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AUSGEZEICHNET
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And the winner is…
Uster, die «Stadt für alle», gewinnt die erste Auszeichnung der Stiftung «MOVE», den «MOVEAward».
Von Gabi Bucher
Die Stiftung «MOVE» fördert und unterstützt das rollstuhlgerechte Bauen von Plätzen, Strassen, Trottoirs, öffentlichen Transportanlagen, Gebäuden und Anlagen. Sie wurde im März 1999 durch Linda Mühlemann, Heinz Herzka und Maja Stutzer in Zürich gegründet und am 1. Juli 2016 einem neu zusammengesetzten Stiftungsrat aus der Region Basel übergeben. Dieser entschied, ab 2020 jährlich Gemeinden für beispielhafte Leistungen im Rahmen der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen mit einem Preis auszuzeichnen. Bei der Auswahl möglicher Kandidaten geht der Stiftungsrat auch auf Tipps von Betroffenen und Rückmeldungen von Institutionen ein, welche er in diesem Zusammenhang angeschrieben hat. Uster und St.Gallen kamen in die engere Auswahl für den ersten «MOVEAward». «Eine Auszeichnung kann aber nicht nur auf Hinweisen und Tipps basieren, das wäre nicht seriös», erklärt Stiftungspräsident Eric Bertels. Darum machte er sich auf, zusammen mit der Stiftungsrätin Chikha Benallal, selber Rollstuhlfahrerin, die beiden «Kandidaten» persönlich auf Herz und Nieren zu prüfen.
Briefkastenproblematik
Treffpunkt war der Bahnhof Uster. Uster nennt sich seit geraumer Zeit «Inklusionsstadt» bzw. «Stadt für alle» und beschäftigt mit Elisabeth Hildebrand seit Oktober 2018 eigens eine Inklusionsbeauftragte. Die Erwartungen waren dementsprechend hoch. Der Busbahnhof liess kleine Zweifel aufkommen; die Plattformen sind noch nicht erhöht, der Einstieg nur mit Rampe oder Hilfe des Chauffeurs möglich. Mit gemischten Gefühlen machten sich die beiden Besucher auf den Weg. Eric Bertels hatte verschiedene öffentlich genutzte Gebäude und Örtlichkeiten im Visier. Und nun überzeugte Uster mit breiten Trottoirs und perfekt abgeflachten Absenkungen zur Strassenüberquerung. Beim Stadthaus war zwar nicht sofort ersichtlich, wo sich die Rampe befindet. Sie hat aber ihren Anfang logischerweise gleich neben dem Rollstuhlparkplatz. Was Chikha Benallal vor allem begeisterte, war der Briefkasten. «Meist befinden sich diese auf einer für uns unmöglichen Höhe» erklärte sie. Nicht so in Uster, hier kann sich keiner rausreden, er hätte den Stimmzettel nicht einwerfen können.
Eindrückliche Treppe
Auch der weitere Rundgang zeigte viel Positives: Rampe zum Kino, Rampe zur katholischen Kirche, Rampe zur Heilsarmee, alles soweit perfekt. Ein kurzer Schreck, auch für den begleitenden Fussgänger, die unglaublich imposante Treppe zur evangelischen Kirche! Aber gleich daneben verwies ein Pfeil auf den «Kirchenlift». Dieser sei nach harten Verhandlungen mit der Denkmalpflege realisiert worden, erklärte der anwesende Kantor und Organist. Der Lift führte auf die Plattform vor der Kirche, beim rechten Seiteneingang dann eine Rampe zur Tür, die normalerweise auto

matisch öffnet, sich aber in diesem wichtigen Moment etwas sperrig verhielt. Und im Innern der Kirche, welches der Treppe in Sachen Grösse in nichts nachsteht, war extra Platz für Rollstuhlfahrer neben den Bänken.
Eine kurze Irritation kam bei der Dorfschule mit integrierter Musikschule auf, welche sich gerade im Umbau befindet. Auf den ersten, etwas zu schnellen Blick kein Anzeichen einer Rampe zum Überbrücken der Stufen am Eingang. Sollte sich da ein Manko abzeichnen? Ein Bauarbeiter klärte Eric Bertels auf. Hinter den grauen Plastikplanen im Innern des Hauses verstecke sich der Liftschacht. Und draussen zeigte Chikha Benallal lachend auf den Lieferwagen eines Treppenliftfabrikanten, welcher neben dem Gebäude stand.
