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Anfänge der Binnendifferenzierung

Malerei im Team Anfänge der Binnendifferenzierung

Ulrike Voss-Thorn

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Meist zieht der Künstler sich zurück in die Stille seines Ateliers und folgt im Schaffen seinen eigenen Visionen, seinem eigenen Rythmus. So verbringt er unzählige Stunden als Herr und zugleich Knecht seiner Ideen. Auch der Schüler freut sich auf eine gewisse aktive Freiheit im Kunstunterricht, nur bekommt er für die Ausführung seiner Ideen vergleichsweise wenig Zeit. Da kann er sich selten große Sprünge leisten.

Was aber, wenn man sich zusammen tut? Wo viele Wenig ein Viel erzeugen können, da ist man gerne dabei. Mit etwas Konsensusbildung, Organisation, Arbeitsteilung und Spielregeln, vor allem aber einem festen Abgabetermin gehen die Schüler gespannt und willig an die Arbeit. Die von John Dewy berühmt gemachte Projektmethode nimmt ihren zum Teil lebhaften Lauf, der Lehrer wird zum Berater, zuweilen auch Handlanger und schließlich zum Inspektor der Spurenbeseitigung. Etwas Wirkliches hat stattgefunden, alle haben mehr als je zuvor gearbeitet, die Backen sind rot, es wurde gelacht, geschimpft und vor allem gestaunt. Ja, das hätte man nicht gedacht, dass das Ergebnis so wie aus einem Guss aussehen würde oder dass so viele verschiedene Einfälle zusammengetragen würden oder so viel Fläche in so kurzer Zeit bemalt werden würde.

Lange erfreuen wir uns an den farbigen Wänden und Pappen, die der Schule eine andere, lebensbejahende Note geben im grauen Einerlei. Wir wollen hier einige Arbeiten der letzten sechs Jahre vorstellen, die zur Zeit noch in der Schule zu finden sind.

1. Eine alte Backsteinwand stand draußen in der Nähe der Turnhalle, wo früher einmal die Raucherecke war, die dann zum Klassenraum im Freien umfunktioniert werden sollte. Diese von der Sonne gnadenlos erhitzte und mit Graffiti bedeckte Wand sollte nun ein neues Gesicht bekommen.

Im Juni 2006 wurde sie in der Projektwoche zum Thema Europa und Schüler der bemalt. Etwa sechzehn Schülerinnen Oberstufe hörten sich die Geschichte vom Raub der Europa von Ovid an und entschieden,

dass sie ihre eigene moderne Geschichte vom zukünftigen Schicksal Europas an die Wand malen wollten. Ein feuriger Drachen erschien im Himmel über dem Meer. Hitze und Feuchtigkeit stiegen von der Oberfläche auf und mit ihnen wuchs ein Regenwald, der die Zeugnisse menschlicher Kultur überwucherte und zurückgab an die Natur. Im Schweiße ihres Angesichtes verwandelte die Schülerschar den heißen Backstein unter anderem in ein erfrischendes Meer. Zur Mittagsstunde wurde es unerträglich. Welch ein Segen war da die Luftkühlung in der Schule, die aber zur weiteren Erhöhung der Außentemperatur führte. Ein Teufelskreis für den fleißigen Wandbemaler! Die Schülerin Nina Prader schaute dem Treiben zu. Das sah die neue Kunstlehrerin UlrikeVoss-Thorn und machte ein Foto. Du bist Europa. Nun male Dich dorthin, wo du am Strand gestanden hast; denn das war sehr schön so. auf Und siehe da, die und malte sich Schülerin nahm den Gedanken im Handumdrehen aus der Erinnerung in das Wandbild hinein. Inzwischen ist sie eine unserer Kunststudentinnen und bemalt in Boston weiterhin große Wände. Als andere Schülerinnen und Schüler, die sich praktisch mit zeitgenössischer Mode beschäftigt hatten, von der Geschichte hörten, kamen sie am Ende ihrer Modenschau und standen Modell für verschiedene Versionen der neuen Europa. Leichte Bekleidung war besonders gefragt.

