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Demenz im Labor erkennen
Augenmerk auf mögliche Differentialdiagnosen und spezifische Biomarker legen
INFO
Mögliche Differentialdiagnosen einer demenziellen Erkrankung1
Endokrinopathien, z. B. Hypo- oder Hyperthyreose Vitaminmangelkrankheiten, z. B. Vitamin-B12- oder Folsäuremangel Metabolische Enzephalopathien, z. B. chronische Leber- oder Nierenerkrankungen Intoxikationen, z. B. mit Industriegiften,
Medikamenten oder Alkohol Elektrolytstörungen, z. B. Hypo- oder Hypernatriämie Hämatologisch bedingte Störungen, z. B.
Anämie, Hyperlipidämie, Multiples Myelom Chronische Infektionskrankheiten, z. B. Neuroborreliose, Zytomegalie,
HIV-Enzephalitis Spätformen der Leukodystrophien, z. B. Zeroidlipofuszinose Die Diagnose einer demenziellen Erkrankung fußt auf einer Kombination von eingehender Anamnese, körperlicher und psychopathologischer Untersuchung, Tests zur Einschätzung kognitiver Störungen, vertiefenden neuropsychologischen Untersuchungen und bildgebenden Verfahren. Um reversible Ursachen einer Demenz nicht zu übersehen, haben Laboruntersuchungen einen hohen Stellenwert – die wichtigsten davon werden in diesem Artikel vorgestellt.1
Untersuchung von Blutparametern
Die Leitlinie empfiehlt, folgende Basisparameter zu bestimmen: Blutbild, Elektrolyte, Nüchternblutzucker, TSH, CRP/Blutsenkung, ASAT (ehemals GOT), Gamma-GT, Kreatinin, Harnstoff und Vitamin B12. Ist die Situation klinisch unklar oder ergeben sich spezifische Verdachtsdiagnosen, müssen weitere Untersuchungen angeschlossen werden. So können Ärztinnen und Ärzte Krankheitsbilder wie jene in der Infobox identifizieren, die ebenfalls kognitive Störungen bedingen.1
Liquor: Differential- und spezielle Diagnostik
Im Rahmen der Erstdiagnostik einer demenziellen Erkrankung müssen zudem entzündliche Gehirnerkrankungen ausgeschlossen werden. Darüber hinaus kann die Liquordiagnostik Hinweise auf nicht degenerative Ursachen einer Demenz geben, die sich durch keine der vorangegangenen Erhebungen – Anamnese, körperlicher Befund, technische Zusatzdiagnostik – eruieren >
ließen. Darum sollten Ärztinnen und Ärzte neben den Neurodegenerationsmarkern folgende Parameter des Liquorgrundprofils erheben: Zellzahl, Gesamtprotein, Laktatkonzentration, Glukose, Albuminquotient, intrathekale IgG-Produktion und oligoklonale Banden. Bei entsprechender klinischer Indikation kann auch die Bestimmung der intrathekalen IgA- und IgM-Produktion sinnvoll sein.1
Ausschluss möglicher Differentialdiagnosen
Jene Parameter erlauben insbesondere den Ausschluss von Virus- bzw. postviralen Enzephalitiden, Lues, Morbus Whipple, Neuroborreliose, Neurosarkoidose und Hirnabszess. Außerdem können Vaskulitiden, Metastasen, paraneoplastische Enzephalopathien und Multiple Sklerose dadurch von einer möglichen demenziellen Erkrankung abgegrenzt werden.1
Marker der Neurodegeneration
Die im Liquor messbaren Parameter der Neurodegeneration dienen in erster Linie dem Nachweis der häufigsten Demenzform – der Alzheimer-Demenz (AD). Sie können zum Teil aber auch Aufschluss über andere primäre Demenzformen geben (siehe Tabelle). 1,2,3 Zwei Prozesse gelten in der Ätiopathogenese der AD als bestimmend:2 • Bildung extrazellulärer Plaques: Jene bestehen aus β-Amyloid (Aβ), welches sich aus 39 bis 43 Aminosäuren zusammensetzt. Die Peptide entstehen durch Spaltung aus dem Amyloid-Vorläuferprotein (APP) und werden unter physiologischen Bedingungen produziert, weswegen die Gesamtkonzentration keinen Aufschluss über das Vorliegen einer AD gibt.
