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Stadt Land Flucht

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Einkaufen, nur wo?

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DAS THEMA: MITTELDEUTSCHLAND

Stadt Land Flucht?

Für den ländlichen Raum müssen Entwicklungsimpulse statt Abwanderungsgründe geschaffen werden, fordert der Verband Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Wie das geht, zeigen Projekte, die Gemeinden neue Einwohner bescheren und Städten den Zuwanderungsdruck nehmen.

Verstärken sich mehrere Faktoren gegenseitig und verschlechtern dadurch einen Zustand immer weiter, spricht man von einer Abwärtsspirale. Zu beobachten ist dieser Vorgang zum Beispiel in ländlichen Räumen: Weil vielerorts die Bevölkerung schrumpft, werden Strukturen reduziert. Das rückläufige Angebot an Ärzten, Schulen, Kitas, ÖPNV und Nahversorgung verschlechtert die Lebenssituation weiter, es wandern noch mehr Menschen in die Städte ab.

Wohnen fördern reicht nicht

Frank Emrich, Direktor des Verbandes Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw), fordert darum einen Paradigmenwechsel: „Es müssen Entwicklungsimpulse statt Abwanderungsgründe geschaffen werden.“ Das Wohnen zu fördern, reiche nicht. Der ländliche Raum brauche auch eine Stärkung von ÖPNV, Verkehr, Bildung, Handel, Medizin und Telekommunikation.

Idylle statt Großstadt: Ländliche Gemeinden können mit attraktiven Angeboten neue Einwohner gewinnen.

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Ähnlich sieht das der Verband der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt (vdwg). Verbandsdirektor Ronald Meißner moniert, dass die vom Bund 2019 angekündigten Förderprogramme bisher nicht umgesetzt wurden. Um das Ausbluten des ländlichen Raumes zu stoppen, müssten dringend mehr direkte Investitionszuschüsse statt zinsgünstiger Kredite bereitgestellt werden.

Mirjam Luserke, Vorstand des Verbandes Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG), kritisiert darüber hinaus den „Trend zur Instrumentalisierung der Wohnungspolitik“. Themen wie Mietendeckel, Mietpreisbremse und Klimaschutz erschwerten Investitionsplanungen und verschlechterten die Lage auch im ländlichen Raum „zum Teil sehr deutlich“.

Regionen brauchen „Kümmerer“

Doch die Verbände können mehr als kritisieren. In dem Projekt „Regionalen Ausgleich stärken – die Wohnungswirtschaft als Gestalter von Heimat“ suchten sie selbst nach Lösungen. Ausgehend von dem Gedanken, dass die Regionen „Kümmerer“ brauchen, analysierte der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen mit mehreren Regionalverbänden, wie Wohnungsgenossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften die Lebensverhältnisse in Stadt und Land angleichen können.

Eines der sieben Teilprojekte ging die Diskrepanz zwischen den Einwohnerverlusten des thüringischen Saale- Holzland-Kreises und dem anhaltenden Wachstum der Stadt Jena an. Der Lösungsvorschlag: durch Wohnungsneubau und Bestandsoptimierungen in ausgewählten Orten des Kreises neue Bewohner gewinnen und die Ortskerne stabilisieren. Handeln die lokalen Akteure dabei koordiniert, so die Studienautoren, könne Jena von einer Entlastung seines Wohnungsmarktes und der Saale-Holzland-Kreis von Entwicklungsimpulsen für seine Gemeinden profitieren.

34 Prozent wollen auf das Dorf

In Mitteldeutschland wachsen die Städte (li.: Leipzig), dennoch träumt jeder Dritte vom Leben auf dem Land (re.: Bad Berka).

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In der Tat denken viele Menschen über ein Leben auf dem Land nach. In einer Umfrage von Kantar Emnid favorisierten 34 Prozent der Deutschen das Dorf als Lieblingswohnort und 26 Prozent die Kleinstadt, aber nur 13 Prozent das Stadtzentrum. Zudem sind laut einer Sparda-Studie 65 Prozent der Mieter mit Immobilien-Kaufplänen bereit, bis zu 30 Kilometer weit zu pendeln, jeder Vierte sogar mehr. Hinzu kommt: Im ländlichen Raum sind die eigenen Wände noch vergleichsweise günstig.

Andreas Brohm, Bürgermeister im sachsen-anhaltinischen Tangerhütte, machte sich all das zunutze und wies Bauflächen aus. Die Einheitsgemeinde in der Altmark ist seit 1990 von 8.000 auf 5.000 Einwohner geschrumpft. Jetzt entsteht in Lüderitz eine Siedlung, deren 19 Bauplätze in kurzer Zeit ausgebucht waren. Zugleich nimmt in der Kernstadt das Wohngebiet Am Dämmchen mit 18 Grundstücken Gestalt an. Dort können Bauplätze oder schlüsselfertige Häuser erworben werden. Überdies investiert das kommunale und genossenschaftliche Wohnungswesen in den Bestand. „Für den dringend benötigten Zuzug in die Einheitsgemeinde sind entsprechende Wohnangebote ausschlaggebend“, betont Andreas Brohm und fügt an: Von Landflucht sei hier keine Rede mehr.

Sogwirkung erzeugen

Auch die Wohnungsbaugenossenschaft Oberland Neugersdorf eG im sächsischen Ebersbach-Neugersdorf setzte der Landflucht etwas entgegen. Sie schuf mit dem Wohnpark Spreequelle altersgerechte Wohnungen mit Tagespflege und Gemeinschaftsräumen für das Quartier und sanierte auch Bestandsbauten im Umfeld altersgerecht. Davon erhofft sie sich eine Sogwirkung: Wer hierherzieht, muss das Viertel später nicht verlassen, da Wohnungen für Ältere bereitstehen. Diese Idee eines gestalteten Wohnumfeldes mit Service brachte der WBG einen Preis des VSWG und viele Besuche anderer WBG-Vertreter ein.

Für vtw-Verbandsdirektor Frank Emrich gehen solche Projekte in die richtige Richtung: „Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen gemeinsam im ländlichen Raum dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen passen. Dann bleiben die Menschen auch in ihrer Heimat wohnen – und Städte werden entlastet.“ Die Wohnungswirtschaft sei bereit, als Impulsgeber und Partner dieser Prozesse zu wirken.

Frank Baecke

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