alpenblick, Ausgabe 2/2022

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Interview

Bergwald – mehr als die schiere Summe der einzelnen Bäume Interview mit Dr. Sabine Rösler, 1. Vorsitzende des Vereins zum Schutz der Bergwelt e. V. (VzSB)

Foto: Privat

von Julia Winterstein Der VzSB ist der älteste Naturschutzverband im Alpenraum. Wann wurde er gegründet und mit welchem Ziel? Der Verein zum Schutz der Bergwelt wurde im Jahr 1900 aus dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DuOeAV) heraus gegründet, zunächst unter dem Namen „Verein zum Schutze und zur Pflege der Alpenpflanzen”. Dieser Name war auch Programm, denn damals gab es in den Alpenländern noch keine Naturschutzgesetze. Ziel war es sich speziell um Alpenpflanzengärten, um die Wissensvermittlung zur alpinen Flora und um Dr. Sabine Rösler Anträge an Behörden zu kümmern. Welche Schwerpunkte hat sich der Verein gesetzt? In seinen Anfangsjahren subventionierte der Verein mehrere Alpengärten. Gleichzeitig ging es aber auch um den gesetzlichen Schutz der Alpenflora: Zwei Eingaben bewirkten, dass 1908 Polizeivorschriften zum Schutz von Pflanzen- und Tierarten erlassen wurden – die ersten Naturschutzgesetze in Bayern. Im Jahr 1903 gab der Verein zum ersten Mal ein Plakat mit Alpenpflanzen heraus, um den gewerbsmäßigen Handel und das Pflücken dieser Pflanzen zu unterbinden. Ein weiteres Novum war die Möglichkeit, sogenannte „Pflanzenschonbezirke“ auszuweisen. Auf Initiative unseres Vereins wurde 1910 ein 83 km2 großer Pflanzenschonbezirk am Königssee eingerichtet – die Keimzelle des heutigen Nationalparks Berchtesgaden. Haben sich die Schwerpunkte und Ziele des VzSB seit der Gründung verändert, wenn ja, wie und warum? Im Lauf der Jahre ist die „Pflege“ der Alpenpflanzen etwas in den Hintergrund getreten, der Schutz der Alpentiere kam dazu. Gemäß unserer Satzung ist der „Zweck des Vereins […] die Förderung des Schutzes von Natur und Landschaft vor allem der Bergwelt. Der Verein will zu Erhalt, Pflege und Wiederherstellung der Eigenart, Schönheit und Ursprünglichkeit mit ihrer natürlichen Vielfalt an wild lebenden Tier- und Pflanzenarten, einschließlich ihrer Lebensräume, beitragen.“ Seit 1984 sind wir vom Bayerischen Umweltministerium amtlich als Naturschutzverband in Bayern anerkannt und können daher an staatlichen Entscheidungen mitwirken. Was aus den Anfangsjahren geblieben ist: Wir geben jedes Jahr das „Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt“ heraus. Auch das Alpenpflanzenplakat auf Berghütten gibt es immer noch. Von den Alpengärten existieren heute nur noch drei, wobei der Garten neben der Vorderkaiserfeldenhütte im Zahmen Kaiser nach wie vor vom VzSB gepflegt wird.

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Wie wichtig ist der Wald für die Bergwelt? Extrem wichtig! Der Bergwald „umhüllt“ die Berge wie ein dunkelgrüner Gürtel und vermittelt zwischen dem Tal und den Hochlagen, also der alpinen und subnivalen Höhenstufe mit ihren Rasen-, Schutt- und Felsgesellschaften. Der Bergwald ist Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten, die nur dort vorkommen. Auch für uns Menschen erfüllt der Bergwald wichtige Funktionen wie bspw. als Schutz vor Lawinen und Muren, als Wasserspeicher und als Erholungsraum. Welche Rolle spielt der Bergwald im Hinblick auf Naturschutz? Beim Klimaschutz spielt der intakte Bergwald eine ganz bedeutende Rolle als CO2-Senke und CO2-Speicher: Wie in anderen Wäldern auch, nehmen die Bäume CO2 aus der Luft auf und speichern es als Holz und im Waldboden. Unter bestimmten Bedingungen bilden sich im Bergwald aber auch stellenweise mächtige Humusauflagen, der sogenannte Tangelhumus, der eine besonders große Bedeutung als CO2-Speicher einnimmt und deshalb besonders geschützt werden muss. Der Bergwald wird lokal durch Skipisten, aber nahezu überall durch Zufahrtswege erschlossen und zerschnitten: für die Forstwirtschaft, zu Almen und zu Tourismuseinrichtungen. All diese Flächenverluste, Zerschneidungen, dauerhaften oder temporären Störungen wirken sich negativ auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Bergwaldes und seine Pflanzen- und Tierwelt aus. Wie werden sich die Bergwälder in den nächsten Jahrzehnten entwickeln oder gar verändern? Der Klimawandel setzt natürlich auch dem Bergwald zu. Am nördlichen Alpenrand ist es zwar vergleichsweise regenreich, aber die Schneehöhen und die Dauer der schützenden Schneebedeckung geht zurück. Lokale Starkregenereignisse können Muren auslösen. Ebenso können Stürme Schneisen in den Bergwald reißen. Mit den steigenden Temperaturen steigt auch die obere Höhengrenze der Bäume im Gebirge. Wir beobachten z. B., dass Fichten heute teilweise fast 300 Höhenmeter höher vorkommen als vor rund 170 Jahren. Was steckt hinter „Bergwelt ohne Tabu!“? Unter „Bergwelt ohne Tabu!“ beobachtet und beschreibt der VzSB die kulturellen und politischen Prozesse, die zu einer Transformation des formellen (Gesetze) und informellen Schutzstatus (Tabus) der Bergwelt führen. Dabei geht es sowohl um die „harten“ Erschließungen (z. B. Skigebiete und Wasserkraftwerke) als auch um die „Soft Skills“ neuer

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