
7 minute read
COVID-19: Hormon als Hoffnungsträger
Neue Studien sprechen für Einsatz von Melatonin bei Impfung und Therapie
Wer wenig schläft, zeigt eine erhöhte Anfälligkeit für verschiedenste Krankheiten, z. B. Diabetes oder Hypertonie – diese Tatsache ist schon lange bekannt. Ebenso verbreitet ist das Wissen, dass sich die Schlafarchitektur mit zunehmendem Alter ändert: Die Dauer der Nachtruhe verkürzt sich, während chronische Schlafstörungen häufiger werden. Das Hormon Melatonin spielt dabei eine wichtige Rolle. Es steuert den Schlafwach-Rhythmus, aber besitzt auch antiinflammatorische, antioxidative und immunmodulierende Eigenschaften.1 Seit 2020 mehren sich die Studien, die über einen Zusammenhang zwischen Infektionskrankheiten wie COVID-19 und Melatonin berichten. Nachfolgend wird dargestellt, über welche Mechanismen das Hormon Infektionen und schwere Krankheitsverläufe verhindert. Zudem könnte der Botenstoff sogar dazu beitragen, die Immunantwort im Rahmen der Impfung gegen SARSCoV-2 zu verstärken.2
Das Wichtigste in Kürze
Zytokinsturm und oxidativer Stress
Bei COVID-19-Patienten ist allerdings nicht nur eine mangelnde Immunantwort, sondern auch eine überschießende Abwehrreaktion, resultierend in einem Zytokinsturm, ein Problem. Eine Umstellung im Stoffwechsel der Monozyten/Makrophagen führt dazu, dass sehr viele Zytokine – wie auch der zuvor genannte Entzündungsmarker IL-6 – gebildet werden. Diese Umstellung im Zellstoffwechsel hat zugleich einen Einfluss auf die Melatoninproduktion. Denn das Hormon wird nicht nur in der Zirbeldrüse, sondern auch in den Mitochondrien der Körperzellen gebildet – jene intrazelluläre Produktion wird aber gestoppt, sobald sich der Stoffwechsel der Monozyten/ Makrophagen auf aerobe Glykolyse umstellt. Entstehende freie Radikale schädigen das Gewebe, etwa jenes der Lunge.5 Ist allerdings genügend Melatonin vorhanden, kann der Stoffwechsel der Zellen von proinflammatorisch auf antiinflammatorisch umprogrammiert werden.2 Melatonin ist außerdem in der Lage, eine große Anzahl freier Radikale zu binden und so den oxidativen Stress zu reduzieren. Pro Melatonin-Molekül können bis zu zehn freie Radikale gebunden werden – im Gegensatz zu Antioxidantien wie Vitamin C und E, die jeweils nur eine Bindungsstelle besitzen. Zudem könnte das Hormon dazu beitragen, Spätfolgen wie eine Lungenfibrose zu verhindern.6
Gesteigerte Infektionsgefahr
Menschen über 60 Jahre – vor allem jene mit kardiovaskulären oder pulmonalen Vorerkrankungen – haben ein höheres Risiko, im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus einen schweren Verlauf zu erleiden. Daran ist nicht zuletzt die Immunantwort beteiligt, wie zwei Studien aufzeigen konnten: Bei Patienten, die einen schweren Verlauf hatten oder sogar verstarben, zeigten sich bei der Aufnahme im Krankenhaus eine verminderte Anzahl von Lymphozyten im Blut sowie eine größere Menge des Entzündungsmarkers IL-6.3,4 Als mögliches Bindeglied zwischen der erhöhten Krankheitsanfälligkeit samt verminderter Immunantwort und einem fortgeschrittenen Lebensalter wird nun Melatonin diskutiert, da die nächtliche Produktion des Hormons in der Zirbeldrüse im Verlauf des Lebens abnimmt. Insbesondere für ältere Menschen mit Komorbiditäten empfehlen die Studienautoren daher eine Supplementation von Melatonin zur Stärkung der Immunabwehr. Auch für Arbeitskräfte im Gesundheitswesen sprechen sie sich für eine solche Prävention aus.1
Melatonin stellt ein mögliches Bindeglied zwischen der erhöhten Krankheitsanfälligkeit samt verminderter Immunantwort und einem fortgeschrittenen Alter dar. Das Hormon vermag es, einerseits die Immunantwort zu stimulieren, andererseits bei einer überschießenden Immunreaktion eine antiinflammatorische Wirkung zu entfalten. Gerade bei älteren Patienten mit eingeschränkter Immunantwort sprechen sich Forscher für einen adjuvanten Einsatz von Melatonin im Rahmen der Coronaimpfung aus. Zudem könnte das Hormon schwere Verläufe verhindern. Empfohlen wird ein Retard-Präparat mit einer Dosierung von 2 mg pro Tag.
