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ROLLSTUHLSPORT

SERIE 4/4: VERBANDSLANDSCHAFT INTERNATIONAL

Basketball nicht mehr paralympisch Ein Verbandsstreit eskaliert. Leidtragende sind die Spieler, die sich einem gemeinsamen Ziel verschreiben und ihr Leben diesem unterordnen. Ein Kommentar. Von Nicolas Hausammann

George Bates im Einsatz gegen die Schweiz

«Hätte ich mir doch das Bein damals ampu­ tieren lassen», sagt George Bates, englischer Nationalspieler und Matchwinner im Fi­ na­le der WM 2018 in Hamburg. Sein Leben besteht aus Rollstuhlbasketball. Er spielt bei Mideba Extremadura Badajoz in Spanien und fliegt mit drei seiner Teamkol­legen einmal im Monat zurück auf die In­sel, um gemeinsam mit der Nationalmannschaft eine Trainingswoche zu absolvieren. Im Rollstuhlbasketball gilt: ohne professionel­ les Engagement kein Erfolg an interna­ tionalen Turnieren. Doch nun ist George Bates plötzlich nicht mehr spielberechtigt. Insge­samt neun internationale Spieler tei­ len das Schick­sal des Briten. Grund dafür ist ein Streit zwischen dem IPC (International Paralympic Committee) und der IWBF (International Wheelchair Basketball Federation) um die Minimalbe­ hinderung, welche Spieler zur Teilnahme an den Paralympics berechtigt. Hier beste­ hen zwischen den beiden Verbänden unter­ schiedliche Ansichten. Der Basketballver­ 42

band habe es verpasst, bei der Ausarbeitung des neuen IPC Classification Code mitzu­ arbeiten und müsse diesen nun endlich umsetzen, heisst es aus Bonn vom Haupt­ sitz des IPC. Daher wurde Basketball vom IPC Anfang des Jahres kurzerhand von den Spielen ausgeschlossen. Wenn nicht im Schnellverfahren die «Eligibility» der Spie­ ler nach IPC-Standards nachgewiesen wer­ den könne und wenn der Rollstuhlbasket­ ball-Verband sein Klassifizierungssystem nicht Code-Konform überarbeite, gäbe es kein Basketball, weder in Tokyo 2020 noch in Paris 2024. Folgen für Athleten Diese Nachricht glich einem Super-GAU! Die populärste Sportart nicht an den Pa­ ra­lympics dabei? Fördergelder hängen in den meisten Ländern direkt mit paralym­ pischem Medaillen-Potenzial zusammen. Be­troffen sind folglich nicht nur Athleten, wel­che ihre Spielberechtigung verlieren könnten, sondern alle Athleten, deren Ver­ bandsunterstützung plötzlich in Gefahr ist.

Einerseits zeigt sich die IWBF also gerne als starker eigenständiger Verband, ande­ rerseits hat man bei der Entwicklung des Classification Codes geschlafen und nicht interveniert oder sein System rechtzeitig an­gepasst, zum Leidwesen der Athleten. Schlechte Kommunikation auch im Rugbyverband Kommunikationsversäumnisse sind leider auch beim Internationalen Rollstuhl Rugby Verband (IWRF) an der Tagesordnung. Die­ser ist wie die IWBF eigenständig or­ ganisiert und ebenfalls in verschiedenen Zo­nen für die Durchführung der zonalen Titelwettkämpfe als Qualifikationsgrund­ lage für die Paralympics zuständig. «Es fällt auf, dass Austragungsorte immer sehr spät bekannt gegeben werden», konstatiert Peter Roos, TK-Chef Rugby. Dies hängt wohl da­ mit zusammen, dass es extrem viele Auf­ lagen für die Wettkämpfe gibt, welche zu hohen finanziellen Belastungen der Orga­ nisatoren führen. Daher gestaltet es sich schwierig, solche zu finden.

Die Eigenständigkeit scheint also im Mo­ ment ein klarer Nachteil zu sein. Profitie­ ren Sportfachverbände, welche dem IPC angeschlossen sind von Ressourcen des IPC bei Vermarktung, Informationsaustausch und Kommunikationskanälen, schei­­nen ei­ ­genständige Verbände, welche auch nicht an grosse Fussgänger-Sportfachverbände angeschlossen sind, oft überfordert. Dies zeigt der oben beschriebene Klassifikations­ ­streit eindrücklich. Vielleicht liegt es aber auch an der Überheblichkeit des Basket­ ballverbandes, der dachte, er sei «too big to fail».

Paracontact I Winter 2020


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