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Geheimnisvolle Stehauf-Kraft
Auf Stress und Lebenskrisen reagieren Menschen sehr unterschiedlich. Nicht umsonst ist der Büchermarkt übersät mit Titeln zur Stärkung unserer psychischen Widerstandskraft. Einen davon haben wir anlässlich des bevorstehenden Vorarlberg-Besuchs der Autorin Christina Berndt genauer unter die Lupe genommen.
Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Karin Brunner, Adobe Stock, unsplash
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Ich fürchte, sie macht sich was vor. Wahrscheinlich ein Verdrängungsmechanismus.“ So und so ähnlich wurde der Auftritt von Barbara Pachl-Eberhart vereinzelt kommentiert. Damals, vor rund sieben Jahren, als sie auf dem Kongress „Was im Leben wirklich zählt“ für manch einen zu gefasst von ihrer tragischen Familiengeschichte erzählte. Und dabei nicht hinterm Berg hielt, trotz allem, was ihr widerfahren ist, Glücksmomente zu verspüren. Viele kennen ihre Geschichte inzwischen: 2008 hat sie durch einen tragischen Unfall ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder verloren. Ein Schicksalsschlag, wie man ihn sich kaum vorzustellen vermag. Inzwischen hat sie wieder geheiratet, ist glückliche Mutter einer Tochter und als erfolgreiche Autorin und Schreibtrainerin tätig. Überrascht, ja fast schon irritiert hat uns auch Natascha Kampusch, als sie nach ihrer Flucht aus ihrem Martyrium nicht als gebrochener Mensch vor die Kamera trat, sondern als selbstbewusste, reflektierte junge Frau. Welches Rüstzeug haben Menschen wie sie und Barbara Pachl-Eberhart im Gepäck? Stehaufmenschen, denen Dinge passieren, von denen wir annehmen, sie müssten sie für immer umhauen?
Wohl jede und jeder von uns kennt Personen, die den Zerreißproben des Lebens standhalten oder Schicksalhaftes überwinden. Der bekannte österreichische Existenzanalytiker Viktor Frankl, der fünf Jahre Konzentrationslager überlebte, meinte, dass wir kaum steuern können, was in unserem Leben geschieht, sehr wohl aber, wie wir auf diese Ereignisse reagieren. Den Zumutungen die Stirn bieten, trotzdem Ja zum Leben sagen, wenn doch so offensichtlich ist, dass es das Leben gerade alles andere als gut mit einem meint? Ist das nicht schlussendlich vor allem eine Frage der genetischen Ausstattung? Der eine kann‘s eben, der andere nicht. Nun, so einfach ist es nicht. Die seelische Widerstandskraft ist nichts Gottgegebenes, sie hängt vielmehr von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Resilienz nennt sich diese geheimnisvolle innere Kraft in uns, die uns aus Krisenhaftem ins volle Leben zurückkehren lässt. Die Wissenschaft versucht seit Jahrzehnten in Studien und Experimenten das „Geheimnis“ resilienter Menschen zu entschlüsseln. >>
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Resilienz: von lat. resilire ‚zurückspringen‘, ‚abprallen‘: psychische Widerstandskraft, Spannkraft, Elastizität; die Fähigkeit, mit belastenden Situationen umgehen zu können bzw. schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.
Im Rahmen der Pädagogischen Fachtagung „Was wirklich zählt – Potentialentfaltung in Zeiten des Wandels“ am Freitag, den 11.06. (ab 14 Uhr) gastiert Christina Berndt zum Thema: „Stark für mich – stark für andere – Wie wir Resilienz entwickeln und Potentiale entfalten.“ Weitere Referent*innen: Heinz-Ulrich Nennen, Tristan Horx, Gudrun Quenzel, Bianka Hellbert. Infos: bildungshaus-batschuns.at, T: 055 22-44 2 90-0 Die Teilnahme ist online wie auch in Präsenz möglich.

