11 minute read

Ansgar Graw: Der Leuchtturm, den niemand sehen soll

Der Leuchtturm, den niemand sehen soll

Smart Diplomacy oder Wie die DSW trotz vieler Widerstände zu ihrem naturwissenschaftlichen Erweiterungsbau kam

Advertisement

Ansgar Graw

Naturwissenschaften haben keinen hohen Coolness- Faktor. In Deutschlands Universitäten drängeln sich angehende Wirtschaftswissenschaftler, Maschinen- bauer, Juristen, Germanisten, Mediziner, Informatiker, Anglisten und Elektrotechniker. Physik, Biologie und Chemie kommen nicht in die Top-10-Rankings. In den USA sieht es kaum anders aus. Dabei verdienen junge Physiker im Durchschnitt etwa so viel wie Mediziner, Chemiker haben traditionell gute Aussichten auf dem deutschen Stellenmarkt und inzwischen landen auch Biologen bei der richtigen Spezialisierung über dem Gehaltsniveau von Rechtswissenschaftlern oder Diplomkaufleuten. Experten sagen den Naturwissen- schaften eine noch prächtigere Zukunft voraus. Schließlich nehmen mit einer wachsenden und älter werdenden Weltbevölkerung die fächerspezifischen Herausforderungen bei der Energieerzeugung, auf dem Gesundheitsmarkt und bei der notwendigen Lebens- mittelversorgung zu.

* * * An dieser Zukunft wird überall gebastelt auch im Chateau Drive in Potomac. An der dortigen Deutschen Schule Washington wurde im Februar 2011 der naturwissenschaftliche Trakt fertig gestellt. Er ver- änderte den Rahmen für den Unterricht in den Fächern Physik, Chemie und Biologie für die Schülerinnen und Schüler der Klassen 4 bis 12 gründlich. Und er signalisiert deutschen und amerikanischen Universitäten, Unternehmen und Forschungsein- richtungen: Wir bilden den Nachwuchs aus, den ihr braucht. Schüler, die in allen Fächern ambitioniert gefördert werden, aber in den Naturwissenschaften

Schülerinnen and Schüler der 10A (2011) mit dem neuen Naturwissenschaftlichen Gebäude im Hintergrund

Das Architektenbüro Geier, Brown, Renfrow und der Generalbauunternehmer Whiting Turner waren verantwortlich den Leuchtturm

am Chateau Drive zu verwirklichen.

neuerdings einen besonderen Schliff bekommen

der bilingualen Grundierung ganz zu schweigen. von

Zuvor waren die Unterrichtsräume zu klein, ihre Zahl zu gering, die Apparaturen veraltet. Weil es keinen abgetrennten Vorbereitungsraum gab, strömten, rochen und reagierten Chemikalien mitunter im gleichen Klassenzimmer, in dem sich Schüler konzentrieren sollten. Die Physik- und Biologie- ausstattung wird in der Rückschau von freundlichen Zeitgenossen als diplomatischen beschrieben. So suboptimal und von weniger Beobachtern als miserabel erinnern sich Zeitzeugen an Schallschutzelemente, die während des Unterrichts von der Decke fielen. Mancher mag sich beim Chemieunterricht in Feuerzangenbowlen - gewähnt und jeden Moment damit gerechnet Zeiten haben, dass in der zur drogenfreien Zone erklärten DSW gleich Gymnasialprofessor Crey, genannt Schnauz, um die Ecke biegen würde: Jeder nor einen wönzigen Schlock, sonst steigt er in den Kopf'.

* * * Am Anfang war die Einsicht, dass die beschriebenen Mängel nur durch einen Neubau im Chateau Drive, der Adresse der DSW seit 1975, zu bewältigen seien. Gut fünf Jahre vergingen von dieser Idee bis zur Schlüsselübergabe. Das eigentliche Bauen schluckte die geringste Zeit. Die Finanzierung war komplizierter: Der Bundesrepublik Deutschland gehören Grund und Boden und die Gebäude. Aber der Schulverein, der mit dem Bund eine Nutzungsvereinbarung geschlossen hat, war der Bauherr. Weil dieses usufruct agreement eine recht kurze Kündigungsfrist vorsieht, musste die Kreditlaufzeit angepasst werden. Der Schulverein handelte mit dem Auswärtigen Amt eine neue Nutzungsvereinbarung aus. Das geschah 2009 Jahr nach dem Wall-Street-Crash und auf im dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, als Banker auf Risiken ungefähr so scharf waren wie Vegetarier auf T-Bone-Steaks.

