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Antja Sina: Kämpfer für die deutsche Kultur: Die DSW setzt Herta und Hugo Müllers Auftrag fort
by admissions
Kämpfer für die deutsche Kultur: Die DSW setzt Herta und Hugo Müllers Auftrag fort
Antje Sina
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Abend mit Goldrand. Draußen dämmert es bereits. Irgendwo im Haus tickt eine Uhr. Das Leder des alten Sessels knarzt. Ab und an durchdringt das Blättern einer Buchseite die Stille des Studierzimmers. Herta Müller liebt es, ihre Zeit zwischen all ihren Schätzen zu verbringen. Sie füllen die Wände des gediegenen Wohnhauses am Washingtoner Stadtrand. Auf dunkelbraunen Regalen reihen sie sich dort dicht an dicht bis unter die Decke. Die meisten sorgfältig in braunem Schutzpapier. Andere prächtig in Leder gebunden. Herta Müller ist vertieft in ein schweres Buch mit Leineneinband). Abend mit Goldrand, verrät sein Rücken. Der große Nachkriegsdichter Arno Schmidt nimmt sie gefangen. Als sie kurz aufblickt, begegnet ihr eifersüchtig vom Bord Goethes strenger Blick. Auch er mit Goldrand - auf einem Porzellanteller verewigt. Goethe, ihr Lieblingsdichter. In den Regalen führt er eindeutig das Regiment. Unzählige Stunden haben ihr Mann Hugo und sie mit dem Dichter aus Weimar verbracht. In ihrem Studierzimmer, in zahlreichen Vorträgen an der Georgetown Universität, auf Treffen der amerikanischen Goethe-Gesellschaft, die sie hier nach dem 2. Weltkrieg in Washington mit aufgebaut haben, als die deutsche Kultur noch in Trümmern lag. Die alte Frau seufzt und widmet sich wieder dem Abend mit Goldrand. "No wise man ever wished to be young again", liest sie in Schmidts Spätwerk. Hat sie sich auch gewünscht, sie wäre noch einmal jung?
Lächelnd blinzelt Herta Müller von einem vergilbten schwarz-weiß Foto in den abgetrennten Leseraum der Schulbücherei der DSW. Was sie bei der Lektüre ihrer Bücher gedacht hat, bleibt ihr Geheimnis. Herta Müller ist im Dezember 2006 im Alter von 97 Jahren verstorben. Doch das Inventar des Lieblingsraums aus ihrem großen Haus im Washingtoner Westpath Way hält sie und ihren Mann, den renommierten Germanistikprofessor Hugo Müller, hier lebendig. "Professor Dr. Hugo und Herta M. Müller Bücherei" heißt die Abteilung, in der ihre Bücher, Schriften, Fotos und viele andere literarische Relikte zum Fantasieren über das Ehepaar einladen, das sich über Jahrzehnte in Washington unermüdlich für die deutsche Sprache und Kultur eingesetzt hat. Herta und Hugo Müller hinterließen schließlich der Schule ihre Bibliothek und ein Vermögen von dreieinhalb Millionen Dollar, um diesen Kampf auch nach ihnen fortzusetzen.
Eine starke Frau sei sie gewesen, berichten die, die Herta Müller noch gekannt haben. "Sie wusste genau, was sie wollte - und wehe dem, der sich ihr in den Weg stellte." Die Fotos lassen daran keinen Zweifel. Sie zeigen eine große, elegante Frau mit energischem Gesichtsausdruck. Mal alleine, mal eng an der Seite ihres Mannes, der neben ihr fast zurückhaltend wirkt unter seinem dichten weißen Haarschopf. Zu- sammen wirken beide erst richtig stark. Ihr Vermächtnis unter- streicht diesen Eindruck: Ihre Bücher nämlich erzählen jedem, der sie hören möchte, die Geschichte der Müllers. Es ist die
Vor ihrem Wohnhaus am Westpath Way und Volkswagen-Käfer in Washington, DC: Professor Dr. Hugo und Herta M. Müller.
Abend mit Goldrand. Draußen dämmert es bereits. Professor Dr. Hugo und Herta M. Müller Bücherei Archiv Trennung von Hamburg. Bis zum Schluss bleibt sie ein Dorn in ihrem Herzen. Er sticht bei jedem Brief, den sie mit dem Hamburger Stempel bekommt. Er sticht bei jedem Blick auf den Kunstkalender an der Wand, den sie ab November 1991 "gar nicht mehr weiterblättern mag": Oskar Kokoschkas "Hamburg - Binnenalsterbecken 1938" zeigt das Bild, das die Zeit anhält. "Auch nach Jahrzehnten in Washington hat Herta Müller ihren Hamburger Dialekt beibehalten", erinnert sich die ehemalige Schulbibliothekarin Gabriele Sieg. "Bis ins hohe Alter hatte sie Briefkontakt zu ehemaligen Schülern in ihrer Heimat."

