
5 minute read
Die Mistel in der Forschung
Seit fast einem Jahrhundert wird die Heilpflanze komplementär bei Krebserkrankungen eingesetzt – mit großem Erfolg

Die Heilkraft der Mistel, insbesondere bei onkologischen Erkrankungen, gilt als wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen bzw. integrativen Krebstherapie. Als Ergänzung zur schulmedizinischen Behandlung wird sie seit mehr als hundert Jahren eingesetzt. Mittlerweile liegen rund 140 klinische Studien vor, die den Erfolg von Mistelpräparaten bei den verschiedensten Tumorarten dokumentieren. Das FFN®, das Fortbildungsforum Naturheilkunde, veranstaltete Anfang Februar 2022 ein Webinar mit dem Titel „Lebenskraft Mistel. Grundlagen und Anwendung“ mit Dr.in Andrea Diehl, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Anthroposophische Medizin in Saarbrücken, und Dr. Stephan Baumgartner, Vorstand der Gesellschaft für klinische Forschung e. V. in Berlin, als Referent:innen.*
Lebensqualität und Lebensdauer
Dr.in Diehl hat viel Erfahrung mit der Misteltherapie und ist von ihrer Wirksamkeit überzeugt: „In der klassischen Medizin arbeiten wir mit der sogenannten Pathogenese. Das bedeutet, wir achten darauf, was uns krank gemacht hat, und versuchen, es mittels Bestrahlung oder Operation mehr oder weniger zu entfernen“ , erklärt sie die Hintergründe. „Dem steht das Prinzip der Salutogenese gegenüber, das wir bei vielen komplementären Therapieverfahren anwenden. Also die Anregung der Selbstheilung. Dabei geht es nicht um das Defizit, sondern darum, was uns gesund hält bzw. gesund macht. Beides kann man natürlich auch kombinieren und damit eine neue Qualität erlangen. Der synergistische Effekt der Integrativmedizin ist dabei besser als jedes Einzelverfahren. “ Die Patienten suchen Dr.in Diehl in der Regel mit dem Wunsch auf, zusätzlich zur Schulmedizin etwas zu tun. Wichtig ist ihnen dabei, dass die Methode wissenschaftlich mehr oder weniger erforscht ist, sich also nicht gänzlich im spirituellen Bereich befindet. Das Ziel besteht darin, die Lebensqualität zu verbessern, aber auch die Lebensdauer zu verlängern. Der Erfolg einer Misteltherapie zeigt sich in diversen Studien. „Wichtige Lebensqualitätsmerkmale sind eine Linderung der Schmerzen und Verbesserung des Schlafes, eine Appetitsteigerung oder dass Betroffene wieder am sozialen Leben teilnehmen können“ , erläutert die Ärztin. Darüber hinaus könne mit der Misteltherapie tumorreduzierend, metastasenreduzierend und rezidivvorbeugend gearbeitet werden. Dr.in Diehl: „Stärkend wirkt, dass die Patienten, ihre Erkrankung selbst in die Hand nehmen können. Sie sind quasi der Kapitän. Das ist eine sehr wichtige Wahrnehmung.“
Integrative Onkologie
Dr. Baumgartner forscht seit 25 Jahren auf dem Gebiet der Komplementärmedizin. Seine große Passion ist die Anthroposophische Medizin – und hier spezifisch die Integrative Onkologie und die Misteltherapie. Er meint: „Die Mistel ist eine ganz spezifische Pflanze, weil sie auf verschiedenen Ebenen wirkt. Einerseits kann sie die Lebenszeit verlängern, andererseits die Lebenskräfte steigern und damit die Lebensqualität verbessern. All das lässt sich durch geschickt gemachte klinische Studien abbilden. “
Studie Pankreaskarzinom
So wurde etwa im Rahmen einer großen klinischen Studie1 (siehe Literatur) die Überlebenszeit von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom untersucht. Diese Diagnose geht zumeist mit einer kurzen Überlebenszeit einher. Gleichzeitig ist die Lebensqualität eingeschränkt. Die Patienten leiden unter starken Schmerzen und einer ausgeprägten Fatigue. Oft kann die Schulmedizin außer Analgetika oder Antiemetika nichts mehr anbieten. Dr. Baumgartner: „An der randomisierten Studie, die zwölf Monate dauerte, durften – laut Ethikkommission – nur Patienten mit Pankreaskarzinom teilnehmen, für die es keine medizinische Option mehr gab. Die Patienten wurden durch Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Beide bekamen Best Support of Care, also Schmerzmittel, Antiemetika usw. Der zweiten Gruppe wurde zusätzlich eine subkutane Behandlung mit einem fermentierten Eichenmistelextrakt verabreicht. Die traurige Wahrheit: In der Kontrollgruppe waren nach zweieinhalb Monaten bereits die Hälfte der Patienten verstorben und nach zwölf Monaten nur mehr zwei am Leben. Bei den Patienten, die zusätzlich zur Standardtherapie die Misteltherapie erhielten, sah man eine Verdopplung der Lebenszeit und nach zwölf Monaten waren noch 17 Patienten am Leben. Das war bei dieser Diagnose völlig unerwartet!“ Untersucht wurde auch die Lebensqualität der teilnehmenden Patienten.
