Hommage an George Padaroff Rainer und Horst Freitag Seneca mag mit seiner ironischen Bemerkung nicht ganz Unrecht gehabt haben, was den Lateinunterricht während unserer Zeit an der DSW von 1968-72 anging: 3Non vitae, sed scholae discimus 4 nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.1 Jedenfalls empfanden wir das damals so 4 mit unserem noch kurzsichtigen Blick für die unbestreitbar lehrreiche und disziplinierende Wirkung mancher Lateinstunde. Ohne Ansehen des jeweiligen Lateinlehrers liegt das in der Natur der Sache. Das Büffeln der Grammatik und Vokabeln einer nicht mehr gesprochenen Sprache sowie die Vergangenheit als Maßgabe des Unterrichts waren für uns alle nur bedingt reizvoll 4 die zwei oder drei begeisterungsfähigen Lateinschülerinnen bestätigten die Regel. Wir haben es überlebt, ohne Extrarunden. Für die großzügige kollegiale Nachhilfe insbesondere während der Lateintests danken wir unseren Mitschülerinnen von Herzen 4 besonders Emily und Barbara. Der Unterricht in dieser toten Sprache wurde nicht zuletzt dank ihrer Hilfe sehr lebendig. In seiner weltläufigen Umkehrung klingt Seneca0s Bemerkung für viele weit eingängiger und akzeptabler: 3Wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben.1 Ein bekanntes Postulat, das sich gut anhört. Wirklich? Würde jedenfalls unser damaliger Englischlehrer George Padaroff fragen. George Padaroff
Mr. Padaroff approaching 80 and enjoying retirement to the fullest as he plays a bit of Bach on his harpsichord at his home in Charlottesville, Virginia.
empfände es als völlig absurd, einen Gegensatz zwischen der Schule und dem Leben konstruieren zu wollen; so etwas könnten sich nur Theoretiker, Formalisten oder Bürokraten ausdenken. Nicht George Padaroff. Für ihn ist Schule Leben. Und zwar ein ganz entscheidender und prägender Teil des Lebens. Und so lebte er Schule und Leben vor, als Lehrer und als Erzieher: kein anderer Lehrer ist so sehr Teil der DSW und damit so sehr Teil unseres Lebens wie George Padaroff. Auch wenn wir es damals mehr spürten als bewusst wahrnahmen. George Padaroff wäre der Letzte gewesen, der Fleiß, das Büffeln von Vokabeln, grammatische Logik nicht zur essentiellen Voraussetzung für einen erfolgreichen Unterricht gemacht hätte. Er machte es. Und wie. Er legte absoluten Wert auf einen treffenden Ausdruck, die passende Vokabel und das richtige Adjektiv, einen logischen Aufbau und einen klaren Gedankengang. Nicht kraft seiner natürlichen Autorität oder gar herablassend, sondern kraft Erläuterung, mit Vergleichen und aus leidenschaftlicher Überzeugung. Ihm kam es zunächst einmal darauf an, dass wir unsere Auffassung, unsere Interpretationen so ausdrücken lernten, dass sie auch genau so, nur so und nicht anders verstanden werden konnten, als wir es meinten. Eine seiner klassischen Mahnungen: 0Don1t write: I believe, I think. What you write is what you believe, is what you think. What the reader wants to know is what you believe, what you think2! Mut zur eigenen Stellungnahme. Was für eine gute Schule! Da können selbst Juristen heute noch Sprachgefühl, Schattierungen und Präzision lernen. Und mehr. George Padaroff ermutigte uns sogar, Lateinunterricht ernst zu nehmen und dessen Wert zu erkennen. 0Make the best of it2. Positives Denken 4 nicht undifferenziert, aber immer vorwärtsblickend, wohltuend pragmatisch-amerikanisch. Aus seinem Mund war das nicht nur eine Ermutigung, sondern regte zum Nachdenken an. Aber all das ist für ihn nur eine, wenn auch enorm wichtige, handwerkliche Voraussetzung, nicht aber Unterrichtszweck. Mehr als andere machte er die Förderung von Können und von Denkfähigkeit zu seinem Unterrichtsziel. Erziehung verstanden nicht nur als Entfaltung von Anlagen, als Training oder als Wertevermittlung, sondern vor allem als Denkschulung am Unterrichtsstoff. Ob es 3The Raven1, A Tale of Two Cities, 3Dandelion1, Twelve Angry Men oder ein Klassiker von Shakespeare war, ihm ging es zunächst
Fünfzig Jahre Deutsche Schule
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