LEBENSBERATUNG
ERFAHRUNGSBERICHT
Rückschläge und Neuanfänge
Die Tiefschläge in unserem Leben lehren uns Resilienz und zwingen uns, nach jeder Prüfung wieder nach vorne zu blicken. Auch eine Tetraplegie lotet regelmässig unsere Anpassungsfähigkeit aus.
Von Mickaël Luternauer, SPV-Mitglied
Ich heisse Mickaël, bin 47 Jahre alt und am Samstag, 11. Juli 1992 hat sich mein Leben komplett verändert. Während eines Wochenendes im Tessin verspüre ich den Drang nach Abkühlung und tauche in die Maggia. Der Wasser stand ist zu tief, mein Kopf schlägt auf dem Grund auf, ein Halswirbel wird ver letzt. Ich kann mich nicht mehr bewegen, kann nicht mehr atmen. Glücklicherweise gelingt es meinen Freunden, mich aus dem
Wasser zu holen. Schnell ist die Rega vor Ort und bringt mich nach Lugano, wo die Ärzte mich operieren. Die Diagnose ist eindeutig und unanfechtbar: Fraktur des vierten Halswirbels. Ich bin 18 Jahre alt, ich bin Tetraplegiker, ich werde nie mehr ge hen können. Nach vier Tagen Intensivstation werde ich in eine andere Welt verlegt: ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Es be ginnt eine lange, schwierige, schmerzhafte
Rehabilitation. Jede neue Bewegung, wie winzig sie auch sein mag, ist ein Sieg. Die Therapeuten verschieben immer wieder die Grenzen, gehen immer weiter. Nach und nach erwachen die Muskeln wieder zum Leben. Zuerst die Arme, dann die Beine und nach fünf Monaten verlasse ich das SPZ, aufrecht, auf meinen zwei Beinen. Das ist unverhofft … Einige Monate später habe ich das unglaub liche Glück, Crystel zu begegnen, die Frau, die seit 28 Jahren mein Leben teilt. Ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. Am 20. November 2004 heiraten wir unter Schneeflocken, im Kreise unserer Familie und unserer Freunde. Ein wundervoller Tag. Wir adoptieren 2011 unser erstes Kind aus Ruanda, 2017 heissen wir unseren zwei ten Sohn aus Haiti willkommen. Und 2019 schliesst unsere Tochter sich der fröhlichen Truppe an. Jeden Tag verspüre ich erneut tiefe Dankbarkeit dafür, eine so wunder bare Familie zu haben. Grenzen verschieben Trotz der Schwierigkeiten, die ich beim Ge hen oder bei der Ausführung gewisser Ak tivitäten habe, ist es für mich klar, dass ich 100% arbeiten werde, ohne Einschränkun gen. Daran halte ich auch dann noch fest, als mein Körper mir erste Alarmzeichen
Rückhalt in der Familie
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Paracontact I Herbst 2021