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Zielgerade nach Tokio

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Sophie Gnaegi

Sophie Gnaegi

SERIE 3/4: TOKYO 2020

Mit einem Jahr Verspätung starten am 24. August die Paralympischen Spiele in Tokio. Catherine Debrunner und Tobias Fankhauser sind zwei von 14 Rollstuhlsportlern in der Schweizer Delegation und hoffen auf Covidfreie Spiele.

Von Nicolas Hausammann

Catherine Debrunner machte bereits mit starken Leistungen an den ParAthletics in Nottwil auf sich aufmerksam und siegte an den Europameisterschaften im polnischen Bydgoszcz über 100, 400 und 800 Meter. Tobias Fankhauser hatte starke Auftritte an den UCI Paracycling Road World Championships in Estoril (POR). Allerdings reichte es dem 31Jährigen nicht aufs Podest. Zwei undankbare vierte Plätze im Team Relay und im Strassenrennen nimmt der Baselbieter jedoch locker und weiss diese auf dem langen Weg nach Tokio einzuordnen.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wie zufrieden bist du mit deinem Formstand und den Wettkämpfen?

Catherine: «Eine glatte Acht. Ich konnte mich von den ParAthletics in Nottwil über Arbon bis hin zur EM in Polen stetig steigern. Ich habe mein Ferntraining mit meinem niederländischen Trainer Arno Mul gut organisiert, auch wenn es schade ist, dass ich nicht noch mehr mit ihm trainieren kann. Er motiviert mich jedes Mal, über meine Grenzen hinauszugehen und gibt mir wertvolle technische Inputs. Zusammen mit Fabian Ammann, meinem Athletiktrainer der Sportmedizin, harmoniert das super, was sich in meiner Form widerspiegelt.» Tobias: «Das bewegt sich zwischen sechs und sieben. Ich habe das Gefühl, dass nach meiner Blasenoperation noch Luft nach oben ist in meiner Formkurve. Ich spüre, wie ich nun die harten Trainings besser durchhalte und sich meine Leistung steigert. Das ist auch nötig, da ich an der WM in Portugal gesehen habe, dass zu den ersten drei noch eine ziemliche Lücke besteht.»

Welche letzten Anpassungen wirst du noch vornehmen bis zu den Spielen?

Tobias: «Die HitzeAkklimatisation steht im Vordergrund. Diese wird etwa einen Monat in Anspruch nehmen. Dann werde ich mich natürlich im Training und mental darauf einstellen, mich voll auskotzen zu können, um so das Startfurioso zu überstehen. Danach wird es bei den Rennen meist etwas ruhiger, wenn sich die Gruppen gebildet haben.» Catherine: «Es gilt den Feinschliff zu machen. Ich werde sicher noch an meinen Starts mit den relativ neuen Scheibenrädern arbeiten, da liegt noch was drin.»

Was sind deine persönlichen Ziele für die Spiele?

Catherine: «Gemeine Frage, da ich mir ja auch nicht zu viel Druck machen will. Träumen tue ich natürlich von einer Medaille.

Es muss alles passen, aber ich werde mein Bestes dafür geben und ich bin bereit, das spüre ich.» Tobias: «Ich will einfach meine beste Leistung des Jahres in Tokio abrufen. Alles andere kann ich nicht beeinflussen. Top fünf im Strassenrennen ist realistisch, weiter vorne wäre schön.»

Was darf in deinem Koffer nach Japan nicht fehlen?

Tobias: «Mein Bike (lacht), und ich freue mich auf die tolle Bekleidung. Biberli, Läckerli und Schoggi dürfen aber auch nicht fehlen. Eine Art Glücksbringer oder so habe ich aber nicht.» Catherine: «Ein gutes Buch, das mir hilft vor den Rennen abzuschalten. Ausserdem meine Lieblingsmusik auf meinem iPod – ja so etwas gibt es noch und ich liebe meinen. Das ideale «prerace meal» darf auch nicht fehlen: Appenzeller Biberli (lacht). Da bleibe ich der Ostschweiz treu.»

Was überwiegt: die Freude, dass die Spiele immerhin stattfinden können, oder der Ärger, dass es vielleicht nur unvollständige Zeremonien gibt, an denen nicht alle Athleten teilnehmen können?

Catherine: «Klar ist das schade. Da man diesen Moment, in dem die ganze Anspannung abfällt, bei der Schlussfeier nicht bewusst geniessen und im Idealfall den Erfolg feiern kann. Aber erst mal überwiegt die Freude darüber, dass die Spiele stattfinden können.» Tobias: «Ich habe mich noch nicht so genau informiert, wäre allerdings überrascht, wenn es neben der Eröffnungs auch eine vollständige Schlussfeier gibt. Auch wenn es natürlich schade ist, dass dieses verbindende Element der Paralympics verloren geht. Meine Einstellung ist voll auf die Rennen ausgerichtet, wir sind ja auch etwas ausserhalb und werden schon alleine deshalb nicht gross in Kontakt mit anderen Sportarten oder Athleten kommen. Ich bin

70-seitiges Playbook für Covid-freie Spiele

Bereits vor ihrer Anreise werden die Rachenschleimhäute der Schweizer Delegation strapaziert. Zwei PCR-Tests innert vier Tagen werden vom japanischen Staat verlangt, um überhaupt anreisen zu können. Am Flughafen wird dann gleich ein weiteres Mal getestet. Anina Basler von Rollstuhlsport Schweiz übernimmt die neu kreierte Drehscheibenfunktion in der Schweizer Delegation. Sie ist dafür verantwortlich, dass alle Delegationsmitglieder täglich ihre Temperatur in eine App des Veranstalters eintragen und zu den täglichen Spucktests erscheinen. «Die Spiele werden in einer riesigen Bubble ausgetragen, die aus einem Netz von Wettkampfstätten, Paralympic Village, Trainingsstätten, Hotels und offiziellen Transportmitteln bestehen. Mal kurz echtes local Sushi probieren in Tokio ist nicht erlaubt», erklärt Anina Basler die strikten Vorgaben des Veranstalters.

