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Ironman Switzerland
Am 5. September findet der erste Ironman in Thun statt. Auch der Profi-Triathlet Samuel Hürzeler aus dem Berner Oberland wird um den Sieg kämpfen. Dieses Rennen wird nicht nur in den Beinen entschieden.
Taiwan, Lanzarote, Südafrika – jetzt Thun. Was bedeutet Ihnen der Ironman in Ihrer
Heimat? Viel. Das ist etwas vom Schönsten. Ich bin ein richtiger Heimweh-Berner Oberländer. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, dass andere Athleten in meine Heimat kommen und sehen, wie schön es hier ist. Dieser Ironman wird mein bisheriges Karrierehighlight.
Haben Sie einen Heimvorteil? Ja, zum Beispiel wegen der Streckenkenntnisse. So weiss ich genau, wie es ist, im Thunersee zu schwimmen. Und es ist ein Vorteil, dass ich einen kurzen Anreiseweg und keine Klima- und Zeitumstellung habe. Entscheidend ist aber vor allem das grosse Umfeld. Die Menschen am Streckenrand motivieren mich sehr.
Ein Marathon allein ist ein Kraftakt. Sie schwimmen zuvor noch 4km und fahren 180km Rad. Haben Sie eigentlich auch
einen inneren Schweinehund? Oh ja. Bei mir kommt er vielleicht einfach bei Marathon-Kilometer 35 zum Vorschein, bei anderen vor der Joggingrunde. Ein Ironman ist eine grosse mentale Herausforderung. Ich habe im Wettkampf ein-, zweimal Phasen, in denen ich leide und hinterfrage, was ich da mache.
Was geht Ihnen während eines Rennens
durch den Kopf? Zum Beispiel Taktisches. Ich orientiere mich an der Konkurrenz. Wenn ich mit einem starken Schwimmer aus dem Wasser komme, weiss ich, dass ich gut unterwegs bin. Wenn nicht, baue ich mich auf, sage mir, dass das Rennen ja noch siebeneinhalb Stunden läuft. Je länger der Wettkampf dauert, desto wichtiger wird das positive Zureden. Man muss das Teufelchen auf der Schulter verscheuchen.
Wie wichtig ist die mentale Stärke im
Vergleich zur körperlichen? Sehr wichtig – bei jeder Sportart. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Kopf bei langen Distanzen noch entscheidender ist. Bei kürzeren Strecken kannst du mit deinem Körper, deinem Motor, viel bewirken. Ein langer Wettkampf hingegen wird zur mentalen Schlacht. Gerade der Marathon ist beim Ironman nicht nur lustig, der ist manchmal ein «Kätsch». Da schreit alles im Körper danach, einfach zu spazieren.
Arbeiten Sie viel im mentalen Bereich?
Mal mehr, mal weniger. Letztes Jahr holte ich mit einem Mentaltrainer das Selbstvertrauen im Schwimmen zurück. Ich war primär Schwimmer, aber weil ich dann vor allem im Laufen und Radfahren Vollgas gab, war Schwimmen plötzlich meine schlechteste Disziplin. Bei jedem Rennen jagte ich nach einem mässigen Schwimmstart stundenlang der Spitzengruppe hinterher. Ich verlor die Freude am Schwimmen, hatte vor dem Start negative Gedanken. Daran habe ich gearbeitet.
Welches ist heute Ihre beste Disziplin?
Ich bin ziemlich ausgeglichen, das sehe ich als Vorteil. Ich muss in keiner Disziplin eine andere kompensieren.
Was reizt Sie am Triathlon? Mir gefällt, dass man viel draussen ist, zum Beispiel in den Bergen. Auch reizen mich die drei Disziplinen. Man kann schon sagen, dass wir alles ein bisschen können, aber nichts richtig. Handkehrum musst du eben Allrounder sein. Du kannst nicht als Radprofi einen Triathlon gewinnen. Ausserdem liegt mir die Langdistanz. Ich habe keinen Motor, den ich lange im Roten drehen lassen kann. Ich bin der klassische Diesler.
Aktivitäten in der Wechselzone werden
als 4. Disziplin bezeichnet. Das ist so. Ich überlege bei den Übergängen bewusst, wie ich Zeit einsparen kann, optimiere die Abläufe. Manchmal sind 10 Sekunden 10 Sekunden zu viel.
