ihn komplett. Wir vermessen seinen gesamten Kiefer und schauen, wo steht sein Ober kiefer in dem ganzen System. Anhand dieser ganzen Para meter erstellen wir eine Schiene für den Sportler, die den Ober- und Unterkiefer in eine Zentrik bringt. Zentrik bedeutet hier in eine bestmögliche physiologische Position. Das Kiefergelenk ist das erste Gelenk im Körper. Wenn hier ein Ungleichgewicht vorliegt, kann, durch die absteigende Kette des Körpers, dieses Ungleichgewicht zu Kompensationshaltungen des Körpers führen, die dann wiederum zu Verletzungen führen können. Verletzungsprophylaktisch ist es somit enorm wichtig, dass das Kiefergelenk optimal zueinandersteht. Der andere Punkt ist die neuromuskuläre Rückkopplung. Es gibt afferente Nervenfasern im Kiefer beziehungsweise in der Kaumuskulatur, die Infos an unser Ur-Hirn weitergeben. Wenn die, salopp gesagt, „schief stehen“, haben wir eine Beeinflussung auf das vegetative Nervensystem – vor allem auf unseren Schlaf und unsere Regeneration. Ein guter Schlaf und ausreichend Regeneration ist für Spitzensportler natürlich enorm wichtig. Darum ist dies neben der Verletzungsprophylaxe ein elementarer Vorteil von einem zentrischen Kiefer. Ein ganz wichtiger Punkt ist außerdem das Zahnfleisch beziehungsweise Zahnfleischentzündungen. Wenn das Zahnfleisch stark entzündet ist, muss der Körper enorm viel Energie aufwenden, um im Mund halbwegs ein Gleichgewicht zu halten, damit die Bakterien nicht überhand gewinnen. Diese Energie braucht der Sportler natürlich viel dringender für andere Funktionen im Körper. Um den Zahnfleischentzündungen vorzubeugen ist das tägliche Mittel die Zahnseide und jährlich eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung. DTU: Wird der Kiefer und seine Kraft im Leistungssport häufig unterschätzt? Dr. Herzog: Das Thema Zahnmedizin oder SportZahnmedizin wird tatsächlich häufig sehr stiefmütterlich behandelt. In Amerika ist die Sportzahnmedizin schon seit mehr als 30 Jahren etabliert. In Europa hinken wir da
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- DTU-Magazin Taekwondo 20 - Ausgabe 11 04/2022
ein wenig hinterher. Sie ist aber für Spitzensportler extrem wichtig. Es gibt sogar einige Studien, die belegen, dass eine größere und symmetrischere Kaukraft auch eine größere Kraft in der Bein muskulatur hervorbringen kann. Wichtig ist hier einfach, dass der Kiefer wirklich symmetrisch steht. DTU: Kannst du uns ein paar Erfolgs geschichten erzählen, bei dem eure Behandlung zu einer Leistungssteigerung führte? Oder aber die Behandlung der Schlüssel aus einer Verletzungsmisere war? Dr. Herzog: Da gibt es viele Beispiele, denn wir betreuen aktuell ziemlich viele Leistungssportler. Eine tolle Geschichte war die von Jonathan Zipf. Jonathan war Triathlet, der kurzzeitig tatsächlich seine Karriere beendet hat, wegen eines Zahnes, der nicht richtig Wurzel behandelt wurde. Der Zahn wurde schließlich entfernt und innerhalb kurzer Zeit, nach ein oder zwei Wochen, waren seine ständigen Knieschmerzen an der PatellaSehne weg. Diese dauerhaften Schmerzen hatten ihn damals zum Karriereende gezwungen. Und er schaffte es, wieder in den Sport zurückzukehren. Für Olympia 2020 hat es nicht mehr ganz gereicht, aber als Stützpunkleiter Triathlon kann er jetzt alles machen. Ohne das Entfernen des Zahnes wäre er wahrscheinlich immer noch nicht schmerzfrei. Mit den Performance-Schienen haben wir auch ganz viele Erfolgsgeschichten erlebt. Niko Kappel zum Beispiel kann sich dank unserer Schiene nun deutlich weiter im Rücken drehen, obwohl das bei ihm als Kleinwüchsigen von der Wirbelstellung lange Zeit undenkbar war. Ein Bob-Anschieber zum Beispiel kann die einbeinige Kniebeuge nur ausführen, wenn er die Schiene trägt. Wenn er sie nicht trägt, fällt er nach hinten um. Es gibt viele schöne Geschichten von deutschen Spitzensportlern, die mithilfe der Schiene Übungen machen und Dinge trainieren können, von denen sie selbst überrascht sind. DTU: Die DGSZM arbeitet auch eng mit der Sporthilfe zusammen. Wie kam es zu deinem Engagement für die Deutsche Gesellschaft für Sport-Zahnmedizin? Dr. Herzog: Dieses ganze Thema der Funktionen rund um die Zähne hat mich schon immer beschäftigt, weil ich als