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Christoph Zänglein: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt"
by admissions
Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt
Schultheater an der Deutschen Schule Washington, D.C.
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Christoph Zänglein
Der Vater eines unserer Abiturienten hatte sicher nicht Friedrich Schillers Zitat im Kopf, als er mich vor ein paar Jahren während der feierlichen Verleihung der Abiturzeugnisse mit folgenden Worten ansprach: Ein ganz erheblicher Einfluss auf das ausgezeichnete Ergebnis meines Sohnes geht sicherlich auf das Schultheater zurück. So selbstsicher, konzentriert, so war er vorher nicht. Dieser Schüler ein Einzelfall?
Über die Jahre hinweg waren die Aufführungen der Theater-AG der DSW stets ein ganz wichtiger Termin im Veranstaltungskalender der Schule. Anlässlich der 50-Jahr-Feier der Schule ist es angebracht, einmal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Shakespeare, Hildesheimer, Lenz, Wedekind, Frisch und viele andere Autoren wurden in 50 Jahren DSW von Schülerinnen und Schülern und ihren wech- selnden Spielleitern auf die Bühne gebracht und der deutschen Community vorgestellt. Immer wieder neue Generationen von Schauspielern, nie ein Mangel an Bewerbern und wer einmal wieder tun. Warum? Fragt man gespielt hat, wollte es die Schüler, ihre Eltern und ihre Lehrkräfte, so formt sich ein Bild, das für Schultheater generell so oder zumindest ähnlich gezeichnet werden kann. So ist stets die Rede von befreienden Erfahrungen, die die Kinder und Jugendlichen während der Proben und Aufführungen machen. Auf und hinter der Bühne sind plötzlich
Für viele Schülerinnen und Schüler der Klassen 6a, 7a und 7b war der Löwe das erste Theaterstück, in dem sie mitspielten.


Christoph Zänglein spielte die Rolle des Löwen in der Aufführung von Max Kruses Der Löwe ist los ein Musical für klein und groß.
Talente gefragt, die im üblichen Unterricht kaum eine Rolle spielen. Interaktive Kompetenzen treten in den Vordergrund, welche im Verbund mit mündlicher Kommunikationsfähigkeit erprobt und erweitert werd- en. Und wo sonst findet man eine vergleichbar nach- haltige Identifikation mit vorgegebenen Lerninhalten?
Das oben erwähnte Zitat des stolzen Vaters belegt, dass schulische Theaterarbeit Schülerinnen und Schüler für bestimmte gesellschaftlich positiv gewertete Handlungsweisen qualifiziert, werden doch im Produktionsprozess diverse Schlüsselqualifikationen vermittelt. Teamfähigkeit ist hier an erster Stelle zu sehen. Wer einmal auf der Bühne gestanden hat und in Panik zehn Sekunden auf den verspäteten Auftritt eines Mitspielers gewartet hat, weiß ganz genau, wovon ich spreche. Zuverlässig sein, Kommun- ikationsfähigkeit, rhetorische Schulung, kreatives und selbständiges Arbeiten, Sozial- kompetenz, ästhetische Bildung, ganzheitliches Lernen, Mut zur Präsentation vor Publikum und, für eine Auslandsschule besonders wichtig, präzises Aussprechen der deutschen Sprache sind nur einige Aspekte, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden müssen.
Wie geht nun die Annäherung eines Jungschauspielers an seine ihm vom Spielleiter zugewiesene Rolle vonstatten? Die erste und grundlegende Frage lautet in diesem Zusammenhang zunächst: Was hat die Rolle mit mir zu tun? Das bedeutet: Der Zugang erfolgt in der Regel zunächst individuell aus dem Blickwinkel der eigenen Erfahrungen, Erinnerungen, Beobachtungen, der eigenen Biographie, eigenen Überlegungen und Vorstellungen, von dem, was sein könnte oder sein sollte. In der Probenarbeit während des Schuljahres muss der Spielleiter dann allerdings darauf achten, Abbildungen von privatem Alltagsverhalten und reine Selbstdarstellung zu minimieren. Geschieht das erfolgreich, welch faszinierende ästhetische Erfahr- ungen stehen den Schüler-Spielern dann offen! Die Differenz von Spieler und Rolle, von eigener und fremder Leiblichkeit, und zwar nicht nur bei sich, sondern auch bei seinem Rollengegenüber, der ja auch eine fremde Erscheinung verkörpert. Schüler spielen andere Menschen, verstehen und erleben sie, versetzen sich körperlich und geistig in andere Figuren und erleben und erfühlen sie in einer anderen Wirklichkeit zwischen Rolle (hoffentlich) ohne die Differenz und Rollenträger zu übersehen! Denn welcher Schüler wäre nicht gern auf Dauer schlagfertig wie ein shakespearscher Narr, erfolgreich, mutig, lustig und beim anderen Geschlecht begehrt? Wer lässt nicht gern Sorgen, schulische oder familiäre Probleme, subjektive Ängste zurück und schlüpft in ein buntes Kostüm und bewegt sich, agiert und spricht anders, als man es eigentlich zu tun gewöhnt ist?
In über 20 Jahren als Leiter diverser Schul-Theater- gruppen habe ich Generationen von schauspielenden Schülerinnen und Schülern erlebt. Jede und jeder Einzelne hat von dieser Zeit erheblich für seine individuelle Persönlichkeitsentwicklung profitiert. An allen Schulen sind in diesem Zusammenhang die Rahmenbedingungen anders. In Deutschland laufen zurzeit intensive Klagen, weil verschiedene Kultusministerien die schulische Theaterarbeit aus Kostengründen zurückgefahren haben und weitere Streichungen zumindest diskutieren. Die Möglich- keiten und die Unterstützung, die die Deutsche Schule Washington, D.C. ihren Jungschauspielern und den jeweiligen Spielleitern bietet, sind allerdings stets vorbildlich gewesen. Von Kürzungen ist hier nicht die Rede. Und deswegen bin ich mir sicher, dass auch in Zukunft alle Beteiligten von der schulischen Theaterarbeit an der DSW profitieren Schüler, Lehrer, Eltern und alle zukünftigen werden Zuschauer.