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Die taugt mir einfach

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„Die Tochter eines portugiesischen Königs konvertierte vom Vater unbemerkt zum Christentum und gelobte, so jungfräulich zu bleiben wie die Gottesmutter Maria. Als ihr Vater sie gegen ihren Willen verheiraten wollte, begehrte die standhafte Jungfrau auf und betete zu

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Gott, er möge sie verunstalten, damit sie der Heirat mit dem ungläubigen Heiden entgehen könne. Und es geschah: Gott erhörte ihr bitterliches Flehen und ganz nach seinem Bildnis wuchs ihr ein hübscher, dichter, wallender Bart. Aus Wut ließ ihr Vater sie daraufhin‚ nach

Art ihres gekreuzigten Gottes‘ ebenfalls durch Kreuzigung hinrichten. Vom Kreuz herab soll sie allerdings noch drei Tage lang tausende Heid*innen zum Christentum bekehrt haben – letztlich auch ihren Vater.“

(Legende der Wilgefortis oder Kümmernis)

Diese Geschichte einer von der offiziellen Amtskirche nicht anerkannten Märtyrerin, die nichtsdestotrotz jahrhundertelang auch im katholischen Alpenraum als Heilige verehrt wurde, inspirierte die Hittisauer Künstlerin Sara-Lisa Bals (27) zu einem bemerkenswerten Projekt. Im Juli wird sie unter dem Titel „Cumernustag“ einen „fiktiven Feiertag“ als landesweites Perfomanceprojekt realisieren. Brigitta Soraperra hat sich für die marie mit der jungen Künstlerin zum Gespräch darüber getroffen.

marie: Was sind deine Beweggründe für dieses Projekt? Wo liegt dein Ausgangspunkt? Sara-Lisa Bals: Ich war für die Diplomarbeit meines Kunststudiums auf der Suche nach einem Thema. Und da habe ich im Frauenmuseum die Ausstellung „Frau am Kreuz“ über die Heilige Kümmernis gesehen und ich fand ihre Geschichte sofort interessant. Für mich lag da so eine spannende Pointe drin, die hat sich sehr mit meinem grundsätzlich feministischen Zugang zu den Inhalten und Stoffen getroffen, mit denen ich mich in meinem Berufsfeld Theater gerne auseinandersetze. Ich habe mich bei der Figur der Kümmernis gefragt, wo ihre Geschichte für uns heute Relevanz hat und uns berühren kann. Und da hat sich plötzlich ein Kreis geschlossen, weil meinem Maturaprojekt in der HTL in Dornbirn ebenfalls eine Ausstellung im Frauenmuseum zugrunde lag, nämlich die tolle Schau über die Feldkircher Künstlerin Anne Marie Jehle. Auch in diesem Projekt habe ich die Rolle der Frau im ländlichen Raum anhand von zwei Modellen infrage gestellt. Es hieß „Friie Froua“, also einerseits die „friien“ Frauen im Sinne von „brav“ und die „friien“ Frauen, im Sinne von „frei“.

Was sind deine Grundgedanken für eine szenische Umsetzung der Geschichte der Kümmernis? Bei der Figur der Kümmernis handelt es sich ja um eine Märtyrerin aus dem Katholizismus, der natürlich auch mich als Vorarlbergerin und als Bregenzerwälderin stark geprägt hat. Ich finde, dass die nach wie vor patriarchalen Strukturen in unserem Raum am meisten von der Kirche herstammen. Das hat mich zum Nachdenken über Tradition gebracht und wie Tradition Identität stiftet. Ich habe mich gefragt, was wäre, wenn man aus der Geschichte der Kümmernis eine Tradition oder einen Feiertag gemacht hätte. Es geht dabei ja um die Eigenermächtigung einer Frau, also wie wären wir hier aufgewachsen, wenn dieser Feiertag jedes Jahr begangen worden wäre, so wie viele andere auch, welches Selbstverständnis hätten wir dann als Frauen und Männer in unserer Gesellschaft.

Welches Selbstverständnis hast du denn selber? Ich bin zwar im Bregenzerwald aufgewachsen, aber ich habe mich nie so ganz damit identifiziert. Ich habe als Kind und Jugendliche auch versucht, mich einzufügen und dazuzugehören, bin mir aber immer als nicht ganz ‚khörig‘ vorgekommen. Und durch mein Wegziehen nach Wien habe ich nochmals eine ganz neue Perspektive gewonnen. Ich wertschätze dieses „Bregenzerwälderische“ sehr und finde es total interessant. Es gab früher eine Sehnsucht in mir, mich mit dem „Bregenzerwälderin sein“ zu identifizieren. Das gibt einem eine eindeutige Zugehörigkeit, Halt und Selbstverständnis. Gleichzeitig gab und gibt es auch ganz viel Widerstand in mir dagegen, ein Misstrauen, das für mich schwer erklärbar ist. >>

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Bild der Hl. Kümmernis mit dem Spielmann in einer Wegkapelle zwischen Scheibbs und Gaming in NÖ © alamy stock foto

1Im gesamten Alpenraum finden sich Darstellungen der gekreuzigten „Frau mit Bart“. Sie hat mehrere Namen: Wilgefortis oder Kümmernis heißt sie etwa in Österreich und Bayern, Ontkommer in Belgien, Uncumber in England. Ihr inoffizieller Festtag ist der 20. Juli. Auch in Vorarlberg war die Figur verbreitet. Wir finden sie in der Rankweiler Gnadenkapelle oder in der Bregenzer Martinskapelle. Und im Kleinwalsertal wurden im 18. und 19. Jahrhundert etliche Mädchen auf den Namen Maria Kümmernis getauft.

2Bals, Sara-Lisa: „hier beghint die legende van die reyne maghet sinte ontcommer.“ ("Hier beginnt die Legende der reinen Jungfrau Sankt Cumernus.“), Fotografie, 2020.

3Bals, Sara-Lisa: Die Lieslare, Fotografie, 2020.

© Sara-Lisa Bals, 2020

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