Hausarzt 04/2021

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Hausarzt pharmazeutisch

Ermüdender Eisenmangel Müdigkeit kann viele Ursachen haben: Sie reichen von zu wenig Schlaf bis hin zur Doppelbelastung, welcher viele Frauen täglich standhalten müssen. Eine sorgfältige Anamnese und die Erhebung des Eisenstatus helfen dabei, einen möglichen Eisenmangel abzuklären. Was dabei zu beachten ist, erläutert Dr. Christian Matthai, Gynäkologe, Ernährungs-, Sport- und Vitalstoffmediziner in Wien, im HAUSARZT-Interview. HAUSARZT: Wann sollten Ärzte hellhörig werden und an einen Eisenmangel denken? Dr. Christian MATTHAI: Es gibt einen Satz, den viele Frauen äußern und der wirklich typisch für Eisenmangel-Symptome ist: „Wissen Sie, es ist komisch, aber selbst dann, wenn ich mich am Wochenende ausschlafe, stehe ich morgens müde auf.“ Da sollte man hellhörig werden und genauer nach dem Wohlbefinden fragen: Liegen chronische Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder ein Energieverlust vor? Daneben erwähnen Frauen oftmals vermehrten Haarausfall, Frieren oder kalte Extremitäten sowie Konzentrationsstörungen, eine erhöhte Infektanfälligkeit kann ebenfalls vorkommen. Wenn der Eisenmangel ausgeprägter ist, treten zudem Schwindelgefühle auf. Zuletzt sind Schlafstörungen – obwohl für einen Eisenmangel eigentlich untypisch – immer wieder ein Thema. Welche Frauen sind besonders gefährdet? Vordergründig sind es junge Frauen. Hier sollten Ärzte fragen, ob die Mens­ truation stärker oder länger ausfällt oder ob Blutungsstörungen bestehen. Patientinnen mit Kupferspirale sind oft betroffen, da sie meist etwas stärker

Foto: © Lisa Matthai

Experte zum Thema: Dr. Christian Matthai Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Ernährungs-, Sport- und Vitalstoffmediziner in Wien www.matthai.at

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bluten. Ebenso begünstigt eine vegetarische oder vegane Ernährung einen Eisenmangel. Leistungs- oder sehr ambitionierte Hobbysportlerinnen haben ein erhöhtes Risiko, weil durch den Sport größere Mengen an Eisen verbraucht werden. Nach Geburten oder in der Schwangerschaft ist Eisenmangel ebenfalls ein großes Thema. Wie wird die Verdachtsdiagnose bestätigt? Durch eine venöse Blutabnahme, bei der man ganz spezielle Parameter betrachtet. Wichtig: Viele praktische Ärzte lassen nach wie vor nur das freie Eisen erheben. Dieser Wert bietet aber überhaupt keine Hilfe bei der Beurteilung der Eisenversorgung. Wenn man nur einen Parameter ermitteln lässt, sollte das der Eisenspeicher, das Ferritin, sein. Möchte man sich ein ganz genaues Bild vom Eisenstatus machen, lässt man fünf Parameter bestimmen (siehe Infobox). Sich dabei auch das CRP anzusehen, macht Sinn, weil sich das Eisen bei Entzündungen vom Blut in die Eisenspeicher verschiebt und dadurch ein Eisenmangel kaschiert werden kann. Besteht der Verdacht, dass die Patientin bereits anämisch ist, wäre zusätzlich ein kleines Blutbild sinnvoll. Darüber hinaus gilt es zu beachten: Schon bei niedrigen Eisenspeicherwerten innerhalb des Normbereichs entwickeln viele Frauen Symptome – hier kann eine Eisentherapie ebenfalls eine Linderung der Beschwerden erzielen. Was muss bei der Therapiewahl beherzigt werden? Primär kann man eine orale Behandlung anbieten, aber man muss die Patientin informieren, dass diese oft mit unerwünschten Nebenwirkungen, etwa Magenschmerzen, Übelkeit oder Verstopfung, verbunden ist. Hat eine Frau einen empfindlichen Magen oder Verdauungsprobleme, würde ich davon abraten. Anwenderinnen einer oralen Therapie müssen darauf achten, dass sie die Tabletten auf leeren Magen und auch ohne Kaffee oder Tee einnehmen,

um die ohnehin schon relativ niedrige Resorptionsrate nicht noch weiter zu senken. Wenn der Eisenmangel bereits ausgeprägt ist, kann eine Behandlung über mehrere Monate notwendig sein – in jedem Fall muss kontrolliert werden, ob die Therapie anschlägt. Daneben besteht die Möglichkeit einer Eiseninfusion: Im Unterschied zur oralen Therapie, bei welcher die Frauen nach rund drei Monaten Verbesserungen verspüren, stellt sich hier bereits nach ca. einer Woche eine Linderung der Symptome ein. Wenn eine Eisenmangelanämie vorliegt oder der Eisenspeicher komplett geleert ist, empfehle ich meinen Patientinnen immer eine Infusion. Keine Frau, die chronisch müde ist und der bereits die Haare ausgehen, will mehrere Wochen warten, bis sie sich besser fühlt. Häufig ist nur eine einzige Infusion nötig, lediglich bei Frauen, deren Menstruation übermäßig stark ausfällt, muss die Eiseninfusion ca. einmal jährlich wiederholt werden. Was raten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen abschließend? Man kann den Patientinnen sehr viel Gutes tun, wenn man auch ohne schweren Verdacht – oft sprechen die Betroffenen ihre Symptome nicht an – den Eisenwert bestimmen lässt. Und wenn dieser auf einen Mangel hindeutet, profitieren Frauen von einem Gespräch über Therapiemöglichkeiten. Das Gespräch führte Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc.

X Infobox: Wichtige Parameter bei Eisenmangel Freies Eisen Ferritin Transferrin Transferrinsättigung CRP Bei Verdacht auf eine Eisenmangelanämie: Zusätzlich ein kleines Blutbild

Foto: © shutterstock.com/ angelo sarnacchiaro, Sylvie Bouchard

Frauen im gebärfähigen Alter sind besonders häufig betroffen


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