Hausärzt:in medizinisch
„Eine Nervenbeteiligung ist häufig“
Viele Rückenschmerzpatient:innen sind von Mixed Pain betroffen – mit einem nozizeptiven und einem neuropathischen Anteil
© Monica Friedmann
schmerzen beträgt etwa 80 Prozent: Den Schmerzen liegt keine gravierende Pathologie zugrunde. Die Behandlung des akuten unspezifischen Rückenschmerzes erfolgt mit Analgetika, damit die Patienten in Bewegung bleiben – Bettruhe sollte vermieden werden. Physiotherapie, Psychotherapie sind erforderliche Behandlungen, um die Funktionalität, Arbeitsund Sportfähigkeit wie auch Schlaf- und Lebensqualität so rasch als möglich wiederherzustellen.
Dr.in Waltraud Stromer, OÄ an der Abteilung für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin am Landesklinikum Waldviertel Horn und Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft, im Gespräch.
Rückenschmerzen sind in Österreich und in vergleichbaren westlichen Industrienationen weit verbreitet. Bei einer Lebenszeitprävalenz von über 70 Prozent und einer Jahresprävalenz von 15 bis 45 Prozent ist nahezu jeder Mensch im Laufe des Lebens irgendwann davon betroffen. In 72 Prozent der Fälle werden niedergelassene Ärztinnen und Ärzten bei Rückenschmerzen zuerst aufgesucht. OÄ Dr.in Waltraud Stromer, Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft, erklärt, welche diagnostische und therapeutische Vorgehensweise unspezifische Rückenschmerzen erfordern, und zeigt Wege der Analgesie bei Mixed Pain auf, wenn es sich um spezifische Rückenschmerzen handelt. HAUSÄRZT:IN: Der überwiegende Anteil von Rückenschmerzen ist unspezifisch. Welche Botschaft haben Sie an niedergelassene Mediziner:innen in diesem Kontext? OÄ STROMER: Der Versorgung auf Ebene der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte kommt eine wesentliche Bedeutung zu – hier sollte eine Differenzierung zwischen spezifischen und nicht spezifischen Rückenschmerzen erfolgen. Die Prävalenz nicht spezifischer Rücken-
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März 2022
Was ist konkret zu beachten? Diese Formen von Rückenschmerzen weisen ein hohes Chronifizierungspotenzial auf. Neben den psychosozialen Risikofaktoren (Yellow Flags) können arbeitsplatzbezogene Faktoren (Blue and Black Flags) sowohl die Fortdauer als auch die weitere Prognose von Rückenschmerzen beeinflussen. Hausärztinnen und Hausärzte haben eine Schlüsselrolle, was Aufklärung („Hinter den Schmerzen steckt nichts Gravierendes …“) und Edukation im Sinne einer Anleitung zur Lebensstilmodifikation anbelangt. Falsch wäre es, passive Therapiekonzepte zu forcieren – etwa in Form von über-
trieben langen Krankschreibungen. Die betroffenen Personen sollten vielmehr aktiv bleiben. Bei unspezifischen Rückenschmerzen ist außerdem nur dann eine Bildgebung zu machen, wenn trotz leitliniengerechter Therapie nach vier bis sechs Wochen keine Besserung zu erkennen ist. Eine Überbewertung von radiologischen Befunden führt bei Patientinnen und Patienten schnell zu einer Verfestigung der Symptomatik. Was sind Mittel der Wahl, wenn Verspannungen oder Wirbelgelenkblockierungen Rückenschmerzen verursachen? Beschwerden, die aus Fehlhaltungen oder Verspannungen der Muskulatur resultieren, sind Nozizeptorschmerzen. Sie sind lokal begrenzt, ziehend, drückend oder stechend. Sofern keine relativen oder absoluten Kontraindikationen bestehen, sind bei nozizeptiven Schmerzen NSAR indiziert – in möglichst geringer, aber effektiver Dosis für die kürzeste notwendige Zeit. Zu berücksichtigen ist deren Organtoxizität, sowohl renal-gastrointestinal als auch kardiovaskulär. Man kann aber auch Metamizol geben, ein zentrales Nichtopioidanalgetikum mit geringem Inter-
IM VERGLEICH Pathophysiologie Nozizeptiver Schmerz
Neuropathischer Schmerz
Der nozizeptive Schmerz beruht auf einer Aktivierung von Schmerzrezeptoren in Gelenken, Muskeln, Faszien, Bändern und Sehnen. Ursachen dafür können Gewebeschädigung, -entzündung oder biomechanische Überlastung sein. Dem neuropathischen Schmerz liegt eine Dysfunktion bzw. Läsion von somatosensorischen Nervenstrukturen zugrunde. Der Schmerzimpuls geht nicht von den Nervenendigungen aus, sondern er wird aus dem geschädigten Nervenareal generiert. Der Schmerz wird jedoch in das Versorgungsgebiet der Nerven projiziert („projizierter Schmerz“).
Schmerzcharakter dumpf, dückend, ziehend
spontane Schmerzen, die ohne Stimulus auftreten, einschießend, elektrisierend, attackenweise auftretend, als Dauerschmerz brennend, kribbelnd, krampfartig