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Ekkerhard Brückmann: Der Blick zurück, vor 50 Jahren . . . DSW, wie hast Du Dich verändert
by admissions
Der Blick zurück, vor 50 Jahren..... DSW, wie hast Du Dich verändert!
Ekkehart Brückmann
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Wir wollen nicht übertreiben: 49 Jahre sind´s erst, seit ich an einem sonnigen Februartag 1962, dem Valentine´s Day, zum ersten Mal als Schüler die Räume der Deutschen Schule, Washington in der altehrwürdigen Villa am Mac Arthur Blvd betrat. Valentine´s Day, der "Tag der Zuneigung" als Omen? Sicher hätte meine Zuneigung und innere Verbundenheit zu meiner ehemaligen Schule auch ohne dieses denkwürdige Eintrittsdatum bis heute gehalten.
Erinnerungen, so lehrt die Erfahrung, verblassen mit den Jahren, um so mehr nach einem halben Jahrhundert, aber meine washingtonischen Jahre prägten sich mir in einer besonderen Farbigkeit ein, viele Details sind auch heute sehr präsent. John F. Kennedy führte als junger Präsident mit neuen Ideen die Nation. Fortschitt und Wachstum in "god´s own country" schienen grenzenlos, der Glaube an eine große Zukunft war unerschüttert. Optimismus prägte sogar die Formen der Autos, die groß und leise waren.
Ich betrat also eine neue Schule: Mein erster Eindruck damals: Die Schule in einer alten Villa? So sah noch keine Schule aus, die ich bis dahin besucht oder auch nur gesehen hatte. Aber ich betrat ein schönes Klassenzimmer mit einem dicken, flauschigen Teppichboden - in dem mich nur 4 weitere Jungen und Mädchen als Klassenkameraden begrüßten. Eine so kleine Klasse? Das muß doch der Traum eines jeden Lehrers sein - aber so weit dachten wir als 10-jährige Schüler damals nicht. Wir - das war die 4. Klasse, und damit 1962 die höchste Klasse der Deutschen Schule. Sie wuchs dann jedes Jahr um eine Jahrgangsstufe mit uns mit, wir sind also gewissermaßen zusammen groß geworden.
Ein Mauerdurchbruch mit einer Schiebetür verband unser Klassenzimmer mit dem Nachbarzimmer, das die nächst tiefere Schulklasse bevölkerte - und das im wahren Sinne. Die 3. Klasse war nämlich schon bedeutetend größer als unsere. Das ehemalige Wohn- und Eßzimmer unserer Villa hatte damit eine ganz neue Bedeutung und sehr viel Leben bekommen. Bei geöffneter Schiebetür wurde der Unterricht in beiden Klassen gleichzeitig unterrichtet,

Uwe Bremer und Marie-Aimee Winterhager tanzen bei der Weihnachts-Aufführung im Palisades Recreation Center. Die Hausordnung der Schule wurde von Ingeborg Sklarzig sorgfältig am 20. Sept 1962 im Aktenbuch der DSW festgehalten.
ein unabwendbarer Tribut an den Mangel an Lehrern in der Aufbauphase. In den Hauptfächern unterschieden sich die Lerninhalte der zwei Klassen zu deutlich, da wurde der Unterricht getrennt und die Schiebetür geschlossen.
Not macht eben erfinderisch, Eifer und guter Wille der beteiligten Lehrkräfte überbrückte viele Hürden dieser Zeit. Bei allen Kompromissen herrschte eine beinahe familiäre Atmosphäre, und die Leistungsanreize fehlten nicht. Unterforderung, wie ich sie in der amerikanischen 5th grade vorher erlebt hatte, gehörte der Vergangenheit an.
Bei allen Einschränkungen der technischen und räumlichen Möglichkeiten einer Schule in oder so kurz nach der Gründungsphase, das didaktische Repertoire unserer Lehrer war bewundernswert und glich andere Mängel aus. Und " lernen" mußte man damals wie heute halt immer noch "selber", daran wird sich bei aller bildungspolitischer Diskussion auch nichts ändern.
Herr Sklarzig, der Schulleiter, trainierte unter anderem unsere Rechenkünste. So erinnere ich mich gut, wie wir anläßlich eines Besuches keines Geringeren als des Schweizer Botschafters unsere Fähigkeiten im Kopfrechnen mit Kettenaufgaben unter Beweis stellen durften. Er war beeindruckt und wir freuten uns.
Unvergessen ist in diesem Zusammenhang auch Frau Helga Engelhard, unsere weitgereiste, kosmopolitisch orientierte Klassenleiterin, die in mehreren Fächern unseren Bildungshorizont weitete. Darüber hinaus danke ich ihr heute noch für den unermüdlichen Einsatz, ihre Fairness, Gerechtigkeit und Ausgeglichenheit, sie war bei uns allen hochgeschätzt.
Transportprobleme löste sie häufig mit ihrem Volkswagen Käfer. Den besaßen damals viele, aber niemand beherrschte ihn so wie sie, fanden wir - und deshalb hatte sie noch einen extra Stein im Brett bei uns Jungs. Selbst der Motor schien unter ihren Händen weicher und behaglicher zu schnurren als sonst. Unser Klassenzimmer besaß auch noch eine große Glastüre in den Hintergarten der Villa - unserem Pausenhof. Der Weg in die verdiente Pause war damit erfreulich kurz, mit Rasen und Bäumen anstelle von

