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Noch immer zu zaghaft
from IMMOBILIEN AKTUELL
by IMMOCOM
Torsten Nehls, Geschäftsführer des Projektentwicklers Belle Époque-Gruppe, spricht über Dachbegrünungen, Baustoffe und Produktionskosten.
IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Das Thema Natur und Nachhaltigkeit spielt in Ihrem Unternehmen eine vorrangige Rolle und das bereits seit vielen Jahrzehnten. Überrascht es Sie, dass Nachhaltigkeit in der Branche erst jetzt und damit sehr spät zum Thema wird?
Torsten Nehls (TN): Wir sind positiv überrascht und sehr erfreut, dass das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit endlich den verdienten Stellenwert in der Bau- und Immobilienbranche erlangt – wenngleich noch immer zu zaghaft.
IA: Bei Ihren Berliner Projekten, unter anderem auf der Charlottenstraße, der Seddiner Straße und weiteren, werden begrünte Dächer realisiert. Welche anderen Maßnahmen setzen Sie außerdem um?

Auf der Seddiner Straße in Berlin entsteht Gewerbefläche – unter ökologischen Gesichtspunkten.
TN: Neben Dachbegrünungen, Wasserkreislaufsystemen für beispielsweise Regenwasser, drainagefähigem Pflaster oder wassergebundenen Wegflächen kommen künftig auch vermehrt Solarelemente auf Dächern und an Balkonen, Wärmepumpensysteme, Energiespeicher und vielleicht auch Dachwindanlagen zum Einsatz. Die Kombination von Gründach und Solar erscheint dem unerfahrenen Beteiligten auf den ersten Blick als widersprüchlich – ist jedoch besonders nachhaltig, da sie die empfindliche Dachfläche schützt, das Gebäude und die Umgebung kühlt und gleichzeitig wesentlich zum idealen Wirkungsgrad der Solaranlagen beiträgt.
IA: Viel diskutiert wird momentan über die richtige Auswahl der Baustoffe und auch über deren Preise. Welche Entwicklung sehen Sie in diesem Bereich?
TN: Derzeit kämpfen alle Marktteilnehmer noch gleichermaßen mit einer preislichen Aufwärtsspirale bei Material und Produktionskosten. Es ist daher unverständlich, weshalb nur ein verschwindend geringer Anteil an Recycling- und Upcyclingmaterialien und eine viel zu geringe Quote an Naturbaustoffen oder intelligenteren Bautechnologien und CO₂-einsparenden Materialien zum Einsatz kommen. Die Bauindustrie arbeitet in vielen Bereichen leider noch wie im letzten Jahrtausend. Unser Erfindergeist ist hingegen Smart & Green.

Hanf als alternatives Dämmmaterial
Foto: shutterstock
IA: Quartier Gehrenseehöfe heißt ein Projekt von Ihnen: mit über 1.000 Wohneinheiten und fast 38.000 Quadratmetern Gewerbefläche. Welche Kriterien braucht ein nachhaltiges Quartier?
TN: Nachhaltigkeit im Großen bedeutet für uns eben nicht nur die Drittverwendungsmöglichkeit sowie einen Nutzungsmix, wie er in einem urbanen Quartier selbstverständlich sein sollte. Insbesondere soll eine zukunftsweisende, klimafreundliche, ökologische und damit gesunde Bauweise mit gesellschaftlich nachhaltigen und wirtschaftlichen Aspekten gepaart werden. Hierzu zählen heute mehr denn je klimafreundliche CO₂-reduzierte Materialien und Bauweisen mit einem hohen Maß an recycelten sowie biologischen und nachwachsenden Baustoffen, welche auch bei einem Rückbau stets dem Stoffkreislauf wie selbstverständlich wieder zugeführt werden können. Wir nennen solche Materialien NUBORNMaterialien, da sie wie eine weiße Glasflasche auf ewig im Stoffkreislauf für uns da sein und immer wieder neu geboren werden. Ein Projekt von solch städtebaulicher Bedeutung lebt von einer urbanen Mischung für Jung und Alt mit generationsübergreifendem Wohnen und sozial nachhaltigen Angeboten. Hierzu gehören selbstverständlich immer auch Infrastruktureinrichtungen wie Schulen, Kitas, Stadtbibliotheken, Einkaufen, Pflege, Medizin, Gastronomie und vieles andere mehr, ebenso wie beispielsweise die Integration eines Mobility-Hubs mit flexiblen Bike- und Carsharing-Angeboten, idealerweise für Elektro, Biogas sowie Wasserstoff. Wir streben danach, Mensch und Natur auch im urbanen Stadtbild so gut wie möglich in Einklang zu bringen – wie selbstverständlich wird der durch die Projektentwicklung und die CO₂-einsparende und umweltschonende regionale Bauweise initiierte Nachhaltigkeitsgedanke in der Zukunft von den Bewohnern und Nutzern vor Ort in einem solchen Quartier gelebt werden.
Interview: Ivette Wagner