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Hasim Celik im Gespräch

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Entweder, oder

Entweder, oder

„ICH WAR NICHT MEHR BEHINDERT GENUG FÜR DEN PARA-SPORT“

Hasim Celik im Interview

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von HELENA STANEK

Hasim Celik beendete im vergangenen November relativ abrupt seine Karriere als Para-Sportler. Der Welt-und Europameister gibt nun all seine Erfahrungen an eine neue Generation Para-Athleten weiter. Der Startschuss für einen Neubeginn fiel zu Beginn des Jahres in Nürnberg.

DTU: Erklär uns einmal kurz, wie es zu dem abrupten Ende kam?

Hasim: Es gab bei der WT eine Regeländerung, was die Klassifizierung der ParaKlassen angeht. Früher gab es vier Klassifizierungen und nach der Änderung durch die WT nur noch zwei. Meine Behinderung erfüllt nach dieser neuen Klassifizierung nicht mehr die Mindestkriterien. Daher wurde ich sozusagen dazu gezwungen, aufzuhören. Wenn man es hart ausdrückt, bin ich nicht mehr behindert genug für den ParaSport. Nach der verpassten Qualifikation für die Paralympics war der Gedanke ans Aufhören zwar bereits in meinem Kopf. Aber letztlich hat diese Regeländerung dazu geführt, dass ich die Karriere beenden musste.

DTU: Eine Aufgabe fällt weg, die nächste hast du direkt übernommen – Bundestrainer Para im Zweikampf. Wieso? Hast du nicht schon genug zu tun?

Hasim: Ich kann einfach mit Freizeit nicht umgehen. Darum habe ich den Posten übernommen – Spaß. Es ist immer so, dass der Vertrag zwischen der DTU und dem Behindertensportverband nach jedem olympischen Zyklus erneuert werden muss. Ist der Zeitraum des Kooperationsvertrages vorbei, setzen sich beide Parteien hin und reden über einen neuen Vertrag. Dadurch, dass ich jahrelang der einzige Para-Zweikampfathlet war, war die Frage natürlich da, warum man den Vertrag verlängern sollte. Es ist schließlich kein aktiver Sportler mehr dabei.

Bei unserem Treffen waren wir uns alle einig, dass das Projekt nicht komplett eingestampft werden soll. Vom Behindertensportverband und von unserem DTU-Team kam daher der Vorschlag, dass ich das Projekt fortführen solle. Ich habe mir vier Wochen Bedenkzeit gegeben. Ich musste mir klar darüber werden, ob ich mir das auch zutraue. Man darf nicht vergessen, dass ich auch ein Mensch mit Behinderung bin. Das heißt, dass ich als Trainer manche Dinge nicht machen kann, wie beispielsweise die Pratzen halten. Darum wollte ich die Zusage, dass ich stets einen Assistenten einsetzen darf, der mich unterstützt. Als das geklärt war, habe ich zugesagt und im Januar direkt mit der ersten Maßnahme losgelegt.

DTU: Erzähl uns von eurer ersten Maßnahme und deinen ersten Erfahrungen als Para-Trainer?

Hasim: Wir haben hier in Nürnberg einen ersten Sichtungslehrgang über drei Tage mit zwei jungen Athleten gemacht. Ich bin sehr überrascht von den beiden Athleten und sehe großes Potenzial in ihnen. Demirhan Aydin aus Dachau, der Heimtrainer von einem der ParaSportler ist, hat mich bei dem Lehrgang unterstützt. Wir wollten erstmal sehen, wo die beiden Jungs Aziz und Felix stehen. Mein Ziel für den Lehrgang war es auch, sie erst einmal zu motivieren und ihnen die Möglichkeiten zu zeigen, die der Para-Sport für sie bietet. Ich habe Vieles ja selbst erlebt und versuche daher, zu informieren. Die beiden haben beim Lehrgang richtig gut mitgemacht und waren total stolz, in Nürnberg trainieren zu können. Da wir an dem Wochenende auch gleichzeitig einen Kaderlehrgang mit der Nationalmannschaft hatten, waren sie mächtig stolz, unter den gleichen Bedingungen wie die Profis trainieren zu können. Allerdings muss ich sagen, dass wir sogar teilweise länger trainiert haben als die Profis. Einige vom Herren- und Damenteam haben uns dann auch zugeschaut, wie wir trainieren. Das hat die Jungs zusätzlich motiviert. Es war wirklich ein sehr schönes Wochenende.

Strahelende Gesichter beim ersten Para-Lehrgang im Bundesstüztpunkt in Nürnberg.

DTU: Du warst jahrelang der einzige Para-Athlet im deutschen Nationalteam. Woran fehlt es aktuell im deutschen Para-Sport Taekwondo?

Hasim: Es gibt aktuell einfach wenig Para-Athleten im Zweikampf-Bereich. Seit ich 2016 hier in Deutschland angefangen habe, kamen zwar immer mal wieder ein oder zwei Athleten hinzu, doch auch die erfüllten dann teilweise nicht die Mindestkriterien für den Para-Sport und sind somit herausgefallen. Auch ein Screening über die Landesverbände hat nicht viele neue Athleten herausgefiltert. Vielleicht gibt es in Deutschland einfach wenig Para-Athleten Zweikampf. Andere Nationen sind da schon viel weiter oder auch teilweise einfacher aufgebaut. Aufgrund unserer strengen Datenschutzvorgaben ist es hier viel schwieriger, an Daten von Personen mit einer Behinderung heranzukommen und sie somit unkompliziert anzusprechen, ob sie Lust hätten, zum Training zu kommen. Aber auf ein Mädchen habe ich schon ein Auge geworfen und ich denke, sie wird bald zu unserer Trainingsgruppe dazustoßen. Somit hätten wir schon drei aktive Zweikampf Para-Sportler.

