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Patientinnen als Expertinnen ihrer Gesundheit

Brustkrebs: Ärztinnen und Ärzte sind als Coaches gefragt

Brustkrebs stellt mit einer Inzidenz von über 5.000 pro Jahr die häufigste maligne Erkrankung bei Frauen in Österreich dar. Was im Umgang mit Betroffenen, aber auch mit nicht erkrankten Frauen wichtig ist, erklärt die Gesundheits und Pflegewissenschafterin Marlene Schader, BSc, MSc, Beraterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Frauengesundheitszentrums in Graz, im Gespräch mit dem HAUSARZT.

HAUSARZT: Welche Art von Kommunikation und Beratung brauchen Frauen bei der Diagnosestellung?

Marlene SCHADER, BSc, MSc: Mit der Erstdiagnose wird bei betroffenen Frauen eine akute Krisensituation ausgelöst. Informationen können in einer solchen Situation kaum aufgenommen werden. Hilfreich ist es, wenn Ärztinnen und Ärzte zum Zeitpunkt der Diagnosestellung erst einmal einfühlsam auf diese Stresssituation reagieren und die Patientinnen gegebenenfalls an eine psychosoziale Beratungsstelle oder an eine Selbsthilfegruppe verweisen, wo der erste Schock abgefangen werden kann. Anschließend beginnen Frauen, sich aktiv mit der Erkrankung auseinanderzusetzen. Sie haben meist ein großes Bedürfnis nach Information. Informationen können ihnen dabei helfen, die Erkrankung zu bewältigen oder selbstbestimmt damit umgehen zu lernen. Wenn sie von einer Therapie überzeugt sind, sind sie auch eher bereit und in der Lage, unerwünschte Nebenwirkungen zu tolerieren. So ist es hilfreich, wenn Ärzte sich ausreichend Zeit nehmen, um die Erkrankung und die einzelnen Therapieoptionen mit all ihren Vor und Nachteilen ausführlich und vor allem verständlich zu erklären. Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Behandelnden und Patientinnen ist sehr wichtig.

Welche Vorzüge hat das Shared Decision Making im Rahmen einer Brustkrebserkrankung?

Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Großteil der betroffenen Frauen über die Therapie mitentscheiden möchte. Das erhöht die Zufriedenheit durch Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse, trägt zu einer besseren Mitwirkung an der Therapie bei und beugt Konflikten und Meinungsverschiedenheiten mit den behandelnden Ärzten vor. Zudem sind Beteiligung und informierte Entscheidung in medizinischen Leitlinien und im Patientenrecht verankert. Ideal ist, wenn der Arzt oder die Ärztin die Patientinnen als Coach begleitet, ihnen zuhört, sie gründlich informiert und gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen sucht. Wir arbeiten intensiv daran, dass Patientinnen als Expertinnen für ihren Alltag gesehen werden – die Expertise, die sie einbringen, soll auch Platz haben, wenn es um Therapieentscheidungen geht. Eine alleinstehende Pensionistin hat andere Bedürfnisse als eine junge Frau mit Familie und Kleinkindern. Darum wäre es schön, wenn die Frage nach dem Alltag und nach dem Psychosozialen mehr Platz finden und auch besprochen werden würde.

Expertin zum Thema: Marlene Schader, BSc, MSc

Gesundheits und Pflegewissenschafterin; Beraterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Frauengesundheitszentrum in Graz frauengesundheitszentrum.eu zentrum.eu

Wie können Hausärztinnen und -ärzte Betroffene zusätzlich unterstützen?

Sie können speziell bei der Nachbesprechung unterstützen: Häufig ist es so, dass nach Terminen im Brustzentrum oder

„Wenn man weiß, dass von 30 Frauen mit auffälligem Befund nur sechs tatsächlich Brustkrebs haben, würde ein positiver Befund bei Frauen nicht so viel Angst erzeugen.“

bei der Onkologin oder dem Onkologen Sachverhalte unklar bleiben und die Frauen noch einmal darüber sprechen möchten. Hausärzte sind diesbezüglich wichtige Player und können die Frauen sicherlich gut bei ihrer Entscheidung unterstützen, da sie die Betroffenen oft bereits lange begleiten.

Was macht gute Gesundheitsinformationen aus und woher können Frauen diese beziehen?