Katalysator: Der Germanistikprofessor Hugo Müller - hier mit seiner Frau Herta - war unter denen, die die Initialzündung für die erste deutsche Schule in Nordamerika gaben. Geschichte eines unzertrennlichen Paares, das in über fünf Jahrzehnten Washington viele Spuren hinterlassen hat. Gleich beim Aufschlagen des ersten Werks entführt das feingezeichnete Ex Libris von Hugo Müller in diese Geschichte: Ein Segelschiff auf hoher See führt über tosende Wellen . . . . . . nach Hamburg. Dort wuchsen Herta und Hugo in unterschiedlichen Teilen auf. Zum ersten Mal aber liefen sie sich im Herbst 1931 als Studenten an der Universität über den Weg. Sie wollte Deutsch- und Englischlehrern werden. Er studierte Germanistik und Philologie. Seinen Kopf verlor er allerdings an ihre Beine. Denn gefunkt habe es auf einem Tanzabend, verriet Hugo Müller später einmal einer Zeitung. 1936 heiraten sie. Dann kam der Krieg - und die Trennung, die beide stets als die schwierigste Zeit ihres Lebens beschrieben haben. Sieben Jahre blieb er fort. Sie verdrängte Angst und Sorge mit ihrer Arbeit. Als eine von wenigen Frauen unterrichtete Herta Müller an einer Jungen-Oberschule in Lokstedt. Irgendwann kam endlich die erlösende Nachricht: Hugo Müller war als Kriegsgefangener in den USA gelandet. Er lebte! Und er plante dort ein neues Leben für die beiden. Als er das Angebot bekam, als Berater für den diplomatischen Dienst im State Department zu arbeiten, überredete er Herta zum Übersiedeln. Wie das Segelschiff aus dem Ex Libris kreuzt nun Herta Müller auf tosenden Wogen den Atlantik. Weihnachten 1952 sei sie "rübergeschaukelt", hat sie in einem Interview erzählt. Drüben angekommen schmerzt die
Dass sie dennoch nach Washington gehörte, daran bestand für die weltoffene Frau nie ein Zweifel. Schließlich gehörten sie zusammen: Herta und Hugo. Hugo, der im selben Jahr wie sie geboren war und der ihr bis zum Schluss Gedichte schrieb. Beide waren Professoren, beide teilten mit der deutschen Sprache dieselbe Leidenschaft. Beide erhielten das Bundesverdienstkreuz dafür. Denn das, wofür sie sich stark machten, war im Schatten der Nazi-Greuel in der amerikanischen Hauptstadt, wie anderswo auf der Welt nicht das begehrteste Gut: Deutsche Kultur. Doch Hugo Müller gelang es, dem etwas ent- gegenzusetzen. Er half, die Deutschabteilung an der Georgetown Universität mit aufzubauen. Herta, die zunächst als Deutschlehrerin im State Department gearbeitet hatte, unterstützte ihn später als Lehrkraft an der angesehenen Universität. Dann wechselten beide zur American University. Herta Müller wurde Präsidentin der American Association of Teachers of German. Da waren die beiden Hamburger schon längst zum Magneten der Deutschen Gemeinde in Washington geworden. "Sie haben einen intimeren, kulturinteressierten deutschen Kreis fest zusammen- gehalten. Sie haben uns so etwas wie eine Heimat in der Fremde gegeben", erinnert sich Gabriele Sieg. "Es war eine Zeit, in der sich die deutsche Kultur langsam wieder von ihrem Negativimage erholt hat. Nach dem Krieg wollte niemand in der Welt mit Deutschland zu tun haben" erzählt die Philologin, die sich im kalifornischen Santa Barbara zur Ruhe gesetzt hat. "Die Müllers haben sich Mühe gegeben, dies zu ändern." Hugo Müller wurde Ehrenpräsident der Goethe Society of Washington DC und hielt dort zahlreiche Vorträge.

vermachen sollte", erinnert sich Gabriele Sieg. Nicht zuletzt dem guten Verhältnis zu ihrer Literaturfreundin an der Deutschen Schule sowie zahl- reichen Gesprächen mit anderen Mitarbeitern der DSW ist es zu verdanken, dass Herta Müller sich zu ihren Gunsten entschied. "Sie kam zu dem Schluss, dass es sinnvoller wäre, das Erbe einer deutschen Einrichtung zu überlassen - wo alles auch gewürdigt wurde."