Am 24. Februar um 17.05 Uhr hatten Schulleiter Waldemar Gries und Jens Hanefeld, der stellvertretende Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, unter dem Beifall von Schülern, Eltern und Ehrengästen die ersten Spatenstiche getan.

Beim Bau des Kellers wird Grundgestein zerrissen (links) und Betonierung der Grundmauern findet statt (rechts).

Der gute Name der Schule und das positive Cash Flow Statement stellten schließlich doch die Finanzierung durch eine österreichische Bank und die Refinanzierung durch die bundeseigene KfW-Bank sicher. Eltern zahlen seit ein paar Entwicklungsgebühr, die zur Tilgung Jahren eine des Kredits genutzt wird , erläutert die jetzige Vorsitzende Schulvereins, Jutta Frankfurter, und sie werden wohl noch mindestens für die nächsten 12 Jahre des das tun müssen .

Im Jahr 2008 genehmigte die Planungsbehörde von Montgomery County das Projekt im Grundsatz. Das sorgte nur für kurzfristige Erleichterung in der Schule um ihren damaligen Leiter Klaus-Dieter Bloch. Denn der Kampf war damit keineswegs gewonnen. Im Chateau Drive ist die Zahl theoretischer Befürworter einer guten Schulbildung größer als die derjenigen, die sich unablässig darüber freuen, in der Nachbarschaft einer quirligen Lehranstalt leben zu dürfen. Neun Schulbusse mit Dieselmotor, die dreimal täglich den Chateau Drive hinauf und hinunterfahren, sowie rund 200 Autos von Lehrern, Eltern und Schülern gelten nicht unbedingt als wertsteigernde Faktoren für die durchschnittlich auf rund zwei Millionen Dollar taxierten Wohnhäuser.

Widerstand war also programmiert. Darum ließ sich die Schule von der Behörde als zweites Projekt die Durchführung hatte damit von summer camps genehmigen Verhandlungsmasse in der und Hand. Diese camps hätten die Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur über den Kreis der eigenen Schüler hinaus Kindern und Jugendlichen im Großraum Washington angeboten und der Schule eine weitere Einnahmequelle eröffnet. Aber bedeutet, dass an 365 Tagen unterm Strich hätte das Schulbetrieb geherrscht hätte , wurde eine wenig lokalen Presse zitiert. begeisterte Nachbarin in der

Hearings wurden angesetzt. Ein Vermittler schlug vor, die summer camps auf 100 Teilnehmer zu begrenzen. Zudem sollten zu den Samstags-Kurse der Schule nur noch 250 Schüler zugelassen werden. Das war für die DSW nicht akzeptabel.

Die Einigung, nicht zuletzt erreicht durch die beharrliche Pendeldiplomatie der damaligen Vorsitzen- den des Schulvereins, Sybille Young, sah schließlich wie folgt aus: Die Anwohner stimmten dem Neubau zu, der Samstagsunterricht wurde in ein etwas engeres Korsett geschnürt und die Schule verzichtete für mehrere Jahre auf summer camps. Das mag manchen an einen orientalischen Basar erinnern, an texanischen Rinderhandel oder gar an den Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag in Berlin. Einigen wir uns auf den Begriff smart diplomacy. In der Schulverwaltung trugen Richard Becker, seit 2009 Verwaltungsleiter der DSW, sowie Renate Wood und John Green maßgeblich zum Durchbruch bei. * * * In der Rubrik Permits Issued vermerkte die Washington Post am 27. Mai 2010 als laufende Nummer 9 der an diesem Tag vermeldeten Genehmigungen: Building. German School Society, Potomac. A School permit for a $ 5.05 million building at 8617 Chateau Dr., Potomac.

Doch zu diesem Zeitpunkt war das Schulgebäude, das mitsamt seiner Inneneinrichtung und Ausstattung zu

Als Eingang dient das großzügige Foyer, ergänzt durch Wandmalerei (hinter der Treppe) von Charles Andrade, der sein kraftvolles Wandgemälde auf einem Stahlrohrgerüste gestaltete (unten).

einem Acht-Millionen-Dollar-Projekt geriet, längst auf den Weg gebracht. Am 24. Februar um 17.05 Uhr hatten Schulleiter Waldemar Gries und Jens Hanefeld, der stellvertretende Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, unter dem Beifall von Schülern, Eltern und Ehrengästen die ersten Spatenstiche getan. Weil der strenge Winter den Boden hartgefroren hatte, durften sich die zwischen zwei Bulldozern angetretenen Herren an einem symbolischen Erd- haufen versuchen. Das taten sie mit Eifer und Bravour.

