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Fred Thommes: Wir kamen doch zusammen
by admissions
Wir kamen doch zusammen!
Fred Thommes
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1961 war zweifellos ein von amerikanischem Wohlwollen dominiertes Jahr in den deutsch- amerikanischen Beziehungen; aber bestimmt nicht, weil ich mich gerade damals als ein Austausch-Schüler aus Bayern in Virginia aufhielt. Vielmehr würden Chronisten zwei Begebenheiten anführen, weswegen Deutschland in der Gunst der Amerikaner damals deutlich nach oben klomm: einmal den Bau der Mauer am 13. August des Jahres, zum anderen die deutsche Hilfsaktion für die Opfer von Hurrikan Carla in Brownsville, Texas, am 10. September. Schrieben die Medien hierzulande Ulbrichts Mauerbau aus Verlegenheit über geeignete bzw. versäumte Gegenmaßnahmen dem Mitleid-Konto für Deutsch- land gut, ertönten die vielen amerikanischen Dankbekundungen für die schnelle und großzügige Hilfe der bundesdeutschen Regierung im Katastro- phengebiet am Golf von Texas wie Lobeshymnen auf eine, gerade erst 16 Jahre währende, Freundschaft zwischen den beiden Völkern.
Beides sind abgeschlossene Geschehnisse, wie uns der alljährlich gefeierte Mauerfall zeigt; auch die Hurrikan- Katastrophe von Brownsville findet nur noch statistische Erwähnung. Jedoch ein anderes Ereignis von 1961, das in den U.S.A. seinerzeit allerdings nicht gerade Nationen-weite Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, war die Einweihung der Deutschen Schule Washington am 30. September. Immerhin wurde es zum Ereignis mit gleichbleibender Relevanz bis in die Gegenwart, wie wir alle bezeugen können und mit einer langen und ungetrübten Zukunft, wie wir uns alle wünschen.
Fred Thommes mit Schülerinnen und Schüler in der Bibliothek der Deutschen Schule, wo nicht nur Bücher und Internetanschluss zu Recherchieren bereit stehen, sondern auch Lesungen von Autoren und anderen Kulturschaffenden stattfinden.
Eines Tages im Oktober 1961 wurde an mich mehrmals die von amerikanischen Mitschülern gestellte Frage gerichtet: Kennst du die neu gegründete Deutsche Schule drüben in Maryland? Nein , bekamen sie alle zur Antwort, aber ich würde sie gern kennen lernen. Auch jemand von der Deutschen Botschaft, vermutlich war es Botschafter Grewe selbst, machte damals in einem Telefon- gespräch ähnlich formulierte Anspielungen auf die gerade erstellte Deutsche Schule und erhielt darauf ungefähr die gleiche Antwort.
Die Jahre vergingen; wie man lange Zeitverläufe manchmal etwas klischeehaft darstellt. Ich lebte schon lange mit Familie in Kanada, wurde reifer und gesetzter. Hin und wieder tauchten Stellenangebote mit dem Absender der Deutschen Schule auf: Ich sollte es dort versuchen. Wer weiß, vielleicht finden wir beide endlich zusammen, die DSW und ich?
Und siehe da: An einem Freitag, vor etwas über zehn Jahren, spät abends, rief der damalige Direktor der Deutschen Schule, Dr. Klaustermeyer, an der kleinen Schule im Norden British Columbias an. Fuchs und Has mögen Nacht gesagt sich zu diesem haben, aber ich Zeitpunkt bereits gute geisterte noch immer in und ums Schulbüro herum; denn ich war allein, langweilte mich ein wenig und --- vergnügte mich mit Computerspielen; denselben ich ein paar Stunden vorher o dunkler Punkt!-, den Schülerinnen die und Schülern zu spielen untersagt hatte
Tja , begann Dr. Klaustermeyer das Gespräch, Sie haben sich ja um die von uns ausgeschriebene Lehrerstelle beworben. Ich biete sie Ihnen hiermit an, erwarte Sie aber spätestens am Sonntag bei mir zu Hause in Potomac. Sie müssen nämlich am Tag darauf mit dem Unterrichten an der DSW beginnen. Wie kriegen wir Sie denn dann so schnell quer über den Kontinent hierher?
