Paracontact Herbst 2021_d

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KULTUR UND FREIZEIT

DRITTE LEBENSPHASE

Zu Hause angekommen Was macht ein Rollstuhlfahrer nach der Pensionierung? Einen Traum verwirklichen für eine selbstständige dritte Lebensphase. Von Gabi Bucher

Peter Gilomen blickt auf ein bewegtes Le­ben zurück. Als er vor 57 Jahren durch einen Arbeitsunfall in den Roll­ stuhl kam, gab es noch kein Paraplegiker-Zentrum. Er ge­ riet mit 17 Jahren bei der Arbeit unter ein Garagentor. «Ich war eine Weile ohn­mäch­tig, dann legten mich die Kolle­ gen auf eine Woll­decke und verabreichten mir einen Cognac», erzählt er. Zwei ganze Jahre verbrachte er im Spital Interlaken, dann noch ein paar Mona­te in der Reha­ klinik Tobelbad in Österreich. Peter Gilomen gehört zu den Pionieren im Rollstuhl. Er hat nicht nur viel erlebt, er hat auch viel bewegt. Er erinnert sich an die Rennrollstühle und die ersten Langlaufschlitten, die er damals gebaut hat. Viele gute Momente, viele unglaubliche Erinne­ rungen und ein schönes Leben an der Seite seiner Ehefrau Erika, welche er wäh­

rend der zweiten Lehre nach seiner Reha in einem zahn­ technischen Labor in Thun kennen- und liebenlernte. Schwerer Schlag Und dann, vor fünf Jahren, ver­ starb Erika. Ihr Tod warf Peter Gilomen aus der Bahn. Er verkaufte das Haus und mietete sich eine Wohnung. «Es ging nicht mehr. Das Haus war zu gross, zu viel Um­ schwung und über­haupt …», meint er mit einer abwehrenden Handbewegung. Jetzt war niemand mehr da, der ihn unter­ stützte, moralisch, aber auch ab und zu bei gewissen Handgriffen und Hilfestellun­ gen, die im Alter schwie­ri­ger werden. «Wir waren ein gutes Gespann», sagt er weh­ mütig.

Es dauerte eine Weile, bis Peter sich wie­ der fing und sich ein neues Ziel setzte. Er wollte noch einmal etwas bewegen, ein

neues Projekt anfangen. In Innertkirchen im Haslital, dem Dorf, wo er die ersten 17  Jahre seines Lebens verbracht hatte, fand er zentrumsnahe ein Stück Land. Mit sei­ nem Bauleiter aus Meiringen plante und verwirklichte er ein neues Haus nach sei­ nen Vorstellungen. «Er ging auf all meine Wünsche und Bedürfnisse ein, das ist nicht selbstverständlich», betont Peter. Absolut rollstuhlgängig sollte es werden, keine Bar­ rieren, welche ihm das Leben erschweren. Moderne Technologie Ein grosses, helles, geschmackvoll gestalte­ tes Wohnzimmer folgt auf ein breites En­ trée. «Ich brauche Platz zum Navigieren», sagt Peter lachend. Die adaptier­te Küche ist ausgestattet mit mondernsten Geräten. Als Hobbykoch bereitet er für sich allein auch schon mal einen Dreigänger zu. Der Übergang zur Terrasse ist schwellenfrei mit Schiebefenstern, die er problemlos be­ dienen kann. Rund ums Haus Steinplat­ ten, ein Steingarten, ein Hochbeet, ei­ne Blumenwiese, aber kein Rasen. «Ich will so lange wie möglich selbstständig und mit so wenig Aufwand wie möglich hier le­ ben», erklärt er. Das Haus hat zwar einen oberen Stock, «den habe ich aber nur auf Fotos gesehen. Ich brauche ihn nicht und wollte keinen Lift einbauen müssen. Wer auch immer nach mir hier wohnt, kann die­sen nach seinen Vorstellungen ausbau­ ­en.» Fotovoltaik und Wärmepumpe fehlen selbstverständlich auch nicht. Zeit für Gemütlichkeit Einleben musste der Luzerner sich nicht in der Gemeinde, er kennt noch den einen oder anderen und den Dialekt beherrscht er, als wäre er nie weg gewesen. «Ennet dem Brünig wechsle ich ins Haslitiitsch», erklärt er. Die Menschen hier seien offen, «und sie haben Zeit. Wenn ich mit dem Swiss-Trac unterwegs bin, kann es vor­ kommen, dass ein Bauer für einen Schwatz kurz innehält beim Arbeiten.» Alles sei ge­ mächlicher hier, das komme ihm entgegen. «Ich brauche auch mehr Zeit – jetzt, wo ich älter werde.»

Peter Gilomen hat wieder Fuss gefasst im Leben und freut sich darauf, sein neues Zuhause weiter einzurichten. Das Projekt hat ihm neuen Lebensmut gegeben. Paracontact I Herbst 2021 25


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