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Jede zweite Patientin mit Dysmenorrhoe hat Endometriose

Foto: © shutterstock.com/ Ioannis Pantzi, Kamil Hajek

Ein häufiges, vielfach unerkanntes Frauenleiden

Foto: © Albert Knauder, privat „Das mittlere Intervall bis zur Diagnosestellung einer Endometriose beträgt immer noch um die sieben Jahre – es umfasst also eine sehr lange Zeit, in der es zur Verschlechterung der Lebensqualität, der Fertilität und zu einer Stadiumerhöhung kommen kann“, betont Prim. Dr. Albert Knauder, Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Landesklinikum Neunkirchen. In diesem Kontext ist ein Blick auf die Epidemiologie jener gynäkologischen Erkrankung von Bedeutung. Die geschätzte Prävalenz liegt laut Prim. Knauder bei 1015 % der weiblichen Bevölkerung. Betrachtet man jedoch epidemiologische Subgruppen, wird sogleich ersichtlich, dass der Endometriose mehr Aufmerksamkeit im klinischen Alltag zukommen sollte. „Leidet eine Frau unter Dysmenorrhoe, so kann man davon ausgehen, dass zu 50 % eine Endometriose dahintersteckt, ebenso trifft das auf chronisch rezidivierende Unterbauchschmerzen zu. Wenn mit einem Therapieansatz keine Besserung der Symptomatik erzielt wird, handelt es sich bei bis zu 70 % um eine Endometriosebeteiligung“, legt Prim. Knauder dar.

Experte zum Thema: Prim. Dr. Albert Knauder

Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Landesklinikum Neunkirchen, klinisches Endometriosezentrum

Unterschiedliche Erscheinungsformen

Endometriose kann wie folgt untergliedert werden: in die peritoneale und ovarielle Endometriose, in die Adenomyose sowie in die tief infiltrierende bzw. retrozervikale Endometriose (TIE). Letztere ist durch eine Infiltration von ≥ 5 mm unter das Bauchfell definiert. Die häufigsten Lokalisationen einer Endometriose können der Infobox 1 entnommen werden. Des Weiteren wird zwischen einer klinisch aktiven und einer klinisch inaktiven Form unterschieden. „Im typischen Verlauf geht eine aktive in eine inaktive Form über – dazwischen können Jahre liegen. Durch die entzündliche Komponente der aktiven Form kann es zu Verwachsungen mit Beeinträchtigung der Organfunktionen kommen. Die TIE kann nach einer Wachstumsphase in eine stationäre Phase übergehen. Die inaktive Form lässt Narben zurück und kann sich durch Schrumpfungsvorgänge

„Die Therapie der Endometriose muss immer patientinnenbezogen und zielgerichtet sein.“

X Infobox 1: Lokalisationen einer

Endometriose und ihr Anteil in %

„ Ligamentum sacrouterinum: 60 % „ Ovar: 50 % „ Douglasraum: 30 % „ Ligamentum latum: 16 % „ Harnblase: 15 % „ Rektum: 12 % „ Ligamentum rotundum: 10 % „ Tubae uterinae: 8 %

verkleinern. Da die Endometriose östrogenabhängig ist, vergehen die Beschwerden zumeist in der Menopause“, schildert der Gynäkologe.

Endometriose-Stadien

Die Zuordnung des EndometrioseStadiums erfolgt bei der TIE mittels des „ENZIANScores“, die peritoneale Endometriose wird anhand der Klassifizierung der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktive Medizin (ASRM) eingeteilt. „Der ASRMScore unterscheidet vier Stadien, wobei die Stadien drei und vier eine schwere Endometriose bedeuten. In Zukunft wird ein erweiterter ENZIANScore zur Anwendung kommen, der die ASRMEinteilung integriert“, macht Prim. Knauder aufmerksam. Hervorzuheben ist, dass die Ausbreitung der Endometriose in keinem direkten Zusammenhang mit der Symptomatik steht. „Viele EndometrioseFälle verlaufen asymptomatisch. Meist als Zufallsbefund im Rahmen operativer Eingriffe anderer Ursache generiert, kann die asymptomatische Endometriose mitunter stark ausgeprägt sein. Im Gegensatz dazu kann ein kleiner Herd massive Beschwerden hervorrufen“, erklärt Prim. Knauder.

Der Weg zur Diagnose

In der Diagnostik ist als erster Schritt immer eine ausführliche Anamnese durchzuführen, bei der zunächst die Leitsymptome der Endometriose abgefragt werden (siehe Infobox 2). Im Vordergrund steht meist eine Schmerzsymptomatik in diverser Ausprägung, häufig in Form einer Dysmenorrhoe. Vertiefende Fragen erfassen beispielsweise den Bedarf an Schmerzmitteln. „Auch Schulterschmerzen sind in der Anamnese abzufragen, da eine Zwerchfellendometriose den Nervus phrenicus reizen kann und dadurch Schulterschmerzen verursacht. Diese treten typischerweise zyklusabhängig auf“, erläutert der Experte. Zu bedenken ist außerdem, dass die Erkrankung familiär gehäuft vorkommt. Als weitere Risikofaktoren gelten u. a. eine häufige, starke, schmerzhafte sowie frühe Menstruation, Adipositas, Nulliparität und eine späte erste Schwangerschaft. Als nächster Schritt folgt die gynäkologische Untersuchung, die eine Spekulumeinstellung, eine Palpation sowie einen Ultraschall beinhaltet. Dabei sollte dem hinteren Fornix als häufiger Lokalisation unbedingt Beachtung geschenkt werden. Typische Anzeichen einer Endometriose