Ein toller Anfang! Wenn der im Einklang mit dem Charakter der Deutschen Schule Washington steht, fühle ich mich dort beruflich gut aufgehoben , dachte ich da; und habe, übrigens, meinen Entschluss zum beruflichen Tapetenwechsel bis heute nicht bereut.
So empfand ich den spiritus scholae , ob vom Blickwinkel des Klassenlehrers oder des Bibliotheks- leiters aus betrachtet, selten anders als freundlich und bildungsbeflissen. Auch die Elternschaft begegnete mir stets offenherzig und kooperationswillig.
Die Bibliothek des Gymnasiums der DSW war bereits ein schulweit respektierter Eckpfeiler des Lernens und der Muse, als ich sie übernahm. Meine besondere Anerkennung hierfür geht an Frau Gabriele Sieg, die dem dort überwiegend vorherrschenden hohen Niveau den soliden Fundus gegeben hatte und ein Vierteljahrhundert lang unaufhörlich ihr Gestalt- ungsideal als Bibliothekarin zu verwirklichen wusste. Meine eigenen diesbezüglichen Pläne sehen, vorneweg, eine konsequent durchgeführte Klientel- konforme Medienselektion und die Nutzung der Bibliothek-Computer für ausschließlich Curriculum- orientierte Projekte vor. Obendrein soll der GY-Bibliothek mehr denn je die Schlüsselfunktion eines Horts der gehobenen Muse zukommen. Ich denke dabei vorneweg an Lesungen von Autoren und anderen Kulturschaffenden insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum. Und diesen Veranstaltungen sind nur wenige Grenzen gesetzt!
Mit Blickrichtung auf die GY-Bibliothek sollte unbedingt noch eine in der DSW-Chronik bisher einzigartige Begebenheit Würdigung erfahren: nämlich das umfangreich Vermächtnis an Büchern und Geld, das die Erblasser aus der Hinterlassenschaft von Frau Herta Müller und ihrem zuvor verstorbenen Mann, Dr. Hugo Müller, der DSW bzw. der GY-Bibliothek zuerkannten. Auch dieser Schule geht ursprünglich auf Doppel-Schatz für die die tiefe freundschaftliche Verbundenheit zwischen Frau Müller und Frau Sieg zurück; eine Freundschaft, übrigens, die hernach jahrelang den ehemaligen Schuldirektor, Herrn Bloch, sowie Frau Katja Sipple und mich, mit einbezog. So wurde dann auch, auf Beschluss von Herrn Bloch, nach dem Ableben von Frau Müller die GY-Bibliothek in Herta und Hugo Müller Bibliothek umgetauft und wird sich, fortan, unter diesem Namen zu Wort melden. Um nochmals auf das zu Beginn angesprochene Freundschaftsverhältnis zwischen Deutschland, bzw. den deutschsprachigen Ländern, und den Vereinigten Staaten zu kommen: Die DSW, als permanente Institution im amerikanischen Alltag, trägt tag-täglich zum Verständnis beider Kulturen bei; und dies nachhaltiger als die Mehrzahl aller kurzfristigen, wohl intentionierten Geschehnisse. 50-jähriges Bestehen der Deutschen Schule Washington: eine stolze Kulturleistung, gewiss; vor allem hierzulande. Im Alters-Vergleich zur Mehrzahl aller Schulen in der lokalen Umgebung dürfte sich die DSW damit in der
Altenriege befinden. Jedoch nach den Lebenserwartungen Deutschland, Österreich oder vieler Schulen in der Schweiz sind nicht bereits fünfzig, nicht einmal hundert Jahre -vielmehr erst hunderte von Jahren- ein respektables Alter. Demnach sollte die Devise für die Deutsche Schule Washington lauten: Auf, in die kommenden Fünfhunderter!