Melatonin ist also imstande, zwei verschiedene Effekte zu entfalten: Einerseits stimuliert es die Immunantwort, andererseits ist bei einer überschießenden Immunreaktion auch eine antiinflammatorische Wirkung möglich.7
Adjuvanter Einsatz bei Impfung
Die Verabreichung von Melatonin erzielte in Studien über onkologische Impfstoffe bereits nachweislich eine Steigerung der Anzahl von B- und TZellen bei den Patienten. Vor allem die T-Zellen des Typs CD4+ scheinen für eine anhaltende Immunität wichtig zu sein. Gerade bei älteren Patienten, deren Immunantwort ohnehin eingeschränkt ist, sprechen sich Forscher für einen adjuvanten Einsatz des Hormons im Rahmen der Coronaimpfung aus. Wegen des generell positiven Effekts auf das Immunsystem, etwa durch seine antioxidative Wirkung, könnte Melatonin womöglich auch unerwünschten Impfreaktionen entgegenwirken.2 Die Studienautoren unterstreichen ebenso die positiven Auswirkungen, welche die Gabe von Melatonin auf die Effektivität der Impfung haben könnte. Sie empfehlen eine Dosierung, die eine ausreichende Plasmakonzentration des Hormons für zumindest sieben bis acht Stunden während der Nacht aufrechterhält. Da die Halbwertszeit von Melatonin im Blut gering ist, müssen Medikamente mit rascher Wirkstofffreisetzung relativ hoch dosiert werden – allerdings sind suprapharmakologische Mengen zu vermeiden, da sonst die Immunantwort abnimmt. Bei Retard-Präparaten empfehlen die Forscher eine Dosierung von 2 mg pro Tag.6 Wegen des generell positiven Effekts auf das Immunsystem könnte Melatonin womöglich auch unerwünschten Impfreaktionen entgegenwirken.
Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc
Auch Intensivpatienten profitieren
Ein weiterer Einsatzbereich von Melatonin scheint im Zusammenhang mit dem Coronavirus sinnvoll: Hospitalisierte ältere Patienten haben bei Infektionen und medizinischen Eingriffen ein erhöhtes Risiko, ein Delir zu erleiden. Bei einer COVID-19-Erkrankung zeigen etwa 15 % der Hospitalisierten Zeichen einer Bewusstseinstrübung, manche von ihnen fallen ins Koma. Auch hier ist die Anwendung von Melatonin laut Forschern zu erwägen, vor allem, da die Verabreichung von Benzodiazepinen oder Antipsychotika die Delir-Symptome verschlechtern kann. Werden Patienten mit Melatonin behandelt, verkürzt sich die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und sinkt die Prävalenz des Delirs. Außerdem verbessert sich die Schlafqualität.2
Quellen: 1 Reiter RJ et al., Front Med 2020; 7: 226. 2 Cardinali DP et al., Diseases 2020; 8: 44. 3 Dai SP et al., J Nutr Health Aging 2021; 25: 18-24. 4 Trecarichi EM et al., Sci Rep 2020; 10: 20834. 5 Reiter RJ et al., Med Drug Discovery 2020; 6: 100044. 6 Shneider A et al., Int Rev Immunol 2020; 39(4): 153-162. 7 Maestroni G, J Neuroimmune Pharmacol 2020; 15: 572-573.
Von Beruf: „Community Nurse“
Pflegefachkräfte sollen künftig präventive Hausbesuche machen können

Die Community Nurse könnte künftig dem Arzt Hausbesuche abnehmen.