Eine Holzwand verkleidete die gesamte Cafeteria während ihres Umbaus. Drei Wochen lang durften sich junge Künstler verwirklichen. 2. Im folgenden Jahr war die zu bemalenden Wand um ein vielfaches gewachsen. Sie umgab die gesamte Cafeteria während ihres Umbaus und sollte innerhalb von drei Wochen von den verschiedenen Klassen bemalt werden. Da mußte sich die Kunstlehrerin was einfallen lassen. Mit dem geäußerten Wunsch, dass jede Klasse eine Wandeinheit bekommen sollte, war sie nicht einverstanden. Wie sollten zwanzig Kinder gleichzeitig auf einer Fläche von eineinhalb mal drei Metern arbeiten?

Schließlich entstand folgendes Konzept: Die 13. Klasse gab der Ummantelungswand eine zusammenhängende Umrahmung in Form einer Umrisszeichnung, die oben von der 11. und unten von den 5. Klassen angemalt wurde. Die 8. Klassen malte den Himmel mit Wolken. Die 12. Klasse malte lebensgroße Schüler und Schülerinnen, wobei sie sich selbst als Modell nehmen konnten, die gerade dieses Wandbild malten. Die 9. Klassen malten die blauen Berge in der Ferne, die 11. Klassen malten die Landschaft direkt hinter den Gestalten. Die 13. Klasse malte architektonisch interessante Gebäude, die besonders gut in in diese Landschaften passten. Die 7. Klassen malten alles, was wächst und und blüht. Die 6. Klassen malten alles Getier auf dem Land, und die 5. Klassen malten überall, wo sie wollten, Schmetterlinge - nah und fern. Nur die 10. Klasse kamen nicht zum Zuge, weil sie keine Kunst in diesem Jahr hatten. Alle Klassen hatten die Wand als Ganze zu bearbeiten in jeweils zwei Doppelstunden. Es war ein besonderes Erlebnis, die langsame Verdichtung

und Verzahnung der Themen mitzubekommen! Andere Bereiche der Schule wie die Grundschule, die Sprachenschule oder der Geographie-Unterricht und der Sozialkundeleistungskurs erhielten zur Gestaltung ebenfalls ihre eigenen Bereiche. Nina Prader trug zu dem Projekt mit ihrem Bild Innenleben bei. Zur Vollendungsfeier stifteten die Friends of the German School Eis für alle Beteiligten und ihre Betreuer. Anschließend sollte das Werk abgerissen werden. Das tat uns aber um die Bilder leid, und wir verhandelten nach etlichem Hin und Her, dass wir die Hälfte der Wandteile behalten durften, die wir dann an verschiedenen, eher dunklen Orten der Schule aufgehängt haben.

3. Weitere Wandbilder entstanden in kleineren Gruppen. Ein beliebtes Thema wurde für die 13. Klasse, ein gemeinsam gemaltes großes Bild auf aneinander gelegten Leinwänden durch Trennung auf die größere Fläche einer Schulwand zu hängen. Es gab ihrer Meinung nach etwas von ihrem Gefühl wieder, wie man sich als Individuum in einer Klasse fühlt. Die bevorstehende wirkliche Trennung nach dem Abitur wurde so sehr eindringlich vor Augen geführt. Eindeutig blieb eine Erinnerung an das Gesamtbild in jedem einzelnen und die Sehnsucht nach der Nähe zueinander.

4. Als 2008 wieder eine Projektwoche nahte mit dem Thema Transport und Amerika , erfüllten wir den Wunsch von Herrn Voigt nach einer Wandbemalung des Eisenbahnraumes und stellten auf 13 Holztafeln Amerika da - von der Golden-Gate Brücke in San Franzisko über die Rocky Mountains bis zu den Stränden am Atlantik. Selbst der Himmel bekam eine besondere Gestaltung mit Heißluftballons und Segelfliegern mit Eisenbahnreklame. Leider wird der Raum jetzt anderweitig benutzt, und so stehen unsere Tafelbilder momentan heimatlos im Kunstraum.

