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Futurum

Foto: Shutterstock / David Papazian

DAS THEMA: ESG

Environmental (E), Social (S) und Governance (G) spielen in der Zukunft eine Hauptrolle. Verschiedene Ansätze, Rankings und Initiativen machen einen Überblick nicht gerade einfach. Eine Annäherung.

Es hat schon etwas Religiöses: Das Thema Nachhaltigkeit schwingt sich zu einem unabdingbaren Bestandteil der Immobilienbranche auf. Wer nicht irgendwo ESG stehen hat, ist raus. In Rheine, auf dem Platz zwischen dem Emsland-Gymnasium und dem Schulzentrum Dorenkamp, spendete Piepenbrock eine Vogelkirsche. Nun ist das nur ein Baum, allerdings lautet das Motto bei dem Unternehmen: „Piepenbrock Goes Green“. Bereits vor 30 Jahren wurde mit dem nachhaltigen Ansatz begonnen, der sehr unterschiedliche Facetten hat. Diese reichen von regelmäßigen Baumpflanzungen über die Förderung ökologischer Projekte bis hin zu einer Kooperation mit PLAN International Deutschland und den damit verbundenen knapp 70 Patenschaften für notleidende Kinder in Asien. Verstärkt wird mit Rating- und Screening-Verfahren versucht, das komplexe Thema zu erfassen. Eine dieser Agenturen ist ISS ESG, die beispielsweise dem österreichischen Baukonzern PORR mit einem C+ den Prime Status verpasste. Für die Bewertung wählt ISS mehr als 100 branchenspezifische Kriterien entlang der Säulen Environmental (E), Social (S) und Governance (G). Zudem werden sowohl die Risiken als auch die Chancen eines Unternehmens mittels branchenrelevanter Key Issues berücksichtigt. Die BF.direkt AG engagiert sich bei der Nachhaltigkeitsinitiative ECORE (ESG Circle of Real Estate), die sich die Erarbeitung und Etablierung eines belastbaren und marktfähigen Branchenstandards zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance von Immobilien und Portfolios zum Ziel gesetzt hat. „ESG gewinnt gerade für unsere Investment Management-Aktivitäten im Bereich Real Estate Debt immer mehr an Bedeutung, da institutionelle Investoren das Thema Nachhaltigkeit immer stärker bei ihren Investitionen berücksichtigen. Diesem Trend wollen wir als Early Mover Rechnung tragen“, sagt Manuel Köppel, CFO der BF.direkt AG.

Stephan Wachtel, Geschäftsführer Neue Energie Konzepte (NEK), gehört zu denen, die das Thema Energieeffizienz schon sehr lange auf dem Schirm haben. Bereits vor 20 Jahren entwickelte er im Auftrag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt das erste Energie-Plus-Haus. Nun bietet er mit CRR (Carbon Risk Reinsurance) nach eigenen Angaben die erste Rückversicherung für den Klimawert von Gebäuden an. „Analog dem Flottenverbrauch der Automobilbranche wird die Performance eines Portfolios von den guten oder eben schlechten Klimawerten der vorhandenen Gebäude bestimmt.“ Die große Datenmenge, die im Zuge von ESGZertifizierungen erfasst wird, dämpfe in der Praxis die Ergebnisse für relevante Wertetreiber. Deswegen greift NEK zwar auf die ESG-Datenstruktur zu, bildet allerdings nur einen Teil ab und identifiziert so die Grundlagen für die Rückversicherung des Klimawertes (CRR). KS-Original, ein Markenverbund mittelständischer Kalksandsteinhersteller, initiierte beispielsweise die „Wertvolle Wand“. Acht Eigenschaften braucht jene, damit sie wertvoll und zukunftsfähig ist. Dabei spielen sowohl funktionale Aspekte wie Tragfähigkeit und Schallschutz als auch nachhaltige Aspekte wie gesundes Wohnklima und Recyclingfähigkeit eine Rolle. Zum einen gehe es um eine Sensibilisierung aller am Bau beteiligten, so Peter Theissing, Geschäftsführer von KS-Original. Zum anderen darum, Gebäude für mehrere Generationen nutzbar zu machen. „Sie müssen also von Anfang an wertbeständig sein und es auch bleiben.“ Im jährlich erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht der RICS und des World Built Environment Forum wird deutlich: So richtig klar ist die Gesamtheit und Komplexität von Anforderungen und Notwendigkeiten dann eben doch noch nicht. Zwar wachse die Bereitschaft zu umweltfreundlicheren Gebäuden und nachhaltigeren Projekten, aber nicht schnell genug, um die globalen Netto-Null-Ziele zu erreichen.

