#60 | Mai 2021
Florian Klenk ist einer der renommiertesten Investigativ-Journalisten in Österreich. Der Chefredakteur der Wochenzeitung „Falter“ hat knapp 97.000 Abonnenten auf Facebook, 290.000 folgen ihm auf Twitter. Die marie sprach mit dem 47-Jährigen über die Zukunft des Journalismus, die Wichtigkeit sozialer Medien und über den Wandel in der Corona-Berichterstattung.
„ Ich vertraue keinem Politiker“ Interview: Frank Andres, Fotos: Christopher Mavric, iStock
Warum wenden sich gefühlt immer mehr Menschen von etablierten Medien ab und suchen sich neue Wahrheiten im Internet? Florian Klenk: Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Befund stimmt. In meiner subjektiven Wahrnehmung fühlen sich viele Menschen nicht mehr richtig verstanden. Ich sehe zwei ambivalente Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es gerade in Corona-Zeiten ein Anwachsen von Fake-News-Portalen, von Verschwörungsseiten und Gschichterl-Druckern. Über soziale Medien ist es heute viel leichter geworden, anderen Leuten Schrott zu schicken, den man früher mit ausgestreckten Fingern in den Mistkübel geworfen hätte. Wenn Sie am Bahnhof früher ein Propagandablatt von QAnon* in die Hand gedrückt bekommen hätten, dann hätten sie es genommen und sofort weggeschmissen. Aber heute schauen diese und andere Verschwörungsseiten im Internet aus wie die New York Times. Und welche zweite Entwicklung beobachten Sie? Ich sehe ein enormes Bedürfnis an klassischem Journalismus und Medien. Qualitätsblätter aber auch elektronische Medien wachsen enorm. Nicht zuletzt unsere Zeitung. Die österreichweite Reichweite ist in den letzten zehn Jahren von 0,9 auf 3,2 Prozent** gewachsen. Eine ähnliche Entwicklung sehen sie bei
der Zeit oder der New York Times. Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben enorm zugelegt. Die ZIB2 haben noch nie so viele Menschen gesehen wie jetzt. Es gibt aber gleichzeitig sehr viele Zeitungen und Zeitschriften, die dramatisch an Reichweite verlieren. Vor allem den Boulevard-Journalismus trifft es hart. Haben Sie dafür eine Erklärung? Der Boulevard ist insgesamt in einer Krise. Denn das, was er bietet, nämlich billige Unterhaltung, die Nackte auf Seite 7, Sportergebnisse und das Wetter finden Sie heute alles gratis im Internet. Warum also soll ich für ein Sammelsurium leichter Kost noch bezahlen? Überspitzt formuliert: Müssen Journalisten wieder lernen zu recherchieren, zu hinterfragen, Missstände aufzudecken? Wir erleben ja derzeit zwei Dinge. Auf der einen Seite ein enormes Anwachsen der PR-Propaganda von Parteien und Unternehmen auf Facebook, Twitter und TikTok. Aber gleichzeitig sehe ich auch eine Professionialisierung des Journalismus. Vor allem in Deutschland gibt es einige neue investigative Formate. Denken Sie bei der Corona-Berichterstattung nur an Mai Thi Nguyen-Kim, die mit ihrem YouTube-Kanal maiLab zur Journalistin des Jahres gewählt worden ist. Ich bin, was die Zukunft des Journalismus betrifft, nicht nur pessimistisch. Wir haben inzwischen ganz gute investigative Netzwerke aufgebaut, >>
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