5. Im Jahre 2009 feierten wir das zwanzigjährige Jubiläum des Falls der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland. Ein idealer Fall für unsere inspirierten Wandbemalungskünstler. Diesmal durfte die 12. Klasse im Zuge ihrer Architekturstudien heimlich am Freitag spätnachmittags durch die ganze Deutsche Schule eine Mauer ziehen. Die ersten Bausteine lieferte uns gratis unser neuer Direktor Waldemar Gries in Form von unzähligen Umzugskartons. Weitere Unterstützung kam von der deutschen Botschaft, die uns eine große Replika der Berliner Mauer zur Verfügung stellte. Unser Haus - Techniker Fabian Peters überraschte uns am Ende mit einem wahren Regen an schön gleichmäßig großen Kartons, die er für uns besorgt hatte. Stühle, Sofas, Schränke: alles was nicht niet - und nagelfest war, wurde gestapelt und zusammengerückt, bis nirgendswo mehr ein Durchkommen war, bis auf unseren Checkpunkt Charley: das Auditorium, wo die Geschichtslehrer der Oberstufe zu einem Augen- zeugenbericht mit Diskussion eingeladen hatten.Wir hatten nämlich etliche Lehrer aus der DDR, die das alles hautnah miterlebt hatten. Die Klasse hatte dann den Auftrag, den Jubiläumstag in der Schule so zu orchestrieren, dass für alle Geschichte lebendig wurde. Sie stellte die Mitglieder der Volkspolizei, bis am frühen Nachmittag die Mauer fiel. Schließlich mußte sie den Schutt mit Hilfe der Schülerschaft beseitigen.

Das Jubiläum des Falls der Mauer inspirierte diese Wandbemalung.

Zur Wandbemalung des Eisenbahnraumes stellten Schülerinnen und Schüler auf 13 Holztafeln Amerika dar -- von der Golden-Gate Brücke in San Franzisko über die Rocky Mountains bis zu den Küsten am Atlantik.

Ein sehr langes Bühnenbild auf sechs riesige Pappkartons, die einst unsere weißen Smartboards behaust hatten, wurde 2010 für das Theaterstück Der Löwe ist los hergestellt.

Rückmeldungen der Eltern bestätigten unseren Erfolg. Die Klasse 12 erhielt die Gesamtnote Eins für ihre Organisation und Ausführung dieses Happenings.

6. Der Direktor des Theaterstück

Christoph Zänglein, Der Löwe ist los , stellvertretender Schulleiter im letzten Jahr, suchte 2010 nach einer Gruppe von Schülern, die ein sehr langes Bühnenbild herstellen könnten. Nichts Kunstlehrerin Frau leichter als das , sagte dazu Voss-Thorn und verwickelte die die 10. Klasse, die gerade Fragen der Malerei studierte, in einen klasseninternen Wettbewerb, den das Team Vanessa von Moltke und Friedrike Solf gewann. Daraufhin übertrug die gesamte Klassenmannschaft die kleine Skizze auf sechs riesige Pappkartons, die einst unsere weißen Smartboards behaust hatten, und bemalte sie in einer Doppelstunde in Farben, die dem Stück eine märchenhafte Wirkung gaben und bis heute der Aula eine deutsch-expressionistische Aura geben, die Herz und Auge erfreuen und zu weiteren Farbstudien einladen. 7. Gegenüber von diesem Bühnenbild Tag und

Nacht in einer Stadt

steht unser neuestes Wandbild mit dem Titel Fahrt durch s Jahr . Es wurde von einer kleinen Gruppe in der Kunst AG gemalt unter der Leitung von Frau Lina Vargas, der zweiten Kunstlehrein im zweiten Jahr bei uns. Hier wurde das Phänomen der Veränderung im Bild festgehalten. Die von den Schülern selbst aufgezogenen 4 großen Leinwände sollten im Aufenthaltsraum der Oberstufe zu stehen kommen. Der Raum hat aber inzwischen schon wieder eine neue Funktion erhalten und so müssen die Wandbilder auf Wanderschaft nach einem neuen Standort gehen. Veränderung ist immer ein großes Thema an der Deutschen Schule in Washington. Ein Weilchen arbeiten wir zusammen aber viele von uns sind hier auf der Durchreise. Wir müssen flexible bleiben und dürfen uns an nichts zu sehr binden. Zugleich müssen wir unseren Schülern ein verläßliches Program bieten, innerhalb dessen sie im Lernen wachsen können. Ein neues Gebäude für die Naturwissenschaften ist in diesem Jahr entstanden. Die bisher größte Wand in der Eingangshalle wird der Laszurkünstler Chuck Andrade aus Colorada bemalen und dabei Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse in diese Technik der Wandbemalung einführen. Damit kännen sie dann, wohin sie auch ziehen mögen, ihre eigenen Wände gestalten.

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