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Tierische Nachbarn

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Naturnahe Gärten, grüne Dächer und Fassaden, artenreiche Blumenwiesen statt Einheitsrasen oder gar Asphalt können Futter und Lebensraum für zahlreiche Arten bieten.

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Unsere Städte und Dörfer sind für Menschen gebaut. Aber diesen Lebensraum teilen sich viele andere Arten mit uns – viel mehr, als wir denken.

Text: Katharina Lins, Illustrationen: pixabay

Wenn ich in meinem Büro in Dornbirn aus dem Fenster schaue, sehe ich oft einen Rotmilan, der über dem Innenhof der inatura seine Kreise zieht und bin immer wieder fasziniert von seinem eleganten Flug. Die schönen Greifvögel, die leicht an ihrem tief gegabelten Schwanz und der rostrot-schwarz-weißen Färbung zu erkennen sind, haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Noch 2007 berichtete der ORF als Neuigkeit, dass einer der seltenen Vögel in Vorarlberg gesehen wurde, jetzt kann man sie praktisch überall in den Siedlungsgebieten beobachten.

Die inatura hat Daten von über 1000 Tierarten nur im zentralen, dicht besiedelten Bereich der Stadt Dornbirn gesammelt, und diese Liste ist sicher noch lange nicht vollständig. Die meisten Arten wurden nämlich noch gar nicht systematisch untersucht.

Die Vögel sind davon sicher die sichtbarste Gruppe, aber wer hätte gedacht, dass ganze 88 Arten in der inneren Stadt gezählt wurden? Viele dieser Tiere würden uns Laien aber gar nicht besonders auffallen: Der größte Teil der 444 Schmetterlingsarten dürfte eher unspektakulär aussehen, und auch die 131 Käferarten und die 95 Arten von Fliegen und Mücken werden wohl nur wenige Spezialisten erkennen.

Aber auch viel größere Tiere leben oft unbemerkt in unserer Umgebung. In einem Garten ganz in der Nähe der inatura wurde ein Dachs beobachtet, der dort in der Nacht herumwühlte und nach Futter suchte. Dass ein so großes Tier so nahe an uns Menschen lebt, und so selten gesehen wird, beweist seine sehr heimliche Lebensweise.

Dass so viele Tiere im Stadtgebiet gesehen werden, bedeutet allerdings nicht, dass die Stadt für alle ein idealer Lebensraum wäre. Viele kommen nur auf der Durchreise in unseren Siedlungen vorbei, oder kommen einigermaßen mit der menschlichen Umgebung zurecht, wenn es an geeigneteren Lebensräumen fehlt.

Nur einige „Kulturfolger“ haben sich perfekt an die menschliche Umgebung angepasst und leben besser in der Stadt als in der freien Natur. Sie nutzen das reiche Nahrungsangebot und sind oft besser vor ihren Feinden geschützt. Straßentauben zum Beispiel kommen fast überall vor und sind weltweit mit Abstand die häufigsten Stadtvögel.

Auch der Rotfuchs ist eine der Arten, die besonders häufig in Siedlungen vorkommen, weil er sich extrem flexibel an geänderte Bedingungen anpassen kann, und bei seiner Nahrung nicht sehr wählerisch ist: Er findet auch in unserem Abfall genug zu fressen, so dass er in Städten oft in viel höheren Dichten vorkommt als in jedem natürlichen Wald.

Die Amseln waren ursprünglich reine Waldvögel, die im 19. Jahrhundert angefangen haben, in die Städte zu ziehen. Auch sie finden so viel Futter – etwa Regenwürmer und Fallobst, dass sie auf viel kleinerem Raum leben können als im Wald. Studien haben gezeigt, dass Stadtamseln lauter und höher singen, um auch im Lärm gehört zu werden. Durch das künstliche Licht hat sich auch ihr Zeitrhythmus verändert: Sie werden früher paarungsreif, fangen früher an zu brüten, und auch ihre Tage sind in den Siedlungen länger.

Das wärmere Klima unserer Städte nützt auch manchen Arten, die aus südlicheren Gebieten zuwandern. Auch entkommene oder ausgesetzte Haustiere können oft in Siedlungen überleben, zumindest eine Weile lang. So kommen etwa die Schmuckschildkröten, die Rotwangen- und Gelbwangenschildkröten auf die Liste der inatura.

Die Gebäude selber können auch als Lebensräume interessant sein. Manche Arten tragen das ja schon in ihren Namen: Die Haussperlinge, Mauersegler und Turmfalken etwa, die gerne an oder in Gebäuden brüten. Für viele Fledermäuse sind Dachböden die wichtigsten Lebensräume geworden.

Auch unsere Wohnungen teilen wir mit viel mehr Lebewesen, als uns bewusst ist. Die meisten davon schaden uns nicht, aber so genau wollen wir es vielleicht gar nicht wissen, was in unseren Teppichen oder Wänden alles lebt… Dass etwa Bettwanzen gar nicht so selten vorkommen, nicht nur in verwahrlosten Hütten, sondern auch in schönen Hotels in modernen Großstädten, mag sicher niemand an die große Glocke hängen. Auch diese Tiere haben sich so gut an die Menschen und ihr Umfeld angepasst, dass sie sehr schwer zu bekämpfen sind.

Man darf trotzdem nicht vergessen, dass es den allermeisten Arten ohne uns Menschen viel besser ginge. Weltweit sind geschätzt eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Auch bei uns sind viele Arten gefährdet, vor allem solche, die an ihren Lebensraum und ihre Ernährung ganz spezielle Ansprüche stellen. Vögel, die auf nährstoffarmen Wiesen brüten, oder ungestörte Ufer brauchen, können in unserem intensiv genutzten Land kaum überleben.

Und seien wir ehrlich: Nur einige Arten sehen wir gerne, bunte Vögel etwa oder „herzige“ Igel und Eichhörnchen. Mit anderen kommen wir nicht so gut klar – spätestens, wenn Mäuse unsere Vorräte anknabbern und Motten Löcher in unsere Pullover fressen, hört bei den meisten der Spaß auf.

Seit die Menschen sesshaft sind, haben sie ihren Besitz gegen Tiere verteidigt und werden das weiterhin tun. Wenn es denn sein muss, sollte man dafür möglichst schonende Wege finden.

Und wir könnten einiges tun, um das Zusammenleben mit vielen Tierarten zu verbessern: Naturnahe Gärten, grüne Dächer und Fassaden, artenreiche Blumenwiesen statt Einheitsrasen oder gar Asphalt können Futter und Lebensraum für zahlreiche Arten bieten. Dazu braucht es gar keine riesigen Grünflächen, auch bestehende Straßenränder, Böschungen und Kreisverkehre können zu attraktiven und artenreichen Blühflächen werden.

Unsere Gebäude sind oft tödliche Fallen für Tiere, die man mit etwas Aufmerksamkeit leicht vermeiden könnte: An großen Glasscheiben sterben viele Vögel, die diese Hindernisse nicht erkennen oder von Spiegelungen getäuscht werden. Auch unsere Beleuchtung zieht viele Insekten an, die versuchen, sich am Licht zu orientieren und solange um die Lampen kreisen, bis sie erschöpft sterben.

Es gibt für vieles schon gute Lösungen – es braucht nur guten Willen dazu. Und erst einmal das Wissen darüber, was überhaupt alles um uns herum lebt.

Studien haben gezeigt, dass Stadtamseln lauter und höher singen, um auch im Lärm gehört zu werden.

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