IMMOBILIEN AKTUELL

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URBAN & WELTGEWANDT

„Flächenknappheit ist ein Mythos“

Quelle: DEBV

Raphael Thießen, Geschäftsführer des Anfang 2021 gegründeten Deutschen Brownfield Verbandes sowie von Brownfield24, der einzigen Plattform für herausfordernde Flächen, spricht mit IMMOBILIEN AKTUELL über fehlendes Handwerkszeug, Erlangung der Baureife, Forderungen an die Politik und einen notwendigen Dialog.

des Brownfield24 Awards aus den letzten Jahren ein, wie das Clouth Quartier in Köln (Moderne Stadt) oder die 80 Hektar-Konversion in Montabaur durch die Quartiersmanufaktur. Beide Projekte zeigen beispielhaft, dass mit Visionen, Mut und vor allem Engagement auch auf herausfordernden Flächen gute Ideen umgesetzt werden können.

IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Existiert eine Aufstellung, wie viele BrownfieldFlächen es in Deutschland aktuell gibt, und wie viele bereits einer Nutzung zugeführt wurden? Raphael Thießen (RT): Leider nein, genau das ist das Problem. Es gibt Daten, die über zehn Jahre alt sind, aber mit Sicherheit kein realistisches Bild liefern. Brownfields in unserer Definition sind alle Brachflächen. Das Ursprungsproblem ist derzeit, dass alle von einer Flächenknappheit in Deutschland sprechen, aber das ist ein Mythos. Die Stadt Düsseldorf zum Beispiel hat eine Erhebung gemacht und festgestellt, dass sie im Eigenbestand rund 269 Hektar Brachfläche besitzt – ohne private Flächen. In Stuttgart sind es 330 Hektar. Wenn ein einheitliches System die Flächen erfassen würde, wäre allen geholfen: dem Investor, der Potenzialflächen finden kann, der Stadt, die sinnvoll Stadtplanung betreiben kann, der Politik und Umwelt, um das Neuflächenverbrauchsziel von Netto-Null bis 2050 zu erreichen. IA: Können Sie beispielhaft ein oder zwei Beispiele für gelungene Revitalisierungen nennen? RT: Spontan fallen mir da unsere Sieger

IA: Inwieweit sind diese Flächen eine Alternative für die Lösung des Grundstücksmangels? RT: Genau das ist ja das Thema. Ich tue mich schwer mit dem Grundstücksmangel. Es gibt genügend Flächen, nur eben nicht dort, wo der Markt die Fläche gerade braucht. Zudem bieten Revitalisierungen von Bestandsflächen ein enormes Potential – gerade in den Ballungsgebieten. Letztendlich bekomme ich jede Fläche wieder in den Kreislauf, das ist aber eine Frage des Geldes. IA: Warum haben Brownfields immer noch keine Lobby? RT: Das wird kommen. Denn die Unternehmen haben gar keine andere Wahl als sich mit der Wiedernutzung von Flächen zu beschäftigen. Der Druck war bisher nur noch nicht groß genug. Nicht jedes Brownfield ist gleich schwer. Es gibt genügend Profis, die in der Lage sind, damit umzugehen und Lösungen zu finden. Die Politik gibt dafür eine Marschrichtung vor, Ziel ist die NettoNull bis 2050, aber bisher leider ohne wirkliches „Handwerkzeug“ mitzugeben, wie das erreicht werden soll. IA: Was entgegnen sie den Skeptikern, die sagen: Brown­fields sind zu kompliziert? RT: Stimmt nicht. Brownfields haben viel mit Expertise, aber auch IMMOBILIEN AKTUELL

Pragmatismus zu tun. Es gibt keinen Standardweg. Die meisten Fehler werden zu Beginn gemacht, weil man Kosten unterschätzt. IA: Ist das Image wirklich so schlecht, dass es eines Verbandes bedarf? RT: Das Thema Brownfields ist in Deutschland nicht neu, der Begriff aber, meiner Meinung nach, durchaus mit einem negativen Image belegt. Der Verband will das ändern. IA: Welche anderen Ziele hat der Verband, und wer sind die Mitglieder? RT: Uns ist es wichtig, dass wir uns nicht verzetteln. Deswegen konzentrieren wir uns auf Themen wie ein Brach­flächenkataster und auf die Etablierung einheitlicher Planungs- und Genehmigungsprozesse. Wir schauen, dass wir notwendige Zertifizierungen vorantreiben können und den Nachwuchs für Brownfields sensibilisieren. Die Mitgliederstruktur setzt sich vor allem – und das ist enorm wichtig – aus Praktikern zusammen, die überwiegend jeden Morgen selbst auf dem Brownfield stehen. IA: Die Politik reguliert derzeit ja sehr gern in die Immobilienbranche hinein. Welche sinnvolle Hilfestellung würden Sie sich wünschen? RT: Eine ernsthafte Beschäftigung mit der Brachflächenentwicklung und kein Denken in Insellösungen und in Föderalismus. Das Thema Brownfields lässt sich nur gemeinsam und im Dialog lösen und am besten mit Hilfe von pragmatischen Lösungen, die für alle Seiten einen Gewinn bringen. Interview: Ivette Wagner www.deutscherbrownfieldverband.de

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