Sonderheft 06/2021

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Hausarzt Gynäkologie/Urologie/Andrologie

„Unbedingt mit einer Becken­boden­therapie beginnen“

Foto: © shutterstock.com/ Syda Productions

Bei Inkontinenz sollte eine Operation nur die Behandlung der dritten Wahl sein

Man kann den Patientinnen nicht oft genug sagen, dass sie nach der Geburt unbedingt mit einer Beckenbodentherapie beginnen sollen und diese konsequent umsetzen müssen. Östriol und Östradiol haben sich in der lokalen Behandlung bewährt. Daneben gibt es zunehmend Hinweise dafür, dass Progesteron und möglicherweise auch Testosteron positive Auswirkungen auf die Kontinenz haben könnten. Man sollte sich bei der Behandlung an die Reihenfolge Beckenbodengymnastik – lokale Hormontherapie – Skalpell halten.

Viele Patientinnen sprächen mittlerwei­ le offen über Blasenprobleme, berichtet Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber, Fach­ arzt für Frauenheilkunde und Geburts­ hilfe sowie Hormonspezialist in Wien. Nicht nur im Rahmen der Geburt kön­ nen Veränderungen im stützenden Bin­ de- und Muskelgewebe rund um die Bla­ se entstehen – auch Hormonstörungen können dafür verantwortlich zeichnen. Darum ist es möglich, Hormone – neben dem Beckenbodentraining – als lokale Therapie der Inkontinenz einzusetzen, was Frauen einen operativen Eingriff ersparen kann, wie Prof. Huber im Ge­ spräch mit dem HAUSARZT erläutert. HAUSARZT: Wie können Ärztinnen und Ärzte Inkontinenz im Gespräch mit ihren Patientinnen thematisieren? Univ.-Prof. DDr. Johannes HUBER: Wenn man bei der Untersuchung des Ge­ nitalbereichs bemerkt, dass eine leichte anatomische Veränderung besteht, kann man Inkontinenz diskret ansprechen. Das Problem des Harnverlustes oder des Harndranges ist zwar ein sehr unange­ nehmes Thema für viele Frauen – aber Foto: © Johannes Huber, privat

Das Wichtigste in Kürze

Experte zum Thema: Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber Facharzt für Frauenheilkun­ de und Geburtshilfe sowie Hormonspezialist in Wien drhuber.at

ich habe den Eindruck, dass die Scheu, darüber zu reden, in den letzten Jahren verschwunden ist. Das Thema wird mitt­ lerweile relativ klar angesprochen. Oft geht den Blasenproblemen eine Scheidentrockenheit voraus. Wird den Patientinnen erklärt, dass man, wenn man die Beschwerden der Scheide lin­ dert, auch etwas für die Blase tut, zeigen ihre Reaktionen, dass die Blase für sie sogar ein wichtigeres Organ darstellt als die Scheide. Urin zu verlieren, das ist für viele Betroffene ein größeres Problem, als Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zu haben. Was können Frauen in puncto Geburt tun, um eine spätere Blasenschwäche zu vermeiden? Es besteht die Option, den Geburtskanal schon vor der Geburt zu erweitern bzw. erweichen. Das ist jedoch schulmedizi­ nisch nicht so anerkannt wie die Tatsa­ che, dass die Beckenbodengymnastik nach der Geburt einen bedeutenden As­ pekt darstellt. In diesem Bereich konnten schon viele wissenschaftliche Erfahrun­ gen gesammelt werden. Man kann den

„Hormone werden zumeist als Vaginalsuppositorium in die Scheide eingeführt, von wo aus jene das Bindegewebe und die über der Scheide liegende Blase infiltrieren können.“

Patientinnen daher gar nicht oft genug sagen, dass sie nach der Geburt unbe­ dingt mit einer Beckenbodentherapie be­ ginnen sollen und diese konsequent um­ setzen müssen. Die Frauen meinen zwar im ersten Moment häufig, dass sie, jetzt wo das Kind geboren sei, zu viel zu tun hätten, aber die besagte Art der Gymnas­ tik ist so einfach: Frischgebackene Mütter müssen nur die Gesäßmuskeln anspan­ nen, und das kann sehr gut nebenher ge­ macht werden – beim Stillen, Sitzen oder Liegen. Aber man muss die Übungen wirklich 500 Mal am Tag durchführen, sonst zeigen sie keine Wirkung. Der Be­ ckenboden ist ein hochinteressantes Or­ gan und wir dürfen nicht vergessen, dass auf ihm oft 40, 50 oder 60 Kilo lasten. Ihn auf Trab zu halten, hat ergo einen hohen Stellenwert. Erachten Sie es als problematisch, dass aufgrund der Coronapandemie viele Rückbildungskurse nicht oder nur online stattfinden konnten? Natürlich wäre eine analoge Anleitung besser als eine virtuelle. Aber soweit ich das aus der Ferne verfolgen konnte, sind die Gymnastikkurse, die z. B. vormittags im Fernsehen angeboten werden, extrem beliebt. Also glaube ich, dass viele sich gut an die neuen Gegebenheiten anpas­ sen konnten. Natürlich wäre es unter­ haltsamer, wenn man mit anderen Men­ schen gemeinsam die Übungen erlernen würde. Andererseits muss man jene dann letzten Endes alleine machen und konsequent fortführen. Ärztinnen und Ärzte sollten ihre Patientinnen jeden­

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