Auch die ansonsten so prunkvolle Schlussfeier mit den paralympischen Athleten wird kleiner ausfallen als in vergangenen Jahren. Denn alle ausgeschiedenen Sportlerinnen und Sportler oder solche, die ihre Wettkämpfe bereits absolviert haben, müssen spätestens 48 Stunden nach ihrem letzten Einsatz die Rückreise antreten. Für die Schweizer Delegation heisst das beispielsweise, dass die Handbiker sicher nicht an der Schlussfeier teilnehmen können. Auch bei den Leichtathleten müssen Athletinnen und Athleten gewisser Sportklassen die Heimreise vor der Schlussfeier antreten. Es sei denn, es kann eine Ausnahmebewilligung – wie zum Beispiel für einen Fahnenträger an der Zeremonie – für die Teilnahme an der Schlussfeier gestellt werden. Diese muss jedoch vorgängig beantragt und gut begründet werden.

«Olympische Test-Spiele»

Das Ziel der paralympischen Delegation sei es, den Athletinnen und Athleten optimale Bedingungen zu schaffen, damit diese dann ihre eigenen Medaillenziele erreichen könnten, kommentiert Roger Getzmann, Chef de Mission von Swiss Paralympic und Bereichsleiter von Rollstuhlsport Schweiz, seine Arbeit. Bei dieser Mission gibt es allerdings ein grosses Problem, nämlich dass der Erfahrungsschatz aus vergangenen Spielen nichts wert ist. Die Covid-19Pandemie hat Abläufe, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, verändert und Flexibilität wird nötig sein, um sich auf diese neuen Rahmenbedingungen einzustellen und gleichzeitig das Optimum für die Schweiz herausholen zu können. «Zum Glück gibt es ja vor den Paralympics noch einen Test-Event in Japan», meint der Chef de Mission mit einem schmunzelnden Blick auf die Olympischen Spiele. «Wir werden viel von den Erfahrungen, die Swiss Olympic macht, profitieren können.»

Dankbar ist Rollstuhlsport Schweiz den Städten Oita und Fukushima, die den Sportarten Leichtathletik und Badminton eine gute Akklimatisierungsphase vor den Spielen ermöglichen werden. Zum Schluss liess sich der Delegationsleiter dann noch eine Medaillenzahl entlocken: «Wir hoffen auf zirka sechs Medaillen.»

sehr gespannt, ob der extra Adrenalinkick Marke Paralympics bei mir dennoch eintreten wird vor den Rennen.»

Nimm uns mit in dein persönliches Ritual zur Rennvorbereitung. Bist du da eher der minutiöse, abergläubische Kontrollfreak oder der easy, gechillte mit den Kopfhörern auf?

Tobias: «Mit mir ist nicht gut Frühstücken vor einem Rennen. Ich bin eher der nervöse Typ. Danach bin ich froh, wenn meine Kollegin Sandra Graf das Brändi Dog auspackt, um die Zeit rumzukriegen bis zu den Wettkämpfen. Zudem hilft natürlich die Lektüre der Buchhändlerin meines Vertrauens. Sie empfiehlt mir immer ein paar Titel, die ich während solcher Reisen lese. Eine Stunde vor dem Wettkampf läuft bei mir dann immer etwa gleich ab: Ich kontrolliere mein Bike, einfahren, ab an den Start.» Catherine: «Ich bin so eine Mischung zwischen zurückziehen und mit Leuten noch ein Spiel machen und abschalten, damit auch die nötige Lockerheit da ist und man nicht verkrampft ist. Ich probiere aber schon viel zu ritualisieren, da der Körper so wenig Energie verliert und man so die nötige Sicherheit hat.»

@debrunnercatherine @tobicfankhauser

MIT DABEI SEIN

Erstmals in der Geschichte berichtet SRF täglich von den Paralympics. Das Magazin mit Jahn Graf, dem Youtuber im Rollstuhl, läuft ab 24. August, jeweils um 19.00 Uhr auf SRF 2.

14 Athletinnen und Athleten von Rollstuhlsport Schweiz selektioniert!

Die Schweiz reist mit 20 Sportlerinnen und Sportler an die Paralympics. 14 davon sind sitzend aktiv. Allen voran natürlich die Leichtathletik-Aushängeschilder, Manuela Schär und Catherine Debrunner sowie Marcel Hug und Beat Bösch. Patricia Eachus hat sich mit ihren Leistungen ebenfalls qualifiziert. Im Handbike wurden Sandra Graf, Sandra

Stöckli, Tobias Fankhauser,

Heinz Frei sowie Fabian Recher nominiert. Badminton wird bei der paralympischen Premiere mit Cynthia Mathez und Karin SuterErath vertreten sein. Als Einzelkämpfer im Sportschiessen und Tennis sind Nicole Häusler beziehungsweise Nalani Buob dabei.

Mehr dazu Alle weiteren Infos zu den Athletinnen und Athleten der paralympischen Delegation und den Wettkämpfen finden Sie unter: SwissParalympic.ch/Tokyo

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