TAG DES FRIEDHOFS
«Ich glaube, dass wir es gut haben werden nach dem Tod» 2020 übernahm Andres Roth in Grindelwald das Bestattungsinstitut seines Vorgängers Hans Schild. Die beiden Bestatter finden es schön, Menschen in der schwierigen Situation beim Tod eines Angehörigen helfen zu können. Manchmal kommen auch ihnen die Tränen. Der Tod ist noch immer ein Tabu thema. Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf? Hans Schild: Mein Grossvater und mein Vater waren Schreiner und machten auch Särge. Mit 18 Jahren half ich meinem Vater zum ersten Mal, eine tote Frau in den Sarg zu betten und zurechtzumachen. So kam das. Später übernahm ich die Schreinerei und die Bestattungen. Andres Roth: Auch ich rutschte so rein, half Hans ein paar Mal beim Tragen der Särge, machte Ferienablösung, bis ich 2020 sein Geschäft übernahm. Wie war es, als Sie die erste Leiche berührten? A. R.: Ich war 12 Jahre alt. Es war mein Grossvater. Das war damals schon komisch. Ich denke, es ekelte mich auch ein wenig. Und heute? A.R.: Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Es ist einfach so, als
ob die Person ganz kalte Hände hätte. Das sage ich auch den Angehörigen, die Berührungsängste haben. Ihrer Arbeit liegt immer ein trauriger Anlass zugrunde. Ist das nicht bedrückend? H.S.: Wenn ich zu den Menschen komme und alle weinen, kommen mir manchmal auch die Tränen. A.R.: Ich kann mich an eine junge Frau erinnern, die in den Bergen abstürzte. Es war einer meiner ersten Todesfälle. Ich machte die Frau zurecht, damit ihre Mutter sie noch einmal sehen konnte. Gemeinsam mit der Trauerfamilie suchten wir im Internet nach passender Musik für die Beerdigung. Das ging mir sehr nahe. Da musste ich auch weinen. Empathie ist wichtig in Ihrem Beruf. Welche Kompetenzen brauchen Sie noch? H.S.: Wir müssen mit den Toten und den
Hinterbliebenen umgehen können. Wichtig ist es, Ruhe zu bewahren. Oft sind die Angehörigen sehr aufgeregt und hilflos. Ich sehe meine Rolle im Helfen. A.R.: Geduld ist wichtig. Manchmal ist man nur eine Viertelstunde bei den Angehörigen. Ein andermal braucht es drei Stunden. Wir müssen auf die Leute und ihre Bedürfnisse eingehen können. Meistens reden wir zuerst ein wenig zusammen, bauen das Vertrauen auf, bevor wir die Formalitäten regeln. Was wünschen sich die Angehörigen für die Bestattung? A.R.: In Grindelwald machen Erdbestattungen nur noch einen sehr kleinen Prozentsatz aus. Viele Angehörige möchten ihre Verstorbenen auch nicht mehr auf dem Friedhof beerdigen, sondern vergraben die Urne bei sich im Garten oder an einem Lieblingsplatz. Und wie sollen die Verstorbenen zurechtgemacht werden? H.S.: Als ich anfing, zogen wir den Verstorbenen ein Totenhemd an. Später wünschte man eher schicke Kleidung mit Krawatte. Heute möchten die meisten ihre Angehörigen so anziehen, wie man sie kannte. Wir haben auch schon einen Handwerker in Überhosen beerdigt. Müssen Sie die Verstorbenen auch schminken? H.S.: Vor allem früher. Manchmal gaben mir die Leute die Schminke mit. Später besorgte ich mir einen Schminkkoffer. A.R.: Heute geht die Tendenz eher hin zur Natürlichkeit. Bild links: Die Bestatter Andres Roth (links) und Hans Schild tragen an Beerdigungen einen Halbleinen-Anzug. Für die rund 30 Kremationen pro Jahr kommen sie ins Krematorium nach Thun. Bild rechts: Am 19. September 2021 ist Tag des Friedhofs.
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ThunMagazin | 4/21