Fast die Hälfte der 4.000 Teilnehmer aus 30 Ländern, geht davon aus, dass die Nachfrage von Kunden, Stakeholdern und Auftraggebern eine der Hauptantriebskräfte für den Boom bei Investitionen in ESG ist. Markenimage und der Ruf bekommen große Bedeutung. Erstaunlich: Die Erwartung höherer Renditen spielte nur bei circa 15 Prozent der Befragten eine treibende Rolle. Weltweit glaubt etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmer, dass grüne Gebäude einen Miet- und Preisaufschlag gegenüber nicht-nachhaltigen Gebäuden erzielen werden. Susanne Eickermann-Riepe FRICS, Vorstandsvorsitzende der RICS in Deutschland, bestätigt die deutlich steigende Nachfrage nach grünen und nachhaltigen Immobilien in Deutschland.

Der bevorstehende Paradigmenwechsel ist nicht mehr wegzureden. „Wir befinden uns in einer Zeitenwende, in der das Bauen und Betreiben von Immobilien neu gedacht werden muss“, so Oliver Wittke, Hauptgeschäftsführer des ZIA. Einer der Projektentwickler, der seit Jahren darauf setzt, ist die Greyfield Group. Geschäftsführer Tim Sassen sagt: „Wir müssen uns dem annehmen, was bereits vorhanden ist und es in einen Einklang mit unserer Umgebung bringen, nur dann können wir einen langfristigen positiven Input erzeugen.“ Ein Beispiel: Greyfield erwarb das Druckerei-Gebäude der FUNKE Mediengruppe in Essen. Die Erhaltung von Bausubstanz wird auch hier zu einem gewichtigen Thema. Etwa 100.000 Tonnen Bauabfall, zusätzliche 37.000 Quadratmeter Bodenversiegelung sowie die Neu-Emission von rund 21.000 Tonnen Co₂ werden so vermieden. „Das ist ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz und ein wichtiger Schritt in Richtung unserer Verantwortung als Immobilienentwickler“, so Tim Sassen.

Dass es vielen Unternehmen bewusst ist, zeigt sich an weiteren Beispielen, die sehr unterschiedlich sind: Aroundtown beispielsweise unterstützt mit der eigenen Stiftung das Portal sofahopper.de, auf dem junge Menschen in Not auch online Hilfe finden. Die EBZ Business School launchte im Sommer eine Gründungsförderung, die Studierende mit vielversprechenden Ideen fördert und mit immobilienwirtschaftlichen Unternehmen zusammenbringt. Dabei sollen Themen wie zum Beispiel Dekarbonisierung der Energieversorgung, Digitalisierung der Betriebsführung oder Veränderung und Steigerung von Miet- und Kundenansprüchen behandelt werden. „Die Herausforderungen der Immobilienwirtschaft verlangen nach innovativen Ideen. Innerhalb der Branche müssen neue Technologien schnell zum Einsatz kommen und auch die Produkt- und Dienstleistungsangebote erweitert werden“, sagt Dr. Viktor Grinewitschus, Professor für Energiefragen der Immobilienwirtschaft an der EBZ Business School (FH) und Prorektor für Forschung. Die DIC Asset AG hat eine dynamische ESG-Roadmap erstellt, in der es um energetische Modernisierung, langfristige Mitarbeiterbindung und Transparenz geht. „Es ist uns eine besondere Verpflichtung, mit unseren Möglichkeiten, die Welt zu einem nachhaltigen Ort zu machen", lässt sich Sonja Wärntges, Vorstandsvorsitzende der DIC Asset AG, zitieren. Selbstlernende Heizkörperthermostate werden im Hauptsitz von EUROPA-CENTER in Hamburg zum Einsatz kommen. Die WiD Wohnen in Dresden GmbH & Co. KG (WiD) hat sich unter der Überschrift „WiD – Öko? Logisch!“ umweltbewusstes und klimaschonendes Bauen und Bewirtschaften zum Ziel gesetzt und dazu eine Zielvereinbarung mit der Stadtverwaltung abgeschlossen. Die HIH Property Management (HPM) führt ein zentrales Abfallmanagement ein. Einen ganz anderen Ansatz empfiehlt Prof. Timo Leukefeld: „Low-Tech ist das neue High-Tech.“ Während viele Unternehmen Smart Home für die Nachhaltigkeit für immanent wichtig halten, läutet der Dozent den nächsten Paradigmenwechsel ein. Statt auf viel Technik in Gebäuden sollte die Branche lieber auf deren Reduzierung setzen. Denn ein Problem mit all den Gerätschaften werden in Zukunft die Wartungs- und Reparaturkosten sein. Der Experte prognostiziert wegen des Personalmangels im Handwerk künftig Stundenlöhne zwischen 200 und 300 Euro. Damit entstehe ein dritter Kostenblock – für Mieter und Vermieter.

Ivette Wagner

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