Pflaster und Asphalt obendrein attraktiv. Der Bewegungsdrang dieser Kinderjahre nach konzen- trierten Unterrichtsstunden konnte also befriedigt werden, bisweilen auch über die Zäune in die Nachbargärten - natürlich unter Mißachtung der bestehenden Gebote.
"The Germans are coming" war der Ruf eines jüngeren Schulkameraden (heute selbst erfolgreicher und geachteter Diplomat im Auswärtigen Dienst) bei einem dieser seltenen Ausflüge ins "Jenseits des Zauns", während er die fremden Gärten im Pioniergeist durchstreifte. Die überschäumende Lebensfreude genossen wir alle.
Dies war aber nicht die einzige Interaktion mit unserer Nachbarschaft. Anläßlich des 100. Geburtstags einer Nachbarin der Schule gegenüber traten wir mit einem Musikständchen mit deutschen Volksliedern auf, die wir im Musikunterricht eingeübt hatten. Die alte Dame genoss dies sichtlich - und wir waren tief beeindruckt von ihr und den Fotografien an ihren Wänden, die aus ihrem Leben von ihrem Geburtsjahr 1862 (!) an erzählten. Im nahegelegenen Palisades Recreation Center freuten wir uns in der Adventszeit über ein interessiertes amerikanisches Publikum, das unserer deutschen Weihnachts-Aufführung beiwohnte. Die lokalen Zeitungen berichteten darüber. Wir wollten uns öffnen und sicher auch einen kleinen Beitrag zu einem positiven Deutschlandbild beitragen für die noch junge Bundesrepublik.
Zu Ostern durften wir noch einmal mit unserem Tanzprogramm auftreten. Bei unseren amerikan- ischen Zuschauern stießen wir stets auf viel Wohlwollen und Zuneigung.
Diese Aufführungen sind zugleich ein kleiner Beleg für die Möglichkeiten, die auch mit den geringen zur Verfügung stehenden Mitteln über die reine Wissensvermittlung hinaus genutzt wurden.
Wir Schüler fühlten uns schon damals nicht als deutsche Enklave, sondern als integraler Bestandteil unserer Stadt. Unsere Mitschüler stammten nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum, auch amerikan- ische Eltern lernten schnell unsere Schule zu

"Unsere Mac Arthur - Villa haben wir gerne an jedem Schultag besucht, sie war uns vertraut geworden. Jeder Baum in 'Pausengarten' war erklettert worden, die Umgebung erkundet." Die gegenwärtige Fotographie zeigt die Villa (4925 MacArthur Blvd, NW, Washington, DC) im heutigen Zustand, Ecke Ashby Street und MacArthur Blvd.
Die Deutsche Schule, Washington, DC, in einer altehrwürdigen Villa am MacArthur Blvd (Foto aus dem Jahr 2001).