Zu diesem Thema gab es eine zweite Publikation aus der gleichen Studie.1 Dr. Baumgartner: „Während die Patienten der Kontrollgruppe nur mehr auf dem Bett liegend ihrem Ableben entgegensehen konnten, standen jene aus der Gruppe, die mit Mistelpräparaten therapiert wurde, noch voll im Leben und konnten ihre sozialen Kontakte pflegen – mit weniger Schmerzen und weniger Fatigue. In letzterer Gruppe mussten generell deutlich weniger Analgetika verabreicht werden. Wenn man weiß, welche Nebenwirkungen diese auch auf psychischer Ebene haben, dann ist das Ergebnis besonders beeindruckend.“ Zur Frage, ob die Mistel darüber hinaus einen analgetischen Effekt hat, gibt es verschiedene Hypothesen. „Aus anthroposophischer Sicht besteht die Mistel nicht nur aus ihren stofflichen Bestandteilen auf chemisch-physikalischer Ebene, sondern sie birgt auch Lebenskräfte in sich“ , erklärt Dr. Baumgartner. „Aus Versuchen an gesunden Menschen weiß man, dass im Laufe der Therapie Endorphine ausgeschüttet werden. Damit kann die Mistel den Patienten zudem auf seelisch-geistiger Ebene stärken. Meine persönliche Vermutung ist, dass eine etwaige analgetische Wirkung auch damit zu tun hat, dass der Mensch auf seelisch-geistiger Ebene wieder besser ,in sich‘ steht. “
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Die Mistel zählt auf Grund der langen Erfahrungen zu den weltweit am besten erforschten Heilpflanzen überhaupt. So konnten in einer rezenten Metaanalyse von einem Team rund um Prof. Dr. Thomas Ostermann, Universität Herdecke, alle klinischen Studien, die es zum Thema Überlebenszeit mit fermentierten Mistelextrakten gibt, zusammengefasst werden.2 Dabei hat sich ebenfalls bestätigt, dass die Überlebenszeit von Patienten – mit verschiedensten onkologischen Erkrankungen – signifikant verlängert wird. Statistisch gesehen ließ sich die Gefahr, zu sterben, quasi halbieren. Eingesetzt werden kann die Misteltherapie in allen Stadien bösartiger Tumor- und Geschwulsterkrankungen, also vor, während oder nach einer konventionellen Therapie. Ebenfalls sinnvoll kann der Einsatz als Rezidivprophylaxe und bei Präkanzerosen oder genetischer Disposition sein. Dr.in Diehl führt bezüglich der Anwendung aus: „Wichtig ist, auf Basis der Diagnose den richtigen Wirtsbaum für den Patienten sowie die richtige Konzentration zu finden. Bei einem Mamma- oder einem Uteruskarzinom kommen etwa die Apfelbaum- und die Kiefernmistel verstärkt zum Einsatz. Unter den Produkten gibt es Serien mit aufsteigender Konzentration. Indem man schaut, ob der Patient die gewünschte Reaktion zeigt, kann man relativ schnell die optimale Dosis finden. “
Gabriella Mühlbauer
* Live-Webinare am 4.2.2022: Lebenskraft Mistel Teil 1:
Grundlagen und Anwendung, www.fortbildungsforumnaturheilkunde.de/programm
Literatur: 1 Viscum Album (L.) Extract Therapy in Patients With
Locally Advanced or Metastatic Pancreatic Cancer:
A Randomised Clinical Trial on Overall Survival. 2 A Systematic Review and Meta-Analysis on the Survival of Cancer Patients Treated with a Fermented Viscum album L. Extract (Iscador): An Update of Findings.