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Ausbau der nieder gelassenen Pflege ist nötig“

„Ausbau der niedergelassenen Pflege ist nötig“

Das Pilotprojekt Community Nursing eröffnet neue Wege

Daniel Peter Gressl, „Die Ö-Nurse“ (oe-nurse.at), freiberuflicher Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger in Judenburg und Wien, Akademischer Pflegemanager sowie erster Vizepräsident des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) im Gespräch.

Im Herbst 2021 wurde in Österreich der Beruf der Community Nurse eingeführt. Daniel Peter Gressl ist mit seiner Praxis für Gesundheits- und Krankenpflege an diesem Pilotprojekt beteiligt und erklärt im Interview mit der Hausärzt:in, was Community Nursing auszeichnet und welches Potenzial darin steckt.

HAUSÄRZT:IN: Mit Ihrer Marke „Die Ö-Nurse“ sind Sie als Gesundheits- und Krankenpfleger im niedergelassenen Bereich tätig. Worin unterscheiden sich die Definition der Community Nurse und die Ihrer beruflichen Tätigkeit?

DGKP GRESSL: Eine genaue Definition der Community Nurse für Österreich wird derzeit im Zuge der Pilotprojekte erarbeitet. International kann man sich schon auf verschiedene Definitionen berufen. Diesen Beispielen folgend, sollen Community Nurses in Österreich ihren Beruf niederschwellig, bedarfsorientiert und bevölkerungsnah auf Gemeindeebene ausüben. Einen Unterschied zwischen einer gewöhnlichen freiberuflichen Gesundheits- und Krankenpflegeperson und einer Community Nurse gibt es jetzt schon. Letztere benötigt in Österreich einen Auftrag der Gemeinde, um dort tätig zu werden. Im Rahmen EU-geförderter Pilotprojekte nimmt das Sozialministerium zu Beginn eine Auswahl vor bzw. ermöglicht eine Finanzierung.

Und welche Unterschiede gibt es bezüglich des Arbeitsspektrums?

Als freiberuflicher DGKP arbeitet man meist nur auf der Individualebene. Das bedeutet: direkt mit dem Kunden. Kunden sind meist Privatpatienten, für die professionelle pflegerische Leistungen erbracht werden. Aber auch Unternehmen und andere Institutionen können Auftraggeber bestimmter Leistungen sein, zum Beispiel: • Architekturbüros, um bei neuen Bauvorhaben den Rat einer Pflegeperson einzuholen; • 24-Stunden-Betreuungsagenturen, um die Qualität der Personenbetreuungen zu gewährleisten; • Firmen in Pandemiezeiten, um COVID-

Tests durchführen zu lassen; • Schulen und Universitäten, die externe

Referenten engagieren. Im Bereich der Community Nurse vergrößert sich das Arbeitsspektrum. Man hat das Ziel, im Auftrag der Gemeinde auf drei unterschiedlichen Ebenen zu arbeiten.

Welche sind diese Ebenen?

Auf der Individualebene führen wir beispielsweise verschiedene Pflegeinterventionen direkt in der Bevölkerung durch. Auf der Kommunalebene hat man etwa die Aufgabe, das interprofessionelle Netzwerk in einer Gemeinde aus- bzw. neu aufzubauen. Auf der Systemebene wird zum Beispiel das Ziel verfolgt, gemeinsam mit der Politik die Gesundheit der Gesamtbevölkerung durch systematische Veränderungspro-

AKTUELL

Anfang Februar 2022 wurden 123 Pilotprojekte mit über 190 Community Nurses in ganz Österreich zur Finanzierung freigegeben. Insgesamt 54,2 Millionen Euro stehen Österreich von der Europäischen Kommission für die Umsetzung von Community Nursing für den österreichischen Aufbau- und Resilienzplan zur Verfügung. Die Fördervergabe ist zeitlich begrenzt. Die Projekte sollen für einen Zeitraum von drei Jahren konzipiert sein, beginnend frühestens mit Jänner 2022, endend spätestens mit Dezember 2024.

Die meisten Projekte mit Community Nurses wurden in Niederösterreich (34), gefolgt von Oberösterreich (33) und der Steiermark (27) eingereicht. Die wenigsten in Wien (4) und Vorarlberg (5). Geprüft wurden die eingereichten Projekte von der Gesundheit Österreich GmbH und dem Fonds Gesundes Österreich – die Gesamtzahl der Anträge betrug 145.

zesse nachhaltig zu verbessern. Wichtig ist, alle drei Ebenen im Tätigkeitsfeld miteinander zu verbinden. Man fokussiert sich daher nicht nur auf einzelne Individuen, sondern muss das gesamte Wirkungsspektrum im Kontext einer Gemeinde berücksichtigen.

Wollen Sie Community Nurse werden? Und wie würde sich dieser Prozess gestalten?