Gries freute sich nach eigenen Worten nicht nur über die Chance, mal einen Bauhelm tragen zu dürfen , sondern an diesem wichtigen Tag in der Geschichte der Deutschen Schule Washington über die Aussicht, die Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten für den Unterricht in Biologie, Chemie und Physik zu verbessern.

Der Neubau solle die DSW auch im naturwissen- schaftlichen Bereich von weitem sichtbar machen , erklärt die Schulverein-Vorsitzende Jutta Frankfurter. Ein Leuchtturm der naturwissen- schaftlichen Förderung. If you build it, they will come. They , das sind Eltern, die nach der passenden Schule für ihre Kinder suchen; das sind hiesige wie deutsche Universitäten, die auf Kooperationen setzen; das sind Unternehmen mit Bedarf an naturwissenschaftlich versierten Mitarbeitern. Wir erhoffen uns Synergien , sagt Frankfurter selbstbewusst. Wir bilden Elitestudenten, Fachkräfte und Nobelpreisträger die von morgen heran. Sie unterstützen uns mit Schulgeld, Sach- und Materialspenden und mit Stipendien.

Zeigt sich der erhoffte Dominoeffekt bereits im Jahr nach der Eröffnung des Neubaus? Ein Anfang zumindest sei gemacht, sagt Waldemar Gries. Er verweist auf Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, Rektor der Albert Ludwigs Universität in Freiburg, der die DSW in Vertretung des baden-württembergischen Wissenschaftsministers Peter Frankenberg besuchte und sich von der in Potomac geleisteten Arbeit beeindruckt zeigte. Schiewer nahm eine Wunschliste

mit zurück ins Ländle für den dortigen Wirtschaftsverband Industrieller Betriebe (wvib). Eine Hochgeschwindigkeitskamera, Geräte für den naturwissenschaftlichen Unterricht und für die Laborausstattung sowie Materialien für die Schüler stehen darauf. Auch Christian Zimmern, Vorstands- mitglied des German Executive Roundtable, einer Vereinigung deutschsprachiger Unternehmer und Wirtschaftsmanager in Washington D.C., versprach im Mai 2011 beim Besuch des Neubaus Unterstützung. Der GER veranstaltet seit 2008 einen mit 2000 Dollar ausgestatteten Wirtschaftspreis Förderung unternehmerischen an der DSW Denkens zur unter Jugendlichen . Was Wir werden sehen aus diesen stay tuned. Ankündigungen wird? * * * Das ungewöhnliche an diesem neuen Leuchtturm

Chateau Drive, von dem Jutta Frankfurter sprach: im Er sollte möglichst unsichtbar sein. Zumindest von den Häusern der Nachbarn aus. Auch das gehörte zum Kompromiss. Das Architektenbüro Geier, Brown, Renfrow gestaltete den eigentlich ausgesprochen sehenswerten Trakt, der sich trotz seiner Größe anmutig in die Landschaft schmiegt. Die Kreativen mit Sitz in Alexandria (Virginia), die auch mit der Sanierung der Deutschen Botschaft an der Washingtoner Reservoir Road betraut sind, konnten bereits vor der Grundsteinlegung eine Auszeichnung einstreichen: Der Washingtoner Zweig des American Institute of Architects hatte erstmals einen Preis für das Design von geplanten Bauwerken ausgelobt. Von einer eleganten und ökologischen Gestaltung, eingewoben in einen existierenden Preisvergabe. Campus , sprach Das Konzept erfüllt die den Jury in ihrer Silber-Standard des im Jahr 2000 gestarteten LEED-Programms (Leadership in Energy and Environmental Design) des U.S. Green Building Council. Umweltfreundlichkeit in der Konstruktion und im Betrieb, Wirtschaftlichkeit, geringer Strom- und Wasserverbrauch, hoher Sicherheitsstandard und die Verwendung nicht- gesundheitsgefährdender Materialien sind Kriterien für die LEED-Zertifizierung, die es oberhalb von Silber noch in Gold und die DSW steigern. Platin gibt und auf Gold will sich * * * Der architektonisch ausgesprochen gelungene NaWi-Trakt , für dessen Errichtung bauunternehmer die Firma Whiting als General- Turner aus Chantilly in Virginia verantwortlich zeichnete, hat die alten Probleme der meisten. Vier neue DSW gelöst zumindest die Unterrichtsräume, dazu zwei separate Vorbereitungsräume auf zwei Etagen und 1400 Quadratmetern (15 000 square feet), zusätzlich ein Keller, haben den naturwissenschaftlichen Unterricht an der DSW mit den Standards der Gegenwart ausgesöhnt. Und darüber hinaus eine Brücke zur Zukunft errichtet. Eines der Stichwörter lautet: smart boards. So heißen die interaktiven Tafeln, die den Unterricht von der Kreidezeit ins Digitalzeitalter katapultieren. Fotos, Infos und sämtliche Inhalte des Internet lassen sich über den dazugehörigen Laptop an die Stirnseite des Klassenzimmers projizieren. Und per USB-Stick ebenso die Hausaufgaben von den PCs der Schüler. Lehrer und Schüler freuen sich, dass die smart boards einen ganz anderen Umgang mit Grafiken, Tabellen und Versuchsreihen ermöglichen - selbst das enervierende Quietschen des zu langen Kreidestücks, von Naturwissenschaftlern als Stick-Slip-Effekt definiert, gehört der Vergangenheit an. Aber kleinere Mängel seien dennoch zu Protokoll genommen: Leider lassen sich die intelligenten Tafeln nicht in der Höhe verstellen und ihre Seitenflügel nicht im horizontalen Winkel neigen. Wer zu klein ist, kann zumindest im oberen Tafelbereich kaum schreiben, und wer im Klassenzimmer an der falschen Stelle sitzt, kann nicht lesen. Ein Vormittag im Mai 2011. Der im Schülerjargon arg prosaisch Neubau genannte Erweiterungstrakt (ein