In vielen Ländern, etwa im angelsächsischen Raum oder in Skandinavien, können Hausärzte die Durchführung von Hausbesuchen teilweise schon an sogenannte Community Nurses delegieren. Die vorteilhafte Wirkung dieser präventiven Versorgung auf die Gesundheit der Bevölkerung ist wissenschaftlich gut belegt. In Österreich sieht das aktuelle Regierungsprogramm vor, dass bald bundesweit in 500 Gemeinden auch Community Nurses tätig werden. „Wir hoffen auf einen Startschuss noch in diesem Jahr“ , sagt Mag.a Elisabeth Potzmann vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflege Verband (ÖGKV). „Unterschiedliche Organisationen werden sich mit Projekten beteiligen, so auch wir als Berufsverband. “
Was ist der Mehrwert?
Familiengesundheitspflege lautet der deutsche Begriff für das Tätigkeitsfeld. Während die mobile Pflege in einem klar definierten Feld mit klar definiertem Auftrag handelt – mit vorgegebenem Zeitkontingent! –, hat die Community Nurse mehr freie Hand. Sie denkt an den Fall, betreibt Case und Care Management: Was braucht der Patient zum jeweiligen Zeitpunkt? Was benötigen die Angehörigen? Im Zuge dessen übernimmt sie die Beratung und Koordination. „Die COVID-19-Pandemie hat sichtbar gemacht, wie wichtig die kompetente professionelle Gesundheits- und Krankheitspflege für das österreichische Gesundheitssystem ist“ , hebt Mag.a Potzmann hervor. „Community und School Nurses wären auch in der PandemieBewältigung eine wertvolle Struktur, etwa wenn es darum geht, Testungen strukturiert in Angriff zu nehmen oder Hygienemaßnahmen gezielt vor Ort durchzuführen.“
Aufwertung der Pflege
Die Details zur bundesweiten Umsetzung sind derzeit noch nicht bekannt. Mit der Projektierung ist die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) beauftragt. In puncto Ausbildung reiche zu Beginn das Diplom Gesundheits- und Krankenpflege aus – im Idealfall verfügten Kandidaten außerdem über Erfahrung in der mobilen Pflege, meint Mag.a Potzmann: „Bei Aufgabenerweiterungen wird in einem nächsten Schritt eine zusätzliche Ausbildung vonnöten sein. Wobei wir eine Übergangsfrist von drei bis maximal fünf Jahren andenken, in denen diplomierte Pflegepersonen bereits als Community Nurses aktiv sein können und gleichzeitig die Fortbildung nachholen. “ Viele Pflegekräfte sehen in diesem neuen Berufsfeld eine Aufwertung der Pflege an sich sowie die Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder.
Expertin zum Thema: Mag.a Elisabeth Potzmann
Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV)
Keine Konkurrenz mit anderen Gesundheitsberufen
„Die Vernetzung mit den anderen Gesundheitsberufen ist eine zentrale Aufgabe der Community Nurse. Sie steht aber nicht in Konkurrenz mit anderen Gesundheitsberufen“ , betont Mag.a Potzmann. „So wird auch nicht das Hausarztsystem in Frage gestellt. Die Community Nurse ist quasi ein Add-on bzw. eine Ergänzung der bestehenden Strukturen, um Versorgungsmängel zu beheben. “ So müsse beispielsweise in einer Primärversorgungseinheit nicht der Hausarzt alle Hausbesuche machen. Oft reiche es, wenn die Community Nurse sie übernehme und dem Mediziner Rückmeldung gebe. Allerdings wäre es der Standesvertreterin lieber, wenn die Einrichtungen nicht immer unter ärztlicher Leitung und die Pflegekräfte nicht unbedingt Angestellte wären. „Ich fände es schöner, wenn wir auch freiberuflich agieren und selbst Aufträge annehmen könnten“ , führt sie aus. Das funktioniere in anderen Ländern gut, sei in Österreich aber nur eingeschränkt möglich, weil Pflegepersonen keine Verträge mit der Sozialversicherung abschließen und somit keine Leistungen über sie abrechnen könnten. Hier bestehe noch politischer Handlungsbedarf.
Mag.a Karin Martin
„Wir hoffen, dass der Startschuss für das Projekt Community Nurse noch heuer gegeben wird.“