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„Raus aus dem Silodenken, rein ins Team-Playing“
from IMMOBILIEN AKTUELL
by IMMOCOM
Foto: HDB
DAS INTERVIEW
Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, spricht mit IMMOBILIEN AKTUELL über Rohstoffpreise und Engpässe, fehlende Arbeitskräfte, Digitalisierung und Aufträge aus Städten und Kommunen.
IMMOBILIEN AKTUELL (IA): In den deutschen Städten drehen sich die Kräne. Die Konjunkturindikatoren stehen auf Plus. Stimmen Sie dem Satz zu: Der Bauindustrie geht es gut?
Tim-Oliver Müller (TOM): Im Großen und Ganzen ja. Die Auftragslage ist derzeit gut. Der Auftragseingang ist im Zeitraum von Januar bis Mai um 5,8 Prozent gestiegen. Der Auftragsbestand steht Ende März mit 62 Milliarden Euro auf einem Rekordniveau. Allerdings ist die Baukonjunktur mittlerweile regional sehr unterschiedlich. Zudem bestehen immer noch Probleme mit Preisen und Knappheiten bei Baumaterialen. Das erholt sich zwar langsam, aber es trübt die Stimmung.
IA: Zuerst müssen wir über das Thema der vergangenen Monate diskutieren: Was ist mit den Baustoffpreisen los?
TOM: Die Baustoffpreise kennen zurzeit nur eine Richtung: nach oben. Denn die wieder gestiegene Nachfrage aus anderen Branchen wie der Automobilindustrie, aber auch aus Regionen wie China und den USA, sind auf ein pandemiebedingt gesunkenes Angebot getroffen. In unserer Branche – mit vielen langlaufenden Verträgen – müssen diese Mehrkosten dann zumeist die ausführenden Bauunternehmen schultern. Bei Neuverträgen können hingegen Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden, um die Risiken von Materialpreissteigerungen gerecht zu verteilen. Wobei die Unternehmen dabei im Blick haben müssen, dass sich der Markt auch wieder in die andere Richtung drehen kann. Neben gestiegenen Preisen sind wir zum Teil auch damit konfrontiert, dass Materialien knapp sind, was zu deutlichen Bauverzögerungen führen kann.
IA: Welche Baustoffe sind am meisten betroffen?
TOM: Am stärksten betroffen sind Holzprodukte. Der Erzeugerpreis für Nadelschnittholz ist etwa innerhalb nur eines Monats um 23 Prozent gestiegen. Das wirkt sich natürlich auf die Nachfrage aus: Mittlerweile müssen die Bauunternehmen fast 60 Prozent mehr bezahlen als noch vor einem Jahr. Betroffen sind aber auch Stahl, Kupfer und Bitumen, letzteres wird im Straßenbau eingesetzt. Hier lagen die Preise im Juni durchschnittlich um bis zu 62 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Die Ausschläge sind in Einzelfällen sogar noch höher.
IA: Holz zahlt auf die Nachhaltigkeit ein, jeder möchte etwas damit machen. Erst stiegen die Preise, dann fielen sie um 40 Prozent. Dieses Beispiel zeigt ein anderes Problem: Wie geht heute Kalkulation?
TOM: Die Preisentwicklung bei Bauholz beruhte vor allem auf der Nachfrage aus den USA und China. Die Lage normalisiert sich aber gerade langsam. Preissprünge bei Stahl und Bitumen sind ein bekanntes Problem. Damit können die Firmen umgehen. Zimmerer und Holzbauer müssen dieses neue Phänomen noch lernen. Vielleicht sollte man zukünftig Angebote mit Tagespreisen bei Material festhalten und nicht mit Festpreisen auf Monate im Voraus.
IA: Lieferengpässe gab es auch: hohe Kosten und kein Material. Sehen wir hier ein Problem der Zukunft?
TOM: Laut der Konjunkturumfrage des ifo Institutes – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. im Juni meldet jede zweite Baufirma Beeinträchtigungen der Produktion wegen Materialknappheit. Allerdings ist dies eine Sondersituation aufgrund der weltweiten Auswirkung der Corona-Pandemie. Ich gehe aus heutiger Sicht davon aus, dass sich dies in solch starker Form nicht wiederholt.
