Sonderheft 06/2021

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Hausarzt Gynäkologie/Urologie/Andrologie

Patientinnen als Expertinnen ihrer Gesundheit

Brustkrebs stellt mit einer Inzidenz von über 5.000 pro Jahr die häufigste malig­ ne Erkrankung bei Frauen in Österreich dar. Was im Umgang mit Betroffenen, aber auch mit nicht erkrankten Frauen wichtig ist, erklärt die Gesundheits- und Pflegewissenschafterin Marlene Scha­ der, BSc, MSc, Beraterin und wissen­ schaftliche Mitarbeiterin des Frauenge­ sundheitszentrums in Graz, im Gespräch mit dem HAUSARZT. HAUSARZT: Welche Art von Kommunikation und Beratung brauchen Frauen bei der Diagnosestellung? Marlene SCHADER, BSc, MSc: Mit der Erstdiagnose wird bei betroffenen Frauen eine akute Krisensituation aus­ gelöst. Informationen können in einer solchen Situation kaum aufgenommen werden. Hilfreich ist es, wenn Ärz­tinnen und Ärzte zum Zeitpunkt der Dia­ gnosestellung erst einmal einfühlsam auf diese Stresssituation reagieren und die Patientinnen gegebenenfalls an eine psychosoziale Beratungsstelle oder an eine Selbsthilfegruppe verweisen, wo der erste Schock abgefangen werden kann. Anschließend beginnen Frauen, sich aktiv mit der Erkrankung auseinander­ zusetzen. Sie haben meist ein großes Be­ dürfnis nach Information. Informationen können ihnen dabei helfen, die Erkran­

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kung zu bewältigen oder selbstbestimmt damit umgehen zu lernen. Wenn sie von einer Therapie überzeugt sind, sind sie auch eher bereit und in der Lage, uner­ wünschte Nebenwirkungen zu tolerieren. So ist es hilfreich, wenn Ärzte sich ausrei­ chend Zeit nehmen, um die Erkrankung und die einzelnen Therapieoptionen mit all ihren Vor- und Nachteilen ausführlich und vor allem verständlich zu erklären. Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Behandelnden und Patientinnen ist sehr wichtig. Welche Vorzüge hat das Shared Decision Making im Rahmen einer Brustkrebserkrankung? Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Großteil der betroffenen Frauen über die Therapie mitentscheiden möchte. Das erhöht die Zufriedenheit durch Be­ rücksichtigung der eigenen Bedürfnisse, trägt zu einer besseren Mitwirkung an der Therapie bei und beugt Konflikten und Meinungsverschiedenheiten mit den behandelnden Ärzten vor. Zudem Expertin zum Thema: Marlene Schader, BSc, MSc Gesundheits- und Pflege­ wissenschafterin; Beraterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Frauen­ gesundheitszentrum in Graz frauengesundheits­zentrum.eu

sind Beteiligung und informierte Ent­ scheidung in medizinischen Leitlinien und im Patientenrecht verankert. Ideal ist, wenn der Arzt oder die Ärztin die Patientinnen als Coach begleitet, ihnen zuhört, sie gründlich informiert und ge­ meinsam mit den Betroffenen nach Lö­ sungen sucht. Wir arbeiten intensiv daran, dass Patien­ tinnen als Expertinnen für ihren Alltag gesehen werden – die Expertise, die sie einbringen, soll auch Platz haben, wenn es um Therapieentscheidungen geht. Eine alleinstehende Pensionistin hat andere Bedürfnisse als eine junge Frau mit Familie und Kleinkindern. Darum wäre es schön, wenn die Frage nach dem Alltag und nach dem Psychosozialen mehr Platz finden und auch besprochen werden würde. Wie können Hausärztinnen und -ärzte Betroffene zusätzlich unterstützen? Sie können speziell bei der Nachbespre­ chung unterstützen: Häufig ist es so, dass nach Terminen im Brustzentrum oder

„Wenn man weiß, dass von 30 Frauen mit auffälligem Befund nur sechs tatsächlich Brustkrebs haben, würde ein positiver Befund bei Frauen nicht so viel Angst erzeugen.“

Foto: © Rita Obergeschwandner/ Frauengesundheitszentrum

Foto: © shutterstock.com/ LightField Studios

Brustkrebs: Ärztinnen und Ärzte sind als Coaches gefragt


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