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Freiheit am Berg – für alle?

Wie Sportler*innen die heimische Tierwelt beein ussen

von Anissa Schmidt-Mößinger

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„Schau mal, da hinten steht ein Reh!“ Während der Anblick von wildlebenden Tieren früher für jede*n Waldbesucher*in alltäglich war, ist es heute schon eine Besonderheit. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie heiß diskutiert, zwischen Forst- und Jagdbeauftragten und Naturschützern. Eines jedoch ist unbestritten und seit Längerem auch Gegenstand mehrerer Studien: Die Freizeitsportler*innen in Berg und Tal nehmen Ein uss auf das Verhalten und auch den Bestand unseres heimischen Wildes.

Wer im Winter die frisch verschneiten Berghänge mit Tourenski oder Schneeschuhen erklimmt und nach erfrischender Jause im Pulverschnee durch kleine Wäldchen und Jung chten wieder hinunter wedelt, mag nicht glauben, dass sich davon irgendjemand gestört fühlt.

„Schütze uns und unseren Lebensraum!“ Unter diesem Motto informiert der Bayerische Jagdverband (BJV) über Verhaltensregeln und wie ein gutes Miteinander zwischen Mensch und Natur möglich ist. Gleiches gilt sicher für den*die Mountainbiker*innen im Sommer, die owige, selten befahrene Trails abseits der großen Schotterpisten genießen. Während uns allen klar ist, warum der Müll vom Berg mit nach Hause genommen und im Wald kein Lagerfeuer gemacht wird, ist das Verhalten der heimischen Wildtiere eher unbekannt. Kein Wunder – man sieht sie ja gar nicht mehr, mit Ausnahme der Steinböcke am Heilbronner Weg vielleicht. Denen geht es übrigens inzwischen erstaunlich gut: nachdem sie Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausgerottet waren, leben inzwischen laut Schätzungen der Naturschutz- und Jagdverbände rund 600 bis 800 Exemplare in den Bayrischen Alpen. Bei der Zählung ist man auf die Sichtungen der Bergsteiger*innen angewiesen (siehe www.lbv.de/steinbock).

Während der Steinbock ein geringes Fluchtverhalten zeigt – er itzt bis in die nächste Felswand, in der der hervorragende Kletterer vor Verfolgern sicher ist – und damit durch Bergsportler*innen selbst in extremem Gelände nicht nachhaltig beeinträchtigt wird, geht es dem Hochwild in tieferen Lagen nicht so gut. Für eine gemeinsame Studie der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Gutsverwaltung Fischhorn GmbH & Ko. KG sowie der Gletscherbahnen Kaprun AG wurde über drei Jahre lang Rotwild in der Gegend um das Kitzsteinhorn mit Sendern ausgestattet und die Bewegungen der Tiere wurden dann mit den sportlichen Aktivitäten im Gebiet abgeglichen. Dabei el auf, dass die Tiere Bereiche, in denen Menschen unterwegs sind, systematisch meiden und auch sehr hochwertige Futterplätze (sogenannte Äsungs ächen) nur nachts aufsuchen. Auch Bereiche, in denen nur sehr selten Publikumsverkehr herrscht, wurden vom Wild nicht mehr besucht, obwohl es dort früher häu ger unterwegs war. Die Forschenden schlossen daraus, dass das Rotwild allgemein auf den Menschen sehr emp ndlich reagiert, sich aber sowohl regional (entlang der Wanderwege) als auch zeitlich (tagsüber) anpassen kann, solange die Abläufe

