7 minute read

Dame schlägt König

Next Article
Digitales Erinnern

Digitales Erinnern

4 |

Damengambit

Advertisement

Die US-amerikanische Miniserie „The Queen’s Gambit“ (Originaltitel) mit der 25jährigen argentinisch-britischen Schauspielerin Anya Taylor-Joy fasziniert seit Oktober 2020 weltweit das Publikum und ist mit über 60 Millionen ZuseherInnen die bisher meistgesehenste Netflix-Produktion. Die junge und talentierte Elizabeth „Beth“ Harmon gewinnt in den 1960er Jahren zuerst lokale Turniere in ihrem Heimatort Kentucky, arbeitet sich dann aber nach und nach zu den US-Open Schachmeisterschaften hoch. Zuletzt spielt sie ein Turnier in Moskau, bei dem sie den amtierenden Schachweltmeister schlägt und selber Weltmeisterin wird. Das Schachspielen brachte ihr der Hausmeister des Waisenhauses bei, bei dem sie im Keller oft vorbeischaute. Beth ist eine Waise und entdeckt das Schachspielen als ihr großes Talent. In der Schachwelt erregt sie Aufmerksamkeit, weil sie weit und breit die einzige Frau ist.

Die Serie besticht durch die realitätsgetreue Wiedergabe von Schachturnieren und Spielzügen, nicht zuletzt auch weil der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow selbst bei der Serie beratend zur Seite stand. Ein zweiter Aspekt der Serie widmet sich der Alkohol- und Tablettensucht der Hauptfigur. Um dem immensen Druck standzuhalten und sich auch besser zu konzentrieren greift sie zu Beruhigungstabletten, die sie aus der Zeit im Waisenhaus kennt.

Damengambit löste einen wahren Schachboom aus, Turnierbretter, Spielfiguren und Schachbücher sind seitdem Mangelware, teilweise sogar ausverkauft. Dies darum, weil der Ansturm weltweit gleichzeitig erfolgt ist. Seit der Erzählung „Schachnovelle“ von Stefan Zweig hat wohl keine Kunstform mehr den Fokus so schön auf dieses Spiel gelegt.

© PHIL BRAY/NETFLIX

DAME SCHLÄGT KÖNIG

Schach ist immer noch eine Männerdomäne. Logisches Denken und taktisches Kombinieren, das für dieses Spiel unerlässlich ist, wurde dem weiblichen Geschlecht lange Zeit aberkannt. Frauen mussten sich auch beim Schachspiel ihre Rechte erst erkämpfen. Heute werden junge Frauen sehr gefördert, sind aber zahlenmäßig immer noch in der Minderheit. Interessanterweise löste eine Netflix-Serie, in der eine junge Schachspielerin die Hauptrolle spielt, kürzlich einen neuen Schachboom aus. Die Vorarlbergerin Helene Mira ist eine der Frauen, die es im Schach zu wahrer Meisterschaft gebracht hat. >>

| 5

Text und Fotos: Daniel Furxer Illustration: pixabay

Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich sehr gerne ins Kaffeehaus ging. Ich war 17 und dort oft die einzige Frau. Mein Vater hat mir gezeigt, wie die Figuren „ ziehen, mehr wusste ich damals nicht“, erzählt die gebürtige Wie6 | nerin Helene Mira. „Die Männer spielten oft Schach. Das interessierte mich und ich wollte dieses Spiel auch lernen. Ich bin das dritte von vier Kindern und von Natur aus sehr kämpferisch. Ich wollte mich gegen die Männer beweisen. Sie waren immer sehr freundlich zu mir, haben mich zu Beginn aber nicht ernst genommen,“ erinnert „Einer hat mit sich Helene. „Ich habe dann aber bald im Schachspiel gegen sie gemir um 100 wonnen. Das war ihnen natürlich Schilling genicht recht und sie haben behauptet, sie lassen mich nur gewinwettet, dass nen.“ Das hat Helene Mira nicht „Gegen Schachich von drei gepasst. Die Männer spielten um Geld und sie wusste: Wenn ich weltmeister Partien keine auch um Geld spiele, dann neh- Karpow habe gewinne. Das men sie mich ernst. Ab diesem Zeitpunkt spielich mal in Wien war damals viel te sie nur noch um Scheine und im Café Central Geld. Gewonkonnte sich so ihr Studium finan zieren. Nicht weil sie so viel bes Uhrensimultan nen habe ich ser gewesen wäre, gesteht Helene gespielt. Das dann 10 hinterein, sondern weil die Männer oft überheblich spielten und zu viel war schon sehr einander.“ riskierten. „Einer hat mit mir um aufregend. 100 Schilling gewettet, dass ich von drei Partien keine gewinne. Das war damals viel Geld. Das Spiel ging Gewonnen habe ich dann zehn hintereinander,“ schmunzel- remis aus.“ te sie. Helene wollte sich gegenüber den Männern beweisen. Und das tat sie auch. Trotzdem gab es Hindernisse. Als einzige Frau im Schachclub durfte sie zum Beispiel nicht auf das Sommertrainingslager mitfahren. Hinzu kam, dass sie ihre zweite Leidenschaft, die Schauspielerei, ausübte, mit der sie ihr Geld verdiente. Die Proben am Theater oder am Set bei einem Fernsehfilm waren oft zur gleichen Zeit, zu der Schach trainiert und Turniere gespielt wurden. „So habe ich nur im Sommer Schach betrieben, dann aber sehr intensiv“, erklärt Mira. Ihr Beruf als Schauspielerin verlangte ihr viel ab. Erst mit 28 Jahren nahm sie das erste Mal an einem Turnier teil, das sie jedoch auf Anhieb gewann. Daraufhin wurde sie zum Semifinale der österreichischen Staatsmeisterschaften 1983 eingeladen. 1984 gewann sie die Staatsmeisterschaft. „Da habe ich dann richtig Gefallen am Turnierspielen bekommen“, so Helene Mira. Sie legte eine erstaunliche Karriere im Schachspiel hin und erreichte eine Elo-Zahl (mit der wird die Stärke eines Schachspielers gemessen) von 2230. Sieben Staatsmeistertitel (sechs im Turnierschach und einen im Blitzschach), zwei Titel bei den Schweizer Meisterschaften und den internationalen Meistertitel der Frauen haben ihr in der Schachwelt einiges an Ehre und Respekt eingebracht. Sie war die erste Österreicherin, die, ganz ohne Betreuung, den internationalen Meistertitel der Frauen gewann. Nach ihr schafften das nur noch vier Österreicherinnen.