«Gschwellti» statt Hot Dog
Auf dem Weg zum Stadtpark eine weitere positive Überraschung: Wegweiser versprachen einen Rollstuhlwanderweg, den «Industrielehrpfad Niederuster». Im Stadt
AUSZEICHNUNG
Die Stadt Uster erhält als Gewinnerin die Preissumme von CHF 5000.–, einen Blumenstrauss, eine Urkunde und einen Kleber des Auszeichnungslogos, welches sie zum Beispiel bei der Eingangstüre der Stadtverwaltung anbringen kann. park selber elegante Absenkungen, welche den Rollifahrern erlauben, nahe an den Weiher zu gelangen. Mit Tischen und Sonnenschirmen bot sich das «Parkbeizli» nach dem ausgiebigen Spaziergang gleich in der Nähe als Rastplatz an. Von weitem liess es auf Hot Dogs und Hamburger schliessen, stattdessen waren dann aber ein «Salatteller mit Gschwellti und Sauerrahm» oder «KichererbsenCurry mit frischem Gemüse aus dem Garten» im Angebot. Betrieben wird das «8610 im Stadtpark» übrigens vom Werkheim Uster, wo Mitarbeitende mit Beeinträchtigung sowie Fachangestellte Hand in Hand arbeiten. Schon fast logisch in diesem Zusammenhang, dass es auch eine rollstuhlgerechte Toilette gibt; gelebte Inklusion eben.

Die letzte positive Überraschung war die grosse Bibliothek mit riesiger Rampe in den oberen Stock, einem tiefen Tisch mit Laptop zum digitalen Stöbern und einem tiefgelegten Schalter.
Streifen so weit das Auge reicht
Nicht nur für Rollstuhlfahrer scheint man in Uster sensibilisiert zu sein, auffallend sind auch die sehr gut und ausgiebig angebrachten Leitlinien auf den Trottoirs für Menschen mit einer Sehbehinderung.
Und während auf dem Weg zum Bahnhof ein Fussgänger praktisch auf den Knien einen Bankomaten für Rollstuhlfahrer zu bedienen versuchte – einmal andersherum – stiessen Chikha und Eric auch gleich noch auf einen Rollstuhlparkplatz in Bahnhofsnähe.
Schwieriger Stand für St. Gallen
Uster hinterliess einen positiven Eindruck. Wie verhält es sich mit St.Gallen? Im Jahr 2019 erhielt die Stadt den FLUXPreis für die generelle Gliederung des Bahnhofbereichs. Als erster Schweizer Verkehrsknoten ist die Umgebung des Bahnhofes zudem zu 100% auf die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Personen abgestimmt. Alle Bushaltekanten haben eine Höhe von 22cm, Blindenleitsysteme weisen den Weg durch den gesamten Komplex. Die Unterführungen, die zu den Bahnsteigen führen, sind zusätzlich zur Treppe entweder mit einer Rampe oder einem Aufzug versehen. In den unterirdischen Räumen wurde die Beleuchtung sorgfältig gestaltet, um Einschränkungen für Menschen mit Sehbehinderung gezielt abzubauen.
Beim Bahnhof war also alles soweit gut. Aber je weiter sich die beiden in die Altstadt vorwagten, desto schwieriger wurde es für St.Gallen, mit Uster mitzuhalten. Allein die vielen Pflastersteine waren nicht wirklich geeignet für Rollstuhlfahrer. Beim TextilMuseum musste per Telefon um Hilfe angefragt werden. Der Treppenlift im Stadthaus fuhr erst mal etwas hoch, bevor er runterging, ein nicht ganz logischer Vorgang, der Verwirrung stiftete. Verliess man die Stiftskirche durch den seitlichen Ausgang, fand man sich vor zwei Stufen, und die St.LaurenzenKirche zeigte ein dominantes «Achtung Stufe»Schild, wo durchaus genug Platz vorhanden wäre für eine Rampe. Auch die Trottoirabsenkungen mit Pflastersteinen behagten Chikha Benallal nicht wirklich.
Für den dann noch einsetzenden Regen konnte man die Stadt nicht verantwortlich machen, aber baulich gibts Verbesserungspotenzial. Eric Bertels und Chikha Benallal sind sich einig, lange debattiert wird nicht, Uster hat die Auszeichnung verdient. Da wurde auf sehr vieles geachtet, man ist sich der Thematik bewusst und bemüht sich, über die normalen Anforderungen hinaus Lösungen zu finden. Bei St.Gallen bleibt noch Luft nach oben.
Stiftung MOVE www.move-stiftung.ch