.

Die HAUSÄRZT:IN – Praxis-Magazin für Primärversorgung – ist ein interdisziplinäres Informations- und Fortbildungsmedium.

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© shutterstock.com/wan wei

Hausärzt:in Kommentar

Pflege Sicht Sache Seitenblicke auf die Medizin

© Elisabeth Potzmann, privat

„Pflegepersonen beim Thema assistierter Suizid in die Entscheidungsprozesse einbeziehen“

Mag.a Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands.

Am 13.12.2020 hat der Österreichische VfGh in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung festgestellt, dass der § 78, 2. Tatbestand Strafgesetzbuch (Hilfeleistung beim Suizid) verfassungswidrig und daher aufzuheben ist. Den § 78, 1. Tatbestand (Verleitung zum Selbstmord) und den § 77 (Tötung auf Verlangen) sieht der VfGh als verfassungskonform an.

Der Gesetzgeber hatte bis Ende 2021 die Aufgabe, die Rechtslage und deren Ausgestaltung in der Praxis gemäß dieser Entscheidung zu verändern.

Häufig erste Ansprechpersonen Die in den Pflegeberufen tätigen Menschen sind im Umgang mit Sterbewün-

schen von Patientinnen und Patienten in besonderem Maße mit der veränderten Gesetzeslage konfrontiert. Wie keine andere Berufsgruppe stehen sie in enger Beziehung zu pflege- und unterstützungsbedürftigen Menschen.

Pflegende verbringen viel Zeit mit den ihnen anvertrauten Menschen, zudem erfordern und fördern viele Pflegehandlungen eine enge und vertrauensvolle Beziehung zur Patientin, zum Patienten. So sind laut internationalen Studien Pflegepersonen im stationären, häuslichen oder teilstationären Setting häufig die ersten Personen, denen der Wunsch nach einem assistierten Suizid anvertraut wird. Pflegepersonen müssen dann hinlänglich über gesetzliche Rahmenbedingungen und vorhandene Strukturen informiert sein. Es braucht hohe kommunikative Kompetenz und hinlängliche Zeitressourcen, damit die Pflegenden angemessen auf solche Situationen reagieren und diese professionell begleiten können. Der bloße Verweis auf Expertinnen und Experten sowie die Delegation dieser Aufgaben reichen hier nicht aus. Denn das würde bedeuten, dass das Wissen von Pflegepersonen um die Nöte und Sorgen ihrer Patientinnen und Patienten sowie die Kenntnis des Prozesses, der zur Entwicklung eines Sterbewunsches geführt hat, verloren gehen. Das kann keinesfalls im Sinne der Betroffenen sein. Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass Pflegepersonen vom Beginn bis zum Ende in den Ablaufprozess eingebunden sind.

Multidisziplinäre Strukturen schaffen Daher ist es aus Sicht des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV) essenziell und dringend erforderlich, die Gruppe der Pflegepersonen aktiv in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen! Durch Schaffung von Strukturen, die eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit der medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufsgruppen fördern und ermöglichen, können Menschen, die sich für einen assistierten Suizid entscheiden oder diesen überlegen, professionell, menschlich und ergebnisoffen begleitet werden.

In Anlehnung an die Stellungnahme „Forderungen des ÖGKV zur neuen Rechtslage in Bezug auf assistierten Suizid“ von Mag. a Sabine Ruppert und Frau Mag. a Alexandra Hornek. Nachzulesen auf oegkv.at/aktuelles

PARTNER:IN

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Hausärzt:in informativ

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