URBAN & WELTGEWANDT
Prototyp für die Stadt von morgen Quelle: Tegel-Projekt-GmbH_Atelier-Loidl
Auf dem Areal des ehemaligen Berliner Flughafens Tegel werden in den nächsten Jahren neue Konzepte für das Bauen und Wohnen erprobt.
D
er Flughafen Tegel ist geschlossen. Regenwolken hängen über dem leeren Tower. Doch für den Spaziergang in die Zukunft braucht Philipp Bouteiller keinen Schirm. Im Erdgeschoss eines alten Bürogebäudes der Flughafengesellschaft startet er ein Video. Es zeigt unter strahlend blauem Himmel, was auf dem Flughafengelände noch nicht ist, aber bald sein wird: The Urban Tech Republic – ein Innovationspark, in dem urbane Technologien entwickelt werden. Und das Schumacher-Quartier: das größte Wohnquartier aus Holz in Europa, vielleicht sogar der Welt. „Im Detail wird sicher alles anders aussehen“, kommentiert der Geschäftsführer der landeseigenen Tegel Projekt GmbH die ersten Videobilder, „uns geht es um modernen Städtebau“.
Probe mit fossilen Energieträgern Rund acht Milliarden Euro sind für das wichtigste Stadtentwicklungsprojekt der Hauptstadt veranschlagt. Die Aufgabe besteht nicht nur darin, auf einer Fläche von rund 500 Hektar ein Experimentierfeld für neue Ideen zu eröffnen, sondern die besten Konzepte für die Stadt von morgen tatsächlich umzusetzen. Im Schumacher-Quartier sind 5.000 Wohnungen geplant für mehr als 10.000 Menschen. Im Video sieht man Wohnblöcke mit fünf oder sechs Stockwerken, auch Hochhäuser aus Holz. Das Energiekonzept lässt sich schlecht in Bilder fassen. Berlin will bis 2050 klimaneutral werden und probiert hier Energieversorgung ohne fossile Energieträger aus. Geplant ist ein Low-Exergie-Netz. Es wird mit Temperaturen von 40 Grad Celsius betrieben. Philipp Bouteiller sagt: „Auf einem Energie-Marktplatz für Wärme und Kälte können die Nutzer von Berlin TXL mit Energie handeln.“ Der virtuelle Rundgang führt vorbei an Ladenzeilen, an Bäumen und Grünstreifen, in denen Regenwasser versickern wird. Das Quartier ist als Schwammstadt konzipiert, die Niederschlag aufsaugt und nicht ans Abwassernetz abgibt. Auf den Plätzen spielen Kinder, der Quartierpark dient als Wohnzimmer im Freien. In den Fokus geraten sechs Meter breite Fahrradwege. „Die sind so breit wie nirgendwo sonst in Berlin.“ Autonom fahrende Straßenbahnen rauschen vorbei, Autos sieht man keine. Sie werden hier nicht gebraucht. Wer doch eins hat, muss es in einer Quartiergarage parken. Der Bildungscampus gerät in den Blick, hier sind Kita, 78
Grundschule und Sekundarschule vereint. Daran schließt sich ein großer Landschaftspark zum Erholen an, in dessen Zentrum der Flughafensee liegt.
Modellquartier mit Signalwirkung? Als der Tegel-Projekt-Chef 2012 seinen Posten antrat, war Nachhaltigkeit bereits ein Thema. Doch der Flughafen BER in Schönefeld wurde nicht fertig, das Projekt geriet in die Warteposition: Mit der Zeit wuchs das Verständnis für den Klimawandel rasant – und der Wille, etwas zu verändern. Klimaforscher haben errechnet, dass die Bau- und Gebäudewirtschaft rund 38 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verursacht und Lösungen für das Problem dringlich sind. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimaforschung und mit ihm Architects for Future argumentieren für einen Umstieg von Stahl, Beton und Zement auf nachwachsende Baumaterialien wie Holz und Bambus, mit denen CO₂ nicht freigesetzt, sondern in denen es gebunden ist. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass das Berliner Abgeordnetenhaus 2019 beschlossen hat, den Baustoff Holz in Berlin stärker einzusetzen. Modellquartiere wie in Tegel sollen Signalwirklung haben. Dafür muss Philipp Bouteiller jetzt Voraussetzungen schaffen. In den Köpfen und in der Realität. Rund 25.000 Kubikmeter Holz werden für das Quartier gebraucht. Aufmerksam verfolgt er die Bauholzpreise, die Kapriolen schlagen. Um 83 Prozent hat es sich im Frühjahr verteuert, dann ist es in den USA wieder um 40 Prozent abgesackt. Die Preise schwanken. Aber er will nicht auf dem Weltmarkt kaufen, sondern vor Ort neue Wertschöpfungsketten schaffen: mit Material aus den Berliner Forsten und aus Brandenburg. Der weit schwerwiegendere Kostenfaktor ist die Fertigung. Für
IMMOBILIEN AKTUELL