Hausarzt 04/2021

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Hausarzt medizinisch

COVID-19: Hormon als Hoffnungsträger Neue Studien sprechen für Einsatz von Melatonin bei Impfung und Therapie

Foto: © shutterstock.com/ vovan, Tasty_Cat

Zytokinsturm und oxidativer Stress

Wer wenig schläft, zeigt eine erhöhte Anfälligkeit für verschiedenste Krankheiten, z. B. Diabetes oder Hypertonie – diese Tatsache ist schon lange bekannt. Ebenso verbreitet ist das Wissen, dass sich die Schlafarchitektur mit zunehmendem Alter ändert: Die Dauer der Nachtruhe verkürzt sich, während chronische Schlafstörungen häufiger werden. Das Hormon Melatonin spielt dabei eine wichtige Rolle. Es steuert den Schlafwach-Rhythmus, aber besitzt auch antiinflammatorische, antioxidative und immunmodulierende Eigenschaften.1 Seit 2020 mehren sich die Studien, die über einen Zusammenhang zwischen Infektionskrankheiten wie COVID-19 und Melatonin berichten. Nachfolgend wird dargestellt, über welche Mechanismen das Hormon Infektionen und schwere Krankheitsverläufe verhindert. Zudem könnte der Botenstoff sogar dazu beitragen, die Immunantwort im Rahmen der Impfung gegen SARSCoV-2 zu verstärken.2

Gesteigerte Infektionsgefahr Menschen über 60 Jahre – vor allem jene mit kardiovaskulären oder pulmonalen Vorerkrankungen – haben ein höheres Risiko, im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus einen schweren Verlauf zu erleiden. Daran ist nicht zuletzt die Im-

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munantwort beteiligt, wie zwei Studien aufzeigen konnten: Bei Patienten, die einen schweren Verlauf hatten oder sogar verstarben, zeigten sich bei der Aufnahme im Krankenhaus eine verminderte Anzahl von Lymphozyten im Blut sowie eine größere Menge des Entzündungsmarkers IL-6.3,4 Als mögliches Bindeglied zwischen der erhöhten Krankheitsanfälligkeit samt verminderter Immunantwort und einem fortgeschrittenen Lebensalter wird nun Melatonin diskutiert, da die nächtliche Produktion des Hormons in der Zirbeldrüse im Verlauf des Lebens abnimmt. Insbesondere für ältere Menschen mit Komorbiditäten empfehlen die Studienautoren daher eine Supplementation von Melatonin zur Stärkung der Immunabwehr. Auch für Arbeitskräfte im Gesundheitswesen sprechen sie sich für eine solche Prävention aus.1

Bei COVID-19-Patienten ist allerdings nicht nur eine mangelnde Immunantwort, sondern auch eine überschießende Abwehrreaktion, resultierend in einem Zytokinsturm, ein Problem. Eine Umstellung im Stoffwechsel der Monozyten/Makrophagen führt dazu, dass sehr viele Zytokine – wie auch der zuvor genannte Entzündungsmarker IL-6 – gebildet werden. Diese Umstellung im Zellstoffwechsel hat zugleich einen Einfluss auf die Melatoninproduktion. Denn das Hormon wird nicht nur in der Zirbeldrüse, sondern auch in den Mitochondrien der Körperzellen gebildet – jene intrazelluläre Produktion wird aber gestoppt, sobald sich der Stoffwechsel der Monozyten/ Makrophagen auf aerobe Glykolyse umstellt. Entstehende freie Radikale schädigen das Gewebe, etwa jenes der Lunge.5 Ist allerdings genügend Melatonin vorhanden, kann der Stoffwechsel der Zellen von proinflammatorisch auf antiinflammatorisch umprogrammiert werden.2 Melatonin ist außerdem in der Lage, eine große Anzahl freier Radikale zu binden und so den oxidativen Stress zu reduzieren. Pro Melatonin-Molekül können bis zu zehn freie Radikale gebunden werden – im Gegensatz zu Antioxidantien wie Vitamin C und E, die jeweils nur eine Bindungsstelle besitzen. Zudem könnte das Hormon dazu beitragen, Spätfolgen wie eine Lungenfibrose zu verhindern.6

Das Wichtigste in Kürze Melatonin stellt ein mögliches Bindeglied zwischen der erhöhten Krankheitsanfälligkeit samt verminderter Immunantwort und einem fortgeschrittenen Alter dar. Das Hormon vermag es, einerseits die Immunantwort zu stimulieren, andererseits bei einer überschießenden Immunreaktion eine antiinflammatorische Wirkung zu entfalten. Gerade bei älteren Patienten mit eingeschränkter Immunantwort sprechen sich Forscher für einen adjuvanten Einsatz von Melatonin im Rahmen der Coronaimpfung aus. Zudem könnte das Hormon schwere Verläufe verhindern. Empfohlen wird ein Retard-Präparat mit einer Dosierung von 2 mg pro Tag.


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