Die erste Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten. In Zusammenarbeit mit der Stadtgemeinde haben wir im letzten Jahr einige Aufbauprozesse abgeschlossen, um für das Pilotprojekt Community Nursing gut vorbereitet zu sein. Das Vorgehen ist folgendes: Zwischen der Stadtgemeinde Judenburg sowie freiberuflichen Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen aus der Ö-Nurse-Praxis für Gesundheits- und Krankenpflege wird eine Kooperation etabliert. Geplant sind zwei Vollzeitäquivalente, die auf vier Köpfe verteilt sind. Zum Prozessaufbau wurden internationale Standards und Modelle herangezogen, beispielsweise das „Public Health Intervention Wheel“ . Auf Individualebene gibt es verschiedene Leistungen, die über die Projektzeit hinweg realisiert und evaluiert werden (siehe Infobox). Auf Kommunal- und Systemebene werden im Laufe der drei Jahre verschiedene Unterprojekte durchgeführt. Zu diesen gehören: Gesundheitsdatenauswertung, Öffentlichkeitsarbeit, Stärkung des interprofessionellen Netzwerkes, Neuorganisation des Ehrenamtes, Erstellung von Fachgremien für die Gemeindepolitik, Gesundheitsworkshops, Veranstaltungen für die Bevölkerung und vieles mehr ...

Wie sieht Ihr derzeitiger Alltag als Ö-Nurse aus?

Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Ich habe keinen Alltag. Zu Beginn meiner Freiberuflichkeit habe ich alles Mögliche gemacht! Ich arbeitete für andere pflegerische Organisationen als Aushilfe, führte Pflegeberatungen in unterschiedlichen Settings durch, erstellte SVSQualitätssicherungen, beschäftigte mich mit Pflegemarketing, entwickelte in der IT-Branche Softwares für den Gesundheitsbereich und beriet auch die Politik. Von dem zukünftigen Pilotprojekt erhoffe ich mir zum einen mehr Stabilität und Planung im Berufsalltag. Vor allem, weil ich in einem professionellen Team nicht mehr als Einzelgänger agiere, sondern in einer Gemeinschaftspraxis mit tollen Kolleginnen nachhaltig und innovativ den Berufsalltag gestalte und die Arbeit teile. Zum anderen kann ich mich als Vizepräsident des ÖGKV wieder mehr auf die Berufspolitik konzentrieren.

Welchen Hürden begegnen Sie als freiberuflicher Pfleger?

Wir sind noch sehr weit weg davon, dass die Gesamtbevölkerung und andere Professionen im Gesundheitswesen verstehen, was professionelle Pflege wirklich leisten kann. Viele fragen sich im ersten Moment: Eine Praxis für Gesundheits- und Krankenpflege – wieso soll ich dorthin? Nachdem sie dann bei uns waren, wissen sie natürlich, was dort alles geschieht. Weil die professionelle Pflege so vielfältig ist, ist es eben schwer, sie mit wenigen Worten zu beschreiben. Eine andere Hürde ist natürlich die Finanzierung. Derzeit gibt es nur zwei Möglichkeiten, als freiberuflicher Gesundheits- und Krankenpfleger mit der Sozialversicherung ein Vertragsverhältnis einzugehen: mit der SVS über einen Werkvertrag für die Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege und durch die Pflegegeldeinstufung der PVA.

INFO

Leistungsangebote auf Individualebene im Rahmen von Community Nursing

Gesundheitspflege: Fokus auf Gesundheitsförderung und Prävention. Eine pflegerische Gesundenuntersuchung wird durchgeführt, dabei werden Körperfunktionen, Aktivitäten und äußerliche Einflussfaktoren analysiert und beurteilt. Danach wird ein individueller Gesundheitsplan erstellt und Interventionen gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet, um seine Gesundheit zu fördern.

Sozialpflege: Fokus auf dem sozialen Netzwerk und der pflegerischen Versorgung. Pflegende Angehörige werden begleitet und beraten. Ältere Menschen werden unterstützt und auf pflegerische Abhängigkeiten vorbereitet. Aber auch Menschen ohne ein soziales Netzwerk und mit existentiellen Nöten wird akut geholfen. Durch professionelle Begleitung wird das soziale und Versorgungsnetzwerk für die Menschen neu aufgebaut. Zudem geht es darum, Vorarbeiten für andere Organisationen – z. B. mobile Dienste, Hausärzte, psychosoziale Einrichtungen – zu leisten, um den Menschen in Not danach für die längerfristige Betreuung zu übergeben.

Medizinische Pflege: Der Fokus sind die chronisch Kranken und die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten in der Gemeinde. Durch medizinische Hausbesuche werden chronisch kranke Patienten geplant aufgesucht, der medizinische Status und die Versorgung zu Hause werden ermittelt bzw. aktualisiert und Informationen an die behandelnden Ärzte weitergeleitet. Bei Bedarf können auch medizinpflegerische Interventionen nach ärztlicher Anordnung oder SOP (Standard Operation Procedures) erfolgen, z. B.: Therapieanpassung, akute Wundversorgung, Katheterwechsel usw. Viele chronisch kranke Menschen benötigen kontinuierliche und präventive Begleitung im Umgang mit ihrer Krankheit. Zusätzlich soll eine Unterstützung und Entlastung für den niedergelassenen ärztlichen Bereich ermöglicht werden.

Gesundheitsservice: Im Rahmen der Öffnungszeiten der Praxis und der telefonischen Erreichbarkeit soll es ein niederschwelliges Serviceangebot geben, durch welches Patienten eine kurze Beratung erhalten – beispielsweise betreffend Pflegegeld, Antragstellungen oder Versorgungsangebote der Stadtgemeinde.

Wie viele Pflegekräfte entscheiden sich für die Niederlassung?

Zu Beginn des Jahres 2021 waren rund 3.000 Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte im Gesundheitsberuferegister als freiberuflich gemeldet. Binnen eines Jahres, also bis Anfang >

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