Kommt es darauf an, ob man zuerst die Schwimmkappe oder den Neoprenan-
zug auszieht? Genau, wenn du die Kappe oder Brille zu früh ausziehst, hast du die Hände nicht frei, um beim Laufen in die Wechselzone den Neoprenanzug auszuziehen. Da lässt sich Zeit einsparen. Im Spitzensport rücken die Athletinnen und Athleten in ihrer Leistung immer näher zusammen. Deshalb fallen marginale Verbesserungen ins Gewicht, selbst in einem 8-Stunden-Wettkampf.
Wie wichtig ist das Material? Gerade beim Velo ist es heute wie in der Formel 1. Das ist ein Wettrüsten. Die Aerodynamik ist ein Riesenthema. Man macht Analysen im Windkanal und auf der Rennbahn, verbessert die Sitzposition, die Kleidung. Manche drucken gar Teile aus dem 3D-Drucker, um das Velo schneller zu machen. Die Herausforderung ist, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten.
Zur Person
Samuel Hürzeler (1984) wuchs in Därligen auf und lebt zurzeit in Wilderswil. Er ist mehrfacher Inferno-TriathlonGewinner und verbucht weltweit Erfolge, unter anderem an zahlreichen Ironman-Wettkämpfen. Der Profisportler und Master of Science in Sports ist auch als Coach tätig.
Sie setzen seit zwei Jahren voll auf den Spitzensport. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich trainiere sieben Tage die Woche in den verschiedenen Disziplinen. Ausserdem achte ich auf regelmässige Bettzeiten und einen guten Biorhythmus. Physiotherapie und manchmal Chiropraktik kommen hinzu, ebenso die Auseinandersetzung mit dem Material und Administratives wie Sponsoring. Zudem coache ich einige Athleten. Die Tage sind sehr gefüllt.
Wie erholen Sie sich nach dem Wett-
kampf? Wenn ich nicht kurz darauf den nächsten Wettkampf habe, lasse ich mich treiben. Das ist die ungeplanteste Phase in meinem Leben. Körperlich bin ich nach einem Ironman zwar am Anschlag, aber nach 5 bis 6 Tagen ist das Gröbste durch. Viel länger dauert die mentale Erschöpfung. Ich habe eine Zeitlang keine Lust auf Training. Da helfen mir Aktivitäten, bei denen ich abschalten kann – Fischen, Wandern oder Kanufahren.
Ist das Fischen also Ausgleich oder Trai-
ning? Es ist vor allem Erholung. Beim sehr trainingsintensiven Triathlon besteht die Gefahr, 24/7 nur Sportler zu sein. Als ich 2018 Profisportler wurde, erging es mir so. Das ist nicht gesund. Das Fischen oder zum Beispiel soziale Kontakte helfen mir, da denke ich überhaupt nicht an den Sport.
Zum Schluss ein Ausblick. Welches Ziel
haben Sie? Ich will auf Hawaii an die Weltmeisterschaften. Zweimal habe ich die Qualifikation um einen Rang verpasst. Wenn ich in Thun gewinne, könnte ich nächstes Jahr in Hawaii starten.
Haben Sie schon Vorstellungen für die
Zeit nach der Sportkarriere? Ja, ich war bis vor zwei Jahren Berufsschullehrer. Ich freue mich darauf, wieder zu unterrichten oder eine Weiterbildung zu machen. Jetzt konzentriere ich mich noch voll auf die Sportkarriere.
Interview: Cilia Julen Bilder: Erich Häsler, zvg
Sie sind ein Triathlet, der gerne fischt.
Ein ziemlicher Gegensatz. Finden Sie?
Ja, Triathlon ist so kraftvoll und tempo-
reich, Fischen eher bewegungsarm. Ich sehe es nicht als Gegensatz. Ein Ironman ist sehr lang und monoton. Der hat auch mit Geduld zu tun. Das Meditative des Fischens, der klare Fokus, das Im-Hierund-Jetzt-Sein sind auch da wichtig.
Bilder: Der 37-jährige Samuel Hürzeler ist seit 2018 Profi-Triathlet.