Stolz auf den neuen NaWi-Trakt mit smart boards durch die naturwissenschaftlichen Unterrichtsräume . (links) leitet Direktor Gries beim Open House am 15. Februar 2011 eine Führung

Harmonisch auf dem Gelände wirkt der neue Leuchtturm

östlich), die den original Bau widerspiegeln. der Deutschen Schule mit gelben Pfeiler und roten Backstein (nordlich und

nickname wie Biobunker oder Reagenzglaspalast hat sich offenkundig noch nicht entwickelt) hat seinen Premierenstatus verloren und ist längst Teil des normalen Schulalltags geworden. In wenigen Minuten beginnt eine neue Unterrichtsstunde. Schüler schlendern oder eilen, je nach Vornote, Ehrgeiz oder Temperament, in die Klassenräume. Einige Lehrer sind unterwegs, manche recht sportiv, andere in einer eher als abgeklärt zu definierenden Geschwindigkeit. Der Aufzug, der vom hellen, großzügigen Foyer in das Obergeschoss führt, ist von zwei Jugendlichen besetzt, die keineswegs fußlahm wirken. Sie frönen vielmehr dem der Lehrerschaft offenkundig unbekannten Zeitvertreib der Beschleunigung von Masse durch Erschütterung wenn man im Aufzug heftig genug rüttelt oder hopst, fährt er automatisch abwärts. Man kann so etwas Schülerstreich nennen. Oder auch praktizierte Physik auf den Spuren Newtons. Und die gesamte Szenerie vergleichen mit dem, da grüßt die Biologiestunde, geordneten Chaos eines Ameisen- haufens.

Für das Wandgemälde im Foyer scheint inmitten dieser institutionalisierten Hektik niemand einen Blick zu haben. Dabei strahlt es mit einer Intensität in den Raum, die Kunst am Bau nur selten erreicht. Was ist auf dem Gemälde zu sehen? Ein Großfeuer hinter einer vom Löschwasser benetzten Glasscheibe? Ein Farbspektrum von hypnotischer Kraft? Ein weißer Energiekern, um den herum kosmische Licht- emissionen tanzen? Charles Andrade heißt der Künstler, er wohnt in den Rockies und die Philosophie seiner charakteristischen Lasuren ist, wie er im Telefongespräch verrät, stark von Johann Wolfgang von Interpretation durch Goethes Farbenlehre und ihrer den österreichischen Anthro- posophen und Esoteriker Rudolf Steiner beeinflusst. Licht steht darin als geistiger, nicht nur physikalischer Begriff. Licht lässt Farben entstehen, Farben öffnen Herzen und Hirne, Öffnung bringt Hoffnung, Hoffnung führt zu Menschlichkeit. Alles, was wichtig ist, so sieht es Andrade, hat einen spirituellen, geistigen Kern. Licht Farbe Herz naturwissenschaftlichen Hirn: Die Agenda für den Trakt der Deutschen Schule Washington ist mit diesem kraftvollen Wandgemälde gesetzt. Sie ist nicht bescheiden, sondern ausgesprochen ambitioniert. So be it.

This article is from: