Sonderheft 06/2021

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Hausarzt Gynäkologie/Urologie/Andrologie

Erschöpfte Mütter im Wochenbett

HAUSARZT: Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Awareness von Frauen und ihren Ärzten bestellt, dass ein postpartaler Eisenmangel auftreten könnte? Univ.-Prof. Dr. Harald ZEISLER: Ehr­ lich gesagt finde ich, dass es um die Awa­ reness noch nicht gut bestellt ist. Ich weiß nicht, wie es sich österreichweit verhält, aber in unserem Haus wird nach einer normal verlaufenen Geburt routine­ mäßig kein Blutbild angefertigt. Außer die Patientin ist klinisch auffällig, sprich kreidebleich und hat Kreislaufprobleme, die bis zum Kollaps reichen können. Nur nach einer Sectio gehört ein Blutbild zum Standardprocedere. Und dabei wird auch nicht der Eisenmangel untersucht, sondern nur der Endpunkt desselben, die Eisenmangelanämie. Um auf dieses wichtige Thema aufmerk­ sam zu machen, arbeite ich gemeinsam mit einer Hebamme und einem Allge­ X Infobox: Herausforderungen bei der Eisenbestimmung Der Ferritin-Wert gibt Aufschluss über die Füllung der Eisenspeicher im Körper. Allerdings handelt es sich um ein Akute-Phase-Protein: Bei entzündlichen Prozessen (erhöhter CRP-Wert) steigt der Ferritin-Wert – der Eisenspeicher erscheint gefüllt, obwohl er eigentlich leer ist. Bei einem erhöhten CRP-Wert kann die Transferrinsättigung darüber informieren, wie viel Eisen dem Körper tatsächlich zur Verfügung steht. Quelle: eisencheck.at

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Juni 2021

meinmediziner an einem KonsensusStatement. Denn es stellt sich im Rah­ men der Versorgung die Frage nach der Zuständigkeit: Wem kann der postpar­ tale Eisenmangel auffallen? Der Heb­ amme? Dem Gynäkologen? Oder dem Hausarzt? Wie könnte man dieses Problem lösen? Ein Eisenmangel kann im Krankenhaus nach der Geburt leicht übersehen wer­ den. Üblicherweise ist das CRP nach der Geburt erhöht – was wiederum falsch normale Ferritin-Werte bedingt (siehe Infobox). Wenn man das Fer­ ritin bestimmt, sollte man es ergo vor der Geburt bestimmen. Darum wäre es gut, bereits bei der ersten Blutabnah­ me im Rahmen der Mutter-Kind-PassUntersuchung – vor der 16. SSW – den Ferritin-Wert zu ermitteln. Eine zweite Messung sollte spätestens zwischen der 25. und der 28. SSW erfolgen. Welche Folgen hat es, wenn der Eisenmangel übersehen wird? Während der Schwangerschaft erhöht ein Eisenmangel das Risiko der Früh­ geburtlichkeit und es kommt zu einer gesteigerten Notwendigkeit von Sectio bzw. Bluttransfusionen. Zudem leiden Mütter mit Eisenmangel häufiger an postpartalen Depressionen. Generell ist das Spektrum der Symptome breit. Die frischgebackenen Mütter haben mit Müdigkeit und Konzentrations­ störungen, brüchigen Nägeln oder Haarausfall zu kämpfen – und fühlen sich nicht fit genug, um ihr Kind zu versorgen. Bedauerlicherweise kann sich ein Ei­ senmangel auch negativ auf die kogni­ tive Entwicklung des Kindes auswirken. Probleme mit der Sprachentwicklung, ein schlechteres Beobachtungs- und Konzentrationsvermögen sowie ein ver­ minderter IQ können die Folgen sein. Was ist im Rahmen der Behandlung zu beachten? Grundsätzlich kann der Eisenspeicher über die Ernährung sowie über orale

oder intravenö­ se Präparate befüllt werden. Wenn es zu einem Mehrbedarf oder einem größeren Verlust des Spuren­ elements kommt, reicht die Ernährung meist zur Kompensation nicht aus. Aus Studien wissen wir, dass der Eisenbedarf in der Schwangerschaft stark ansteigt, vor allem im letzten Schwangerschafts­ drittel. Die Therapie der ersten Wahl ist die orale Eisentherapie. Bei jener sind aber zwei Dinge zu bedenken: Erstens wer­ den nur zehn Prozent des Eisens resor­ biert, das im Medikament enthalten ist, zweitens gibt es ein großes AdhärenzProblem, weil die orale Therapie häufig gastrointestinale Probleme verursacht. Dies führt oft dazu, dass die Medikation nicht oder nicht ausreichend eingenom­ men wird. Als Alternative kann Eisen intravenös verabreicht werden: Eisen-Carboxy­ maltose-Präparate sind hier am bes­ ten erforscht, Studien beweisen deren Sicherheit und Effizienz – auch in der Schwangerschaft. Normalerweise reicht bereits eine Infusion, um den Bedarf in der Schwangerschaft und auch danach zu decken. Das Gespräch führte Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc. Experte zum Thema: Univ.-Prof. Dr. Harald Zeisler FA für Gynäkologie & Ge­ burtshilfe, stv. Leiter der Abt. für Lehre und postgraduelle Fortbildung, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, MedUni Wien uni-kom.at

„Beim Symptom Müdigkeit sollte man immer auch an einen Eisenmangel denken – eine Behandlung desselben kann die Lebensqualität der Mutter erheblich verbessern.“

Foto: © Harald Zeisler, privat

Während das Kind im Mutterleib her­ anwächst, steigt der Eisenbedarf stark an. Damit es in der Schwangerschaft und nach der Geburt zu keinem Man­ gel des Spurenelements komme, sei ein Umdenken notwendig, betont der Gy­ näkologe Univ.-Prof. Dr. Harald Zeisler, stv. Leiter der Abteilung für Lehre und postgraduelle Fortbildung an der Univ.-Klinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien, im Gespräch mit dem HAUSARZT.

Foto: © shutterstock.com/ Yeti studio

Einen postpartalen Eisenmangel nicht übersehen


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