X Infobox 2: Leitsymptome der Endometriose

„ Dysmenorrhoe „ Blutungsstörungen „ Darmsymptomatik „ Dyspareunie „ Dysurie „ Schulterschmerzen „ Sterilität

bei der Palpation und im Ultraschall sind in Infobox 3 angeführt. „Ganz wichtig ist, dass bei allen Patientinnen mit Verdacht auf Endometriose auch ein Nierenultraschall durchgeführt wird. Bei der TIE kann der Harnleiter komprimiert werden und ein chronischer Nierenstau entstehen. Aufgrund der langsamen Progredienz verursacht dies häufig keine Symptome, obwohl das Nierengewebe schrumpft und funktionsunfähig wird“, gibt der Gynäkologe zu bedenken. Zur Sicherung der Diagnose dient die Laparoskopie mit Gewebeentnahme. „Bei speziellen Fragestellungen kann eine Zusatzdiagnostik erforderlich sein, also die Zysto, Recto Kolonoskopie sowie die MRT“, führt Prim. Knauder aus.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Therapie der Endometriose beruht auf drei Säulen: der symptomatischen, der hormonellen sowie der operativen Behandlung. Für die symptomatische Therapie stehen Analgetika, Antiphlogistika sowie komplementärmedizinische Möglichkeiten zur Verfügung. In puncto hormoneller Therapie erklärt Prim. Knauder: „Die Pille kann den Eierstock ‚ruhigstellen‘, die Östrogenspiegelsenkung nimmt der Endometriose den Nährboden. Auch Gestagene eignen sich zur Endometriosebehandlung, besonders gut wirkt hier Dienogest. GnRAAnaloga versetzen die Frau in eine künstliche Menopause und können bei Kinderwunsch als ein Teil der Behandlung zum Einsatz kommen – die Therapiedauer ist angesichts der Nebenwirkungen auf ein halbes Jahr beschränkt.“

Beschwerdefreiheit als Ziel

Einer Operation geht immer eine NutzenRisikoAbwägung voraus. Bei einer gestauten Niere oder bei Ileussymptomen ist eine Operation laut Prim. Knauder unumgänglich. Lägen keine Beschwerden vor, solle nicht operiert werden – bei Beschwerden erst nach gründlicher Planung und erfolgloser konservativer Therapie. Generell gibt es für das therapeutische Vorgehen kein „Patentrezept“, es richtet sich vornehmlich nach der Symptomatik und den anatomischen Veränderungen. „Die Therapie muss immer patientinnenbezogen und zielgerichtet sein. Zum Beispiel verursacht die Adenomyose typischerweise eine schwere Dysmenorrhoe. Da die Adenomyose – bei welcher endometriumartige Zellen im Myometrium in knotiger oder diffuser Form vorliegen – schlecht gegen das reguläre Myometrium abgegrenzt ist, gestaltet sich eine chirurgische Therapie schwierig. Bei Frauen ohne Kinderwunsch rezeptiert man daher die Pille im Langzyklus und verhindert so die Beschwerden. Besteht eine Dyspareunie, handelt es sich hingegen häufig um eine TIE und in der Regel wird eine operative Sanierung erforderlich sein, wenn die medikamentöse Therapie wirkungslos bleibt“, ergänzt Prim. Knauder. Der Kinderwunsch erfordere als spezielle Situation ein individuelles Vorgehen, das gemeinsam mit einer Kinderwunschklinik zu planen sei. Verlaufskontrollen sollten halbjährlich stattfinden. „Wir bestellen die Frauen einmal pro Jahr in unsere Endometrioseambulanz ein. Dazwischen sollten sie im niedergelassenen Bereich vorstellig werden – wie gesagt –, inklusive einer

Nierensonographie“, informiert

Prim. Knauder abschließend.

X Infobox 3: Typische Zeichen einer Endometriose im Rahmen der Palpation und des

Ultraschalls

Palpation:

„ Verhärtungen, schmerzhafte Regionen, „ verdickte, schlecht bewegliche Sacrouterinligamente, „ schmerzhafte Knötchen retrozervikal und im Septum retrovaginale, „ vergrößerter, dolenter, teigiger Uterus, „ vergrößerte, dolente Adnexe im Falle einer Eierstockendometriose.

Ultraschall:

„ Adenomyose in Knotenform sichtbar. „ Hinweis für diffuse Adenomyose: Asymmetrie zwischen Vorder- und Hinterwand (HW dicker). „ Endometriome (auch Eierstockzysten, Endometriosezysten) am Ovar meist gut erkennbar. Häufig mit peritonealer Endometriose vergesellschaftet. „ Negatives „Sliding Sign“ bei der Darmwandendometriose wegen Verwachsungen.

Anna Schuster, BSc

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