Hintergrund
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Deutsch-französische Vorschläge für eine europäische Insolvenzrechtsharmonisierung von Prof. Dr. Urs Peter Gruber, Mainz
INDat Report 02_2020
Im Vertrag von Aachen haben Deutschland und Frankreich Anfang 2019 vereinbart, Schritte hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum zu unternehmen. Angestoßen wurde dieses Projekt am 26.09.2017 durch eine Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Sorbonne. Das Insolvenzund Restrukturierungsrecht hat bei diesen Überlegungen von Beginn an eine zentrale Rolle gespielt. Die deutsche Bundesregierung hat es sich im Koalitionsvertrag vom 07.02.2018 zur Aufgabe gemacht, einheitliche Regeln für deutsche und französische Unternehmen einzuführen, um den grenzüberschreitenden Handel und das gemeinsame wirtschaftliche Wachstum mit Frankreich zu fördern. Dort heißt es, dass Deutschland »mit Frankreich konkrete Schritte zur Verwirklichung eines deutschfranzösischen Wirtschaftsraums mit einheitlichen Regelungen vor allem im Bereich des Unternehmens- und Konkursrechts und zur Angleichung der Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuer vereinbaren« werde.
Die französische Gesellschaft Henri Capitant hat den Vorschlag des französischen Präsidenten und die Ankündigung des Koalitionsvertrags aufgegriffen und Arbeitsgruppen gebildet, die in den verschiedenen Rechtsbereichen Textentwürfe für eine mögliche Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts erarbei-
ten sollen. Die Ambitionen dieses Projekts reichen sogar über das deutsch-französische Verhältnis hinaus: Letztlich soll ein potenziell gesamteuropäisches Wirtschaftsgesetzbuch vorbereitet werden. Auch im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht wurde eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die von französischer Seite federführend von Professor Philippe Roussel Galle und Jean-Luc Vallens sowie auf deutscher Seite von Prof. Dr. Urs Peter Gruber koordiniert wird. Die Arbeitsgruppe hat sich im Februar dieses Jahres auf einen Entwurfstext verständigt. Die endgültige Version des Textes soll – zusammen mit den Texten der anderen Arbeitsgruppen – ab Ende März veröffentlicht werden. Im Folgenden wird das Grundkonzept dieses Textes kurz vorgestellt. II. Erster Vereinheitlichungsschritt: Schaffung einheitlicher Verfahren 1. Ausgangslage Im aktuellen französischen Recht besteht im Bereich von Insolvenz und Restrukturierung eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher Verfahren mit divergenter Zielsetzung. Das deutsche Recht sieht demgegenüber nur ein einheitliches Regelinsolvenzverfahren vor, von dem allerdings vor allem mit der Eigenverwaltung und dem Insolvenzplan abgewichen werden kann. Diese Unterschiede stellen bereits eine vergleichende Bestandsaufnahme vor erhebliche Herausforderungen. Ließe man diese unterschiedlichen Verfahrensstrukturen bestehen, bliebe eine deutsch-französische Annäherung kaum realisierbar. In der Arbeitsgruppe bestand daher bald Einigkeit darüber, dass in dem Entwurf einheitliche Verfahren vorgesehen werden müssen. Für diese Verfahren müssen möglichst identische Eingangsvoraussetzungen und Beendigungszeitpunkte festgelegt werden. (Erst) auf dieser Grundlage können weitere Vereinheitlichungsschritte stattfinden. In diesem Zusammenhang erweist sich die Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen als Katalysator der Vereinheitlichungsbemühungen. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, eigenständige Verfahren zur Sanierung von noch nicht insolventen, aber in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das aktu-
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I. Das Projekt

