Ich denke, es ist vielleicht auch ein wenig ein gesellschaftlicher Punkt. Meine Eltern zum Beispiel wollten auch nicht unbedingt, dass ich einen Kampfsport mache. Ich hatte als Kind viele Operationen und da war es für meine Eltern schwer zu verstehen, dass ich einen Sport machen möchte, bei dem man sich noch zusätzlich verletzen könnte. Ich war einfach zu dickköpfig und habe es schließlich trotzdem durchgezogen. Ich glaube, dass viele Eltern die Kinder vielleicht deshalb lieber zu einer anderen Sportart schicken. Sie brauchen aber keine Angst zu haben, denn ich bin ein gutes Beispiel, dass es sich lohnen wird.

DTU: Was muss getan werden, damit Taekwondo in Paris 2024 vertreten ist?

Hasim: Aktuell sind im Para-Bereich nur Senioren startberechtigt. Ich habe noch weitere jüngere Athleten im Visier, aber kämpfen dürfen alle erst mit frühesten 16 Jahren. Um ins Nationalteam zu kommen, müssen wir alle noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Die Athleten müssen klassifiziert werden und natürlich auch Deutscher Meister werden. Auch ich muss noch einige Voraussetzungen erfüllen, um international coachen zu dürfen. Bis dahin wird dies, in enger Abstimmung mit mir, weiterhin Nurettin übernehmen, der bereits alle internationalen Voraussetzungen hat. Ich erhoffe mir einfach, dass wir mit diesem kleinen Neustart auch die Berührungsängste abbauen können und mit den zwei oder drei Athleten zeigen, was möglich ist. Ich werde häufig von Trainern angerufen, die einen potenziellen Sportler haben, aber nicht so recht wissen, wie sie ihn behandeln sollen. Ich versuche dann so gut es geht zu informieren, dass es immer der beste Weg ist, die Sportler ins normale Training mit einzubinden und sie einfach inklusiv am Training teilnehmen lassen.

DTU: Welches Ziel verfolgst du vom aktuellen Stand her? Hasim: Über Paris 2024 nachdenken kann man schon, aber ich möchte da auch realistisch bleiben und meine Ziele aktuell eher langfristig ausrichten. Ich sehe definitiv großes Potenzial in den beiden Athleten. Aziz, der in der Klassifizierung K41 kämpft, ist noch sehr jung (gerade 16 Jahre geworden) und da ist wirklich noch viel Potenzial da. Ich kenne ja auch die internationale Konkurrenz und da muss ich sagen, hat Aziz eine gute Chance, sich schnell nach oben zu entwickeln. Felix, er ist 26 Jahre, studiert und ist vom Körperbau wirklich total fit. Er startet in der Gewichtsklasse – 80 Kilogramm in der Kategorie K44. Diese Klasse ist international sehr stark besetzt. Ich habe selbst dort lange gekämpft und kenne somit die Gegner. Felix ist mental und physisch sehr stark und er hat mich beim Kaderlehrgang total

Demirhan Aydin trainiert mit den Para-Sportlern Felix (links) und Aziz (rechts)

positiv überrascht. Mit etwas Feinschliff denke ich, dass wir mit ihm in ein oder zwei Jahren auf europäischer Ebene um Medaillen mitkämpfen werden. Das ist auch für uns alle das Ziel: Internationale Wettkämpfe besuchen und zeigen, dass sich in Deutschland etwas entwickelt. Paris wird sportlich gesehen sehr knapp, aber 2028 ist ein realistischer Zeitpunkt, auf den wir alle hinarbeiten werden.

DTU: Welche Maßnahmen planst du für das erste Jahr als Para-Bundestrainer?

Hasim: Wir versuchen nun ab sofort in jedem Quartal ein Trainingslager zu organisieren. Außerdem steht in diesem Jahr die Deutsche Meisterschaft an und dann versuchen wir auch ein internationales Trainingslager zu besuchen. Internationale Turniere werden wir definitiv erst in der zweiten Jahreshälfte bestreiten. Welche das sein werden, wissen wir noch nicht. Da müssen wir schauen, wie sich alles entwickelt.

DTU: Welchen Appell hast du an Menschen mit Behinderungen, die sportlich aktiv werden wollen?

Hasim: Mein Appell ist, egal welchen Sport, macht einen Sport, der euch Spaß macht. Ich habe damals angefangen und hätte mir nie erträumt, dass ich einmal Welt- und Europameister werde. Ich habe mir das aber immer wieder gesagt: Ich will Weltmeister werden. Ich habe dafür viel trainiert und war irgendwann so tief drin, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Was Besseres kann einem ja gar nicht passieren. Und nun bin ich dafür da, andere dabei zu begleiten und zu unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen.

Jeder, der Interesse an Para-Taekwondo hat, kann sich gerne bei mir melden. Wenn jemand lieber über den Verein gehen möchte, ist das auch kein Problem. Wichtig ist nur, dass ich weiß, dass dort im Verein ein Sportler trainiert, der möglicherweise für den Para-ZweikampfBereich interessant ist. Nur so können wir gemeinsam den Para-Bereich ausbauen.

Das Leistungssportpersonal der DTU: v.l. Sergej Kolb, Marco Scheiterbauer, Hasim Celik, VP Finanzen Gerd Kohlhofer, Präsident Stefan Klawiter, Sportdirektor Holger Wunderlich, Balazs Toth, Boris Winkler

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