schätzen, unvergessen sind auch die Geschwister Uusivirta aus Finnland. Unsere Gespräche untereinander fanden auch damals randomisiert auf deutsch oder englisch statt - oder gar gemischt. Unsere örtlichen Englisch- lehrer verhalfen uns mit ihrem guten Unterricht zu einer zweiten Muttersprache: Zuerst Frau Sztanko, deren rassigen MG Roadster, geparkt vor der Villa am MacArthur Blvd wir bewunderten, weil er kein Dach besaß, und wenig später Mr. Kane, der immer auf einen Käfer als zuverlässiges Transportmittel ab Frühjahr 1963 in der Kirby Rd., McLean, Virginia vertraute.
Schulbusse gab es zu jener Zeit bei uns noch nicht. Unsere Eltern organisierten und übernahmen mit den Privatfahrzeugen den "carpool" Dienst morgens und mittags, und wechselten sich dabei ab. Die Frage nach möglichen haftungsrechtlichen Folgen stellte sich damals niemand, man handelte einfach - und meines Wissens ist auch glücklicherweise nie etwas passiert. Verkehrsstaus waren in Washington damals auch zur rush-hour sehr rar. Wir Kinder erlebten mit Spannung die so unterschiedlichen Fahrzeuge und Fahrweisen unserer wechselnden Fahrdienste.
Unsere Mac Arthur - Villa haben wir gerne an jedem Schultag besucht, sie war uns vertraut geworden. Jeder Baum in "Pausengarten" war erklettert worden, die Umgebung erkundet. Aber wir freuten uns im Frühjahr 1963 auf neue Erlebnisse in dem ungewohnt großzügigen und modernen Gebäude in Mc Lean, Va. in der Kirby Rd. Welch Quantensprung!
Große, helle Klassenräume, viel mehr Unterrichts- material, und! Sogar Cola - Automaten! Dazu stand uns für die Pause eine riesige Wiese zur Verfügung. Wieder waren die Grundlagen für einen sorgenfreien und erfolgreichen Schulalltag gelegt.
Nun hatten auch wir plötzlich gelbe Schulbusse! Gut, sie waren viel kleiner als die Originale der amerikanischen Schulen, Volkswagenbusse eben, und auch nur deren zwei. Sie versuchten, morgens möglichst viele der weit versteut lebenden Schüler aufzupicken, und sie nachmittags um halb drei wieder in die Elternhäuser zu entlassen. Gefahren wurden sie nicht mehr von den Eltern, sondern von echten Profis, die sonst bei der Feuerwehr Dienst taten. Sie differenzierten wohl ihren Fahrstil zwischen den roten und gelben Fahrzeugen ihrer beiden Arbeitgeber, brachten uns alle aber stets sehr zügig und sicher hin und her. Der Beltway war damals brandneu, er vereinfachte und beschleunigte den Transport deutlich und Staus darauf waren undenkbar.
Bald gab es dann gar noch den ersten großen, ausgewachsenen Schulbus, auf den wir sehr stolz waren. Wir Kinder machten uns doch keine Gedanken, wieviel logistische Gedanken alleine in die Fahrrouten der einzelnen Busse eingehen mußten. Neue Lehr- kräfte verstärkten auch die Unterrichtsqualität. Mit Herrn Kleinschmidt kam der erste gymnasial geprägte Schulleiter und Herr Rettmer brachte aus Cuxhaven neben seinen didaktischen Qualitäten auch die Sprachfärbung und Einflüsse von der Waterkant mit.
Wieviel Kleinarbeit und wieviel Herzblut muß schon in den Anfangsjahren investiert worden sein, um die prosperierende junge Deutsche Schule auf den Weg zu bringen!
Aber wir Schüler erfüllten sie auch mit jener Lebendigkeit, die sie für ihre Existenz und Prosperität sicherlich auch heute braucht.
Welch grandiose Schule ist daraus geworden! Zu damals geradezu eine Metamorphose. Staunend lese

"Wir freuten uns im Frühjahr 1963 auf neue Erlebnisse in dem modernen Gebäude in McLean, Virginia, in der Kirby Road.
Im Carl Schurz Auditorium, bei der Einweihung der neuen deutschen Botschaft Washington (1964), nimmt Ekkehart Brückmann (mitte) an einem Folktanz teil.
ich das umfangreiche Bildungsangebot, die vielfältigen Anregungen und Aktivitäten - eine vollkommen andere Dimension. Mit Freude und Genugtuung verfolge ich die Entwicklung. Aber im Grunde ist unsere Deutsche Schule doch heute wie vor 50 Jahren das verbindene Element zum Heimatland, sie bietet ihren Schülern eine hervorragende Unterstützung bei der persönlichen Synthese der "zwei Welten", die durch den Atlantik getrennt sind.
Und für alle, die nach uns kamen und jetzt nach 50 Jahren diese Zeilen aus einer anscheinend längst vergangenen Periode lesen: Auch Euch wird es so gehen. Haltet Eure Erinnerungen in den Herzen fest! Denkt dabei an Karl Valentin´s mahnende Worte: "Heute" ist die gute alte Zeit von "morgen".

Danke, Deutsche Schule! Du hast uns viel mitgegeben, auch für´s Leben, auch schon in Deinen Anfängen, wo Du gute schulische Grundlagen auch ohne hohe technische Ausstattungs-Standards vermitteln konntest. Jedenfalls denen, die wirklich lernen wollten. Einfach war´s nicht immer - für Dich nicht - und für uns Schüler nicht. Aber gemeinsam haben wir es geschafft. Ich denke gern an Dich zurück - und Du hoffentlich auch.