kalkulierbar bleiben. Kurz gesagt: Wer nur tagsüber und auf den Wegen in den Bergen unterwegs ist, stört die Tiere weniger, da sie sich darauf einstellen können. Dies gilt aber nur, so lange genügend Wald und auch o ene Flächen oberhalb der Baumgrenze (für Gämsen oder Steinböcke beispielsweise) zur Verfügung stehen, in die die Tiere sich zurückziehen können. Wird das Wegenetz immer weiter ausgebaut, neue Skipisten erschlossen und Skirouten geplant, werden die zusammenhängenden Rückzugsräume immer kleiner. Sobald Menschen vom Weg abweichen und die Rückzugsorte der Tiere begehen oder durchfahren, wird das Wild aus seiner Ruhephase hochgeschreckt und dadurch in Stress versetzt. Gerade im Winter, wenn Energie ohnehin knapp ist, kann das gefährlich werden, da zusätzlich nach neuen Äsungs ächen gesucht werden muss.

Im Angertal (Salzburg) wurde bereits 1987 nachgewiesen, dass der Anteil der genutzten Fläche durch den Wintersport (lediglich 20 %) Auswirkungen auf 75 % der Fläche hat, was die Störung des Wildes anbelangt. Dies lag vor allem an Skitouren und Abfahrten abseits der Pisten.

Besonders interessant ist, dass auch und gerade Störungen aus der Luft problematisch sind. Die zuvor erwähnte Studie der BOKU zeigte an einem Beispiel, dass ein Hirsch eine Fläche, die er normalerweise tagsüber zum Äsen nutzt, ganze drei Tage nicht mehr betrat, nachdem ein Fallschirm darüber ge ogen war.

Für den Gleitschirm gilt genau wie für die Skiabfahrt nach der Tour, dass gerade die leise Annäherung für die Tiere oft überraschend ist und dadurch ihre störende Wirkung noch verstärkt.

Die Folgen sind nicht nur für das Wild dramatisch, sondern führen auch zu erhöhten Wildschäden. Da die natürlichen Äsungs ächen und auch eingerichtete Winterfütterungen durch die menschlichen Störungen nicht zugänglich sind, tut sich das Wild an den frischen Trieben der Bäume gütlich – mit erheblichen nanziellen Einbußen für die Forstwirtschaft. Auch nicht forstwirtschaftlich genutzte Wälder, beispielsweise Objektschutzwälder, welche zur Erhaltung unserer Bergwelt, Sicherung vor Lawinen oder Muren und Ähnlichem beitragen, leiden erheblich unter den Schäden.

Unser heimisches Rehwild im „Flachland“ ist nicht nur kleiner als das Rotwild, sondern auch anpassungsfähiger. Fährt man mit dem Auto oder dem Rad an einer Wiese vorbei, die vom Rehwild zum äßen genutzt wird, verschwindet es in den nächsten Einstand, kommt aber schon einige Zeit später wieder heraus. Auch hier gilt aber: Werden die Verstecke der Rehe im Wald immer wieder von Radfahrern und Querfeldein-Läufern betreten, muss das Rehwild sich neue Äsungs ächen suchen. Im schlechtesten Fall sind das ebenfalls die Triebe der frisch gep anzten Jungbäume im Forstgebiet. Gerade freilaufende Hunde scheuchen das Wild immer wieder auf und hetzen es teilweise auch über längere Distanzen.

Mit Rücksichtnahme bei der Strecken- und Zeitplanung unserer Aktivitäten in der Natur ist dem Wild schon sehr viel geholfen, genauso wie mit einer Leine für unseren vierbeinigen Begleiter. Denn wir alle sollten uns bewusst sein, dass wir unsere Natur mit vielen anderen Lebewesen teilen. Während wir sie genießen dürfen und danach in unser warmes Zuhause zurückkehren können, angefüllt von den schönen Eindrücken und Erlebnissen, ist die Bergwelt für die Tiere Lebensraum, Zuhause und Kühlschrank in einem. Sie sind davon abhängig, dass genug davon für sie erhalten bleibt und sie sind darauf angewiesen, dass wir auf sie Rücksicht nehmen. Denn eine Wald- und Bergwelt ohne Tiere wollen wir uns nicht vorstellen.

TREKKINGSHUH VIGO GTX

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