Paracontact Herbst 2021_d

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LEBENSBERATUNG

INKOMPLETTE QUERSCHNITTLÄHMUNG

Zwischen Stuhl und Bank Menschen mit einer inkompletten Querschnittlähmung, welche (auch) zu Fuss unterwegs sind, erleben gleich verschiedene Herausforderungen. Von Alexander Post, Sozialarbeiter

Personen mit einer inkompletten Quer­ schnittlähmung, sei dies eine inkomplette Para- oder Tetraplegie, welche zu Fuss un­ terwegs sind oder nur teilweise einen Roll­ ­stuhl benötigen, berichten den Sozialarbei­ tenden der Lebensberatung des öfteren, dass sie das Gefühl haben, sie würden we­ der zu den Fussgängern noch zu den Roll­ stuhlfahrern gehören. Dieses Ge­ fühl der Nichtzugehörigkeit zeigt sich im Alltag, wenn sie sich zum Beispiel im öffent­ lichen Ver­kehr setzen müs­ sen, um die Beine bzw. den Kör­per zu entlasten. Dassel­ ­be Erlebnis haben sie, wenn es um Leistungen von Sozialversi­ cherungen geht. Die Betroffenen stel­ len fest, dass ihre Einschränkung nicht rich­tig eingeschätzt wird. Menschen aus dieser Personengruppe wer­ den von ihrem Umfeld einerseits als «fit» und körperlich kaum eingeschränkt wahr­ genommen und andererseits doch als zu wenig mobil, um mit Personen ohne kör­ perliche Einschränkungen mithalten zu können. Wegen dieses Umstandes wird ih­re Leistungsfähigkeit oft überschätzt. Ent­sprechend gibt es wenig bis keine zu­ geschnittenen Angebote für Menschen mit einer inkompletten Querschnittlähmung. Ihre Repräsentation und ihre Bedürfnisse werden zudem in der Werbung eher selten aufgenommen und porträtiert. Oftmals erreichen uns die Anfragen um Unterstützung erst, wenn der Leidensdruck der Betroffenen sehr hoch ist und sie kei­ nen Ausweg mehr sehen. Im vorhergehen­ den Artikel erzählt Mickaël Luternauer Paracontact I Herbst 2021

von seinen Erfahrungen. Laut seiner Be­ schreibung klammerte er die Tatsache der körperlichen Einschränkung vielfach aus. So habe er hundert Prozent gearbeitet und Sport getrieben, als ob nichts geschehen wä­­re. Leider führt diese Überbeanspru­ chung nicht selten zu einer Erschöpfung des Körpers und kann auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen, was wie­­derum Auswirkungen auf das Berufliche, das soziale Le­ ben sowie auf die Finanzen hat. Die Sozialarbeitenden der Lebensbe­ratung sind für In­ ter­ventionen in solchen Situatio­ nen geschult. Trotz allem berühren uns Schicksale wie jenes von Mickaël Luter­ nauer sehr. Er hat sich aus eigener Kraft Un­ terstützung geholt und sich unter ande­rem bei uns gemeldet. Nach dem inneren Pro­ zess der Akzeptanz und die nötige allei­ nige und gemeinsame Arbeit konnte er fast zwei Jahre später das Blatt wenden und steht nun an einem anderen Punkt. Es war für ihn bestimmt nicht einfach, sich zu­ aller­erst einzugestehen, dass die eigene Si­ tuation nicht mehr tragbar ist.

HINTERGRUND

Komplette und inkomplette Querschnittlähmung Komplette Querschnittlähmung Es sind keine motorischen und sensorischen Funktionen mehr vorhanden. Das Rückenmark ist komplett durchtrennt. Inkomplette Querschnittlähmung Es sind noch gewisse motorische und sensorische Funktionen unterhalb der Läsionshöhe vorhanden. Dennoch ist die Verletzung nicht weniger gravierend. Sie kann ebenso erhebliche Schädigungen zur Folge haben. (Quelle: paraplegie.ch)

Mehr Hintergrundwissen zur inkompletten Querschnittlähmung (www.spv.ch/inkomplett_d)

Mit Mickaël Luternauers Erfahrungsbe­ richt auf den Sei­ten 12 und 13 möchten wir einen Beitrag leisten, damit das Wissen für die spezifischen Problemfelder dieser Gruppe wächst und einladen, sich früh­ zeitig zu melden. Fühlen Sie sich durch diesen Artikel ange­ sprochen und sind Sie in einer ähnlichen Situation? Die Lebensberatung der SPV ist gerne für Sie da.

Wenden Sie sich an www.spv.ch Tel. 041 939 54 00 lb@spv.ch 15


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