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© Jill Heyer/unsplash
Umgebung“
Über 4000 Buchvorschläge spuckt mir Amazon zum Stichwort „Resilienz“ aus. Unter den ersten drei auch der Spiegel-Bestseller der deutschen Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt, die im Juni im Bildungshaus Batschuns referieren wird (siehe Infokasten). Unter dem Titel „Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“ spannt sie den Bogen vom alltäglichen Stress, der in die Depression führen kann, bis hin zu jenen Schicksalsschlägen, die Biografien in ein Vorher und ein Nachher trennen. Sie fühlt in ihren Recherchen dem Einfluss von Umwelt und Startbedingungen, von Genetik und Epigenetik auf den Zahn und deckt landläufige Denkfehler auf. So seien resiliente Menschen weder dauerfröhliche Zeitgenoss*innen noch unverwundbar oder unerschütterlich. Ihre Robustheit und seelische Elastizität ließen sie allerdings besser durch die Stürme des Lebens manövrieren.
Bindung schafft Resilienz
Die moderne Forschung sagt: Die richtige „Impfdosis“ Stress macht uns stärker, denn jede Herausforderung lässt uns wachsen. Jedoch Achtung, das gilt nicht für Dauer-Belastungen. Die Wahlfreiheit als zeitgenössische Errungenschaft fordert ihren Tribut, der ständige Drang zur Selbstoptimierung korrumpiert unser Bedürfnis nach Ruhezeiten. Umso wichtiger sei es, „unsere Seele stark zu machen“, so die Autorin. Eines ihrer Fazits: „Die seelische Widerstandskraft gilt es zu trainieren wie einen Muskel.“
Was zeichnet nun also die Widerständigen aus? Es sind Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Intelligenz, Flexibilität und Offenheit gegenüber Veränderungen, Frusttoleranz, Lösungskompetenz und Durchsetzungsvermögen, Optimismus und Humor, die Berndt an dieser Stelle nennt. Spiritualität, Selbstwirksamkeitserfahrungen, Zugehörigkeit, Selbstfürsorge und realistische Selbsteinschätzung: ebenfalls wissenschaftlich bestätigte Faktoren, die die Entwicklung unserer psychischen Widerstandskraft prägen. Doch: „Keine noch so starke Persönlichkeit überlebt in einer komplett widrigen Umgebung“, räumt die Autorin ein. Und bringt den Wert persönlicher Beziehungen mit ins Spiel: „Bindung schafft Resilienz“, pointiert Berndt. Gerade dort, wo die Bedingungen für Kinder denkbar ungünstig sind, könne eine enge Bezugsperson Orientierung bieten, einen Vertrauensraum schaffen und so das Kind stärken. Das müsse nicht zwingend ein Elternteil sein. Diesen Part könne jemand aus der Verwandt- oder Bekanntschaft genauso erfüllen wie eine Lehrerin oder ein Lehrer, eine Trainerin oder ein Trainer.
Genetisches Rüstzeug
Und die Gene? Spielen sie denn gar keine Rolle? Die Ausführungen dazu sind in Berndts Buch auch für den Laien nachvollziehbar skizziert: Ein Resilienz-Gen als solches gibt es nicht, aber den aktuellsten Erkenntnissen zufolge tatsächlich so etwas wie ein genetisches Rüstzeug gegen die Kalamitäten des Lebens. Stimmen aus der Resilienzforschung allerdings warnen davor, die Erbanlagen zu sehr in die Verantwortung zu ziehen: Die äußeren Einflüsse seien stärker als die biologischen Grundlagen. Durchaus spannend in diesem Zusammenhang der Faktor Epigenetik: Wie sich also Gene und Umwelt gegenseitig prägen und wie Umwelteinflüsse die Aktivität von Genen mitbestimmen – auch über Generationen hinweg.
Vielleicht noch (m)ein persönliches Fazit: Weder können wir alles beeinflussen, noch sind wir Opfer oder bloße Summe unserer Gene. Veränderung ist möglich. Das darf Hoffnung machen, gleichzeitig aber nicht zur Verkürzung „wo ein Wille, da eine Widerstandskraft“ verleiten. Denn Resilienz schützt vor Unrecht nicht. Und braucht es nicht ebenso unsere Verletzlichkeit, um der Welt angemessen zu begegnen?