Lesezimmer der Professor Dr. Hugo und Herta M. Müller Bücherei an der Deutschen Schule Washington, DC Gabriele Sieg, die sich zu dieser Zeit als Lehrkraft für klassische Literatur aus Harvard abwerben ließ, um in den 60er Jahren die Bibliothek der neugegründeten Deutschen Schule aufzubauen, durfte sich später als Lohn dafür mit den Müllers in den Reigen der Bundesverdienstkreuzträger reihen. Sie genoss die monatlichen Literatur-Vorträge und Musikabende der Goethe-Gesellschaft, die sich aus Raumnot anfangs im Schwimmbad eines YMCA treffen musste. "Herta hat das sehr geschätzt", sagt Sieg. "Sie war so vernarrt in deutsche Literatur. Stets war sie auf dem neusten Stand." Was nichts an ihrer alten Liebe änderte: Goethe. Besonders seine Gedichte hatten es ihr angetan. "Und wehe demjenigen, der ihr da widersprach - der wäre über Frau Müller nicht weggekommen!", lacht Bibliothekarin Sieg. "Wenn es um Literatur ging, konnten sich selbst die Müllers schonmal streiten." Herta und Hugo - in den Augen der Literaturfreunde ist es ein perfektes Zusammenspiel: Er hält die Vorträge - sie hilft ihm bei der Ausarbeitung und macht den gesellschaftlichen Teil. Die Goethe-Society wächst und darf schließlich für ihre Treffen in die Botschaft ziehen. Deutsche Literatur ist wieder gesellschaftsfähig in der US-Hauptstadt. Die Müllers sind zu einer festen Institution geworden. Immer präsenter sind sie. Immer unzertrennlicher. Die Erinnerung an ihre gewaltsame Trennung während des Kriegs schmerzt sie bis ins hohe Alter. Dann wird Hugo Müller krank. Ein Jahr noch kümmert sich Herta Müller um ihren geliebten Mann. 2002 stirbt ein Teil von ihr und lässt sie allein zurück. Die Witwe, die einen guten Draht zu Schul- bibliothekarin Sieg hat, vermacht der DSW seine Bibliothek. Wie auch das gemeinsame Vermögen wollte Hugo Müller sie ursprünglich der Universität vermachen. Doch er ließ seiner Frau das letzte Wort und stellte ihr frei, das Testament zu ändern. "Sie hat lange darüber nachgegrübelt, wem sie ihren Nachlass
Den Umzug ihrer Bücher, darunter Erstausgaben und andere antiquarische Exemplare, erlebte Herta Müller noch. Während in der Schulbücherei eine Kopie ihres geliebten Lesezimmers mit den Original-Bücherregalen und Vitrinen wieder entstand, zog Herta Müller ins Pflegeheim. Regelmäßig besuchte Gabriele Sieg sie dort. "Bis zum Schluss war sie eine starke Frau, die wusste, was sie wollte." Was Herta Müller vor allem wollte, war, dass der Nachlass des Ehepaars zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur genutzt wird. Die Schule respektiert ihren Willen: Mit dem Geld der Herta Müller Stiftung konnten seit 2006 zahlreiche Lehrer für deutsche Sprachförderung finanziert werden. Etlichen Schulkindern, deren Muttersprache nicht deutsch ist oder denen die deutsche Sprache im Ausland leicht abhanden gekommen war, konnten auf diese Weise den Sprung in die weiterführende Schule schaffen oder sie mit dem deutschen Abitur in der Tasche wieder verlassen. Mithilfe des Müller-Nachlasses sollen Schüler, Lehrer und andere Mitglieder des Schulvereins künftig in einem weitaus angenehmerem Bibliotheks-Ambiente ihrer Lektüre nachgehen und studieren können: Es gibt Planungen, die Schulbücherei mit einer Wärme- und Geräusch-dämmenden Glaswand zu umschließen. Über das jüngste Ergebnis der Stiftung, strahlt auch Gabriele Sieg, "hätte die Herta sich gefreut wie eine Schneekönigin!" Seit Frühjahr 2011 vergibt die DSW nämlich zwei Stipendien für Schüler, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Das "Herta Müller Scholarship" ist ab sofort eine jährliche Ein- richtung. Mit ihr leben Herta und Hugo an der DSW weiter. Solange es die Schule gibt, wird ihr Einsatz für die deutsche Sprache auch in ihrem Namen fortgesetzt.