Allerdings kommt es bei einer AD zur vermehrten Produktion des 42
Aminosäuren langen Peptids Aβ1-42, welches bei AD-Patienten – aufgrund der extrazellulären Ablagerung als
Plaques – in seiner löslichen Form im Liquor vermindert ist.2 Eine Standardisierung von Aβ1-42 zu Aβ1-40 als
Surrogatmarker für Gesamt-Aβ (Aβ1-42/1-40) ist der einfachen Bestimmung von Aβ1-42 vorzuziehen.3
• Bildung intrazellulärer neurofibrillä-
rer Bündel: Jene Bündel entstehen durch übermäßig phosphorylisiertes
Tau-Protein. Tau-Protein stabilisiert das mikrotubuläre Gerüst der Axone und liegt physiologischerweise im Liquor nur in niedriger Konzentration vor. Durch die Degeneration der Neuronen kommt es zur Erhöhung der Gesamt-Tau-Protein-Konzentration (t-Tau). Die stabilisierende Funktion des Tau-Proteins geht durch eine gesteigerte Phosphorylierung verloren, was sich im Anstieg des Markers Phospho-Tau-181 (p-Tau) in den betroffenen Hirnregionen widerspiegelt.2,3
ERWARTBARE BEFUNDKONSTELLATIONEN
Primäre, neurodegenerative Demenzen Aβ1-42 bzw. Aβ1-42/1-40
Alzheimer-Demenz
Vaskuläre Demenz
Behaviorale Variante der Frontotemporalen Demenz
Primär Progressive Aphasie (nicht flüssige agrammatische Variante)
Primär Progressive Aphasie (semantische Variante)
t-Tau p-Tau
Primär Progressive Aphasie (logopenische Variante)
Kortikobasale Degeneration
Lewy-Körperchen-Demenz
(Prä-)Analytik und Interpretation
Präanalytisch ist zu beachten, dass Polypropylen-Röhrchen verwendet werden müssen, da es sonst zu fehlerhaften Messungen des Aβ kommen kann. Die Liquorproben müssen schnellstmöglich und nicht eingefroren ins Labor gelangen.1 In der Regel bestimmt man die Biomarker im Liquor mithilfe von enzymbasierten Immunoassays.3 Während Aβ1-42 bzw. Aβ1-42/1-40 als Biomarker der Amyloidose gelten, stellen t-Tau und p-Tau Marker der Neurodegeneration dar. In Interpretationsalgorithmen wie dem Erlangen-Score können diese Marker in Kombination betrachtet werden:4 • 0 – kein Hinweis auf AD: Alle Biomarker im Liquor sind normal. • 1 – AD unwahrscheinlich: leichte
Veränderungen von Aβ oder t-Tau/p-
Tau (aber nicht von beiden). • 2 – AD möglich: Aβ oder t-Tau/p-Tau pathologisch (aber nicht beide) oder leichte Veränderungen in beiden Biomarker-Gruppen. • 3 – AD möglich: Aβ oder t-Tau/p-Tau pathologisch, leichte Veränderungen in der anderen Biomarker-Gruppe. • 4 – AD wahrscheinlich: Aβ und t-Tau/ p-Tau pathologisch.
Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc
Quellen: 1 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) & Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), S3-
Leitlinie „Demenzen“, 2016. 2 Schwarz, MJ, Labormedizinische Diagnostik in der
Psychiatrie. e.Medpedia (o. J.), Springer Medizin.
Abgerufen am 27.01.2021. 3 Tumani H et al., S1-Leitlinie „Lumbalpunktion und
Liquordiagnostik“, 2019. In: Deutsche Gesellschaft für
Neurologie, Deutsche Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie (Hrsg.), Leitlinien für
Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4 Lewczuk P et al., J Alzheimers Dis 2015; 48(2): 433-441.