IA: Die Pandemie hat auch die Kommunen schwer getroffen. Gehen Sie davon aus, dass die Aufträge der öffentlichen Hand weniger oder geringer werden?
TOM: Die Kommunen wurden 2020 durch Bund und Länder unterstützt, in dem die Gewerbesteuerausfälle kompensiert wurden. Es kam nochmals zu einem starken Anstieg der kommunalen Bauinvestitionen um gut sechs Prozent auf 28,4 Milliarden Euro. Allerdings gibt es 2021 keine Unterstützung mehr. Im Bundesdurchschnitt erwarten wir ein deutliches Haushaltsminus und die Bauausgaben werden zurückgehen. Jedoch wird es starke Unterschiede bei „reichen“ und „armen“ Kommunen geben.
IA: Wohnen ist DAS Thema derzeit in der Gesellschaft. Es wird immer teurer. Können Sie aus der Sicht Ihres Verbandes dazu eine Einschätzung abgeben?
TOM: Nach Berechnung der ARGE Kiel gibt es eine Preissteigerung im Mehrfamilienhausbau von 2000 bis 2020 (Gesamtinvestitionskosten) um fast 70 Prozent je Quadratmeter. Davon sind allein rund 30 Prozent auf gestiegene Anforderungen von Bund, Ländern und Gemeinden (Brandschutz, Lärmschutz) und 20 Prozent auf gestiegene Bodenpreise zurückzuführen. Nur etwa die Hälfte sind reine Baupreissteigerungen, bei denen aber auch Materialien enthalten sind.
IA: Auf den Baustellen sind sehr oft Arbeiter involviert, die extra dafür nach Deutschland reisen. Allgemein ist bekannt, dass Fachkräfte händeringend gesucht werden: Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?
TOM: Firmen des Bauhauptgewerbes greifen immer stärker auf den europäischen Bauarbeitsmarkt zurück. Der Anteil ausländischer sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist von 55.000 im Juni 2010 auf 173.000 im Juni 2020 angestiegen – also von 7,7 auf 20,5 Prozent. Zudem hat sich die Zahl der temporär nach Deutschland entsandten Bauarbeiter im gleichen Zeitraum auf 100.000 verdoppelt. Dieser Trend wird wohl anhalten.
IA: Was können Sie, was können die Unternehmen tun, um den Nachwuchs zu begeistern?
TOM: Grundsätzlich betrifft der Nachwuchsmangel durchweg alle Branchen. Es gibt deutlich weniger potenzielle Auszubildende als angebotene Ausbildungsplätze. Das bedeutet, den Nachwuchs dort abzuholen, wo er ist und früh auf die beruflichen (Entwicklungs-) Möglichkeiten in der Baubranche aufmerksam zu machen. Deshalb werben wir für Attraktivität von Bauberufen, etwa mit unserer Kampagne „Bau dein Ding“. Zudem können unsere Mitglieder aktiv für die Möglichkeiten in ihren Unternehmen werben, und das mit zunehmendem Erfolg. Dies führt sogar dazu, dass sich immer mehr Unternehmen im Ausbildungsbereich engagieren.
IA: Großes Thema: Digitalisierung. Hunderte Start-ups tummeln sich auf dem Markt, bieten Offline-Bautagebücher & Co an. Dem Baugewerbe sagt man nicht gerade eine große Affinität dazu nach, viel öfter hört man, dass Excel-Tabellen immer noch genutzt werden. Wird hier die Zukunft tatsächlich verschlafen?
