audimax I.T 6-2020 – Karrieremagazin für ITler

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GESELLSCHAF T

»EINFACH ICH SEIN« ROBIN KAM ALS MÄDCHEN ZUR WELT. HIER ERZÄHLT ER, WIE ER SEINEN KAMPF GEGEN DIE GESCHLECHTERROLLEN FÜHRT UND WIESO SEXISMUS KEIN REINES FRAUENTHEMA IST

er das Titelbild über Robins* Facebook-Pro- LEBEN UND LEBEN LASSEN fil ansieht, würde denken, es zeige ein Kind- Wenn es eine Sache gibt, die Robin in seiner nun erreichten heitsfoto seiner kleinen Schwester, die mit ihrer Mutter im Seelenruhe erschüttern kann, dann ist es Sexismus. »VielGarten auf einer bunten Decke sitzt und Kränze aus Gän- leicht, weil ich ihn aus der Sicht beider Geschlechter kenne«, seblümchen bastelt. Nur seine Freunde und Familie wissen: vermutet er. »Diese ganze Stigmatisierung ging mir bereits Das kleine Mädchen mit den blonden Ringellocken ist er als Kind auf die Nerven.« Wenn das Wort ›Seximus‹ laut wird, selbst. Oder war er selbst. Lina* gibt es heute nicht mehr, son- dann sind es meistens Frauen, die schreien. Das macht den dern nur ihn, Robin, mit langen, dunkelblond-strähnigen Anschein, als wären sie deutlich häufiger von diesem geHaaren, die zum Pferdeschwanz gebunden sind, Bart und sellschaftlichen Phänomen betroffen als Männer. Robin, Holzfällerhemd. der beide Seiten kennt, ist da anderer Meinung. Er glaubt, dass Männer sich nur nicht so oft über ihre zugeschriebene Rolle beschweren: »Weibliche Rollenbilder sind meistens BART, BIZEPS, BALLETT Dass Robin sich in seinem Körper nicht wirklich wohl den männlichen gegenüber benachteiligt. Als Beispiel: Von fühlt, merkte er schon früh: »Ich habe als Kind nie verstan- Frauen wird oft erwartet, dass sie ihre Karriere hintenanstelden, wieso es für Mädchen so extrem viele rosa Klamotten len, sobald sie ein Kind bekommen – klar, dass viele Frauen gibt und ich Kleider tragen sollte«, erzählt er. »Ich fand das damit nicht einverstanden sind. Wenn es aber heißt, der immer komisch und wollte lieber wie meine Cousins coole Mann ist der Familienheld, der hart arbeitet und das Geld Jeans und eine Basecap tragen. Nur meine langen Haare, die nach Hause bringt, wird das im ersten Moment von Mänmochte ich – das ist ja heute noch so.« Im Teenageralter band nern sicherlich nicht unbedingt negativ wahrgenommen.« er sich seine Brust mit Frischhaltefolie ab. Er steckte sich So- Trotzdem heißt das im Umkehrschluss, dass alle Männer, die cken in die Hose und posierte damit vor dem Spiegel. Und nicht in dieses Bild passen, ihre Aufgabe nicht erfüllen. wusste: Das will ich. Den Tag, an dem er seinen Eltern gegenüber endlich Klartext sprach, beschreibt Robin heute als sei- Das macht Robin wütend. Seiner Meinung nach sollte jeder nen Befreiungsstoß. Damals war er 19 Jahre alt. Heute ist mit einfach jeden so leben lassen, wie er möchte, ohne irgendbloßem Auge nicht mehr zu erkennen, dass der 24-Jährige welche gesellschaftlichen Ansprüche und Erwartungen an als Mädchen zur Welt kam. ihn zu haben. Für ihn ist es mittlerweile einfach, sich nicht unter Druck setzen zu lassen – doch das war nicht immer so, Doch es hat sich noch mehr verändert: Robins Einstellung zu wie er gesteht: »Kurz nach meiner Geschlechtsumwandlung der ganzen ›Geschlechtersache‹: »Früher wollte ich nur eins hatte ich eine Art Höhenflug. Aber dann wurde ich nervös: unbedingt: endlich ein richtiger Mann sein – mit Penis, Bart Kann ich überhaupt ein richtiger Mann sein? Wird man mir und Bizeps. Heute sehe ich das ein klein wenig anders. Ich immer irgendwie ansehen, dass ich als Frau zur Welt kam? fühle mich tendenziell eher dem männlichen Geschlecht zu- Was, wenn ich das ›männliche Leben‹ nicht auf die Reihe gehörig, würde mich aber am liebsten gar nicht fest zuord- kriege? Totaler Quatsch«, resümiert er. »Es will doch einen lassen.« Seinen Schritt, sich anatomisch zum Mann ma- gentlich jeder einfach nur glücklich sein. Ich wünsche chen zu lassen, bereut er aber nicht, wie er weiter erzählt: »Ich mir, dass wir aufhören, alles und jeden in Schublabin jetzt an dem Punkt, an dem ich einfach ich bin. Mit allen den zu stecken, und unser Leben endlich komFacetten, die mir gefallen – geschlechtsunabhängig. Ich liebe plett so führen, wie wir es für richtig halten.« meinen Penis, aber ich liebe eben auch meine langen Haare. Ich habe meine Brust gehasst, aber bin froh, dass ich meine An seine Kindheit als Mädchen denkt Robin schmale Taille habe. Ich spiele gerne Fußball und sehe mir heute nur noch manchmal zurück. Wenn Ballett an. Ich will mich einfach nicht auf eine Rolle festle- er es tut, dann erinnert er sich an Unbegen und die dann unter Druck erfüllen, nur weil es die Gesell- schwertheit, Unvoreingenommenheit schaft am liebsten so hätte.« Auf dem Papier, in seinem Job und Glück. Das ist es auch, was er in sein und in der Öffentlichkeit ist er männlich – in seinem engen jetziges Leben mitgenommen hat. Freundeskreis betitelt ihn niemand mehr als ›Er‹. Nur als ›Robin‹, das reicht schon. *Namen von der Redaktion geändert 64 | www.career-center.de – Die Jobbörse für Akademiker

Illustrationen: vecteezy.com Foto:

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Text: Alicia Reimann


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