LEBENSBERATUNG
LEBENSWILLE
Mit Humor und Technik
Trotz hoher Tetraplegie lebt Andrea Bastreghi sehr autonom. Dies ermöglichen ihm viele technische Hilfsmittel. Von Gabi Bucher
Das Studio von Andrea Bastreghi liegt in der vierten Etage der Résidence Gabrielle Sabet in Carouge GE, mitten in einem Wohnviertel. Die Tür steht offen, Andrea Bastreghi unterhält sich mit Jeanne Rüsch, der Sozialarbeiterin der SPV. Sie hat ihn, wie viele andere, während der Rehabilitation auf seinem langen Weg zurück in den Alltag begleitet (siehe Artikel Seite 17). «Könnten Sie die Storen hochziehen, da mit man mich in meiner ganzen Pracht sieht», bittet er sie, «dort, der weisse vier eckige Knopf, links oben, neben der Tür.» Er ist sich gewohnt, genaue Anweisungen zu geben, denn seit seinem Skiunfall vor drei Jahren kann er nur noch seinen Kopf bewegen. Im Moment ist er wieder ver
mehrt auf Hilfe angewiesen. Bei der Repa ratur seines Rollstuhls vor ein paar Tagen wurde ein falsches Teil eingesetzt, jetzt funktioniert sein «Housemate» nicht mehr. Das Umweltkontrollgerät läuft über sein Handy und erlaubt ihm, per Wangenkon takt Türen zu öffnen, den Lift zu rufen, zu telefonieren. Bewusste Irritation Der charismatische Andrea Bastreghi lässt sich seinen Unmut darüber kaum anmer ken. Überhaupt wirkt er so souverän, dass man innert kürzester Zeit seine grossen Einschränkungen vergisst. Das mag teil weise an seinem beeindruckenden Elek tro-Rollstuhl mit all der Technik liegen, aber vor allem liegt es an seiner Persön lichkeit, die sich auch in der Einrichtung seines Studios zeigt, welches er seit drei Jahren bewohnt. An den Wänden hängen grosse Bilder zeitgenössischer Künstler, auf der Kommode steht eine weisse Gips büste von Mao mit Schnuller. «Die habe ich so in Auftrag gegeben», erklärt er lachend. Unter dem roten Sofa lugt ein Arm hervor, «den habe ich extra so platziert. Meine Freunde finden das witzig, die Pflegenden reagieren eher schockiert.» Und, um das Bild eines eher unkonventionellen Zeitge
Die Technik, unverzichtbare Helferin für Andrea 14
nossen zu bestätigen: Seine Füsse stecken in je einem schwarzen und einem weissen Turnschuh der Kultmarke «Converse». Entscheid fürs Leben Andrea ist ein Mann mit Witz und Charme, offen, unkompliziert, kommunikativ. Er war Ingenieur, weltweit unterwegs für eine Telekommunikationsfirma, lebte lange in Hongkong. Dann passierte der Unfall, zwei Monate vor seiner Pensionierung. Als er aus dem Koma erwachte, war ihm lange nicht bewusst, wie schlecht es ihm ging. Seine Familie wusste Bescheid, sprach aber nicht mit ihm darüber. «Als ich realisierte, wie es um mich steht, wollte ich mir nach meinem Austritt aus der Klinik mit Exit das Leben nehmen.» Die Psychologin des SPZ habe ihm ins Gewissen geredet. Er solle an seine beiden Söhne denken! «Der 15-Jährige ist jedes Wochenende per Zug von Genf hierher gereist, der ältere blieb während zwei Monaten bei mir in der Kli nik.» Eine Erinnerung, die Andrea auch heute noch bewegt. «Die Psychologin hat mich überzeugt, dass ich mich nicht aus dem Staub mache. Also beschloss ich, zu Paracontact I Winter 2020