TOM: Nein, die digitale Zukunft wird in den Unternehmen der Bauindustrie sicherlich nicht verschlafen. Zudem bedeutet Digitalisierung viel mehr als ein Bautagebuch. Zunächst geht es darum, zu bewerten, welche Prozesse digitalisiert und welche Prozesse neu gedacht werden müssen. Denn die bloße Digitalisierung der analogen Welt ist sicherlich nicht der richtige Weg. Mit neuen Prozessen muss sich das Verhalten der Baubeteiligten ändern, denn Digitalisierung schafft und ermöglicht neue Arbeitsweisen, neue Formen der Kommunikation und sie bedeutet vor allem mehr Transparenz. Darüber hinaus spielt die barrierefreie Integration von Digitalanwendungen auf Unternehmensebene eine wichtige Rolle, ebenso bei der Kommunikation mit Kunden, Auftraggebern und Lieferanten. Hier besteht zum Teil noch Nachholbedarf, unter anderem bezüglich einheitlicher Schnittstellen und bei der Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit. Bei Letzterem geht es vor allem darum, dass die Bauindustrie ihre Data-Governance-Strategie entwickelt, um mit Softwareanbietern und Regelsetzern auf Augenhöhe zu kommunizieren.
IA: Wie sieht aus Ihrer Sicht Digitalisierung in Optimalform aus?
TOM: Transparente Kooperation in einem Common-Data-Environment mit smart vernetzten, sicheren Prozessen zum Nutzen der gesamten Wertschöpfungskette Bau. Kurzum: Raus aus dem Silodenken, rein ins Team-Playing! Erzielte Effizienzgewinne etwa durch die Vernetzung von Planung und Bau, in der Baudurchführung und der Baulogistik haben dabei einen direkten positiven Einfluss auf die Umwelt.
IA: Ein weiterer Megatrend ist die ganzheitliche ökologische Betrachtungsweise. Beton aus Hanf, Holz-Hybrid-Bauten stehen zum Beispiel dafür. Wie ist die Bauindustrie darauf vorbereitet?
TOM: Alternative, ökologisch nachhaltige und synthetische Baustoffe sind kein Neuland für uns. Wichtig ist aber, dass im Sinne wirklicher Nachhaltigkeit neben der ökologischen Dimension auch wirtschaftliche und soziokulturelle Aspekte in die Bilanzierung der Bauwerke über ihren gesamten Lebenszyklus eingehen. Dafür braucht es einen Regelungsrahmen, der einen technologieoffenen Wettbewerb um die beste Gesamtlösung ermöglicht.
IA: Welche neuen Baustoffe erwarten Sie als „ganz normal“ in zehn Jahren?
TOM: Jeder Baustoff muss bautechnische und umweltrechtliche Voraussetzungen erfüllen. Es werden sich zunächst diejenigen Baustoffe am Markt durchsetzen, die in der erforderlichen Qualität und Menge zu einem bezahlbaren Preis verfügbar sind. Ich bin mir sicher, dass es klimafreundlichen Carbon-Beton und mehr Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sowie Recycling-Baustoffe geben wird. Die wirklich relevanten Neuerungen erwarten wir jedoch nicht bei neuen Materialien, sondern dadurch, dass Baustoffe perspektivisch nicht mehr „verbraucht“, sondern in einem echten Nutzungskreislauf gehalten werden. Dadurch gewinnt das Stichwort Ressourceneffizienz eine ganz neue Bedeutung: Nicht die Art oder die eingesetzte Menge eines Materials wird entscheidend sein, sondern seine langfristige Kreislauffähigkeit.
IA: Welche Herausforderungen kommen auf die Branche außerdem zu?
TOM: Die Digitalisierung ist für die gesamte Wertschöpfungskette Bau die einmalige Chance, eine Synthese aus new und old economy zu erzeugen und damit in die Zukunft gerichtete smarte Infrastrukturen und nachhaltige Lebensräume zu schaffen. Daher sollten wir die gesellschaftlichen Themen unserer Zeit, die Mobilitäts- und Energiewende, Smart Home und Smart City als Chance sehen und aktiv mitgestalten. Denn am Ende muss Infrastruktur baulich modernisiert, ausgebaut oder verändert werden. Und ich bin fest davon überzeugt, dass unsere engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer viele Ideen, Konzepte und konkrete technologische und innovative Lösungsvorschläge haben, um unsere gesellschaftlichen Ziele noch besser zu erreichen.
Interview: Ivette Wagner