„Ich habe mir alles aus Büchern angeeignet.“

„Gegen Schachweltmeister Karpow habe ich einmal in Wien im Café Central Uhrensimultan gespielt. Das war schon sehr aufregend. Das Spiel ging remis aus, vor allem, weil ich ihm nicht erlaubt habe, seine Türme zum Einsatz zu bringen. Es war eine Fernsehsendung, die vom ORF übertragen wurde, spät am Abend. Schach hatte in Österreich einen geringen Stellenwert. Um 24 Uhr durften die Zuschauer wählen, ob sie einen Spielfilm anschauen wollten oder weiter Schach. Sie haben sich dennoch für Schach entschieden,“ so Mira.

In Österreich wurde Schach in den 1980er Jahren kaum gefördert. Frauen waren die großen Exotinnen. Trainer hatte Helene Mira keine. Wenn man gewann, bekam man einen Blumenstrauß, Preisgeld gab es damals noch keines. Immerhin wurde das Doppelzimmer beim Turnier gestellt. „Ich habe mir alles aus Büchern angeeignet. Gespielt habe ich in der deutschen Oberliga, wo ich sechs aus sieben gewann. Natürlich spielte ich gegen Männer und war als Frau eine Ausnahme. Aber ich muss sagen, ich war eine Kämpferin.“ In Deutschland spielte sie, weil diese Liga am Sonntagvormittag gespielt hat und sie damit ihr Schauspielengagement mit dem Schachspielen verbinden konnte. Die Oberliga war Deutschlands dritthöchste Liga. Ihr letzter Staatsmeistertitel war außergewöhnlich. „2006 war das Jahr, indem es drei österreichische Staatsmeisterinnen gab. Tina Kopeniz und ich teilten uns den Titel bei den Damen und Eva Moser gewann den Titel bei den Männern. Alle drei durften wir daraufhin zur EM fahren,“ so Helene Mira.

Das Schachspiel hat für sie auch das Tor zur Welt aufgemacht. Reisen nach Russland, in die Ukraine oder mit 30 Jahren zum ersten Mal zur Schacholympiade nach Thessaloniki waren besondere Highlights ihrer Karriere. „Besonders gut in Erinnerung habe ich die Schacholympiade in Manila. Wir wurden in prunkvollen Hotels untergebracht und die Hotelboys erfüllten uns jeden Wunsch. Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Viertel in Manila, wo sich die Leute aus Pappkartons ihre Häuser gebaut haben und im Dreck lebten. Dieser gewaltige Unterschied zwischen Reich und Arm hat mich schon sehr demütig gemacht.“ Die Serie „Damengambit“, die seit Oktober 2020 auf

Netflix zu sehen ist (siehe vorherige Doppelseite), erlangte mit der Schauspielerin Anya Taylor-Joy einen unglaublichen Zuschaueransturm. Plötzlich sind das

Schachspielen und Frauen, die Schach spielen, en vogue. In der siebenteiligen Miniserie schafft es die fiktive Figur Elizabeth „Beth“ Harmon bis an die Spitze der Schachwelt, in dem sie die besten Schachspieler schlägt. Natürlich sind das alles Männer. Eine junge und toughe Frau fasziniert mit ihrem mutigen Spiel und löste damit in der Realität einen neuen Schachboom aus. Schachbretter sind auf einen Schlag auf der ganzen Welt ausverkauft. „Die Serie ist sehr gut gemacht. Ich habe sie sehr genossen. Unrealistisch ist jedoch, dass eine Frau so schnell Weltmeisterin wird.“ Im echten Leben gehe das sehr viel langsamer, bis man an die Spitze komme. „Heute wird für Frauen sehr viel im Schachsport getan, das finde ich sehr schön. In Österreich fehlen uns leider ein bisschen die Spitzentrainer. Wir haben einfach zu wenig Dichte im oberen Bereich. Gerade am Anfang wäre eine gute Unterstützung sehr wichtig.“ Unterstützung gibt es mittlerweile sehr wohl. Und das exklusiv für Frauen. Dagmar Jenner schart seit 2013 im Club „Frau Schach“ Frauen um sich, mit denen sie im Café Schopenhauer in Wien Schach spielt. Einmal im Monat, wenn nicht gerade Pandemie ist, treffen sich die Frauen auch in Bregenz. „Das ist sicher eine gute Idee, aber ich weiß nicht, ob das den Anteil der Frauen in der österreichischen Schachwelt langfristig erhöht“, ist Helene Mira kritisch. Rund zehn Prozent beträgt der Anteil von Frauen in Österreich, die bei Turnieren mitspielen. Schach ist auch im Jahr 2021 noch eine Männerdomäne, die schwer zu knacken ist. Vielleicht ändert ja eine Fernsehserie etwas daran.

| 7

This article is from: