marie 60/ Mai 2021

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Mittendrin in V

Planänderung für alle Gunther Wetzel (51), Wirt des Rankweiler Traditionsgasthauses Sternbräu, outete sich vor einem Jahr in der marie erstmals öffentlich als Transfrau. Was hat sich seitdem verändert? Wie waren die Reaktionen? Und was hat das alles mit Corona zu tun? Darüber hat er jetzt selbst einen Text geschrieben.

Text: Gunther Anna Wetzel, Fotos: Cornelia Hefel

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„Ich persönlich bekam viel Zuspruch wegen des Artikels, Häme oder falsches Mitleid wurde oft in meinem Umfeld abgeladen.“

P

lanänderung, so fing ein Artikel in der marie im Februar 2021 an. In einem Interview sprach ich mit Brigitta Soraperra über mein Leben. Offen und ohne Tabus versuchte ich zu offenbaren, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der (die) ich bin. Wie meine Transidentität mich belastet hat, bis ich gelernt habe, sie als das Geschenk zu sehen, das sie ist. Das Interview half mir sehr dabei, dies auch der Öffentlichkeit zu erklären, in der ich als Unternehmerin in den letzten Jahren stand. Die Turbulenzen rund um das Sternbräu in Rankweil waren ein großes Thema, immer wieder berichteten die Zeitungen darüber. Nur schwer konnte ich erklären, warum ich diese Turbulenzen nicht verhindern konnte. Aber kein Wunder, wer sich selbst nicht liebt, kann auch die anderen Menschen oder seine Arbeit nicht lieben. Es musste scheitern. Vom Scheitern und Wiederaufstehen, so lautete das Thema eines Abends im alten Sternbräu im Rahmen einer „Zemma Wirta“-Veranstaltung der Rankweiler Traditionsgasthäuser. Der Untertitel hieß: „Von Toleranz und Befreiung“. Das war der Zeitpunkt, an dem für mich feststand, dass ich auch öffentlich zu meinem Inneren stehen muss. Nicht weil ich schon wieder im Licht der Öffentlichkeit sein wollte, sondern weil es der einzige Weg war, Ja zu mir zu sagen. Ein weiterer Beweggrund war auch, dass ich zur Erkenntnis gelangt bin, dass es an der Zeit ist, ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen eben für diese Toleranz und Befreiung. Inzwischen ist ein Jahr vergangen und fast alle Menschen auf diesem Planeten haben erfahren, was Planänderungen alles bedeuten können. Als damals das Interview mit mir erschien, war das Echo riesig. Ich persönlich bekam viel Zuspruch wegen des Artikels, Häme oder falsches Mitleid wurde oft in meinem Umfeld abgeladen. Damals sagte mir ein Bekannter: „Diese Woche ist deine Transidentität eine kleine Sensation, nächste Woche wird wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben.“ Aber dass die „nächste Sau“ im Dorf den ganzen Planeten erfassen würde, hätte wohl niemand gedacht. Innerhalb weniger Tage wurde aus einem Virus im fernen Wuhan ein unser aller Leben dominierender Faktor. Nicht mehr die (der) Wirt*in vom Sternbräu in Rankweil war Gesprächsthema, sondern eine unsichtbare Bedrohung für alle. Fast alle von uns saßen von heute auf morgen zuhause, unser aller Leben wurde auf die eigenen vier Wände reduziert. Die Welt hielt inne und das Credo der Stunde lautete: Zusammenhalten. Plötzlich wurde die Welt rund um uns klein und überschaubar. Eine Welle der Hilfsbereitschaft ging durch unsere Gesellschaft. Aus Fremden wurden echte Nachbarn, aus Bekannten Freunde. Nach ein paar Tagen war ich wieder am Arbeiten, zwar nicht in unserer Braugaststätte aber in unserem Getränkehandel. Trotz Lockdown war der Verkauf von Getränken erlaubt. Somit war ich als Einzige meines Betriebes aktiv beschäftigt. Viele Menschen waren froh, ein wenig von zuhause rauszukommen und ihr Bier selbst bei mir einzukaufen. Da es bei uns ja beim Getränkeverkauf überschaubar zugeht, war auch oft Zeit für einen Plausch mit den Kunden, natürlich mit dem gebührenden Abstand und im Freien. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht wirklich Ahnung, wie es geschäftlich nach dem Verkauf des alten Areals weitergehen sollte. Nur eines war klar: Es geht weiter. Was in den Gesprächen mit den Kunden oft angesprochen wurde, war nicht nur die Zukunft des Sternbräu, sondern auch oft das Interview in der marie über meine Transidentität.


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