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Einkaufen, nur wo?

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Einzelhandel und Innenstadt sind stark miteinander verbunden. Nicht nur die Pandemie hat gezeigt, dass es neue Lösungsansätze braucht.

In Archiven findet sich die Kunde von einem glänzenden Bauwerk. Gemeint ist das Oberpollinger in München, das 1905 vom Architekten Max Littmann erbaut wurde, dem die Landeshauptstadt auch das Hofbräuhaus verdankt. An dieser Stelle einen hopfigen Witz zu machen über Tradition, Moderne und über zusammenfallende Schaumkronen, ziemt sich nicht. Das Oberpollinger erfindet sich nun neu, hat die Lockdown-Phase genutzt. Einen „neuen Retail-Maßstab in der Münchner Innenstadt“ wird das Kaufhaus setzen, ist sich Alexander Repp, General Manager des Oberpollinger, sicher. Hochkarätige Marken werden dafür anders und besser im Haus positioniert, für ein „abwechslungsreiches, inspirierendes Einkaufsumfeld“.

Dass der Handel durch die Pandemie gelitten hat, ist klar. Dass die vergangenen Monate nur ein schon bestehendes Problem verschärft haben, auch. Wenig attraktiv, zu viele Filialisten, Langeweile. Die Zukunft der Innenstädte wird nicht erst seit März 2020 diskutiert. Wissenschaftler vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation machen in einer Studie verschiedene Vorschläge. Temporäre Spielgeräte auf zentralen Plätzen beispielsweise oder die Präsentation von vor allem kleinen und ortsansässigen Geschäften auf Onlinemarktplätzen. Mit der Einrichtung eines Business Improvement Districts können sich alle verpflichten, dabei mitzuhelfen, den Standort aufzuwerten. Virtuelle Rundgänge wie der der Stadt Bernau sollen Zentren erlebbarer machen, Events für Traffic sorgen.

Der Corona Consumer Check vom Institut für Handelsforschung Köln (IFH) zeigt für Juli und August eine noch dazu kommende, konkrete Problemlage: die Unsicherheit in der Pandemie. Die Konsumzurückhaltung kehrt zurück, viele schieben geplante Investitionen auf. So haben 47 Prozent der Befragten im Juli gemerkt, dass sie gar nicht so viele Produkte benötigen. Auch der jüngeren Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen fällt der Konsumverzicht nicht unbedingt schwer: 43 Prozent realisieren, dass sie mit weniger Produkten auskommen. E-Commerce taugt also nicht mehr als alleiniger Buhmann.

Apropos E-Commerce: Für das Trendbarometer Retail der Berlin Hyp wurden 200 Immobilienexperten befragt. 60 Prozent gehen davon aus, dass in Zukunft vorwiegend auf Online-Marktplätzen (35 Prozent) und im Online-Shop (25 Prozent) eingekauft wird. Für die Studie werden zudem Konsumenten befragt, 2.500 gaben ihre Antwort auf die drängenden Retail-Fragen. Und hier zeigt sich eine Diskrepanz, denn 50,8 Prozent wollen zwar das Online-Angebot der Händler inklusive Online-Marktplätzen nutzen, 65,5 Prozent allerdings geben an, Waren weiter über den stationären Einzelhandel erwerben zu wollen. Da Wollen nicht Machen ist, bleibt abzuwarten, wie viele in die Läden finden. Aber auch im Trendbarometer wird explizit darauf verwiesen, dass aus dem Einkauf ein Erlebnis werden müsse. „Der Bedarf nach einem klassischen Einkaufserlebnis, verbunden mit dem Ansehen, Anfassen und dem sofortigen Nach-Hause- Tragen des Einkaufsgutes wird nicht verschwinden“, zeigt sich Sascha Klaus, Vorstandsvorsitzender der Berlin Hyp, überzeugt.

JLL attestierte dem deutschen Einzelhandelsvermietungsmarkt im ersten Halbjahr 2021 einen deutlichen Aufwärtstrend – trotz Lockdown. 211.000 Quadratmeter in 450 Einzeldeals wurden für die ersten sechs Monate gezählt. Verglichen mit dem Ergebnis aus dem Vorjahrshalbjahr, konnte der Flächenumsatz um rund elf Prozent zulegen, und bei der Anzahl der Deals ergab sich sogar ein Plus von 17 Prozent.

Auch der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) hat sich mit einem Positionspapier der Problematik angenommen. Die Innenstadt könne „nur in integrierter ganzheitlicher Betrachtung weiterentwickelt werden“, Citylagen sollten nicht „ohne ihre Einbindung in die Nachbarschaften“ betrachtet werden. Neben theoretischen Ausführungen gibt es konkrete Vorschläge wie die Gründung eines Innenstadt-Beirates, der für ein individuelles Leitbild sorgt. Oder die Installation eines City- und Eventmanagers, ein angepasstes Leerstands- und Liegenschaftsmanagement oder die Bezuschussung durch Länder und Kommunen von Laden-Erneuerungen oder Umnutzungen. Ganz erstaunlich: Freies W-Lan wird thematisiert, was heute unabdingbar sei. In Verbindung mit einer App oder Newslettern. Dass ein solcher Punkt überhaupt in einer Studie auftaucht, wirft noch einen ganz anderen Schatten auf deutsche Innenstädte. Es fühlt sich nach einem Beamen in längst vergangene analoge Jahrzehnte an.

Was zum altehrwürdigen, sehr bekannten Oberpollinger zurückführt, dass zukünftig mit einem Luxury-Boulevard punkten will. In Kaufhäusern sind die Retail-Schwächen trotzdem am deutlichsten sichtbar. „Die Kunden-Frequenz nimmt ab, die Rentabilität ist nicht mehr gegeben, das Konzept einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Peter Starke von Aengevelt. „Einen sinnvollen Lösungsansatz liefert ein Refurbishment, quasi eine Art Upcycling für Gebäude.“ Der Berlin-Experte hat Beispiele parat: das Forum Steglitz in der Schloßstraße. Seit 2019 erfolgte ein Umbau mit einer Neugliederung der Flächen, einem anderen Mieter-Mix sowie in den oberen Etagen Büros. Mixed Use als Pflaster auf die Retail-Wunde? Es sieht ganz danach aus. Im Up! in Berlin Friedrichshain kann man nur noch im Erdgeschoss einkaufen, oben drüber: Office.

CSMM hat für Peek & Cloppenburg in der Mannheimer Innenstadt ein neues Nutzungskonzept entwickelt. Ursprünglich im Jahr 2007 komplett als Retailgebäude geplant, wird es in Zukunft zusätzlich zu dem Kleidungshändler im Untergeschoss, Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss eine Büronutzung in den Etagen zwei bis vier geben. Auf die sich ändernden Arbeitsweisen abgestimmt, entstehen bis Ende 2022 auf 6.200 Quadratmetern flexible Workspaces. Timo Brehme, geschäftsführender Gesellschafter bei CSMM, hebt einen wichtigen Punkt hervor: „Auf den frei werdenden Flächen bietet ein flexibles Office-Konzept mit Raum zur Interaktion die Chance, attraktive Arbeitsplätze in die Innenstadt zu holen.“ Auch eine Chance für die Belebung der Innenstädte.

Ivette Wagner

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