Gute Gesundheitsinformationen sind einfach zu verstehen, beziehen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, kommen von vertrauenswürdigen Einrichtungen, machen keine Angst, sondern sind sachlich und neutral und beschreiben mehrere Möglichkeiten sowie ihre Vor und Nachteile. Erste Adresse für Informationen sind meistens die behandelnden Ärztinnen und Ärzte oder Breast Care Nurses. Dennoch gibt es im Verlauf der Erkrankung immer wieder Situationen, in denen Frauen im Internet nach Informationen suchen. Das Problem ist, dass viele Webseiten und Foren sachlich falsche oder irreführende Informationen bieten und gute Informationsquellen meist schwer auffindbar sind. Fehlinformationen können Frauen im schlimmsten Fall körperlich und finanziell schädigen. Daher brauchen sie eine gesteigerte Gesundheitskompetenz.

Das Frauengesundheitszentrum hat diesbezüglich ein Projekt ins Leben gerufen. Worum geht es dabei?

Unser Projekt „Gesundheitskompetent mit Brustkrebs leben“ hat zum Ziel, die Gesundheitskompetenz von Brustkrebspatientinnen zu steigern, indem sie in Veranstaltungen und Workshops erfahren, was eine gute Information ausmacht und wo man sie findet. Wir stellen evidenzbasierte, verständliche Materialien zur Verfügung, um betroffene Frauen in einem selbstbestimmten Umgang mit ihrer Erkrankung zu stärken. Insgesamt gibt es bereits eine Reihe von guten Seiten im Internet und (Patienten)Leitlinien zum Thema Brustkrebs, aber nur die wenigsten Frauen und Ärzte wissen davon beziehungsweise empfehlen sie.

Welche Informationen benötigen Frauen in Bezug auf das Brustkrebsscreening?

Wissenschaftlich gesehen haben Frauen zwischen 50 und 69 Jahren den größten Nutzen von der Teilnahme am freiwilligen Mammografiescreening. Studien und unsere Erfahrung im Beratungsalltag zeigen, dass Frauen den Effekt der Mammografie eher überschätzen und wenig über die Grenzen oder über mögliche Nachteile der Untersuchung wissen. Das heißt, dass zu wenige Frauen über das Risiko einer Übertherapie oder eines falsch positiven Ergebnisses Bescheid wissen. Diese Informationen könnten jedoch Ängste reduzieren: Wenn man weiß, dass von 30 Frauen mit auffälligem Befund nur sechs tatsächlich Brustkrebs haben, würde ein positiver Befund bei Frauen nicht so viel Angst erzeugen. Ein wichtiger Vorteil des Screenings sind jedoch die besseren Heilungschancen, da Brustkrebs bereits im Frühstadium entdeckt werden kann. Vom Mammografiescreening zu unterscheiden ist die diagnostische Mammografie für Frauen mit Beschwerden oder Veränderungen in der Brust oder mit erhöhtem familiärem Brustkrebsrisiko. Diese Frauen werden engmaschiger untersucht.

Wie können Ärztinnen und Ärzte Frauen für einen bewussteren Umgang mit ihrer Brust stärken?

Frauen sollten wissen, dass sie sich nicht nur auf das Screening verlassen dürfen – eine regelmäßige Teilnahme an dem MammografieFrüherkennungsprogramm kann nicht verhindern, dass Brustkrebs entsteht. Manche Tumoren entwickeln sich wenige Monate nach einem Untersuchungstermin. Frauen sollen deshalb dazu ermutigt werden, achtsam mit ihrer Brust umzugehen. Wir sagen immer: Frauen sollen sich selbst eine „Busenfreundin“ sein. Wenn ihnen Veränderungen ihrer Brust auffallen, sollten sie das untersuchen lassen.

Das Gespräch führte Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc.

X Infobox: Weiterführende Informationen

Für Ärztinnen und Ärzte:

Projekt „Gesundheitskompetent mit Brustkrebs leben“ des Frauengesundheitszentrums: frauengesundheitszentrum.eu/gesundheitskompetentgesundheitskompetentmit-brustkrebs-leben

Für Patientinnen:

Webseite des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): gesundheitsinformation.de

Webseite des deutschen Krebsinformationsdienstes: krebsinformationsdienst.de

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